Trauth

 

Letzte Hundstage

 

Roman

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2017, Roman, 164 S., ISBN 978-3-86465-088-8, 12,80 EUR, Neue Fassung des Romans „Spätsommernachmittag“

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Marie Steinhagen, geboren zu Beginn der „Goldenen Zwanziger“, erinnert Stationen ihres Lebens. An einem Spätsommernachmittag fragt sie sich, über den „Mittag“ ihres Lebens bereits hinaus, wieviele der Jugendträume übriggeblieben sind, welches Recht sie als alternde Frau überhaupt hat, für sich selbst noch einmal ein neues Leben und damit die Liebe zu wollen.

So spannt sich ein weiter Bogen von der Kindheit und Jugend einer Thüringer Großbauerntochter, einer geschiedenen Frau, bis zur Genossenschaftsbäuerin, bis zur Tagelöhnerin.

Ein deutsches Frauenschicksal, bestimmt durch Weltkrieg, Teilung, Maueröffnung und Wende wird schlaglichtartig erhellt, unabgegoltene Vergangenheit bestimmt Gegenwärtiges. Große Teile über den DDR-Dorfalltag sind bereits um 1980 entstanden und unter dem Titel Spätsommernachmittag erschienen.

Geschichten zum Schmunzeln, komische sowie ernste Situationen wechseln mit magischen Momenten, die die Menschen im abgezirkelten Thü­ringer Flusstal berühren.

Die Illustrationen von Teresa Trauth, verwunschen, voller Rätsel, bieten vielfältige Deutungen, erweitern den Blick.   

 

 

 

Vorspann

Blaue Seide weht im Frühlingswind hoch oben auf der nackten Bergkuppe, setzt sich im Blau darüber fort, so als hätte der Himmel mit diesem langen Band am Hals der Frau ein Stück von sich selbst hergegeben, um sie in seine traumblauen Fernen zu locken.
So steht die schmale Gestalt auf dem Felsen und blickt in das Tal. Das Seidenband tanzt um ihre schwarzen langen Kleider, mit einer Hand schirmt sie die Augen vor der Sonne ab, am Ringfinger glänzt ein Bergkristall, zackig, ein Brennglas. Der Wind wird stärker, fährt in lange offene Haare, deren Farbe in dieser Sonnenbeleuchtung nicht auszumachen ist; blondgrauweiß. Das längliche Gesicht, die hohe Stirn, die griechische Nase mit dem kleinen Höcker, die leicht geöffneten Lippen scheinen alterslos. Die Frau singt, Worte bleiben unverständlich im Wind. Ihr Blick ist unverändert ins Tal gerichtet, saugt da unten das neugeborene Grün, vielfarbig, würzig, in sich auf. Ihre Nasenflügel weiten sich, riechen den Duft lockender junger Blüten, auf ihrer Zunge schmeckt die Frau deren süßen Nektar, den Blütenhonig, von dem sie schon vor uralten Zeiten als Kind gelutscht hatte.
Da unten erstrecken sich weite gelbe Rapsfeldteppiche, auf denen die Strahlen der bereits heißen Mittagssonne lasten. Die Blicke der Frau wandern weiter zu den Wiesen mit den grasenden Kühen, Lebewesen, die vorgestern und übermorgen dort wie drapiertes Spielzeug immer gleich erscheinen. Da hinten wieder ein Band, diesmal nicht blau, sondern silbrig schimmernd; die Flussschlange, die alle hier über die Zeiten hinweg hält.
Die Frau im fremden Licht, fast durchsichtig, scheinbar ohne Alter, nimmt das bewegungslose Wasser von da oben bewegungslos wahr, das wie mit einem fetten Pinselstrich durchgehend gezogen erscheint. Doch sie weiß, ganz nah, inmitten des Wassers stehend, würde sie seine Kräfte spüren, die ziehende Flut würde sie mitreißen können und auch nach ihr noch viele. Wenn sie genau hinsieht, kann sie sogar als kleines dunkles Rechteck die Brücke sehen. Die erscheint aus der Höhe wie zu Urzeiten, aus alten Steinen in Handarbeit zusammengefügt, stark und doch zierlich. Würde die fremde Frau sie jedoch betreten, hätte sie sich in eine hässliche, bestenfalls unscheinbare industriell geformte Betonbrücke verwandelt, deren Bau jetzt, mitten im zweiten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends, notwendig geworden war. Die alte Naturbrücke war im alten Jahrtausend als Brücke für Panzer missbraucht worden, zerschunden von Kriegsmaschinerie und zu Zeiten der DDR von globigen, ratternden Mähdrescherungetümen.
So ist das eben mit den verschiedenen Blickwinkeln; manchmal tut es gut, ganz nahe an die Dinge heranzukommen, manchmal bringt jedoch eher die Ferne den für die Menschen so notwendigen Glauben an Liebgewordenes.
Die Frau auf dem Felsen weiß um die Vergänglichkeit, dieses Tal hat schon viele Reiche gesehen, den braunen Spuk, die kleine Talheimat in der DDR, die die unüberwindlichen Landesgrenzen vergessen ließ. Aber auch heute, trotz der großen Angst der kleinen Talmenschen vor Terrorakten, Religionskriegen und vor der Gier der Mächtigen nach Geld und damit Weltherrschaft würde das Tal seine Bewohner beschützen. Und ewig würde das Grün wieder hervorkriechen aus scheinbar toter Erde, gewärmt von den Strahlen der Brutglockensonne. Immer wieder neu, solange die kleine Dorfkirche bestand, würde sie am Tag der Sommersonnenwende den Strahlenkranz der Heiligenfigur über dem Altar wie ein Blitz treffen.
Die Frau zieht den langen blauen Schal fester um die Schultern, will jetzt hinabsteigen zu ihrer Kirche, zur alten Friedhofsmauer nahe dem Grab der dreizehn unbekannten KZ-Häftlinge. Sie will wissen, ob es das Loch inmitten der Steine noch gibt, durch das sie als Kinder steigen konnten, um gleich dahinter die süßen Kirschen in ihre Münder zu stopfen. Die Fremde gesteht sich ein, es gab sie einmal hier, in einem ersten Leben. Würde sie den Platz ihrer Kindheit wiederfinden?
Unten angekommen, verwandelt sich die Frau in eine von den anderen, blauer Schal und Bergkristall leuchten nicht mehr, die Friedhofsmauer ist in den Schatten des gewöhnlichen Lebens getaucht
.

Abspann

Blaue Seide
weht im Frühlingswind hoch oben auf der nackten Bergkuppe, setzt sich im Blau darüber fort, so als hätte der Himmel mit diesem langen Band am Hals der Frau ein Stück von sich selbst hergegeben, um sie in seine traumblauen Fernen zu locken.
So steht die schmale Gestalt auf dem Felsen und blickt in das Tal. Das Seidenband tanzt um ihre schwarzen langen Kleider, mit einer Hand schirmt sie die Augen vor der Sonne ab, am Ringfinger glänzt ein Bergkristall, zackig, ein Brennglas.Der Wind wird stärker, fährt in lange offene Haare, deren Farbe in dieser Sonnenbeleuchtung nicht auszumachen ist; blondgrauweiß. Das längliche Gesicht, die hohe Stirn, die griechische Nase mit dem kleinen Höcker, die leicht geöffneten Lippen scheinen alterslos. Die Frau singt, Worte bleiben unverständlich im Wind. Ihr Blick ist unverändert ins Tal gerichtet, das auch im letzten Jahrhundert bis nun schon weit über die Jahrtausendwende hinaus die Hoffnungen mehrerer emsiger kleiner Bienenvölker in sich aufgenommen hat.
Da gab es die Suche nach unauffindbaren Verstecken während der Weltkriege, das Beten für das Ende der Massenmorde und das Warten auf den Beginn einer neuen Zeit in Träumen vom Glück des Alltäglichen. Das fleißige Talvolk begann zu schuften, zu sammeln, zu bauen. Und wieder betrogen von den Mächtigen, machten sich die Menschen daran, Löcher in ihre Friedhofsmauer zu höhlen, um an die süßen Kirschen dahinter heranzukommen.
Endlich konnten sie heraus aus den Mauern! Waren frei wie Zugvögel. Doch neue Gefahren bedrängten sie in ihrer vogelfreien Höhenluft. Die große giftige Drachenwelt war hereingebrochen in ihr unschuldiges Tal. Es schien, als hätte Mephisto wieder einmal so viel Papiergeld über die Mächtigen geworfen, dass deren unermessliches Kapital nach verbrecherischem Einsatz förmlich schrie, überall auf dem Globus.
„Und doch!“ die leuchtend blaue Frau da oben streicht über den Bergkristall an ihrem Finger. Sie weiß, den kleinen Menschen da unten bleibt nichts anderes übrig, als mehr denn je nur sich selbst zu vertrauen in dieser Irrlichtwelt, die sie mit aller Gewalt, schonungslos, auf sich selbst zurückgeworfen hatte, auf den gelben, duftenden Talfrühling, auf das Blau ihrer Träume. Und damit auch auf das Wissen um Wiedererwachen nach Kälte und Todesstarre. Das Tal da unten würde vom Bergfelsenplatz der fremden Frau immer gleich erscheinen, ohne Risse, ohne Schrunden. Die konnte sie nur sehen, wenn sie hinabgestiegen war bis zu ihrer Friedhofsmauer nahe dem Grab der dreizehn unbekannten KZ-Häftlinge.
Die Frau zieht sich den langen blauen Schal fester um die Schultern und tritt den Weg ins Tal an. Von weitem hört sie laute Kinderstimmen, die hinter der Mauer rund um den uralten Kirschbaum, der gerade in voller Blüte steht, Staffellauf mit Abklatschen spielen. Die Frau steht ganz in ihrer Nähe, freut sich mit ihnen, rennt als kleines Mädchen mit, klatscht ein anderes
Kind ab, gibt den Stab weiter. Merkwürdig ist nur, dass die Kindfrau von den anderen nicht als fremdes Kind wahrgenommen wird. Keiner merkt etwas.
Die alterslose Frau mit dem leuchtend blauen Schal und dem Bergkristall am Finger weiß, die Kinder um sie herum werden irgendwann weggehen aus dem Tal, sie weiß jedoch auch, irgendwann werden sie wiederkommen.
Die Sonne leuchtet die weißrosa Blüten wie ein Scheinwerfer aus: Baum, Wiese und Kinder, ein Bild aus einem fremden Märchen. Ein Windstoß stäubt eine Blütenwolke über die Spielenden. Ein Moment prallen Lebens, gefühlt in unzähligen Nervenenden, inmitten der unfühlenden, ewigen Natur.
Die blaue Frau löst sich in der blauen Luft auf.

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