Zum Inhalt
Das Schönste ist und bleibt, verliebt zu sein. Das wissen sogar die Psychologen.
Bernhard Detering, Mitte 40, Lehrer, ist sein Leben abhanden gekommen. Und sein Job geht ihm schon lange nicht mehr nahe.
Eines Tages erlebt er, dass man mit Speck nicht nur Mäuse fangen kann...
Der Speck lässt ihn in das pralle Leben der alleinstehenden Kathrin Amelander und ihrer zwei halbwüchsigen Kinder stolpern. Es ist wie ein Strudel, der ihn überrascht, verunsichert, belustigt ... und anzieht.
Der Tod von Kathrins Bruder lässt ein verdrängtes Familiendrama wieder aufscheinen – die wechselseitige Ablehnung zwischen Vater und Bruder. Und das politische Erwachen der Kinder von Kathrin und ihrer Mitschüler – sie engagieren sich gegen die Anwendung der CCS-Technologie in ihrer Region – führt auch Detering, zögernd, wieder in das Leben eines aktiven, verantwortlichen Menschen zurück.
Drücken wir ihnen allen die Daumen.
LESEPROBE
Das Schönste ist und bleibt, verliebt zu sein. Das wissen sogar die Psychologen – das, was immer hilft, wenn’s einem wirklich schlecht geht, ist, sich zu verlieben und das Verliebtsein zu leben. Auch Bernhard Detering erlebte es an sich selber. Detering schwebte gleichsam auf der berühmten Wolke Sieben. Er hatte es nicht mehr geglaubt, so ein langjähriger Eigenbrötler, zu dem er geworden war. Nicht selbstsüchtig und nur auf sich bezogen. Nein, er hatte durchaus das, was gemeinhin als gute soziale Kontakte galt – Freunde, Bekannte. Mit den Verwandten hatte er es dagegen nicht so sehr. Er war vor zwanzig Jahren aus seiner Heimatstadt weggezogen und dort lebten sie alle noch – Bruder und Schwester mit ihren Familien, die Nichten und die Neffen. Die Eltern waren vor ein paar Jahren verstorben. Die Beerdigung war wie eine Rückkehr in eine Welt, die es für ihn scheinbar nicht mehr gegeben hatte. Jedes kleinstädtische Vorurteil wurde bedient und ausgelebt. Detering war froh, dass er nach vier Tagen wieder verschwinden konnte.
Mit den Geschwistern hatte er nicht viel besprochen. Es gab wenig zu sagen. Im Laufe der Jahre hatten sie sich auseinander gelebt, sich sehr unterschiedlichen Dingen zugewandt und es gab nichts, was sie miteinander verband. Zwar hieß es, Blut sei dicker als Wasser, doch darüber konnte Detering nur lächeln. Irgendwie mochte er nicht mit seinem Bruder verglichen werden, der sehr erfolgreich als mittelständischer Unternehmer Karriere gemacht hatte. Und nach dessen Maßstäben hieß Karriere nicht mehr und nicht weniger, als mit dem Bankkonto zu protzen. Seine Schwester hingegen hatte sich ganz in ihre Familie zurückgezogen und zeigte ihm jedes Mal, wenn sie sich trafen, wie glücklich sie ist. Häuschen, Mann, drei Kinder, inzwischen gut entwickelte Teenager, ging sie ihrer Wege. Detering roch das immer nach Selbstverwirklichung, obwohl – das musste er einräumen – sie sehr offen und neugierig war. Dieses in-sich-gekehrt-sein und wissen-was-wirklich-zählt der eingefleischten Selbstverwirklicher ging seiner Schwester ab.
Bernhard Detering lebte sein unauffälliges Leben weiter. So wie immer. Keine Tiefen. Aber auch keine Höhen. Gleichmäßig. Voraussehbar. Verlässlich. Und so sah er sich selber auch. Doch dann, vor ein paar Monaten, traf er Kathrin Amelander. Zufällig. Wenn er ehrlich war, musste er sich eingestehen, dass sie ihm durchaus schon aufgefallen war. Im gleichmäßigen Ablauf seines Lebens. Im Supermarkt, wo sie offenbar mit einer ihm selber vergleichbaren Regelmäßigkeit einkaufte. Manchmal kreuzte er ihren Weg, blickte schnell zur Seite, denn zu allem Überfluss war er schüchtern, was Frauen anging. Er hatte wenig Erfahrung.
An der Kasse – Detering stand hinter Amelander – war er gerade dabei, seine Sachen einzupacken, als er bemerkte, dass da ein Stück eingeschweißter durchwachsener Speck lag, den er nicht gekauft hatte. Er hob das Päckchen hoch, schaute zur Kassiererin und meinte „Oh, da hat jemand wohl was liegen lassen.“
Die Kassiererin drehte sich zu ihm, schaute, nickte und sagte: „Ja, stimmt. Das gehört zur Kundin vor Ihnen.“ Sie schaute zum Ausgang. „Da geht sie noch. Sind Sie so nett …“ Sie schaute Detering an, lächelte, „und bringen es ihr? Das wäre ganz toll …“
Detering nickte, packte seine Sachen schnell zu Ende in die Tasche und mit den Worten „Ich lass die Sachen hier stehen. Sie haben ein Auge drauf, ja?“ ergriff er den Speck und begann zum Ausgang zu laufen.
Draußen verhielt er, sah sich um, erblickte die Frau, die den Einkaufswagen neben ihr Auto, einen roten Renault Kangoo, geschoben hatte und dabei war, alles im Kofferraum zu verstauen.
Detering ging langsamer, bis er Auto und Frau erreicht hatte. „Entschuldigen Sie …“ Er war stehen geblieben. Zwei Schritte hinter der Frau. Die Frau blickte sich um, sah ihn, richtete sich auf und wartete.
„Sie haben das hier liegen lassen.“ Detering hielt ihr den Speck hin.
Die Frau lachte. „Danke!“, nahm den Speck, schaute Detering weiter an, lächelte. „Den brauche ich heute ganz dringend … für die Bratkartoffeln.“
Detering stand einfach da. „Ja, stimmt“, sagte er dann leise und da ihm nichts Besseres einfiel, ergänzte er „Ja, und ich nehme auch noch fetten Speck dazu.“
„Das macht mein Vater auch immer“, sie ging darauf ein, „aber mir ist das zuviel Fett. Schließlich muss ich auf meine Linie achten.“
Detering wurde richtiggehend verlegen, denn er merkte, dass es ihm gefiel, hier mit der Frau zu stehen und mit ihr zu reden. Er wünschte, dass dieser Moment blieb. Aber er wusste nicht, wie er das machen könnte.
„Sie doch nicht.“ Das war ihm einfach so rausgerutscht. Er erschrak. Sie lachte. „Danke für das Kompliment.“
Sie hatte alles eingeräumt, schloss die Hintertür des Kangoos, nickte Detering zu, bedankte sich, stieg ein und fuhr los. Weg war sie.
Detering drehte sich um, ging langsam zurück in den Supermarkt, seine Sachen holen. So hatte es angefangen.
Detering hatte danach immer Ausschau gehalten, ob die Frau wieder zu sehen war. Bei der Regelmäßigkeit ihres Einkaufs war das natürlich schnell der Fall. Er selber hielt sich zurück, manchmal ging er wie zufällig an ihr vorbei und wenn sie ihn bemerkte, lächelte er, nickte und ging weiter. Nicht ganz ohne Hintergedanken, denn er merkte, dass es ihm zunehmend gefiel, sie zu treffen, seine unbekannte Schöne. Und er hatte sie immer genauer betrachtet. Sie trug Schmuck, aber keine Ehering. Und er hatte keine Anzeichen bemerkt, dass sie Mann oder Kinder hatte. Sie war immer allein.
Er begann zu träumen. Phantasieren wäre sicher der passendere Begriff. Und eines Tages nahm er seinen ganzen Mut zusammen, als er an der Kasse des Supermarktes vor ihr stand.
„Hallo“, sagte er, drehte sich zu ihr um, „schön, Sie zu sehen.“
Er war selbst ganz erstaunt über seine Worte.
Sie lächelte zurück.
Er packte seine Sachen, zahlte und dann wartete er. Auf sie. Als sie ihre Sachen gepackt und bezahlt hatte, gab er einfach seinem Wunsch nach. Er schaute sie an, sprach sie erneut an, lud sie zu einem Kaffee ein. Einerseits war er ganz überrascht, dass sie sofort zustimmte. Andererseits hatte er es sich auch nicht anders vorstellen können. Was ihn am meisten durcheinander brachte, das war er selber. Was er tat. Dass er es tat.
Sie fuhren mit der Rolltreppe nach oben in die Cafeteria.
„Wo möchten Sie sitzen?“ Schließlich wusste Detering, was sich gehörte.
„Da hinten am Fenster.“ Sie wies mit der rechten Hand in die Richtung und Detering setzte sich in Bewegung. Sie folgte. Er half ihr aus der Jacke, schob ihren Stuhl, so dass sie sich setzen konnte. Alles Mittel, seine Verlegenheit zu überdecken. Dann reichte er ihr die Karte. Schaute sie an.
„Danke.“ Sie nahm die Karte, schaute ihn auch an, dann versenkte sie sich ins Lesen. Aber nur kurz. „Ein Kaffee reicht.“
Detering schaute sie immer noch an.
Sie lächelte. „Was ist?“
Detering wurde heiß. „Wieso … nichts …“
Sie lächelte weiter. Nickte. Schwieg und schaute ihn an. Zum Glück trat in genau diesem Moment die Bedienung in Aktion. „Bitte?“
Detering nickte seiner Begleiterin zu. „Einen Kaffee?“ formulierte er als Frage. „Ja, gern“, erwiderte sie. „Und mir bitte auch.“
Die Bedienung verschwand. Jetzt stand Detering sich nur noch selber im Weg.
Weiter
Detering hatte sich selbst überrascht. Es war doch leichter, wenn man älter wurde. Und es wurde zugleich schwerer. Die Anziehung, die Sympathie, die erotisierende Spannung hatte er gespürt. Das tat ihm gut – zu wissen, dass er noch spürte, fühlte, lebte. Das konnte er sich eingestehen und darüber lächeln. Doch es leben, umsetzen, einfach tun, das fiel ihm schwer. Da fehlte ihm, so entschuldigte er sich, jede Erfahrung.
Detering schwieg, schaute die Frau an, wartete. Als Amelander zu ihm schaute, blickte er weg. Er fühlte sich ertappt. Sie lächelte.
„Oh, ich glaube, ich hab’ noch gar nicht gesagt, wer ich bin, oder?“ Sie schaute ihn an, wartete. Ob er wollte oder nicht, jetzt musste er antworten. Er nickte, merkte, wie ihm heiß wurde und nahm an, dass er errötete. Es war ihm peinlich.
Da war es wieder. Dieses Gefühl, nichts zu können, zu versagen, unsicher zu sein. Das hatte ihn immer begleitet. Er glaubte, er sei nichts wert. Er schwieg.
„Ich heiße Kathrin Amelander.“ Sie lächelte ihn an. Auch sie war irritiert ob seines Verhaltens. Wusste es nicht zu deuten. Einerseits hatte er sie angesprochen und eingeladen. Andererseits verhielt er sich mehr als zurückhaltend. Fast abweisend.
„Bernhard Detering.“ Endlich – es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, und er überlegte krampfhaft, was ihr wohl über ihn durch den Kopf ging – hatte er es ausgesprochen. Nun war sein Name bekannt. Er hatte einen Namen. War ansprechbar geworden. Eine Person. Er atmete schwer.
Amelander trank einen Schluck Kaffee, den die Bedienung inzwischen gebracht hatte. Detering schenkte sich Sahne ein, rührte um, ließ sich Zeit. Suchte nach einem Satz, einer Frage, die das Gespräch ins Laufen bringen würde.
„Ja …“ Ein Anfang. Ein Wort.
„Sind Sie immer so …“ Amelander machte eine Pause. „Ja, wie soll ich sagen … so still?“
„Entschuldigen Sie bitte.“ Sein übliches Ausweichmanöver.
„Sie brauchen sich doch nicht zu entschuldigen.“ Sie baute ihm eine Brücke, doch er weigerte sich, darüber zu gehen. Hatte er Angst vor dem, was ihn auf der anderen Seite erwartete?
„Entschuldigen Sie …“, er saß fest, „ich wollte mich nicht entschuldigen.“
Jetzt lachte sie. „Sie sind ein Witzbold. Entschuldigen sich, dass Sie sich entschuldigen. Machen Sie das immer? Ist das Ihr, wie soll ich sagen … Ihr Trick?“
Detering wäre am liebsten im Boden versunken. Konnte sich aber ihrem Lachen nicht entziehen. Fing auch an zu lächeln.
„Na dann …“, jetzt wurde er beinahe übermütig. Detering nickte, schaute Amelander an. „Dann bin ich einfach mal neugierig, oder?“
Er wartete auf irgendeine Reaktion von ihr. Sie hatte die Tasse wieder abgesetzt, schaute ihn weiter an, immer noch lächelnd.
„Ich leb allein … schon immer.“
„Na, das kann doch so nicht stimmen“, platzte Amelander dazwischen. Er erschrak. „Ich nehme ja nicht an, dass Sie Vollwaise sind, nie bei ihren Eltern gelebt haben …“ Sie lachte. Herzhaft. Ansteckend. Detering konnte nicht anders, als mitzulachen.
„Na, das ist ja mal eine ganz andere Version“, lachte er, „so habe ich das noch nie gesehen. Aber es stimmt. Sie haben Recht.“ Er wurde ernst. In sich gekehrt.
„Oh, hab ich etwas Falsches gesagt?“ Amelander beugte sich zu ihm, berührte mit ihrer rechten Hand seinen Arm. Eine zarte Geste der Entschuldigung, die ihm gut tat. Sie zog ihre Hand rasch wieder zurück.
„Nein, nein, überhaupt nicht.“ Detering sprach nun schneller, so, als ob er alles beruhigen wollte. Als ob er wollte, dass alles so blieb. Dass sie nicht aufstand und ging. Obwohl er die Spannung spüren konnte, fühlte er sich zugleich wohl. Eine ganz neue Erfahrung.
„Was machen Sie denn so?“ Detering war bemüht, einfach nette Unterhaltung zu betreiben, was ihm schwer fiel.
„Ja, was mache ich?“ Amelander schaute versonnen zur Seite. „Ich glaube“, sie wandte sich wieder Detering zu, „wenn ich Ihnen das sage, dann erschrecken Sie.“
„So schlimm?“ Detering bemühte sich, lustig zu sein. Er duckte sich beim Sprechen. „Also … Polizei, Staatsanwalt … oder Schlachter?“
Jetzt musste Amelander wieder lachen. „Nein, ganz sooo schlimm ist es nicht. Ich arbeite in einer Beratungsstelle.“
„Oh“, Detering zuckte tatsächlich zusammen, zumindest innerlich. „Dann kennen Sie sich ja mit Leuten wie mir bestens aus, oder?“
„Klar.“ Amelander lachte. Detering merkte, dass ihr Lachen sie ihm noch sympathischer machte. Er hätte sie stundenlang anschauen können
„Aber ...“, das klang irgendwie so, als würde sie nun den Schrecken nachreichen, „ich muss leider gleich weiter. Meine Eltern warten. Ich … na ja … ich wohne seit zwei Jahren wieder bei meiner Familie, nachdem ich mich von meinem Mann getrennt habe. So kann ich in Ruhe arbeiten, denn einer ist immer zuhause, wenn es um meine Kinder geht.“
Sie schaute ihn an. Lächelte.
„Schade.“ Das war Detering einfach so rausgerutscht. Das konnte er nun nicht mehr rückgängig machen.
Amelander lachte. „Das finde ich auch, Herr …“ sie zögerte, zog die Stirn in Falten, schien kurz angestrengt nachzudenken, „Detering, ja?“
„Genau …“. Detering machte eine kurze Pause. „Frau Amelander.“
Beide lächelten. Sie stand auf. Er machte es ihr nach. Er winkte der Bedienung, denn er konnte schlecht die Zeche prellen. Irgendwie war er bester Stimmung. Sie verabschiedete sich, machte ihm klar, dass ihre Eltern warteten, damit sie sich um die Kinder kümmern konnte, weil sie – die Eltern – noch einen Termin hatten.
Detering ging das alles viel zu schnell. Dann war sie verschwunden. Er fühlte sich plötzlich allein. Obwohl er schon immer allein lebte, war dies ein so anderes Gefühl. Auf eine angenehme Art traurig. Er war so durcheinander, dass er der Bedienung viel zu viel Trinkgeld gab. Dann beeilte er sich. Er kannte doch nur ihren Namen, hatte weder Anschrift noch Telefonnummer. Aber sie war zu schnell. Er sah nur noch ihren roten Kangoo vom Parkplatz fahren. Detering blieb stehen. Leer. Das war das, was er fühlte. Leer und stehen gelassen. Er schüttelte den Kopf. Dachte nach. Dann lachte er so laut, dass die an ihm vorbeieilenden Menschen ihn anschauten. Er hatte eine Idee. Er würde zuhause im Internet nach Kathrin Amelander suchen, und er war sich sicher, dass er etwas herausfinden würde. Er wusste allerdings nicht, auf was er sich damit einlassen würde. Das machte auch nichts, denn Detering freute sich ganz einfach.
|