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trafo Literaturverlag 2008, 113 S., mit Illustrationen von Adelheid Christopeit, ISBN 978-3-89626-377-3, 9,80 EUR
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Geschichten – geschrieben in meinem Zuhause nahe dem Gorinsee. Hier
notiere ich sieben mal sieben Ideen, draus wird ein Gedicht, ein
Märchen oder eine Kurzgeschichte. Erinnerungen an meine Kindheit in
Berlin finden ebenso darin Platz wie das, was ich in den vergangenen
Jahren erlebte – verwoben mit Erfundenem, inspiriert von der
ländlichen Umgebung, in der ich jetzt lebe. |
(nach einem Sprichwort)
Er liest schon wieder. Mir
gefällt es, neben seinem Sessel zu liegen, in der Gewissheit, seine Liebste
zu sein. Obwohl ich mir da neuerdings nicht mehr ganz sicher bin. Vorgestern
las er laut das Märchen vom gestiefelten Kater vor. Er müsse das Vorlesen
für seine Arbeit im Kindergarten üben, meinte mein Herrchen. Jakob ist
Erzieher von Beruf.
Das mit dem gestiefelten Kater lässt mir keine Ruhe. Niemals würde ich rote
Stiefel tragen. Weshalb sollte ich meine schwarz-weiß gefleckten
Pelzpfötchen verstecken? Schließlich bin ich eine gut gebaute Katzendame.
Mein Herrchen ist fünfundzwanzig und der Jüngste von drei Brüdern.
Als die Eltern vor einem Jahr ein Grundstück in der Schweiz erbten und
dorthin umzogen, überließen sie dem ältesten Sohn ihre Schuhfabrik. Der
mittlere Sohn bekam zwei teure Autos. Jakob erhielt einen Bücherschrank aus
dem achtzehnten Jahrhundert samt wertvoller Bücher. Und mich. Seitdem lebe
ich bei ihm und spaziere tagsüber oft bis zum Kindergarten, in dem er
arbeitet.
Die Geschichte vom gestiefelten Kater ist doch Flunkerei. Angeblich wird aus
ihm ein »Erster Minister«. Glauben Sie wirklich, dass ein Kater
Regierungsgeschäfte übernehmen kann? Für sein Herrchen, das durch des Katers
Gewitztheit in Saus und Braus lebt und von einem Tag auf den anderen
Besitzer eines Schlosses wird, das eigentlich einem anderen gehört? Ach, Sie
mögen Märchen? Ich soll mit der Nörgelei aufhören? Die Geschichte von Jakob
und mir klingt auch wie ein Märchen. Es ist zauberhaft, wie lieb er sich um
mich kümmert. Seine Eltern schenkten mir kaum Aufmerksamkeit. Zwar fehlte es
mir nicht an Komfort, ich bewohnte immerhin ein dreistöckiges Katzenhaus und
das Futter schmeckte vorzüglich. Doch sie nahmen mich nie auf den Schoß und
streichelten mich nicht. In ihr Schlafzimmer und auf die verlockenden
Polstermöbel durfte ich nicht. Jakob lässt mir meine Freiheiten und fürchtet
Katzenhaare im Bett nicht. Ich kann mich auch auf dem Sofa im Wohnzimmer
ausstrecken. Doch am liebsten – Sie wissen es ja schon – liege ich neben
seinem Sessel.
Neuerdings kommt Jakob nicht gleich nach Hause, wenn er Feierabend hat. Er
läuft zu einer Fremden. Das fand ich kürzlich heraus. Zufällig. Ich eilte
ihm entgegen und sah, dass er nicht in unsere Straße einbog, sondern
weiterlief. Neugierig folgte ich ihm und beobachtete, dass er ein
verglastes Gebäude betrat. Ich schaute durch die Fensterfront im Erdgeschoss
und entdeckte Jakob im Gespräch mit einer Frau. Dachte er nicht an mich? Ich
hatte Hunger und erwartete meine abendlichen Streicheleinheiten. Mein Futter
bekam ich erst eine Stunde später als sonst. Ich war sehr gekränkt und
schmuste nicht wie üblich mit Jakob. Strafe muss sein.
Zwei Tage danach spazierte Jakob mit einem Sträußchen Blumen zu jenem
Gebäude. Die Blüten schnitt er aus den großen Kübeln ab, die unseren Balkon
schmücken. Gern liege ich auf der weichen geblümten Decke neben einem Topf,
in dem Pflanzen mit himmelblauen, gelben und rosa Blüten wachsen. Ich war
ihm nachgelaufen, blieb an der Eingangstür sitzen und wartete auf ihn, bis
er herauskam. Die Fremde hatte sich bei ihm eingehakt und reagierte seltsam,
als er mich ihr vorstellte. Sie lief zurück zur Tür und verschwand im
Gebäude. Jakob eilte hinterher und kam nach einer Weile betrübt zu mir
hinaus. Ich maunzte und strich ihm klagend um die Beine. Besorgt trug er
mich nach Hause, und den ganzen Abend über spielte ich die Kranke. Jakob
machte sich wirklich Sorgen um mich. Er vergaß sogar, selbst etwas zu Abend
zu essen. Immer wieder schaute er zum Sofa, auf dem ich lag und keinen Mucks
von mir gab. Meinen Katzennapf rührte ich nicht an. Jakob telefonierte an
jenem Abend lange und erwähnte mehrmals das Wort »Allergie«. Was das wohl
bedeuten mag?
Morgens las ich im Bus auf dem Weg zur Arbeit mein Horoskop in der
Tageszeitung. Es empfahl mir: Diesen Abend sollten Sie am besten zu zweit
genießen. Das passt, dachte ich. Auch wenn Pierre, mein Mann, bis Ende
nächster Woche auf Dienstreise war, brauchte ich nicht einsam sein. Dabei
wurde ich Pierre nicht untreu, oh nein. Einen schönen Feierabend hatte ich
mir verdient. Als Angestellte in einem Geschäft, das Computer, Handys,
Digitalkameras, CDs und DVDs anbietet, bin ich ständig zwischen den Regalen
unterwegs, packe Ware aus, werde von der aktuellen Chart-Musik beschallt und
beantworte Kundenfragen. Am liebsten berate ich in der DVD-Abteilung. Ich
kenne jeden Film, der im Angebot ist. Spielfilme liebe ich! Nicht etwa
Schnulzen, nein, ich mag Filme, deren Darsteller mich im Innersten berühren.
Mehrmals am Tag nehme ich meinen Lieblingsfilm in die Hand und schaue den
Hauptdarsteller zärtlich an. Möglichst unauffällig, ich will nicht, dass die
Kolleginnen und Kollegen was zum Tratschen haben.
Als ich endlich Feierabend hatte, eilte ich zum Bus, um rasch nach Hause zu
kommen. Ich deckte den Tisch im Wohnzimmer. Plötzlich flackerte das Licht
und im Fernseher fiel das Bild zusammen. Das darf doch nicht wahr sein! Muss
ich das Gerät schon reklamieren? Erst vor einem Monat kaufte ich mir diesen
supermodernen TV-Apparat. Der Strom ist weg! Wenn das wieder zwei Stunden
dauert wie vor einer Woche, wäre der Abend gelaufen. Ich würde mir nicht die
DVD mit ihm anschauen können! Meine Gedanken kreisten um den Schauspieler,
der mich mit seinen rotblonden Haaren und den entzückenden Sommersprossen
fasziniert. Ich erlebte ihn erstmals an einem Herbstabend. Damals saß ich
mit Pierre im Kino und wir sahen den neuesten Film, für den seit Wochen
geworben wurde. An diesem Abend machte es bei mir noch nicht »klick«, erst
zwei Monate später stieß ich eher zufällig im Internet auf Fotos aus jenem
Film.
Seitdem bin ich Feuer und Flamme für den Hauptdarsteller. Nun schaue ich
täglich ins Internet, ob es was Neues über ihn gibt. Gestern entdeckte ich
einen Fotokalender fürs kommende Jahr, mit zwölf farbigen A3-Bildern des
Schauspielers. Das wäre was, falls mal wieder ein Stromausfall meine Pläne
durchkreuzt. Den Kalender lasse ich mir von Pierre schenken. Oder? Mal
sehen, was das Horoskop morgen für mich bereithält.