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  Franziska Trauth


 

 Der Kranichring

 

 

 

  Novelle

2019, 113 S., Mit 20 Illustrationen von Teresa Trauth, ISBN 978-3-86465-119-9, 12,80 EUR

 

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Zum Buch
 

Während einer Donauschifffahrt sieht sich die Thea­terschauspielerin Alma einer rätselhaften, denkwürdigen Begegnung gegenüber, die weit über ihre im Moment erfahrene Realität hinausweist.

So erinnert sie auch magische, schwer glaubhafte Situationen in ihrem Leben.

Die Reise wird sie verändern.

Aquarellbilder, märchenhaft, bunt, voller Symbolik, ergänzen die atmosphärisch dichte Erzählweise.

 

 

 

Leseprobe

 

ICH TRAUE MEINEN AUGEN NICHT oder DAS ETWAS ANDERE VORWORT

Dieser Geschichte liegt eine wahre Begebenheit zugrunde: Sonnabendmittag gegen 13 Uhr, Straße vor Einkaufszentrum.

Drei Nonnen auf Rädern, hinterher Jogger, Oberkörper nackt, auf Rücken großes, schwarzes Kreuz gemalt oder täto­­wiert.

 

 

Schwarze Stoffbahnen flattern hinter den Köpfen hinab bis auf die Schutzbleche der Hinterräder. In einer Art Gänsenonnenschritt drei schwarze Gestalten. Ich nehme seitlich gerade noch junge Gesichter wahr, fröhliches Lachen, und schon sind die schwarz-weißen Elstern an mir vorbeigeradelt. Als ich wieder auf die Mitte des Bürgersteiges zurück will, drängt mich ein kräftiger, nackter Männeroberkörper erneut an die Seite. Die Beine stecken in grauen Jogginghosen. Er rennt den jungen Rabenvögelfrauen offenbar hinterher und als er mich überholt hat, blicke ich auf eine riesige Kreuztätowierung, quer und längs auf seinem Rücken. Ich traue meinen Augen nicht, möchte die Fata Morgana festhalten, doch mein Smartphone habe ich nicht in der Tasche. Die vier Gestalten verschwinden so schnell wie sie gekommen sind.

Ich reibe mir die Augen, schaue auf meine Uhr, um wenigstens den Zeitpunkt dieser Begegnung der dritten Art zu dokumentieren: Dreizehn Uhr, ein Sonnabend, ich unterwegs in meiner Kleinstadt mit noch leerem Einkaufsbeutel.

Nachdem mein Ärger über das fehlende Handy verflogen ist, beginnt meine Fantasie Blüten zu treiben um die geheimnisvolle Begegnung, die viel eher auf einen verschlungenen Pfad durch einen verwunschenen Märchenwald gepasst hätte als auf den Radweg vor dem Einkaufszentrum. Drei junge, radelnde, lachende Nonnen, verfolgt von einem Halbnackten, vierschrötig wie ein Waldschrat. Tausend Fragen gehen mir durch den Kopf, tausend Möglichkeiten.

Die drei Nonnen haben es eilig, irgendein Ereignis scheint sie zu erwarten. Vielleicht ein Konzert in der nahegelegenen Marktkirche, zu dem sie ihr Stift verlassen haben. Diese Möglichkeit erscheint mir durchaus real, das Unglaubliche liegt an ihrem Verfolger, der nicht wie Jesus unter einem schweren Holzkreuz fast zusammenbricht, sondern mit seiner Kreuztätowierung ohne Gewicht für die Passanten ein Schauspiel zu veranstalten scheint.

Doch dafür gibt es keine plausible Erklärung. Rennt hier zufällig ein Sonderling oder Verrückter die Straße entlang, vor dem zufällig die drei Fahrradnonnen fahren, oder ist er zufällig gar Teil einer Prozession, einer Inszenierung, und bildet ihren Abschluss? Ich komme zu keinem Resultat, die vier Gestalten scheinen sich in Luft aufgelöst zu haben, so als hätte es sie nie gegeben. Merkwürdigerweise kann ich auch mit keinem Passanten darüber sprechen, denn der Weg vor mir ist menschenleer an diesem Kleinstadtwochenendmittag. Die meisten Leute sitzen um diese Zeit zufrieden an ihren Wochenendmittagstischen und können somit solche Wunder nicht erleben.

Ich kaufe schließlich meine wenigen noch notwendigen Dinge für das Wochenende und bin schon wieder auf dem Heimweg. Genau an der Stelle, an der ich den vier Gestalten begegnet bin, fällt mir alles erneut ein. Ich male mir wieder die unterschiedlichsten Gründe aus für das, was meine Augen gesehen haben.

Dazu fällt mein Blick auf die Fassade des gegenüberliegenden Gymnasiums, auf der ein Transparent den sogenannten Abispaß vom gestrigen Tag immer noch ankündigt.

So verwandeln sich für mich die drei jungen Nonnen in ganz gewöhnliche junge Mädchen, die sich nach ihrem letzten Unterrichtstag auf dem Schulhof treffen, um ihren Abiturschabernack für den morgigen Tag zu besprechen. Nach der allerletzten zweiten Unterrichtsstunde ist der alljährliche Abispaß vor den mündlichen Prüfungen fällig. Die Abiturienten bitten die Lehrerschaft auf den Schulhof zu allerlei Spielchen und sonstigen Herausforderungen, bei denen an diesem Tag die Lehrer examiniert werden. Natürlich beziehen die jungen Leute ihren Mut aus einer frechen Verkleidung; fast alles ist dabei erlaubt. In diesem Jahr beschließt man, die bunte Multikultischulwelt noch zu erweitern. Jeder ist aufgefordert, für die eigene Kostümierung eine bestimmte religiöse Symbolik nach eigener Wahl auszustellen und damit zu erscheinen.

Langsam füllt sich der Schulhof an diesem srahlend schönen Vormittag mit Engeln in weißen Betttüchern und Lockenperücken, Teufeln in Rot-Schwarz mit Horngebilden auf den Köpfen und einige geben sogar den Herrn im Himmel wie im Faustprolog. Man gruppiert sich nach dem Vorbild dieser Szene und so mancher Deutschlehrer freut sich über die seiner Meinung nach kreative Umsetzung seines Unterrichtes. Zu all den himmlischen Heerscharen gesellen sich immer mehr passende irdische Bodenpersonalfiguren. Da gibt es Mönchskutten, Priestertalare mit mächtigen Kreuzketten, bunte und schwarze Kippas, aber auch Burkas und Burkinis oder besonders glänzend farbige, kunstvoll gesteckte Kopftücher. Das bunte Gewimmel spielt fröhlich miteinander, tanzt ausgelassen nach den Rhythmen der ebenfalls verkleideten Schulband.

Drei Freundinnen sind sogar als Nonnen erschienen, in vollem Habit, tanzen zu dritt. Das „Trio Harmonie“ oder die „drei H´s“ werden sie von den Anderen genannt: Hildegard, Helga und Herma.

Hildegard ist die Hübscheste; ein zartes, rotblondes Mädchen, blauäugig. Sie belegt den Bioleistungskurs, will Botanik studieren, sammelt oft Heilkräuter und ist auch bekannt unter dem Namen „Kräuterhexe“.

Helga ist der „gute Mensch von Sezuan“. Damit zeigt man, dass im Leistungskurs Deutsch, zu dem Helga gehört, auch Brecht gelesen wurde. Sie ist die typische Helferin und Schlichterin, uneigennützig, bescheiden, im Hintergrund und versteckt ihre füllige Figur, ihre kurzen, stämmigen Beine oft unter weiten Kleidern, ist wie eine Henne, die ihre Küken gern unter ihren Fittichen hätte.

Herma, die Dritte im Bunde, trägt ihr schwarzes Haar in Form eines extravaganten Herrenschnittes mit modernem Undercut, ist lang aufgeschossen, sehr schlank, immer in Jeans, geheimnisvoll tätowiert. Sie sticht im Leistungskurs Physik fast alle Jungen aus, die ihr im Übrigen als das für sie andere Geschlecht völlig gleichgültig zu sein scheinen. Sie sind dafür ihre besten Kumpel, wenn sie nicht mit ihren beiden Freundinnen, mit denen sie bereits die Grundschule besucht hat, zusammen ist.

So tanzen also die drei Nonnen nach den wilden Rhythmen der Schulband, als sich ein kräftiger, untersetzter Junge, ziemlich klein, zwischen sie drängt und in ihrer Mitte ebenfalls zu tanzen beginnt. Er trägt lediglich eine Jogginghose, da er das aufgemalte schwarze Kreuz auf seinem Rücken, riesig über den ganzen Oberkörper hinweg, zur Geltung bringen will. Schließlich wird den Mädchen sein Imponiergehabe zu viel, sie stieben lachend auseinander, rennen in Richtung Schulgebäude davon, er hinterher.

Herma bleibt plötzlich stehen, dreht sich um und schlägt ihn vor die Brust: „Sag mal, Helmut, wärst du dabei, morgen so wie du jetzt bist durch unser Nest hinter uns her zu laufen? Da könnten wir schön die Spießer erschrecken, die wüssten nicht, was sie von der Prozession halten sollen. Wir könnten sogar unsere Räder nehmen, da würden unsere Nonnengewänder voll flattern in der Luft!“

„Na klar, Herma, für dich immer!“ Allerdings müssen die Bedenken der anderen zwei Mädchen noch zerstreut werden. Hildegard stellt sich schließlich die Gesichter ihrer beiden Grundschulmitschülerinnen vor, an denen sie vorbeifahren würden. Die beiden Verkäuferinnen aus dem Modehaus an der Strecke hatten sie früher oft genug gehänselt, wenn Hildegard Kräuter sammelte oder deren Tussimode mit Leggings in Pink nicht mitmachen wollte, statt dessen lieber in mädchenhaft romantischen Kleidern erschien.

Und auf Helga verfehlt das Jesuskreuz von Helmut seine Wirkung schon gar nicht, zumal es überall im Bayerischen gegenwärtig aufgehängt werden soll, allein um Punkte für die Wahlen zu sammeln, ohne echte Bedeutung, sagt sie. „Schön lächerlich könnte man damit diese dämlichen Anordnungen machen!“

So verabredet man sich für den nächsten Tag auf der Kleinstadtstraße zum besonderen Happening.

Ja, so könnte es gewesen sein, überlege ich auf meinem Heimweg nach dieser seltsamen Begegnung, als ich an der katholischen Seniorenresidenz vorbeigehe. Gerade öffnet dort eine Nonne die Autotür und will sich an ihr Steuer setzen. Mein Gedankenkarussel wechselt die Richtung.

Ich sehe die drei Nonnenrabenvögel mit ihren Rädern aus der Einfahrt des Seniorenstiftes kommen. Hildegard, Helga und Herma haben sich in echte Nonnen verwandelt. Sie steigen auf ihre Sättel und fahren an mir vorbei. In diesem Moment erscheint Helmut, der die Züge des Gärtnerhausmeisters aus dem Stift angenommen hat. Er läuft ebenfalls an mir vorbei und rennt den Nonnenmädchen hinterher. Jetzt kann ich auch wieder das riesige schwarze Rückenkreuz auf dem nackten Jungenoberkörper wahrnehmen. Die Bilder stimmen überein, ich bastele an einem anderen Puzzle.

Aus den Abiturientinnen sind katholische Nonnenschwestern geworden.

Hildegard hat als Botanikerin keinen Job gefunden und „verwirklicht“ sich nun nach eigenen Aussagen als Kräuterhexe in einem Klostergarten.

Helga schmeißt die Anstellung als Grundschullehrerin hin, da sie fühlt, sie kann nicht wirklich helfen „in dem festgefahrenen Schulsystem“. Die vielen „Helicoptereltern nerven“ sie außerdem ungemein und so will sie sich lieber der Pflege der Alten, Kranken widmen. Dabei kommt ihrer Figur die weite Nonnenkleidung durchaus entgegen.

Helmas Widerspruchsgeist verhindert den Abschluss ihres Physikstudiums, das sie in eine zu „machomäßige“, auf Profitstreben gestützte Männerwelt gelenkt hat, wie sie meint. Sie schließt sich ihren beiden Schulfreundinnen an, schaut ihnen neugierig über die Schultern und gerät so auch zu den Pflegenonnen. Sie probiert sich für eine Zeit neu aus, wird vielleicht aber „irgendwann ganz woanders landen“, wie sie es sich selbst prophezeit.

Jedenfalls beschließen die drei Jungnonnen am Vorabend des denkwürdigen Mittags, am nächsten Tag mit ihren Rädern zur Generalprobe ihres Kirchenkonzertes zu fahren, quer durch den Ort. Sie sitzen im Garten der Seniorenresidenz nach getaner Arbeit auf ihrer Bank, lachen, reden über allerhand Zeug, was nicht für fremde Ohren gedacht ist. Sie sind so in Schwung, dass sie Helmut, den jungen Hausmeistergärtner, nicht bemerken, der, hinter einem Busch versteckt, die Beete jätet. Die drei jungen Frauen lachen auch über ihn, machen sich über „den kleinen Zwerg“, sein Imponiergehabe mit dem breiten, oft nackten Jesuskreuzoberkörper lustig, den er ihnen öfter schon entgegengestreckt hat mit der unausgesprochenen Aufforderung: „Seht mich an, ich bin auch hier gelandet und könnte für euch von Interesse sein!“

Er verfolgt den Plan der drei Nonnen, den Ort per Fahrrad zu durchqueren, und beschließt, ihnen hinterherzulaufen mit seinem echt tätowierten Kreuz, das er sich nach einer denkwürdigen Jesuserscheinung hat stechen lassen und das ihn schließlich bewogen hat, den Arbeitsplatz in der Seniorenresidenz vorerst anzunehmen. Dabei kann er überlegen, wohin es mit ihm gehen soll im Leben. Er weiß, sein Kreuz wird nur zu sehen sein, wenn er sich morgen mit nacktem Oberkörper zeigt. Wie die Leute seine Vorstellung als Jäger der drei radfahrenden Pflegeschwestern aufnehmen werden, weiß er noch nicht, aber hinglotzen und sich wundern, ihren Augen nicht trauen, das würden sie schon. Und lachen würden sie über die hochnäsigen Weiber! So kommt es also zu dieser Prozession.

Doch jetzt Schluss mit den Spekulationen! Ich bin schließlich mit meinem Einkaufsbeutel zuhause angekommen und nachdem an diesem Sonnabendmittag der Essenstisch wieder abgeräumt ist, beginne ich meinen verdienten Wochenendmittagschlaf, versinke in eine andere Welt.

Ich liege am Rand der Waldlichtung mit dem Eichenbaumkreis, exakt wenige Meter hinter dem katholischen Seniorenstift. Eine lange, beschwerliche Reise hat mich in uralte Zeiten geführt, an einen Kraftort der Kelten, zu einem ihrer Mondfeste. Ein moosgrünes Rondell, gesäumt von mächtigen Stämmen, ausladenden Kronen liegt vor mir. Eine Eiche versteckt mich vor neugierigen Blicken; niemand kann sehen, dass ich im Nachthemd bin. So träume ich vor mich hin, lausche leisen Flötenklängen, die nach und nach von einem mehrstimmigen, hellen Lachen abgelöst werden. Dazwischen erreichen jetzt auch tiefe, dröhnende Basstöne meine Ohren und ich vernehme die Worte: „Den katholischen Betschwestern verpassen wir einen Denkzettel für ihre Hochnäsigkeit!“

Ich blicke in die Richtung, aus der die tiefe Stimme kommt. Ein zerzauster Waldschrat steht wenige Schritte von mir entfernt in der Mitte des Eichenbaumkreises. Er ist klein, stämmig, sein Gesicht verdeckt ein dunkler Bart, sein Oberkörper ist nackt. Jetzt dreht er sich um und ich sehe, wie drei Elfen gerade dabei sind, mit Holzkohlenstückchen ein riesiges schwarzes Kreuz auf seinen Rücken zu malen.

„Ja, wir sind dabei!“, dazu wieder dieses silberhelle Lachen. „Unsere Kräuter sammeln die schon lange nicht mehr.“

Ich wage mich ein wenig aus meinem Versteck heraus und betrachte die elfenzarte, rotblonde Gestalt im bläulich schimmernden Tanzgewand, von der diese Worte stammen. Neben ihr steht ein großes, schlankes Wesen mit ebenholzfarbenem Haar: „Wir jagen den Nonnen mal richtig Angst ein, vielleicht glauben die dann wieder an uns. Zu unserem Baumkreis und zu unseren Tänzen sind die schon ewig nicht mehr gekommen“, lacht die schwarzhaarige Elfe schadenfroh.

„Ich freue mich schon auf die Nonnenkleider, wir werden uns selbst kaum wiedererkennen“, kichert eine Dritte. Ihre kräftige, für eine Elfe ungewöhnliche Gestalt ist umrahmt von langen, wallenden, golddurchwirkten Stoffen, die bis auf den Waldboden reichen. „Für ihre Pflege im Stift könnten wir ihnen so manches beibringen, aber die wollen ja nur beten.“

Und so beschließt man, am nächsten Mittag vor der Generalprobe zum großen Kirchenkonzert die Prozession der Elfen und des Waldschrats stattfinden zu lassen, verkleidet als Nonnen und Jogger. Genau zu dem Zeitpunkt, an dem die echten Nonnen zur Probe gehen, wird man die Prozession vor dem Eingang des Stiftes beginnen. „Da werden die staunen, dass es noch mehr gibt auf unserer Waldlichtung, unserem Kraftort, als ihren katholischen Singsang“, brummt der Waldschrat.

Das Kreuz auf seinem Rücken ist gemalt, die Elfen probieren den Nonnenhabit. Immer wieder ertönt dabei ihr fröhliches, freches Lachen, das allmählich erneut in Flötentönen verebbt. Die Elfennaturwesen erscheinen wieder in ihren zarten, schimmernden Tanzgewändern, auf die der Vollmond bizarre Muster zaubert. Sie huschen kreuz und quer an den dicken Stämmen der Eichen vorbei, versuchen, sich gegenseitig zu fangen, tanzen ausgelassen inmitten des grünen Tableaus. Der bärtige, kleine Waldschrat will unbedingt in ihre Mitte gelangen, dabei foppen und necken sie ihn. Sie lassen ihm keine Lücke, verschließen den Kreis vor ihm. Ich probiere in meinem Versteck, laut zu rufen: „Lasst ihn mittanzen, morgen braucht ihr ihn doch auch bei eurer Prozession!“ Doch kein Laut dringt über meine Lippen; ich habe keine Stimme mehr. Schließlich erhebe ich mich aus meinem Versteck, will auf die kreisrunde Lichtung laufen, will mittanzen, mitlachen. Jetzt versagen meine Beine mir den Dienst, ich schaffe keinen einzigen Schritt, bleibe ausgeschlossen; unhörbar, unsichtbar, unbeweglich.

Endlich gelingt es mir, in meinem Mittagsbett die Augen zu öffnen. Meine Entspannungsflötenmusik-CD ist zu Ende. Die Naturwaldwesen haben sich in Luft aufgelöst.

„Sogar im Traum verfolgt mich die Begegnung noch!“ Ich wundere mich über mich selbst, leicht genervt und etwas wütend. „Vielleicht waren das einfach nur irgendwelche Bankräuber, originell verkleidet, auf dem Weg zur Sparkasse!“ Und dann meldet sich meine Logik: „Blödsinn, der Schalter ist doch geschlossen am Sonnabendmittag!“

Ich steige aus meinem Bett, bereite den Wochenendnachmittagstee vor. „Vielleicht fällt den Anderen auch was dazu ein“, überlege ich. Dann sitze ich am Tisch, schlürfe den schwarzen Tee und erzähle meiner Familie von meiner Begegnung. Mir fällt dabei immer stärker auf, dass alle Erklärungen, die ich mir ausgedacht hatte, wohl nur meiner für Andere schwer zu folgenden Fantasie entsprungen sind, vielleicht sogar „an den Haaren herbeigezogen“, wie mir gesagt wird.

So habe ich mich in meinen Geschichten und Träumen weit weg begeben von der Teetischwirklichkeit. Keiner aus der Familie will mich bis auf meine Elfenwaldlichtung begleiten. Meine mittägliche Begegnung wird zwar staunend aufgenommen, doch letztendlich belächelt und wie ein Geschenkgegenstand, mit dem man wenig anzufangen weiß, wieder in den Kasten zurückgelegt und verschnürt.

Ich bin nun endgültig angekommen in meiner vertrauten Welt. Das Mittanzen auf der Waldwiese bleibt mir versperrt. Die drei Fahrradnonnen und der Jesuskreuzjogger sind verschwunden.

Doch warum soll ich das Bild nicht mehr sehen dürfen, was sich auf meiner Netzhaut eingebrannt hat, surreal, geheimnisvoll!

Schwarze Stoffbahnen flattern hinter den Köpfen hinab bis auf die Schutzbleche der Hinterräder. In einer Art Gänsenonnenschritt drei schwarze Gestalten. Ich nehme seitlich gerade noch junge Gesichter wahr, fröhliches Lachen und schon sind die schwarz-weißen Elstern an mir vorbeigeradelt. Als ich wieder auf die Mitte des Bürgersteiges zurück will, drängt mich ein kräftiger, nackter Männeroberkörper erneut an die Seite. Die Beine stecken in grauen Jogginghosen. Er rennt den jungen Rabenvögelfrauen offenbar hinterher und als er mich überholt hat, blicke ich auf eine riesige Kreuztätowierung, quer und längs auf seinem Rücken. Ich traue meinen Augen nicht...

So lasse ich mein Bild stehen, nur für mich!

Schließlich hat es mich auf eine wundersame Waldlichtung geführt, zu der ich hin und wieder zurückkehren werde.

Ein letztes Mal schließe ich meine Augen, entdecke im Moos auf der Lichtung einen blauen Stein, der in einer geheimnisvollen, silbrig glänzenden Fassung steckt.

 

...