Inhaltsverzeichnis
Gerda Haßler: Einleitung
7
Gerda Haßler: Das Thema Sprache und Meinungsbildung in der
Geschichte der Berliner Akademie und in der heutigen
Sprachwissenschaft
11
Ottmar Ette: Tropendiskurse / Diskurstropen. Die
Literaturen der Welt und die TransArea-Studien
47
Dorothée Röseberg: ,Formation de la raison' und Analysieren. Ein
Beitrag zur Erforschung kultureller Muster
109
Jürgen Erfurt: Über 'legitime Sprache' und “sprachliche
Legitimität'
155
martína Drescher: Meinungsbildung durch Gerüchte? Das Beispiel
des Covid-19-Diskurses in Kamerun
189
Constanze Spíeß: Rechtspopulistischer Sprachgebrauch als eine
Form sprachlicher Gewalt - Zur Debattenpraxis der AfD im deutschen
Bundestag
217
Michael Thomas: Das Schweigen der Männer und die hilflose
Soziologie. Politische Diskurse, Leitbegriffe und wissenschaftliche
(Selbst-) Begrenzungen in Zeiten des Umbruchs
257
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
293
Aus der Einleitung von Gerda Haßler
Dass Meinungen durch Sprache
nicht nur ausgedrückt, sondern auch beeinflusst werden, ist ein seit
jahrhunderten bekanntes Phänomen. Die Sprache als Barriere zwischen
dem menschlichen Denken und der Wirklichkeit der Außenwelt ist immer
wieder sprachkritisch thematisiert worden. Die Vorstellung, dass
Sprachen in ihrer Eigenart das Denken ihrer Sprecher prägen, erreichte
bei Wilhelm Von Humboldt ihren Höhepunkt, lebt aber bis heute fort,
etwa in der Annahme, dass Sprachen Zeitvor- stellungen oder die
Farbwahrnehmung prägen können. Geht es um clen Einfluss von Sprachen
als historisch entstandene und von den Sprechern erworbene Gebilde, so
steht heute die Prägung von Meinungen durch Diskurse im Mittelpunkt.
Als Diskurse verstehen wir zum einen sprachliche Gebilde, die wie Texte
über einen Satz hinaus- gehen; zum anderen schließt der Diskursbegriff
aber auch die Situiertheit eines sprachlichen Gebildes in seinem
jeweiligen Produktionskontext und die daraus resultierende Produktion
von Sinn und Bedeutung mit ein. Mehrere Texte zu einem Thema, einem
Problem, einem Konflikt usw. können einen Diskurs bilden, in dem
spezifische sprachliche Mittel wie Wörter, Metaphern, Phraseologismen,
feste Wortverbindungen und sogar bestimmte Textsorten verwendet werden.
Diese werden zu Erken- nungsmerkmalen des Diskurses und gleichzeitig zu
meinungsbildenden Faktoren. Der Zusammenhang zwischen dem Einsatz
solcher Mittel und der beabsichtigten Meinungsbildung ist den
Rezipienten oft nicht bewusst, sie können die sprachlichen Formen
sogar selbst übernehmen und damit zu Trãgern der damit verbreiteten
Meinung werden. Der Aufdeckung solcher Meinungslenkung hat sich die
Kritische Diskursanalyse verschrieben. Die korpuslinguisrische
Orientierung hat dazu beigetragen, dass die Diskurslinguistik heure
konzeprionell und methodisch eine der einflussreichsten Richtungen in
der Erforschung von Diskursen ist. Daneben gibt es aber auch
kulturwissenschaftliche, philosophische, literaturwíssenschaftliche,
soziologische und psychologische Zugänge zu den verschiedenen Formen
der Informations- und Meinungssteuerung durch Sprache und Diskurse.
Die Beiträge dieses Bandes der Sitzungsberichte gehen auf Vorträge
zurück, die am 20. Oktober 2022 auf der Jahrestagung der Leibniz-Sozietät
der Wissenschaften zu Berlin e.V. zum o.g. Thema gehalten wurden. Das
Thema wurde wegen seiner Aktualität gewählt, denn wir erleben, dass
Diskurse zu Themen wie Klimawandel, Pandemie oder Krieg in der Ukraine
meinungsbildend sind. Sie sind in ihrer Vielfalt und Gegensätzlichkeit
so offensichtlich, dass sie auch eine abgrenzende Funktion haben können
und andererseits Wörter mit spezifischen Bedeutungen belegen, die sie
für den allgemeinen Gebrauch problematisch werden lassen. Ein
weiterer Grund für die Wahl dieses Themas war die Geschichte der 1700
von Gottfried Wilhelm Leibniz gegründeten Kurfürstlich Brandenburgischen
Sozietät der Wissenschaften, aus der 1746 die Académie Royale des
Sciences et Belle-Lettres hervorging und deren Tradition sich unsere
Sozietät verpflichtet fühlt. Diese Akademie war Mitte des 18.
Jahrhunderts die erste Institution, die dazu aufrief, sich mit dem
Thema des Einflusses der Meinungen auf die Sprache und der Sprache auf
die Meinungen zu befassen. Schon damals war dieses Thema hochaktuell,
wenn auch in einem etwas anderen Sinne als heute. Die Beiträge dieses
Bandes entsprechen ganz dem Bestreben der Leibniz-Sozietät,
lnterdisziplinarität zu fördern. Neben Sprachwissenschaft- lerinnen und
Sprachwissenschaftlern, die mit unterschiedlichen Methoden und zu
unterschiedlichen Gegenständen arbeiten, haben ein Literatur-
wissenschaftler, ein Soziologe und Philosoph sowie eine Kulturwissen-
schaftlerin Beiträge geleistet.
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