Bernd Ulbrich

 

Adolf Adolf

Roman einer fiktiven Biografie

 

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2017, Roman,473 S., ISBN 978-3-86465-085-7, 22,80 EUR

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Zum Buch

 

Wer gedacht hätte, das Thema Adolf Hitler sei durch Hunderte von Prosaarbeiten, Essays, Publikationen etc. erschöpft, sei von dem hier vorliegenden Roman eines Besseren belehrt. Schier unerschöpflich an Phantasie, sprengt Ulbrich wieder einmal die ohnehin fragwürdigen Grenzen literarischer Konvention, zumal deutscher, sowie modischer, und fügt dem weltweiten Ensemble der Variationen eine weitere, überaus originelle hinzu, beweist damit für seine Person aufs Neue, daß das Verdikt, deutsche Autoren, untalentiert für opulente Geschichten, hielten trockene oder wirklichkeitsfremde Bauchnabelschau, eine Verleumdung narzißtischer Kommentatoren ist. Auf höchstem literarischem Niveau, bekennend die Willkür des Weltautors, hat er mit Adolf Adolf eine lebendig-widersprüchliche Kunst-Figur (ohne jede Ambition zur Er- oder Verklärung der historischen) geschaffen und eine ebensolche, von prallen Geschichten getragene Historie, die wie das feinabgestimmte Räderwerk eines im Rhythmus menschlichen Herzens tickenden Chronometers ineinander greifen und doch von den gleichen physikalischen Gesetzen bestimmt sind, wie die wirkliche Wirklichkeit, das heißt, der Tag hat vierundzwanzig Stunden und Mitternacht ist Geisterstunde. Ulbrich nimmt sich die Freiheit, diese auf den ganzen Tag auszudehnen, und die Geister, die er rief, als deren Meister nach seinem Willen zu dirigieren. In dem Konzert der Schicksale räumt er – selbstverständlich bei ihm – der Liebe den ersten Platz ein. Die Suchenden, die Irrenden führt er souverän durch Höhen und Tiefen, gewährt Vergebung und unerbittlich Verdammnis. Selbst die Kraft der Liebe zähmt er mit einem Zauberwort und schafft so doch am Ende ein anderes Wunder als erwartet.

 

 

Leseprobe

 

Prolog

 

Der Finger des Engländers am Abzug krümmte sich leicht. Atem- und reglos verhielt Adolf. Gnade kannten die keine. Wie auch? Krieg versus Menschlichkeit: Flucht und in den Rücken geschossen. Flucht wohin? Eines deutschen Soldaten unwürdig. Der Wald steht still und schweiget. Dichterwort, und. In Tiefen rumorte der Krieg.

Starr schaute die Mündung des Lee-Enfield-Gewehrs. Kalt und boshaft. Ihn an. Der ultimative Ausdruck des. Nichts. Anderes nahm er wahr. Nun. Wie seinerzeit. Durch den gefühlten Zeitlauf von. Noch immer. Äonen entrückt. Und für alle Ewigkeit. Das Auge des Vaters. Ohne menschliche. Des Bösen. Regung. Schlag auf Schlag. Schuß auf Schuß. Stille. Des Abgrunds An. Der Krieg ist, der Vater ist, des Bösen. Blick.

Ohne gedankliche Konsequenz wagte er in dieser letzten Sekunde seines Daseins die Anmaßung eines solchen Vergleichs. Beschämende Momente des Mutes wie der Selbstbehauptung rangen seiner Erinnerung Raum ab. Dahin floh des Todgeweihten Phantasie, in vergangenen Lebens Bilder; stoben auf wie Schwärme schreckhafter Vögel graues Nornenheer, verknüpften schicksalhaft das Hier und Heute der Westfront im dritten Kriegsjahr dem Sehnsuchtsort der Kindheit.

Reflexhaft schien indes der Engländer zu lächeln. Doch als er das Gewehr sinken ließ, und sein Mund sichtbar wurde, war dieser ernst und geschlossen. Nur die Augen unterm Helm waren von ähnlicher Helle erfüllt, mit der die Mutter ihm Trost gespendet und doch gänzlich anders. Unerträglich glomm und gloste dieses Licht, schien gleichsam zu künden von himmlischer Erleuchtung, so daß Adolf für einen Moment wie geblendet die Augen schloß. Als er sie wieder öffnete, war der Soldat, so schnell und lautlos er Sekunden zuvor aus dem Dickicht des Waldes aufgetaucht war, verschwunden. In der Ferne röhrte und dröhnte in mörderischer Abwehrschlacht die Front, Stahlgewitter. Auf widersinnige Weise enttäuscht, lauschte der Verschmähte, starrte ins Halbdunkel des Unterholzes.

Unter anderen Umständen hätte dies der Moment sein können, über das Leben im allgemeinen und im besonderen nachzugrübeln, über woher und wohin des Menschen im großen und ganzen, sonderlich des Individuums und Gefreiten Adolf Adolph im speziellen. Doch der Krieg folgte eigenen Gesetzen, dachte nicht daran, wegen eines nicht mal Todeswürdigen seinen Lauf zu ändern und einen Augenblick der Besinnung zu gewähren. Kein Zweig zitterte, kein Ast schnellte zurück. Lauerte der andere vielleicht, um ihm von hinten zu besorgen, was er von vorne nicht gewagt? Feiglinge waren die nicht. Was hatte den abgehalten, seine Pflicht zu tun?

Die Frage verfolgte ihn bis in den Regimentsstab und noch auf dem Weg zurück, durch die lückenhaften englischen Linien hindurch, in den eigenen Unterstand. Niemals bei tollkühnem Einsatz hatte er bewußt den Tod gesucht. Doch wenn schon, dann wollte er als Held sterben. Wenigstens die Kameraden sollten ihn als solchen in Erinnerung behalten und nach dem Krieg seinen Namen preisen. Der Adolf, ja, das war ein Kerl, ein Kamerad, wie man einen besseren nicht kennt. Keinen anderen Erfolg hatte das Leben ihm bisher beschieden. Niemand würde um ihn trauern. Die Mutter war tot, Schwester Lene, ein stilles, wenn auch mitunter recht resolutes Ding, würde bei der Nachricht von seinem Tod die Schultern heben als fröstele sie, den Blick wieder auf ihre Arbeit richten und denken, der Adolf, der war schon immer ein wunderlicher Kauz. Gott hab ihn selig. Sie verehrte ihn auf ihre Weise und war stets die einzige gewesen, die, ohne ein Wort, eine Meinung zu verschwenden, zu ihm hielt. Nur im Blick ihrer hellen Augen lag versteckt ein burschikoses Verständnis. In der Verwandtschaft hatte man den verhinderten Künstler belächelt. Was nur hatte er an sich, daß selbst der Tod ihn verschmähte?

Hauptmann Rähm in seiner weibisch emphatischen Art lobte ihn über den grünen Klee, wie er das wieder mal geschafft habe, man habe es ja gewußt, auf den Gefreiten Adolph sei Verlaß, dem gelinge das schier Unmögliche und belobigte ihn mit schwammigem, gleichwohl festem Händedruck und verschwörerischem Blick aus seinen Schweinsäuglein. Als hüteten sie ein gemeinsames Geheimnis. Und der Gedanke an dessen Realität ekelte Adolf, über manch andere widernatürliche Erscheinung des Krieges hinaus, an.

Ein Vorstoß der Tommies am frühen Morgen hatte die Einheit abgeschnitten, und nur der Unwegsamkeit des flankierenden Geländes hatten sie es zu verdanken, nicht auch umgangen und von hinten aufgerollt worden zu sein. Dann, infolge todesmutigen Meldeganges des Gefreiten Adolf Adolph, während Entsatzes und Gegenstoßes hatten sie die Schotten wieder vertrieben und konnten unter sich entfernenden Dudelsackklängen ihre vorigen Gefallenen mit der zweiten Charge zusammentun. So schnell wechselte der Gräben Besitz, und die Compagnie bestand jetzt nur noch zu einem Drittel. Sie wurden in die Reserve verlegt. Die Ablösung rekrutierte sich aus überwiegend jungen, unerfahrenen Burschen, unter die sich, wie Dreck zwischen makellose Salzkristalle, ein paar altgediente Frontsoldaten mischten.

In der Etappe sammelten sich die Geister, fanden zurück in verkommene Heldenkörper, die vordem abgestumpft dahinvegetierten, bar jeden Schmerzes, wie jeglichen Empfindens überhaupt. Gleichmütig versicherte man sich vor sich selbst eines gewissen Lebensfunkens, und die Erinnerung an ein anderes Leben, an Liebe, Stille und Friede kehrte zurück, der Glaube an, die Hoffnung auf eine ungewisse Zukunft.

Sogar jetzt noch, mehr als ein Jahr später, erhellten diese Bilder lang zurückliegender Episode ein wenig Adolfs seelische Finsternis, die bislang so tief gewesen wie die ewige vor Gottes Wort; reichte wenigstens aus, ähnlich fernem Wettergeschehen, zur Einbildung flüchtigen Lichtstreifs am unbestimmbaren Horizont seines Daseins, Reflex kommender Geschehnisse oder vergangener. Tatsächlich nahm er gar nichts wahr. Immerhin, das Phänomen glich auf gespenstische Weise dem Aufleuchten mütterlicher Sorge wie auch dem widersprüchlich gleichen in englischen Scharfschützenaugen. Warum, zum Teufel, hatte der nicht abgedrückt, dieses elende, bedeutungslose Dasein zwischen Sein und Nichtsein, Vergangenheit und Zukunft zu beenden? Eine Zeitlang hatte der Krieg das stupide Gleichmaß der Gegenwart ausgelöscht, jene lähmende Gewißheit, daß morgen nichts anders sein würde als heute und gestern und übermorgen. Ohne Hoffnung faulte er lebendigen Leibes. Um ihn her faulte ein ganzes Land. Der Verwesungsgestank der Monarchie überzog Berge und Ebenen, Flüsse und Seen mit erstickendem Dunst. Davor war er geflohen, mit Jubel in den Krieg unter Deutschlands Fahnen. Ins Feld, in die Freiheit gezogen, hieß es im Lied. Im Feld da ist der Mann noch was wert, denn da wird das Herze gewogen. Waren das nicht großartige Momente im Donnern der Schlacht, die alles Entsetzliche aufwogen, den Tod des Kameraden, den Schrei des Verwundeten, Verstümmelung und Siechtum? Sollte das alles ohne Sinn gewesen sein, so wollte er jetzt noch lieber mit den Toten tauschen.

Die barmherzigen Schwestern kamen und erkundigten sich nach seinem Befinden. Er wies sie freundlich auf Bedürftigere hin, obwohl er zwiespältig dankbar war, von seinen Erinnerungen abgelenkt zu werden. Die Dunkelheit vor seinen Augen hinderte ihn, deren Leuchten im Blick nachzuforschen, ihrem Lächeln eine Hoffnung abzugewinnen. Es war bei denen sicherlich eine meditative, eine jenseitsgerichtete Hoffnung, anders jedenfalls als die seine. Aber ihre Stimmen klangen sanft und in wahrhaftiger Anteilnahme besorgt. Es waren gute Schwestern in diesem Lazarett. Er dankte wiederum der Vorsehung, die ihn in deren Obhut geführt, dankte der Finsternis aus deren makelloser Tiefe sich die Bilder der Vergangenheit in geradezu hellsichtiger Klarheit scharf konturiert emporhoben, und, wie von unsichtbaren Händen getragen, darboten auf dem Altar seiner Bitterkeit, welcher in dieser Eigenschaft allemal untauglich schien Zukunftsvisionen zu tragen. Noch immer lagen solche trügerisch verhüllt in nebelhafter Ferne und mochten sich als Hirngespinst erweisen. Doch seit er damals den Kameraden von seinem Erlebnis mit dem Engländer erzählt hatte – in stillem Ritual die Situation wieder und wieder vor sich selbst schicksalsschwer aufladend –, formte sich etwas in ihm, das ihn in einem Taumel widerstreitender Empfindungen stürzte. Ein Stürzen, welches dann und wann in glückstrunkenes Schweben überging und ihn aufwärts, immer weiter aufwärts trieb, bis aus dieser überirdischen Höhe die letzte Grimasse der Welt eingegangen war in einen Sumpf ununterscheidbar gleichförmiger Grimassen, ein Morast, bedrohlich in seiner zähen Konsistenz, alles hinabziehend in seinen jahrtausendealten braunen Moder faulenden Gärsatzes, seinerseits zersetzend alles Edle, alles Menschliche aufsaugend, alles Lebendige hemmend, alles Lichte, Helle, Nordische auszehrend zu Dunkelmenschentum, welches schmatzend mit wulstigem Maul, krummnasig schnüffelnd und schnaubend sich hermachte über die reine, blonde Unschuld, schlingend mit schleimigem Arm, samenstrotzend Verfall und Krankheit in den blühenden Schoß anderer Rassen verspritzte. Woher nur solche Phantasien? Waren sie nicht in Wahrheit geboren aus dem fratzenhaft enthemmten Antlitz der Kameraden, wie sie ihn frenetisch hochleben ließen, sowie der Erkenntnis, wie leicht man sie auch hätte betrügen können? Ihre Gläubigkeit ließ ihn erschauern, wie gleichzeitig die Erkenntnis seiner Macht über sie. Die Wehmut um den verlorenen Tod wandelte sich um in Verachtung gegen das Leben im Allgemeinen, sowie das der Leichtgläubigen im Besonderen. Derart wohlfeil – wäre er denn ein Lügner gewesen – gestaltete es sich also, der Masse seinen Willen, seine Überzeugung zu oktroyieren, ganz ohne Zwang. Warum glaubten sie ihm, was sie jedem anderen als Münchhauseniade angekreidet hätten? War es im verfluchten dritten Kriegsjahr allein der verzweifelte Optimismus auf ein Wunder, oder war es nicht viel mehr das Wesenselement der Masse, sich im Glanz des Mächtigen zu sonnen? Nicht der Tod hatte ihn verschmäht, er, Adolf, hatte ihn wieder und wieder bezwungen. Zufall oder nicht. Aus der Tatsache zimmerten jene ein Gesetz, aus diesem wiederum heilige Wahrheit und aus dieser ihren Anspruch auf Teilhabe.

Trunken vor Daseinswut und Todesverachtung – welche gleichkommt mit der auf das Leben und alles Gute und alles Wertvolle und Schöne – von Branntwein voll und Kümmernissen, hatten sie sich in Raserei hineingesteigert, eine Orgie der Verachtung auf jedwedes Vernunftgeborene, Mäßigende. Denn einer unter ihnen war geweiht. Allein sein Blick heilte und wurde nur dem Gläubigen zuteil. Sein Wort war unfehlbar und sollte das ihre in sich tragen. Gleichsam in kirchlichem Responsorium zwischen Priester und Gemeinde hatten sie sich gegenseitig angefeuert und immer weiter getrieben in die Tiefen vulgärer Phantasien einerseits und in die Höhen göttlicher Errettung andererseits, bis sich beides zu fürchterlichem Konglomerat verwob und vermischte und Sinn erzwang für ihren Kampf, für ihr Dasein, für das Elend des Krieges, erneuerte Kraft induzierte, Deutschland vor Schrecknissen apokalyptischen Ausmaßes zu erretten, die Söhne der Finsternis gegen die des Lichts. Alles schien bedrohlich in diesen Zeiten des Niedergangs, der Auflösung tradierter Werte. Warum sich nicht einen neuen Gott erschaffen?

Von Deutschland in seiner Macht und Größe hatte Adolf sich einst Rettung erhofft, Zukunft. Österreich hatte die seine verspielt und ihm, Adolf Adolph, die eigene verwehrt. Wie liebte er sie dennoch, diese moribunde k.u.k. Provinz. Wien, vormals und noch immer strahlende Metropole eines degenerierten Geschlechts, zum Gärkessel beängstigend fremder Elemente verkommen, die sich darin amalgamierten zum Urstoff der Zersetzung. Wehrhaft ewige Mauern zerbröselten unter deren scheelem Blick, kunstvolle Elemente deformierten sich von deren Schwefeldunst zu Ausgeburten höllischen Geistes. Jetzt endlich, unter dem frenetischen Chorus der Kameraden glaubte er Antworten zu erhalten, zu überblicken das ganze Ausmaß seiner eigenen Fremdheit in dieser Welt, aufgerufen, auserwählt, Ursachen und Hintergründe zu erkennen und dem dumpfen Sinn des Volkes einzuhämmern, einzupeitschen, was immer seines Willens war. Klärung würde ihm, dem Seher, Führer und Verführer in einem, nunmehr werden, was ihm bis heute nur diffuse Ahnung. Was bliebe ihm, dem Heimatlosen, dem haltsuchend Irrenden, sonst anderes als Ödnis und Leere bis ans Ende seiner Tage? Wo Weg, wo Ziel? Gigantisch die Kräfte der Geschichte. Wer waren die? Woher kamen die? Fragen, welche in einem kommenden, hellsichtigen Augenblick Antwort finden mußten, zu benennen Schuldige wie Unschuldige, Verursacher wie Dulder. Licht glomm auf in der Finsternis des kriegsblinden Visionärs. Er würde es weitertragen und auch die Umnachtung aller anderen erhellen, welche sich sehend dünkten und doch nur als Schatten unter Schatten vegetierten. Waren sie nicht allemal leicht zufriedenzustellen? Ein Wunder, glaubhaft wie das seiner Errettung oder nicht, verführerisch ins gläubige Hirn geträufelt, wahnhaft ins Göttliche erhoben, und es gaukelte seinem Träger vor, der Macht teilhaftig zu sein. Sollte dies alles sein, was das Schicksal von ihm forderte, so wollte er das Spiel um die menschliche Substanz wagen. Gab es etwas Reizvolleres, als dieser Unwägbarkeit Gewicht und Gesicht zu verleihen, Gestalt und Ziel, sie, die Seele, umzuwandeln in berechnend formbare Größe? Keine Macht über sich, hatte er nichts zu verlieren als die eigene. An wen anders als an sich selbst? Lachhafter Circulus vitiosus? Rien ne và plus. Oder doch mehr als Croupier und Spieler in einer Person?

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