Franziska Trauth

 

Rucksackschwimmer. Reisebilder

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2017, 169 S., mit Illustrationen von Teresa Trauth, ISBN 978-3-86465-083-3, 12,80 EUR

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„I schwimm mit mei wasserdicht‘n Rucksack von einer Ins’l zur andern, die Bruck’n hier betret i net“, sagt der fremde Rucksackschwimmer. Und irgendwie schwimmen sie alle mit ihren Päckchen auf den Rücken, die Reisenden in den Kurzgeschichten: Kreuzfahrer, Schnäppchenjäger, Bildungsbusreisende, Pauschalurlauber, Flüchtende, Wan­derer zwischen den Welten.

Ob im hohen Norden, an südlichen Meeren oder am ehemaligen Grenzfluss Saale; sie begegnen Fremden oder fremd gewordenen Nächsten wie dem fremden Bruder.

Skurriles, auch Absurdes wird durchsichtig oder bleibt Rätsel, so in den Nordgeschichten. Tore werden nach dem Mauerfall geöffnet, ermöglichen Fluchten aus festgefahrenen Wegen, führen zurück zu den eigenen Wurzeln als Reise in die Kindheit nach Thüringen. Hier in der Stadt Weimar als auch in der Türkei am Meer stehen Selbstbefragung, unabgegoltene Vergangenheit im Mittelpunkt.

Landschaftsbilder, vor allem in Gedichten, ent­stan­den in Italien oder der Bodenseegegend, spiegeln die Ruck­sackschwimmer auf ihren Reisen zu sich selbst.

Aquarellzeichnungen, verwunschen, voller Symbole und knallbunt, beflügeln die Fantasie.

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

Statt eines Vorwortes   9

        Die Goetheeiche – eine wahre Begebenheit    11

 

Mein Thüringer Tal 13

        Reise zurück      15

        Der fremde Bruder      21

 

Italienbusrundfahrt 1990      33

        Der Doppelgänger – Reisenotizen eines Schriftstellers      35

        Go Bus go – nach Italien      44

        Die Bucht von Monaco 45

        Isola bella  46

        Florenz – Licht    47

        Pisa –Tablett der Macht       48

        Rom – Katzensonett    49

        Petersdom – Ameisenkleid   50

        Pompeji – Steinmenschen    51

        Vesuv – Andenken      52

        Neapel – Nordafrika    53

        Venedig – Springendes Pferd        54

 

Fjordkreuzfahrt     55

        Mit gefangen – mit gehangen       57

       

Der Mauerfall         65

        Weihnachten 1989      67

        I. Grenzen       74

        Mein Quadrat     75

        II. Frührotfreuden 76

        Sturz der Göttin  77

        Mauerspechte     78

        Schuld der Befreier     79

        III. Vogelfrei   80

        Du            81

        Mittendurch        82

       

Symbiose   83

       

Die See im Norden   85

        Schnäppchenjäger      87

 

Meine Türkei    99

        Willkommen in Alanya 101

        Am Meer – Eine Lehrerin befreit sich     103

        Der Weltbürger   114

 

Weimar – Stadt unter’m Berg 121

        Antwortmail an Eva...de      123

        Weimar – Dubai 125

        Berg und Tal      127

        Kulturhauptstadt Weimar     128

        Feuervogel 129

        Mein Goethepark 130

Von Meersburg bis Mindelsee 131

        Ein später Brief   133

        Möggingen 136

        Meersburg 137

        Schwäbisches Meer     139

        Reichenau  140

        Mainau      141

        Barockkirche Birnau    142

        Sonnenblumenfelder   143

        Carmen     144

        Dazwischen        145

        Vogelinsel  146

        Déjà-vu     147

        Mindelsee in Möggingen       148

        Mindelseemond   149

 

Ausgerechnet in Ägypten       151

        Der Rucksackschwimmer     153

        Skarabäus 164

 

Nachweis der Goethe-Zitate 167

Nachweis der Illustrationen  169

 

 

Leseprobe

Der Doppelgänger – Reisenotizen eines Schriftstellers

Rom. Freitag, den 13. Januar 2017

Gestern Abend endlich habe ich mit dem fremden Deutschen gesprochen. Ich saß stundenlang  mit ihm beim Rotwein an der Bar; er hat mir seine Geschichte erzählt!

Auch ganz in der Nähe blieb mir sein Gesicht vertraut, zerfiel nicht in fremde Einzelteile, wie ich befürchtete. Seine dunkelbraunen Augen verloren einen halben Meter von meinen entfernt nichts von ihrer unerklärlichen Strahlkraft, umrahmt von dichten dunklen Haarlocken, einer griechischen Nase mit kleinem Höcker, darunter die auffallend sinnlich geschwungenen Lippen. Zum ersten Mal hörte ich seine Stimme, volltönend wie bei einem deutschen Baritonsänger, den leichten hessischen Dialekt. Jetzt im Sitzen wirkte er noch größer, zur wohlproportionierten Figur gehörten die Hände mit glatten Fingern, die das Rotweinglas hielten. Über dem schwarzen Seidenhemd hing ein dünner Schal in indischen Farben, Jeans und Sneakers waren unter dem Bartisch verschwunden. Ich konnte mir, wenn ich wollte, durchaus die gelben Beinkleider und den blauen Frack hinzudenken. Ja, er erinnerte mich an Goethe auf dessen Italienreise.

Vielleicht wollte ich ihn auch so sehen, denn ich war als unbeirrbarer Goethefan besonders in den letzten Tagen den Spuren meines Dichters in der ewigen Stadt gefolgt, bis hin zum Grabmal von dessen unglücklichem Sohn August. Meine Reiselektüre bestand wieder wie so oft in der Vergangenheit aus den Notizen, Briefen und Gedichten des Dichterfürsten, entstanden in Rom; an verschiedenen Plätzen erschien er mir vor meinem inneren Auge. Ich wartete förmlich auf eine leibhaftige Begegnung mit ihm. Und so geschah es folgerichtig, er sitzt neben mir, wie herbeigezaubert!

Das erste Mal sah ich den Fremden, als er vor einer Woche in meinem Hotel an der Rezeption stand, während ich ihn in meinem Sessel aus der Entfernung beobachten konnte. Schräg von hinten sah ich einen Mann im Priestergewand, der meine Aufmerksamkeit nur halbherzig wecken konnte, vermutete ich doch auch bei ihm wie bei unzähligen anderen jungen Kirchenmännern hier auf den Straßen die übliche gesichtslose Glätte, die alles und nichts bedeuten konnte.

Und da geschah es, er drehte sich um, seine Augen trafen mich! Ihr Feuer ließ mich zusammenzucken, seine Gesichtszüge erinnerten mich an einen unbekannten Mann, den ich gut zu kennen glaubte. Der Priester durchschritt die Lobby und verschwand samt Gepäck, zu dem auch ein großer, altmodischer Rucksack gehörte, im Fahrstuhl. Mir dämmerte es langsam. Goethe in Italien!

Von diesem Augenblick an saß ich öfter in der Halle, las dem Scheine nach, wartete jedoch in Wirklichkeit täglich auf meinen Goethe-Priester, stellte fest, dass er mir mehrfach wieder begegnete, doch das Priestergewand schien für immer verschwunden. Ich vermisste die schwarzen Kleider jedoch absolut nicht, hatten sie auf mich wie eine Karnevalsverkleidung gewirkt, zumal sie zu einem Goethe nicht gehörten, der jegliche Kirchenzeremonien hasste, in religiöser Hinsicht ein grenzenloser Freidenker war.

In zu ihm passenden Kleidern sitzt der Fremde nun gestern neben mir und erzählt schließlich seine Geschichte.

Er reist inkognito, weil er für die internationale katholische Kirchenwelt erst einmal unsichtbar sein muss. Wie der Dichter selbst, kommt mir in den Sinn, der damals auf der Flucht aus seinem Herzogtum war, aus der Verstrickung von Staatsämtern und Liebesaffairen. Doch auch in Italien war es bekanntlich für den Wertherschriftsteller nicht ungefährlich; ich denke nur an die dortige Kirche mit ihrer scharfen Verurteilung von  Selbstmördern.

Mein Priester stellt sich vor: Er ist 40 Jahre alt, natürlich das gleiche Alter wie der Dichter in Italien, denke ich, bisher Generalvikar bei einem Kardinalbischof, einen Namen verrät er nicht, schwärmt jedoch von einer ihn bereichernden Männerfreundschaft zu diesem hohen katholischen Würdenträger. Man tauscht sich nach seinen Aussagen aus über Gott und die Welt, über gute Bücher, lauscht klassischer Musik, joggt sogar gemeinsam, natürlich auch inkognito. Der Generalvikar ist der wichtigste Partner des Kardinalbischofs, seine rechte Hand. Und doch muss der ihn weit wegschicken nach Italien, muss sich einen zeitweiligen Ersatz für ihn suchen. Und das kommt so:

Mein Priester-Goethe unterhält mehrere Jahre lang zugleich ein Liebesverhältnis mit der jüngeren Schwester des Kardinalbischofs, einer hochrangigen Politikerin, für mich auch ohne Namen, und deren Büroleiterin. Die Presse kommt dahinter, es droht ein Skandal, der Generalvikar wird von seinem Bischof ins Ausland beurlaubt, um Gras über die Angelegenheit wachsen zu lassen. Außerdem hofft man auf eine Läuterung im Mittelpunkt der katholischen Welt. Die Damen erfahren zunächst nichts über die Transaktion, der Vikar flüchtet regelrecht ins südliche Ausland.

Ich kann die Frage nicht vermeiden, ob er denn lebensmüde geworden sei, mit solch gefährlichen Flammen zu spielen in der engen mittelalterlichen Verbotsschilderwelt der katholischen Kirche. Seine Erklärungen werden konkreter:

Vor zehn Jahren lernt er die bedeutend jüngere Schwester des Kardinalbischofs auf einer Universitätsveranstaltung kennen. Nach ihrem für ihn hochinteressanten Vortrag nähert er sich der jungen Frau, ist begeistert von ihrem messerscharfen Verstand, gepaart mit einer außergewöhnlichen Aura, unterstützt durch schöne Lebendigkeit und zierliche, anmutige Bewegungen, wie er mir glaubhaft versichert. Man lernt sich kennen, die junge Frau macht mit ihren Anlagen in der Politik eine bedeutende Karriere, natürlich im christlichen Bereich; er bringt seine Priesterweihe „hinter sich, wie er formuliert. Ich frage ihn, warum er diesen Weg gegangen sei, obwohl er sich doch offensichtlich eng zu Frauen hingezogen fühlt, ob er denn den Zölibat nicht gefürchtet habe. Darauf bekomme ich eine verblüffende Antwort:

Ich war ein dummer Junge, ein Kind fast noch. Damals hätte mich so gut wie jeder für einen Weg gewinnen können, der sich für mich anders anfühlte als die ausgetretenen Pfade, ein Weg, hinter dem ich Abenteuer roch; zumindest Geheimnisvolles entnahm ich den Versprechungen des Priesters, für den ich ministrierte wie auch etliche Andere aus meiner Klasse. Das war halt so üblich bei uns. Später dann, als erste Zweifel aufkamen am erhofften großen Abenteuer, bin ich den Weg deshalb weitergegangen bis zur Priesterweihe, weil es in der Welt, in der ich aufgewachsen bin, keine vorzeitige Umkehr gibt, alles wird bis zur entscheidenden Wegkreuzung unerbittlich durchgezogen; und die hatte ich noch nicht erreicht. Über meine fehlenden Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht machte ich mir damals keine Gedanken, ich war mir sicher, dass für mich kein Zölibat gelten würde, wenn ich eine Frau wollte.  Eine bessere Antwort weiß ich nicht.

Ich überlege, mit seinem Kirchenweg unterscheidet er sich gewaltig von meinem Dichter, doch hat der nicht auch als 16-Jähriger sein Studium in Leipzig als großes Abenteuer gelebt, froh, der Fuchtel seines strengen Vaters entronnen zu sein, obwohl er die spätere Ernüchterung bereits ahnte?

Johannes, so nenne ich meinen Priester insgeheim, erzählt weiter:

Er verfällt der Politikerin regelrecht, es wächst eine leidenschaftliche beiderseitige Zuneigung ohne Tabus, wie er mir gestern „unter Männern versichert. Eine heimliche Nachtliebe verbindet sie, ohne Zeugen. Der Priester muss sich verbergen, wenn er im Dunkeln zu ihr schleicht, und die bekannte Politikerin darf sich mit ihrer Obsession ebenfalls nicht outen, will sie weiter gewählt werden. Schließlich empfiehlt sie ihrem Kardinalbischofbruder den Geliebten als Generalvikar. Der nimmt die Stelle dankbar an, lässt sich vom Geschwisterpaar umarmen, erlebt weitere abenteuerliche Situationen, muss doch nun erst recht das Liebesgeheimnis auch vor dem Bruder gewahrt werden. Das Paar lebt eine geraume Zeit unerkannt, unlösbar miteinander verbunden in leidenschaftlichen Nächten.

Dann kommt es wie es kommen muss; die Büroleiterin entdeckt durch einen dummen Zufall das Liebesnest, die zerwühlten Kissen, in denen das Paar eng umschlungen liegt. Die Chefin muss handeln, muss die Angestellte in das Geheimnis einbeziehen, muss diese sogar am Spurenverwischen beteiligen. Das ganze Spiel läuft wiederum eine Zeit lang gut, bis die Büroleiterin den Priester ebenfalls heimlich als Geliebten beansprucht und einen erpressungsähnlichen Versuch startet. Um die Politikerin nicht zu verlieren, geht dieser schließlich auf den Deal ein, führt nun ein doppeltes Doppelleben, diesmal auch vor seiner Geliebten. Es entwickelt sich für mich ein spannender Krimi, der schließlich folgerichtig mit einer weiteren Erpressung endet, diesmal von Pressevertretern, die mit Veröffentlichung drohen.

Deshalb die vom Bischof angeordnete Reise nach Rom; die Presseleute hatten ihn eingeweiht. So weit die Fakten, die sich durchaus für einen Herz-Schmerz-Krimi eignen würden, schlussfolgere ich. Ich kann dabei nur von Johannes´Erzählung ausgehen, den Rest überlasse ich meiner Fantasie.

 Folgerichtig kommt mir wieder mein Dichterfürst in den Sinn mit dessen heimlicher Liebesbeziehung in seinem ersten Weimarer Jahrzehnt, das Buch dieses Italieners Ghibellino  von der verbotenen Liebe Goethes zu Herzogin Anna Amalia, dazu ausgerechnet wahlverwandt, meine Spurensuche. Mir fallen viele Indizien für diese Liebe daraus ein, besonders die Stelle mit Eckermanns Aufzeichnungen, nach der es jedem Weimarkenner klar werden muss, dass die heißen, bedingungslosen Liebesnächte des Dichters nicht im Haus der Frau von Stein, der Hofdame der Herzogin, stattfanden, sondern im Wittumspalais der Herrin selbst, also mit Anna Amalia. Doch das ist wieder ein anderes Thema, ich bleibe bei meinem Priester-Goethe.

So könnte Johannes´ Politikerin Anna Amalia heißen, ihre Büroleiterin Charlotte, der Kardinalbischof Herzog Karl August. Wie sich die Bilder gleichen, bis zur Annahme, dass Charlotte von Stein für ihre Herrin den postillon d´amour und Goethes Geliebte spielen musste, um Spuren zur Herzogin zu verwischen! Viele pikante Details aus diesen längst vergangenen Zeiten fallen mir ein aus den Recherchen, bis hin zur Geheimhaltung dieser Affaire als gefährliche staatliche Verschlusssache, sogar vor dem alten Fritz, um das Herzogtum nicht zu gefährden.

Ich überlege, wie ich ein neues Buch dazu als Parallelgeschichte über Priester Johannes schreiben könnte, Stoff gäbe es genügend.

Nach dem gestrigen Abend lese ich zum wiederholten Male Goethes Texte über Rom, Briefe an seine Geliebte, an wen auch immer, und nicht zuletzt seine Römischen Elegien. Darin erfahre ich, wie mein Dichter in der ewigen Stadt handfeste Liebeserlebnisse genossen hat, fern von Großherzoglicher- oder Hofdamengeliebter. Das war offenbar seine Läuterung; anders als geplant!

Der Priester Johannes bleibt in den folgenden drei Tagen unsichtbar. Am vierten Tag nach unserem denkwürdigen Abend sitze ich wie immer in der Hotellobby, lese wieder in den Elegien, als ich plötzlich ein leises Lachen vernehme vorn an der Eingangstür. Ich blicke auf, schärfe meine Augen, die gerade noch wahrnehmen, wie Johannes, eine üppige dunkelhaarige junge Frau neben sich, schnellen Schrittes durch die Halle eilt und im Fahrstuhl mit ihr verschwindet. Aha, die Läuterung, schmunzele ich; die ewige Stadt hat ihre Wirkung nicht verfehlt! Sie bringt die Menschen dazu, ihren Sinnen nachzugehen und sie auszuleben, Verklemmungen und Skrupel, Resultat nordischer Disziplin, abzulegen. Müßiggang treibt seine schönsten Blüten! Das war schon beim Dichterfürsten so, der sich sogar nach seiner Rückkehr in Deutschland zu seinem römischen Liebeslager mit klaren, derben Worten bekennt und damit einen nicht zu unterschätzenden Skandal am Weimarer Hof auslöst, allerdings auch mit Gleichmut übersteht.

Vielleicht, so überlege ich, fühlen wir uns angesichts der endlos hohen Prunkgewalt im Petersdom so klein wie Ameisen, die eifrig hin- und hereilen, ihren irdischen Geschäften nachgehen, sich um sich selbst kümmern müssen, weil ihre Blickperspektive nach oben nicht reicht. Die Kirche hat übertrieben mit ihrer göttlichen Höhe, sie ist soweit weg von uns, unerreichbar, würde uns erschlagen beim kleinsten Versuch, den Blick fordernd zu erheben. So können gewollter Gehorsam, Ängste, von der katholischen Kirche geschürt, in diesen unvorstellbar riesigen Dimensionen ins Gegenteil umschlagen. Der Einzelne wird zurückgeworfen auf sich selbst, beginnt im Rahmen seiner Ameisenmöglichkeiten, nur für sich  dazusein. In den Armenvierteln lässt man sich von Südsonnenstrahlen wärmen, kämpft gelassen um Überlebensmittel. Wirtsleute und andere Gewerbetreibende suchen Wege zu bescheidenem Gewinn, Kirchenmänner umgehen durch wohlorganisiertes Doppelleben ganz einfach den unnatürlichen, ins Perverse reichenden Zölibat, ob nun mit Frauen oder auch mit Männern. Diese Art von  Läuterungsprozessen in der quicklebendigen Stadt geschieht  jedoch nicht wie von den alten Griechen beschrieben durch Furcht und Mitleid, sondern durch Selbstbesinnung, vielleicht auch bei meinem Priester.

Bis zu meiner Abreise sehe ich ihn nicht mehr;  es ist, als hätte es ihn nie gegeben. Wenn er jedoch an diesem denkwürdigen Abend tatsächlich in Fleisch und Blut neben mir gesessen hat, so habe ich ihn auch in Wirklichkeit mit der lachenden, dunkelhaarigen Frau am Fahrstuhl des Hotels gesehen und ahne, wie er seine Zeit hier nutzt; sie sei ihm gegönnt!

Wenn ich mir seine Rückkehr nach Deutschland vorstelle, sehe ich zwei unterschiedliche Filme vor mir:

Der erste Film zeigt ihn, wie er seine Priesterkleider in eine Mülltonne wirft und mit einer fremden, schönen Frau in einer fremden Stadt ein fremdes Leben beginnt, in ein fremdes, unscharfes Licht getaucht.

Der zweite Film zeigt ihn mit seiner Priesterhaushälterin, rund, pausbäckig, vertraut; neben ihr deren für die Welt angeblich unehelicher Sohn aus einer früheren Beziehung, vertraut mit Priester Johannes im trauten Priesterheim, geduldet von der Gemeinde. Die ehemaligen Geliebten und den Kardinalbischof gibt es nicht mehr für meinen Goethe-Johannes.

Ich frage mich, welcher Film wohl tatsächlich gespielt werden wird, irgendwann.

Vielleicht wird aber auch ein ganz anderer Streifen gedreht.

Wenn ich an meinen Dichterfürsten denke, ahne ich einiges!

 

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