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Inhaltsverzeichnis
VORWORT von John Erpenbeck 7
Der Kautsky-Bernstein-Kreis e.V. 11 1.
Aufbruch aus der Stagnation 11 2. Der 9.
November 1989 und seine Folgen 14 3. DDR
explosiv – Januar 1990 18 4. Die
Volkskammerwahl vom 18. März 1990 20 5. Die
„Sozialdemokratischen Plattform“ 25 6. Der
„Sozialdemokratische Studienkreis“ zwischen Aufruf und 1. Vereinstag
31
Anhänge 53 ANHANG 1 – Aufruf „Für unser Land!“
55 ANHANG 2 – „Regierung der Nationalen Verantwortung“
57 ANHANG 3 – Der „Runde Tisch“ 59 ANHANG 4 –
Urkunde zur Vereinsgründung 60 ANHANG 5 – Satzung des
Sozialdemokratischen Arbeitskreises e.V. 61 ANHANG 6
– Rundbrief an die Mitglieder des Kautsky-Bernstein-Kreises e.V.
64 ANHANG 7 – 165 Briefe an den Sozialdemokratischen Studienkreis (SDS)
65 ANHANG 8 – Rede Egon Bahrs im Apollosaal der Berliner Staatsoper am
4.11.1990 (Auszüge)
in der Reihe: „Nachdenken über Deutschland“ 223
ANHANG 9 – Positionspapier „Die Lage in den neuen Bundesländern“
230 ANHANG 10 – Erschienen in: DIE NEUE ZEIT 12/1993
248 Über die Herausgeberin 261
VORWORT
Eine Ablehnung mit Folgen
Die
Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, 1946 aus der nicht durchweg
freiwilligen Vereinigung von Sozialdemokratischer und Kommunistischer
Partei Deutschlands hervorgegangen, hatte an ihrem Ende, 1989, etwa
zweieinhalb Millionen Mitglieder. Vollkommen klar, dass darunter auch
Menschen waren, die noch lange insgeheim besseren braunen Zeiten oder der
stählernen Sonne, die nicht wärmte, nachtrauerten. Die große Mehrheit aber
wollte das Beste für ihr, „für unser Land“, für die DDR. Die Menschen
wollten das Soziale: In einem Land leben, in dem das Wohnen als soziales
Problem gelöst, in dem Wohnen für alle bezahlbar war und als Menschenrecht
angesehen wurde. Sie wollten in einem Land leben, in dem Jeder und Jede
Arbeit hatte, wofür der Staat höchstpersönlich die Verantwortung übernahm.
In einem Land, in dem es keine Arbeitslosen, keine Obdachlosen gab, wo der
Spaßjournalist Schwarz einen Aufruhr verursachte, als er sich vor dem
Leipziger Hauptbahnhof – verkleidet als arbeitsloser Bettler – in Szene
setzte. Sie wollten Bildung und Gesundheit für alle, kostenlos, jedem nach
seinen Bedürfnissen, ohne Ansehen der Person. Sie wollten gut essen und
trinken und einen preiswerten öffentlichen Nahverkehr. Sie wollten eine
Gesellschaft der Gleichen. Die Menschen wollten Konsum: Landschaften,
die nicht nur blühten, sondern von ordentlichen Autos, Fernsehern,
Computern, Gaststätten, Hotels und Freizeitvergnügungen voll waren. Sie
wollten reisen, wann und wohin immer, mit der Reisefreiheit begann für sie
die Freiheit. Die Menschen wollten Demokratie: Nicht nur Mitbestimmung
im Kleinen, im Betrieb, in der Schule, in der Arbeitsgemeinschaft. Sie
wollten politische Mitbestimmung, den Kurs ihres Landes in freien Wahlen
mit bestimmen. Sie wollten Reisefreiheit unverzüglich, ohne Wenn und Aber.
Sie wollten ihre Meinungen frei und offen vertreten können und dürfen, sie
wollten Meinungsfreiheit. Sie wollten eine Gesellschaft der Freiheit.
Sozial und Demokratie hatte für viele der 2 500 000 Parteimitglieder einen
verheißungsvollen Zukunftsklang. Wer im Geschichtsunterricht oder beim
Geschichtsstudium aufgepasst hatte, wusste, wie in der deutschen
Sozialdemokratie um diese Verheißung gerungen wurde, wie stark die
Freiheit des Andersdenkenden Teil sozialdemokratischer Überzeugung war.
Zurück zu den Wurzeln! Keine schlechte Idee, dachten viele, nach der
unaufhaltsamen Vereinigung der beiden deutschen Staaten. Zurück zum
„linken“ Kautsky, zurück zum „rechten“ Bernstein war der Leitgedanke der
Gründer des Kautsky-Bernstein-Kreises. In der Sozialdemokratischen Partei
mitzuarbeiten, eine gute Idee, dachten viele, die der Einheitspartei den
Rücken gekehrt hatten. Die Reaktion war verblüffend, ja für die Meisten
maßlos enttäuschend. Die CDU hatte umstandslos die Ost-CDU und die
Ost-Bauernpartei geschluckt, die FDP die Ost-Liberalen und die
ostdeutschen Nationaldemokraten. Lag es da nicht nahe, dass die SPD die
Teile der Sozialistischen Einheitspartei aufnähmen, die keinen Dreck am
Stecken hatten und sich sozial-demokratischen Überzeugungen nahe fühlten?
Es lag nicht nahe. Die Sozialdemokratie lehnte die Aufnahme von SEDlern
grundsätzlich ab, verbot sogar Parteifernen, das „Markenzeichen“
sozialdemokratisch auch nur zu benutzen. Die Herausgeberin des
vorliegenden Buches verfolgt diese Ablehnung, ihre Folgen und ihre Gründe
im Einzelnen. Zu Recht machte Elisabeth Noelle-Neumann vom
Allensbach-Insti-tut schon 1990 den (dialektischen!) Widerspruch zwischen
Gleichheit und Freiheit für das Aufbrechen vieler Widersprüche zwischen
Ost- und Westdeutschen namhaft. Ostdeutsche hielten Gleichheit,
Westdeutsche Freiheit für das höchste Gut. Ostdeutsche betonten das
Soziale, Westdeutsche das Demokratische stärker, ein Widerspruch der bis
heute fortwirkt. Hinzu kamen simple, sehr menschliche Gründe für die
Ablehnung. Die Gründer der ostdeutschen Sozialdemokratie, Pfarrer und
Menschenrechtler, waren sich sehr bewusst, dass unter den zweieinhalb
Millionen auch exzellente Psychologen, Juristen, Historiker, Soziologen
und Politologen waren, von denen nicht wenige mit dem Charisma-Gen des
guten Politikers, der guten Politikerin gesegnet waren; Gregor Gysi und
Sahra Wagenknecht mögen als Beispiele dienen. So kam es, wie es nicht
hätte kommen müssen: Entgegen dem Streben von Egon Bahr und manch anderen
Realpolitikern verzichtete die westdeutsche Sozialdemokratie auf
ostdeutsche Anstöße, blieb in den Neuen Bundesländern mitglieder- und
ideenschwach. Eine Regine Hildebrand, ein Manfred Stolpe machten noch
keinen sozialdemokratischen Sommer. Ostdeutsche Demokratieskepsis hat hier
eine ihrer Wurzeln. Die erst kürzlich erfolgte Einladung an Mitglieder der
Linken, doch der SPD beizutreten – von der Herausgeberin kommentiert – ist
wirkungslos und geschichtsvergessen. Wer wissen will, was für ein
Potenzial dem sozialen, demokratischen Wollen in Deutschland verloren
gegangen ist, mag die Briefe lesen, die hier sorgfältig und zusatzlos
ediert sind. Er mag den Gedanken- und Gefühlsreichtum der Menschen im
Umbruch nachempfinden, die hier zu Wort kommen. Vielleicht wird er sich
sogar für die fast vergessenen, bis heute anregenden Einsichten von
Kautsky und Bernstein interessieren?
Prof. Dr. John Erpenbeck
Berlin, Oktober 2023
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