Schumacher, Gerhard

 

 

Marrascas Erbe

 


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Roman, 2012, 554 S. ISBN 978-3-86465-016-1, 24,80 EUR

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Aus der Rezension von Maria Panzer in "LESART. Unabhängiges Journal für Literatur:

„Den skrupellosen »Schweinehändler von Santa Margalidà« gab es unter einem anderen Namen tatsächlich! Hinter dem Schelmenroman »Marrascas Erbe« verbirgt sich eines der schwärzesten Kapitel der Insel, Spaniens und Europas. Die Lektüre von »Marrascas Erbe« ist deshalb auch historisch interessierten Lesern unbedingt zu empfehlen."

LESART, 20. Jg., Heft 1/2013 Frühjahr, Seite 68f.

 

Klappentext

Jakob Zimmermann kommt 1932 nach Artà auf Mallorca, das Erbe des ihm unbekannten Xavier Marrasca anzutreten. Marrasca macht in einem persönlichen Schreiben an ihn einige mysteriöse Andeutungen über die Umstände des Erbes, was um so verwunderlicher ist, da Marrasca um die Jahrhundertwende vor Canyamel ertrunken ist und Zimmermann gar nicht kennen kann.

Zusammen mit zwei dem guten Leben zugetanen Geistlichen bemüht sich Zimmermann um Klärung und gerät immer tiefer in den Sog von Intrigen und Verbrechen um politische Macht und sehr viel Geld.

 

Propädeutikum oder:
an die Stelle eines Vorworts gerückt

Es liegt nun schon einige Jahre zurück, da ich auf Anraten meines Arztes die Mittelmeerinsel Mallorca besuchte. Mit dem Oktober war der Herbst eingezogen und verdrängte die oftmals heftigen Temperaturen, die den mallorquinischen Sommer prägen, zugunsten eines moderat mediterran daherkommenden Klimas, das durchaus dazu angetan ist, Körper und Geist zu erfrischen. Durch verschiedene Umstände befand ich mich damals in einem sowohl psychisch als auch physisch eher unerfreulichen Zustand, wiewohl ich keinerlei sichtbare Gebrechen vorweisen konnte. Besagter Arzt, dem ich auch als Freund vertrauensvoll verbunden war, empfahl mir nach Abwicklung meiner geschäftsmäßigen Gegebenheiten einen längeren Aufenthalt auf der Baleareninsel, um meine gewohnte Gesundheit wiederherzustellen.

Ich folgte seinem Rat und landete an einem Sonnabend zu Beginn des Monats Oktober, mit dem Schiff aus Barcelona kommend, im Hafen der Inselhauptstadt Palma an.

Zunächst nahm ich Quartier im Gran Hotel an der Placa Weyler und erkundete von dort die winkligen Gassen der Altstadt mit ihren vielen, oft nur winzigen Geschäften und wundersamen Gerüchen. Mehrmals stattete ich der Kathedrale La Seu nebst dem einstigen Alkazar des Emirs und späteren Palast der aragonesischen Könige, die beide, obwohl unterschiedliche Bauten, vom Meer aus gesehen fast wie eine Einheit wirken, mehrstündige Besuche ab. Mich faszinierte vor allen anderen Dingen das mehr als 100 m lange und weit über 20 m hohe Kirchenschiff der Kathedrale und ich wurde nicht müde, das bunte Farbspiel der Fensterrose in der Apsis auf den Bodensteinen zu bewundern.

Sodann begab ich mich auf traditionelle, althergebrachte Weise über Esporles nach Valldemossa, wo ich mich unweit des ehemaligen Klosters, in dem George Sand und Frédéric Chopin dereinst eine Kartause bewohnten, in einer hostal einquartierte, um mich von den Strapazen der Anreise zu erholen. Es ist dies um Valldemossa, der Leser sei sich dessen versichert, eine überaus schöne und naturbelassene Gegend, deren Bewohner sich dem Fremden gegenüber höflich zurückhaltend und dennoch in einer vornehmen Freundlichkeit geben, wie ich sie in europäischen Landen in dieser Form nur selten hatte vermerken können. Um so unverständlicher kommen mir die Aufzeichnungen daher, die George Sand über ihre Monate auf der Insel verfaßte. Sie zeichnen sich in erster Linie durch eine Art gehässigen Unverständnisses aus und verschließen sich dadurch völlig der Schönheit und Eigenart von Land und Leuten.

Nach einigen Tagen zog ich von Valldemossa weiter über Deia und Sóller nach Inca und Manacor, bis ich schließlich nach etwa zwei Wochen das im Nordosten der Insel gelegene Städtchen Artà erreichte, in dem ich, dem Ratschlag meines Arztes und Freundes folgend, den Winter zu verbringen gedachte. Wieder gab ich der traditionellen Art, mit Pferd und Wagen zu reisen den Vorzug vor der modernen, inzwischen auch auf der Insel verbreiteten, mittels eines Automobils. Letztere ist zweifelsohne nicht nur die schnellere, sondern ganz sicher auch die komfortablere Methode des Reisens, hingegen dauert die althergebrachte Weise nicht nur unvergleichlich länger und erfordert viel Langmut und Geduld, jedoch bindet sie den Reisenden wesentlich stärker in die täglichen Abläufe der Natur und dem Wesen der Menschen, die hier wohnten und mit dieser Natur lebten ein. Trotz aller Unbequemlichkeiten, die dem harten Wagen und den schmalen Bergwegen geschuldet waren, habe ich diese Art der Fortbewegung sehr genossen, zumal sie um ein Wesentliches billiger daherkommt, als das Fahren mit dem Automobil.

Die Umgebung Artàs bot jede Menge Gelegenheiten, meiner stillen Passion, dem Studium der Botanik, nachzugehen und so zog ich in das Häuschen der Senyora Marrasca in die Carrer Major, wie es mir von dritter Seite empfohlen wurde. Dona Maria war eine ältere Witwe, die ihr bescheidenes Auskommen durch die Vermietung von Fremdenzimmern aufbesserte, jedenfalls ging ich damals davon aus. Sie kümmerte sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten rührend um mich und ich vermute, sie genoß im Kreise ihrer Freundinnen, die sie täglich auf der Placa d’ Espanya zu einem Schwätzchen traf, nicht wenig Ansehen allein durch die Tatsache, daß ein Fremder vom Festland, noch dazu ein Nordländer, ihrer Gastfreundschaft den Vorzug vor dem Hotel gab. Dona Maria ließ es sich nicht nehmen, mir allmorgendlich zum Frühstück eine selbstgebackene ensaimada zu kredenzen, die sie großzügig mit dem durchaus bescheidenen Mietzins für das Zimmer als abgegolten erklärte. Es handelt sich um das Nationalgebäck der Insel, ein zur Schnecke gerollter Hefeteig, dem Schweineschmalz beigefügt ist und der zum Schluß mit reichlich gepudertem Zucker bestreut wird. Ursprünglich soll das Gebäck noch aus der Zeit der arabischen Herrschaft stammen, allerdings ist zu vermuten, daß damals das Schmalz des Schweins noch nicht in der Zutatenliste auftauchte.

Tagsüber erkundete ich die nahe Umgebung, erfreute mich an Fauna und Flora oder lag einfach nur faul in der Herbstsonne herum und sinnierte über mein weiteres Leben. Pünktlich zum frühen Nachmittag begab ich mich in die Bar El Ultim, wo ich den Café trank bevor ich in meinem Zimmer der landesüblichen Siesta pflegte, um dann in den Abendstunden, zumeist wiederum in der Bar El Ultim, mein Nachtmahl einzunehmen und nach einigen Gläsern raren mallorquinischen Tempranillos zufrieden in den Schlaf hinüberzugleiten.

Sorgte ich in den ersten Tagen meines Aufenthalts noch für einiges Aufsehen unter den Einheimischen, ich vermutete dahinter sicherlich nicht zu Unrecht auch einige mündliche Aktivitäten meiner Zimmerwirtin Senyora Maria, gehörte ich doch schon bald zum täglichen Bild der Kleinstadt, die mich langsam aber unaufhörlich vereinnahmte.

Die Leute begannen mich in ihr Leben einzubeziehen, grüßten mich freundlich mit „bon dia" und erkundigten sich „com va" nach meinem Wohlergehen. Genau an dieser Stelle aber lag auch ein Problem, das ich vor meiner Ankunft nicht bedacht hatte. Noch in Deutschland hatte ich mich eines intensiven Studiums der spanischen Sprache befleißigt und sprach, wie ich in Barcelona und auf der Überfahrt feststellen konnte, immerhin soviel spanisch, daß ich einer einfachen Unterhaltung gut folgen konnte, worauf ich auch zu recht stolz war.

Auf Mallorca nun mußte ich feststellen, daß man hier nicht kastilisches spanisch, sondern katalanisch sprach. Im Schriftbild war der Unterschied nicht unüberbrückbar, gesprochen handelte es sich beim Katalanischen um eine komplett andere Sprache. Um die Verwirrung nun vollständig zu machen, mußte ich darüber hinaus entdecken, daß gerade die älteren Einwohner untereinander weder spanisch noch katalanisch, sondern ein eigenes Kauderwelsch, mallorquin, sprachen, das weder mit dem einen noch mit dem anderen allzu viel zu tun hatte und das mir bis zuletzt völlig unverständlich blieb.

Dieser Umstand schränkte meine Integration in die kleine Gesellschaft der Bar El Ultim zunächst empfindlich ein, denn weder verstand ich die freundlichen Leute, die lachend auf mich einredeten, noch verstanden diese meine Entgegnungen, was die Kommunikation untereinander nicht einfacher machte.

Lediglich der capellà der Kirche, pare Remigio, ein Mallorquiner, der auf dem spanischen Festland studiert hatte, war in der Lage und nicht zu stolz, mit mir in der kastilischen Sprache zu parlieren und so blieb es nicht aus, daß wir uns über manchem Glas Rotwein und einer guten Zigarre nach und nach anfreundeten.

Senyor Remigio hatte die Mitte seines fünfzigsten Lebensjahrzehnts unlängst überschritten und angesichts dieser unumkehrbaren Tatsache beschlossen, fürderhin das Leben zu nehmen wie es sich ihm nun einmal darbot. Jenen Teil der Freuden des menschlichen Daseins, den er bislang, jedenfalls seiner Meinung nach, nicht oder nur unzureichend zu genießen die Gelegenheit hatte, sah er mit diesem Zeitpunkt als erledigt an und faßte deshalb den Entschluß, sich fortan auf den Teil einzurichten, der ihm für die zweite Lebenshälfte angemessen und mit seinem Amt und der damit einhergehenden Würde und Autorität vereinbar schien. Obwohl pare Remigio sich mir gegenüber niemals, auch nicht in kleinsten Andeutungen, zum ersten Teil seiner Lebensfreuden äußerte, war ich mir intuitiv sicher, daß er diese ungeachtet seines geistigen Stands (und seiner Zweifel) zur Genüge und in vollsten Zügen genossen hatte, um sich ohne das Gefühl, Wesentliches versäumt zu haben, nun auf den anderen Teil des Genusses, den die Welt ihm zu bieten in der Lage war, konzentrieren zu können. Dieser Umstand machte ihn aus meiner Sicht zu einem angenehmen Gesprächspartner.

Durch die sprachliche Vermittlung Don Remigios gewann ich bald Kontakt zu anderen Persönlichkeiten des Städtchens, von denen in der ersten Reihe der alcalde, Senyor Jaume de Lamo, der metge, doctor Miguel Caravantes und der farmacèutic, Senyor Eusebio Estafan zu nennen sind. Ein besonderes Vergnügen bereitete mir die Bekanntschaft von Don Basilio, dem Pfarrer der Wallfahrtskirche Sant Salvador, der nicht nur in ähnlichem Alter war wir sein Pendant von der Pfarrkirche, sondern mir auch ähnlichen Geistes zu sein schien.

So traf es sich, daß wir allabendlich nach dem Nachtessen in der Bar El Ultim zusammensaßen, manche gute Zigarre rauchten und beim Wein der Tempranillotraube das mehr oder weniger aufregende Tagesgeschehen des kleinen Städtchens Artà durchhechelten.

Dabei störte es weder die beiden Geistlichen noch die anderen Senyores wenig, daß ich der alleinseligmachenden katholischen Kirche skeptisch bis abweisend gegenüber stand, noch ihr überhaupt angehörte. Ganz im Gegenteil hatte ich eher den Eindruck, sie genossen meine konträren Ansichten, die insgeheim wohl auch die ihren waren, was sie aber mit Rücksicht auf die Reputation im Städtchen nicht offen zugeben konnten.

Reihum luden mich die Honoratioren zu festlichen Anlässen in ihre Häuser, damit ich diese Feierlichkeiten im Kreise ihrer Familien feiern konnte und nicht alleine in meinem Zimmer rumsitzen mußte. Allmählich hatte ich mich auch in die katalanische Sprache eingearbeitet, das Mallorquinische jedoch blieb mir verschlossen und ich gab entsprechende Versuche schließlich entnervt auf.

In der Mitte des Januars begehen die Einwohner das mehrtägige Fest Sant Antoni mit Umzügen, viel Musik und nächtlichen Lagerfeuern. Als Teufel verkleidet springen sie durch die Gassen Artàs und wollen den Heiligen Antoni in Versuchung führen. Der Überlieferung nach hat dieser allen teuflischen Verführungskünsten widerstanden, ich hingegen muß zugeben, daß mich gerade dieses Fest, ich kann nicht genau sagen warum, tief berührt hat und ich hoffte, es in meinem jetzigen Dasein noch einmal miterleben zu dürfen. Damals ahnte ich noch nicht, wie oft der Teufel den Heiligen in meinem Beisein noch in Versuchung führen sollte.

Im März erhielt ich Nachricht, daß dringende Geschäfte, die keinen Aufschub erlaubten, meine Anwesenheit in der Heimat erforderlich machten und obwohl ich mich innerlich dagegen sträubte, packte ich meine wenigen Sachen zusammen und machte mich auf den langen Weg quer über die Insel nach Palma, wo ich ein Schiff nach Barcelona bestieg. Es war ein trauriger Abschied, den ich da nehmen mußte und ich erinnere mich ungern der Tränen in den Augen Dona Marias, als sie meinem Wagen nachwinkte.

Damals nahm ich mir vor, sofort nach Beendigung meiner geschäftlichen Obliegenheiten nach Artà zurückzukehren, es war mein sehnlichster Wunsch, im Kreise der mallorquinischen Freunde und Bekannten das weitere Leben zu verbringen. Doch wie so oft kam es anders. Aus den so dringlichen Geschäften entwickelten sich andere, diese zogen wiederum neue nach sich und der Tag der Rückkehr verschob sich von einem Monat auf den anderen, bis ich nur noch in vagen Zeiträumen daran dachte. Allmählich verblaßte auch die Erinnerung, verlor sich in lückenhaften Spuren und hinterließ schließlich nur noch neblige Andeutungen.

Artà war Vergangenheit und ich sah meine Zukunft ganz sicher nicht auf mallorquinischen Boden. Mit dieser Einschätzung allerdings sollte ich mich irren.

Inzwischen waren sechs oder sieben Jahre vergangen, als ich eines Frühlingsmorgens im April einen Brief in Händen hielt, der mich in ausladender Schrift schnörkelig schwungvoll als Adressaten benannte. Er war von Don Remigio, dem pare der Pfarrkirche von Artà, der mich in höflichen Formulierungen dürftigen Inhalts darum bat, so schnell es mir möglich war, nach Artà zurückzukehren, da sich Dinge ereignet hätten, die meine Anwesenheit erforderlich machen würden. In einem Postskriptum, das länger war als der eigentliche Brief, teilte er mir noch mit, daß man im Januar, kurz nach den Festlichkeiten zu Sant Antoni, Dona Maria in die ewige Ruhe des cementiri entlassen mußte. Kurz zuvor noch hatte sie bei dem städtischen advocat Senyor Alejandro Jaramago ihr kleines Häuschen in der Carrer Major im Falle ihres Ablebens meinem Besitz überschrieben. Da Senyora Maria weder Kinder noch sonstige lebende Verwandtschaft hatte, schrieb Don Remigio, müßte ich mir auch keine Sorgen machen, daß diese letzte Verfügung von irgendeiner Seite angefochten werden würde. Zur Regelung der gesetzlich vorgeschriebenen Unterlagen und Befugnisse hätte ich persönlich vor dem advocat zu erscheinen und zwar innerhalb einer Frist von sechs Monaten, sonst falle das Erbe an den spanischen Staat, respektive die Stadt Artà, was weder in meinem Sinn sein könne, noch in dem des alcalde, fügte Don Remigio hinzu und ich mußte schmunzeln, als ich die letzten Zeilen las.

Plötzlich war ich Hausbesitzer in Artà.

Ebenso plötzlich waren aber auch die verblaßten Erinnerungen an meinen Aufenthalt in dem Städtchen wieder in farbenfroher Vielfalt gegenwärtig und meine Phantasie gaukelte mir manches Detail in einer Ausführlichkeit vor, die in der Realität höchstens in Ansätzen vorhanden gewesen war. Ich steigerte mich geradezu in eine Besessenheit hinein, mußte so schnell wie möglich wieder zurück auf die Insel und war mir in meinem Innersten durchaus bewußt, daß das Erbe nur ein vorgeschobener, aber immerhin ein Grund war.

Ich übergab meine Angelegenheiten zur abschließenden Regelung einem Anwalt, löste alle geschäftlichen Verbindungen, übertrug mein Konto auf eine Mallorquinische Bank, was übrigens nicht ohne Schwierigkeiten vonstatten ging, und machte mich auf die Reise nach Barcelona. Dort löste ich eine Passage nach Palma, wo ich Mitte Mai im Schatten der Kathedrale La Seu zum zweiten Mal in meinem Leben mallorquinischen Boden betrat.

So begierig war ich, schnellstens in das kleine Städtchen Artà zu kommen, daß ich während der ganzen etwa zwölfstündigen Überfahrt trotz verhaltener nächtlicher Temperaturen unruhig auf dem Deck des Dampfschiffs umherlief und mir mit meiner Unruhe die mißtrauischen Blicke der Besatzung einfing. Immerhin vermied ich dadurch die Übernachtung in den windigen Verschlägen des Schiffes und den unweigerlich damit verbundenen Kontakten mit lästigen Flöhen und anderem Ungeziefer, wie ich sie aus Unkenntnis während meiner ersten Passage einige Jahre zuvor erleiden mußte. Wie der Zufall es wollte, machte ich einige Zeit später in Palma die Bekanntschaft des deutschen Dichters Albert Vigoleis Thelen und seiner angehenden Frau Beatrice. Wir kamen in der gleichnamigen Bar des Hotels Alhambra ins Gespräch und stellten schnell fest, daß das Paar mit dem gleichen Dampfer, der Ciudad de Barcelona die Überfahrt von Barcelona nach Palma unternommen hatte, nur eben ein Jahr früher als ich. In Bezug auf das lästige Ungeziefer indes hatten wir ähnliche Erfahrungen zu verbuchen.

Ohne zeitliche Verzögerung mietete ich noch am Hafen einen Wagen, ein Automobil diesmal mit ortskundigem Fahrer, der mich auf schnellstem Wege über Manacor, wo wir eine Übernachtung einlegten, da der Chauffeur sich aus Gründen der Sicherheit weigerte, im Dunkeln weiterzufahren, nach Artà spedierte, das wir anderntags gegen Mittag erreichten.

Sofort begab ich mich in die Bar El Ultim und Pablo der Wirt schickte seinen Sohn zu Don Remigio, damit er ihn von meiner Ankunft unterrichtete.

Der pare kam auch unverzüglich die Gasse hinuntergerannt, seine schwarzen Rockschöße wehten ihm hinterdrein. Er umarmte mich freundschaftlich und überfiel mich mit einem Schwall mallorquinischer Wortkatarakte, weil er wohl in der Aufregung vergessen hatte, daß ich allenfalls català verstand, wiewohl durch die langen Jahre meiner Abwesenheit einigermaßen außer Übung war.

Pablo öffnete eine Flasche tempranillo und seine Frau Consuela stellte kleine Schalen mit Oliven, eingelegten anchoas und in Öl gedünsteten pebrotes auf den Tisch.

Wir tranken, aßen und hatten das Versäumte mehrerer Jahre zu erzählen. Es fiel mir allerdings auf, daß Don Remigio außer allgemeinen Floskeln nichts über die näheren Umstände des Ablebens Senyora Marrascas erzählte und ich war höflich und zurückhaltend genug, ihn nicht direkt darauf anzusprechen. Wir verabredeten uns für den nächsten Vormittag im Büro der Kirche, wo er mich über den aktuellen Stand der Dinge und die Hintergründe unterrichten wollte.

Im Verlauf des Nachmittags kamen nach und nach auch die anderen Freunde in die Bar bis diese voll war wie sonst nur an hohen Feiertagen. Es hatte sich meine Ankunft natürlich schnell herumgesprochen.

Endlich war die Zeit gekommen, die Betten aufzusuchen. Don Remigio übergab mir feierlich die Schlüssel zu Dona Marias Häuschen, das nun das meine war. Dann wünschte er eine gute Nacht und verschwand leicht schwankend in Richtung seines Refugiums.

Der Chauffeur, der mich mit seinem Automobil nach Artà gebracht hatte, war im Laufe des Nachmittags mehr und mehr dem tempranillo verfallen und konnte in seinem Zustand beim besten Willen nicht die Rückfahrt antreten. Also lud ich ihn ein, mit mir zusammen in meinem neuen Heim zu nächtigen, was er dankend annahm.

Nach dem Ableben der Witwe hatte Consuela, die Frau des Wirtes, regelmäßig zweimal in der Woche das Häuschen sauber gemacht und für meine Rückkehr, an der hier offensichtlich niemand auch nur den geringsten Zweifel hatte, bereitgehalten. Alles war blitzblank sauber und gepflegt.

Ich wies dem Chauffeur die ehemalige Schlafkammer der Witwe zu und bezog selbst das Zimmer, das ich vor etlichen Jahren schon einmal bewohnt hatte. Auf dem Tischchen am Fenster fand ich eine prachtvolle ensaimada, die Consuela wohl am Nachmittag dorthin gestellt hatte.

Als ich im Bett lag und durch schon halb geschlossene Lider gerade eben noch das gelbe Licht der Laterne vor dem Haus wahrnehmen konnte, hatte ich das Gefühl, zuhause angekommen zu sein. Und schlief zufrieden ein.

 

 

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