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Hargens, Jürgen

 

So kann's auch gehen.
 

Erzählungen aus Familien- und Erziehungswelten

 

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2016, Erzählungen, 354 S., ISBN 978-3-86465-072-7, 14,80 EUR

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Inhalt

Bildung                                                     9

Das große „Zu“ (mit Bindestrich)                23

Familienbetrieb                                        81

Jung und erwachsen                                127

K und K                                                137

Familienwelten                                      155

Lass’ mich                                             161

Suchen oder Finden                                209

Über den Autor                                      239

 

Klappentext

 

Jürgen Hargens spürt den kleinen und großen Reibungspunkten in familiären Beziehungen und erzieherischen Kontexten nach. Er erzählt in seiner verständlichen Sprache von Möglichkeiten, Konflikte auf eine Art anzugehen, die allen Beteiligten ein gedeihlicheres und entlastenderes Miteinander eröffnet.

 

Jürgen Hargens gelingt es, dem Alltag von Familien nachzuspüren und wertschätzend-respektvoll unterschiedliche und auch ungewohnte Umgangsformen auszuloten.

 

Dieses Buch ist kein Erziehungsratgeber, sondern es vermittelt Einblicke, wie sich das Leben miteinander erleichtern lassen kann, wenn der Umgang miteinander respekt- und liebevoll bleibt.

 

Ein Buch, das Mut macht, zum Mitdenken anregt und niemals mit dem „pädagogischen Zeigefinger“ droht. Es sind eben einfach nur Geschichten – zum Lesen, zum Anregen, zum Nachdenken und zum Weitererzählen, in die Hargens’ eigenen Erfahrungen als Fachmann und Vater eingegangen sind.

 

Dr. Wilhelm Rotthaus

 

 

 

Leseprobe aus "Bildung"

 

Auch jetzt, im neuen Jahrhundert, war das bundesdeutsche Bildungssystem immer noch gegliedert. Da hatten es nach wie vor alle die leichter, deren Eltern es selber geschafft hatten. Auch das Berufssystem war weitgehend unverändert. Wer etwas hatte, der bekam auch mehr. Wer nur arbeitete, konnte überleben, aber nicht reich werden.

Philipp war der einzige Sohn, das mittlere der drei Kinder von Volker und Petra Hooge. Seine eine Schwester, Paula, war zwei Jahre älter als er, seine andere Schwester, Pia, zwei Jahre jünger. Alles optimal geplant.

Volker Hooge hatte, als Norddeutscher, sich immer wieder fragen lassen müssen, ob er von der Hallig käme oder ob sie ihm gar gehörte. Das war das übliche Namenspiel. Er hatte eine grundsolide duale Ausbildung durchlaufen. Handwerker, Heizung und Sanitär. Seit ein paar Jahren, alternative Energien boomten, hatte er sich selbständig gemacht. Heizung und alternative Systeme wie Solar und Pellets. Das Geschäft lief, so dass Volker ein paar Mitarbeiter beschäftigte.

 

Seine Frau, Petra, hatte Verkäuferin gelernt, nach der Heirat aber den Beruf aufgegeben und für Mann und Kinder die unentbehrliche Hintergrundarbeit geleistet. Das fiel – leider – meist wenig auf. Wurde eher für selbstverständlich und nicht der Rede wert gehalten. Hausfrau und Frau – das waren nach wie vor Hürden, was die soziale Anerkennung betraf.

Die beiden Mädchen besuchten eine Ganztagsschule, die es inzwischen auch schon gab, die aber immer wieder angegriffen wurde. Philipp, dem von seinen Lehrern eine gute Schulkarriere vorhergesagt worden war, hatte gar keine andere Wahl, als sein Vater sagte: „Du gehst aufs Gymnasium.“

 

Das war auch die ganzen Jahre gut gegangen, doch hatte sich ein Nebeneffekt gezeigt – Philipp wurde zunehmend kritischer, stellte vieles in Frage, engagierte sich. Seinen Eltern gefiel das nicht wirklich, befürchteten sie doch, dass er die Schule vernachlässigen könnte.

Philipp winkte dann immer ab: „Ich weiß, ich weiß. Aber seht das einfach ’mal anders ’rum. Ich bin einfach der Sozialaufsteiger. Der, mit guten Leistungen, und den lassen die durchkommen. Also, macht euch keine Sorgen.“

Doch die Sorgen kamen wieder – für Volker und Petra ziemlich überraschend. Ein Brief von Philipps Gymnasium. Einladung zu einem Gespräch. Über Verhalten und Leistung von Philipp. Das führte natürlich zu einer hitzigen Debatte am selben Abend.

„Was ist los?“, wollte Volker wissen, „Was hast du angestellt?“

Philipp winkte mit beiden Händen ab. „Nichts, absolut nichts.“

„Irgendwas muss es doch gegeben haben?“ Volker ließ nicht locker. Philipp zuckte nur mit den Schultern.

„Also ...“ Die Stimme des Vaters klang nicht einfach besorgt, sondern auch bedrohlich.

„Keine Ahnung.“ Philipp wiederholte sich. „Wenn du meinst“, dabei schaute er seinen Vater an, „komme ich gerne mit. Okay?“

Vier Tage später trafen Vater und Sohn im Gymnasium ein. Volker fühlte sich ziemlich unwohl. Das war nicht zu übersehen. Schule und dann noch „offizielle Gespräche mit Lehrer oder Rektor“ aktivierten viele negative Gefühle und Bilder. Er hatte sich daher auch besonders in Schale geworfen, was Philipp erstaunt, überrascht und zur Vermeidung jeder Diskussion auch schweigend zur Kenntnis genommen hatte.

Das Gespräch fand im Zimmer des Schulleiters statt. Der Klassenlehrer war ebenfalls anwesend. Auch wenn das Zimmer einen hellen und freundlichen Eindruck machte, fühlte sich Volker zunehmend unwohl. Das war schon immer so gewesen, wenn er irgendwie mit „Ämtern“, so seine Bezeichnung, zu tun hatte. Er kam sich dann klein vor. Und hier, im Gymnasium, auch irgendwie ungebildet.

Herbert Greipel, der Schulleiter, bemühte sich um eine zwanglose Atmosphäre, stellte den Klassenlehrer, Jörg Seifert, vor, bot Kaffee, Tee, Wasser oder Saft an. Volker lehnte dankend ab, während Philipp, der nicht direkt angesprochen schien, um eine Tasse Kaffee bat. „Mit Milch oder Sahne“, fügte er hinzu.

Greipel ging zur Tür, öffnete sie und bat seine Sekretärin um eine Kanne Kaffee. „Mit Milch“. Er kam zurück und setzte sich. Alle vier schwiegen. Es schien endlos, bis die Sekretärin das Tablett mit der Kaffeekanne, Tassen, Teelöffeln, Milch und einer Schale Kekse auf den Tisch stellte.

„Danke“, meinte Greipel zur Sekretärin, ehe er die anderen aufforderte, sich selbst zu bedienen. Alle außer Volker schenkten sich ein, nahmen einen Schluck, warteten. Dann ergriff Greipel die Initiative, indem er sich direkt an den Vater wandte.

„Herr Hooge, wir machen uns Sorgen ... nun, das ist vielleicht ein etwas zu starker Ausdruck ... Gedanken ... wir machen uns Gedanken um Ihren Sohn. In der letzten Zeit ist Ihr Sohn irgendwie ... naja, fast könnte ich sagen ... aber das kann Herr Seifert Ihnen viel genauer sagen ... ein wenig aufsässig geworden.“

Greipel schwieg. Volker sah Philipp an. Der lächelte leicht. Und ergriff das Wort: „Wie? Was meinen Sie damit? Dass ich nachfrage und Sachen genau wissen will, oder was?“ Das klang irgendwie kampfbereit.

„Also“, Seifert bemühte sich um Ruhe, „was der Philipp jetzt gemacht hat, das war der Auslöser für uns, Sie einzuladen. Er hat einfach bei Tests ganz schlechte Leistungen gebracht. Das kennen wir gar nicht von ihm. Und dann hat er darauf bestanden, dass diese schlechten Leistungen besonders positiv bewertet werden sollten. Unmöglich, kann ich dazu nur sagen. Und wir fragen uns, wie das weitergehen soll. Denn Philipp bleibt dabei, beharrt auf seiner Idee.“

Seifert hatte Volker direkt angeschaut, wartete auf dessen Reaktion, zumindest darauf, dass er sich als Vater ebensolche Gedanken und Sorgen machte. Oder schwang da möglicherweise unterschwellig auch Kritik am Erziehungsverhalten der Eltern mit? Volker wusste nicht, was er denken, sagen oder tun sollte. Und schwieg. Ganz im Gegensatz zu Philipp.

„Was ist daran falsch?“ Diese Frage stellte er einfach so in den Raum.

„Sie müssen doch begreifen, dass Sie hier an einem Gymnasium lernen und da geht es immer auch darum, nachzuweisen, dass Sie gelernt haben.“

„Ja, klar, typisch“, gab Philipp schnippisch zurück. „Und nicht sehen wollen, wie viel ich genau deshalb gelernt habe. Das habe ich doch schon tausend Mal gesagt. Leistung soll belohnt werden, das ist doch einer Ihrer Sprüche. Nur ...“ Philipp genoss die Pause, „das stimmt doch überhaupt nicht. Das wissen Sie doch selber. Schauen Sie, Banker ruinieren Banken, verzocken das Geld der Leute und das Ergebnis? Dafür bekommen Sie noch Boni. Millionen! Leisten nichts, können scheinbar nicht mal ihren Job fachgerecht erledigen, haben also nichts gelernt und kriegen das Geld hinterhergeschmissen. Das Prinzip gilt doch. Und das hätte ich auch gerne an dieser Schule. Keine Leistung, gute Noten. Als Belohnung. Oder gelte ich weniger als ein Banker?“

Diese auf die Schulvertreter mehr als provokant wirkende Äußerung verfehlte nicht ihre Wirkung. Während Philipp sich langsam und, so schien es, genüsslich zurücklehnte, einen Schluck Kaffee trank, begannen Schulleiter und Klassenlehrer ihm vehement zu widersprechen. Dabei versuchten sie, seinen Vater mit ins Boot zu holen. Doch der schwieg.

Es schien, als pralle alles das, was Schulleiter und Klassenlehrer sagten, an Philipp ab, so dass sie mit dem anfingen, was die meisten Menschen machen, wenn sie feststecken und nicht weiter wissen – sie begannen zu drohen. Dass Philipp, wenn er es so weitermachen wolle, es an dieser Schule nicht schaffen würde.

Auch darauf reagierte Volker Hooge schweigend. Dann richtete er sich auf: „Das kommt alles ziemlich überraschend für mich ... darüber muss ich erst einmal nachdenken und in Ruhe mit meinem Sohn reden.“ Dann atmete er laut aus, hob noch einmal den Kopf. „Ich danke Ihnen für diese Informationen.“ Er stand auf. „Ich möchte das Gespräch hier beenden. Ich melde mich wieder, wenn ich mit Philipp gesprochen habe.“ Dann blickte er zu seinem Sohn.

„Kommst du bitte.“ Philipp stand auf, verabschiedete sich mit Handschlag von Schulleiter und Klassenlehrer, so als wolle er ihnen zeigen, wie gut seine Kinderstube und die elterliche Erziehung waren und sind.

Vater und Sohn gingen schweigend zum Auto, stiegen ein und fuhren zurück. Keiner sprach ein Wort.

Kurz vor dem Ziel hielt Philipp es nicht mehr aus. „Tut mir leid, Alter, dass du das auf diese Art erfahren musstest. Das wollte ich nicht. Aber irgendwie konnte ich nicht anders, als die ’mal mit den ganzen Widersprüchen zu konfrontieren. Mit ihrer Scheißmoral. Ihren aufgesetzten sozialkritischen Phrasen. Alles erstunken und erlogen. Für die Galerie.“

Er war laut geworden. Sein Vater musste dabei lächeln. Denn er freute sich, wie sein Junge sich empören konnte.

„Also, Philipp, lass’ erst ’mal gut sein. Ich hab’ noch einiges zu tun. Ich denke, heute Abend, am Tisch, da reden wir noch ’mal drüber.“

„Okay“, meinte Philipp nur, dann fuhren sie schon auf die häusliche Auffahrt und beide gingen ihrer Wege. Bis zum Abend.  ...

 

 

 

 

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