Zum Buch
Die gegenwärtige technikphilosophische Diskussion ist quantitativ zwar
nicht sehr umfangreich, inhaltlich aber sehr vielfältig. Diese
Überlegungen sind eingebunden in das Vorhandene, in bereits Gedachtes,
Aufgeschriebenes, Vorgetragenes, Gefragtes, das sie entweder
weiterzuführen suchen oder aus kritischer Distanz betrachten, entweder
zum Gegenstand dezidierter Auseinandersetzung machen oder auch nur
vorhandene Defizite benennen. Man kann das Erreichte als willkommenen
Denkansatz begrüßen und zur Grundlage eigenen Denkens machen oder sich
darüber ärgern, daran reiben und auf mögliche Unzulänglichkeiten
thematischer oder konzeptioneller Art verweisen, man kann Vorhandenes
auch ignorieren oder zumindest nicht zitieren – aus der Welt schaffen
lässt es sich keinesfalls. Das führt auf zwei Schlussfolgerungen. Zum
einen müssen wir uns der Geschichte der Technikphilosophie versichern,
ihrer Fragen und Antworten, ihrer Denkeinsätze und konzeptionellen
Grundlegungen, ihrer Problembeschreibungen und ihrer
Argumentationsstrukturen, ihrer Lösungsmuster und ihrer Vorschläge,
ihrer Perspektiven bzw. Sichtweisen und ihrer historischen
Bedingtheiten. Einerseits bereitet das sicherlich manche Überraschung
hinsichtlich des bereits Gedachten. Andererseits kann – sicherlich
weitaus häufiger – die Geschichte (auch) des technikphilosophischen
Denkens Anregungen für den Umgang mit oder das Lösen von gegenwärtigen
Problemsituationen vermitteln. Voraussetzung dafür ist jedoch m.E. ein
Verständnis von Geschichte der Technikphilosophie, die das Bisherige
einerseits nicht – im Sinne von G. W. F. Hegel – als „Durchgangsstufen“,
„Zwischenschritte“ oder „Vorformen“ in einem linearen
Fortschrittsprozess von Ideen betrachtet (womit das Letztgedachte
zugleich zum Höchstentwickelten wird), andererseits auch nicht nur als
eventuelle „Kuriosa“ der Vergangenheit bewertet oder als „Steinbruch“
für die Gegenwart ansieht, sondern als Denkbemühungen, die auf
Problemstellungen ihrer Zeit mit den Mitteln und vor dem „Hintergrund“
ihrer Zeit Antworten zu geben bemüht waren, die ganz sicher – nicht
anders als heute – nur Teileinsichten zu liefern in der Lage waren.
Zum anderen ist damit zu rechnen, dass unsere eigenen Überlegungen, vor
allem, wenn wir sie als „neu“ apostrophieren, ein ähnliches Schicksal
erleiden, einen analogen Umgang erfahren werden wie gerade
gekennzeichnet, sie werden nicht nur willkommen sein. Es kann sein, dass
die lebensweltlichen Widerfahrnisse uns dann in eine Situation führen,
deren drei Phasen von F. W. Ostwald folgendermaßen charakterisiert
wurden: Zunächst wird die neue Idee von jenen kritisiert, die neidisch
sind, weil sie sie nicht selbst gehabt haben. Große Freude bei den
Kritikern entsteht dann, wenn sie sich als Irrtum erweist: Der Forscher
„kann nicht umhin, sich zu fragen, warum er nicht selbst den neuen
Gedanken gefunden hat, oder eine solche Frage von anderer Seite zu
befürchten. Aus dieser Verlegenheit kommt er, wenn sich der neue Gedanke
als Irrtum erweist“. Neben dem Kritisieren gibt es die Möglichkeit des
Totschweigens von Ideen: „[...] in dem Versuch, durch Nichtbeachtung und
Übergehen die Sache verschwinden zu lassen“. Gelingt das Totschweigen
nicht, dann muss das Neue bekämpft werden. War nicht zu verhindern, dass
sich die neue Idee durchgesetzt hat, dann kann behauptet werden, sie sei
richtig (bzw. nicht falsch), aber sie sei auch nicht neu: „Die dritte
Phase des Kampfes gegen das Neue, nachdem die Anerkennung sich nicht
mehr verhindern läßt, besteht endlich in der Behauptung, es sei zwar
richtig, aber durchaus nicht neu. [...] Am besten kommt er (der
Entdecker oder Erfinder; G.B.) weg, wenn er rechtzeitig stirbt, denn
dann sind die anderen viel bereitwilliger, seine Leistung gelten zu
lassen“. Solche Einwände kommen oft von denen, die meinen, das
Fachgebiet selber gut genug zu beherrschen: „Als größtes Hindernis des
Fortschritts aber hat sich der Fachmann herausgestellt. Nicht jeder
Fachmann. Es gibt auch solche, deren Hingabe an den Fortschritt größer
ist als die Rücksicht auf jene kleinlich-egoistischen Erwägungen. Wo man
solcher Männer habhaft werden kann, darf man von ihnen ein objektives
Urteil über neue Gedanken und Tatsachen erwarten. Aber man darf sich
nicht verhehlen, daß die andere, engherzige Einstellung viel häufiger
vorkommt und selbst bei geistig sehr hochstehenden Menschen angetroffen
wird. Somit fährt man am sichersten, wenn man dem fachmännischen Urteil
um so mehr mißtraut, je größer der in Frage stehende Fortschritt ist
oder zu sein behauptet“ (Ostwald 1928, S. 42). Für uns ergibt sich
daraus die Notwendigkeit, Kritik aushalten zu können bzw. aushalten zu
lernen – unter der Voraussetzung, dass Kritik an Überlegungen nicht als
Kritik an Personen angesehen wird – was in praxi nicht nur gelegentlich
vorkommt, sondern häufig durchaus beabsichtigt ist. [...]
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort
7 Herbert
Hörz
Vorwort 9
Bernd Meier
Einführung: Die
Notwendigkeit der Permanenz technikphilosophischer Reflexion
15
1 Technik und Technikwissenschaften
23
-
Technikverständnis – Eine
unendliche Geschichte… [2015] 25
-
Technikwissenschaften –
Wissenschaften vom Machen [2014] 41
-
Was hat Technik mit
Toleranz zu tun? [2003] 69
-
„Nicht so exakt wie
möglich, sondern so genau wie nötig!“ – Das Einfachheitsprinzip in den
Technikwissenschaften [2011] 91
-
„Philosophie und Technik“ –
Drei (nicht nur) retrospektive Blicke [2008] 103
-
Wissenschaft und
Humanismus. Annäherungen – Herbert Hörz zum 75. Geburtstag – [2009]
123
-
Visionen der
Informationsgesellschaft – Gestern, Heute, Morgen [2008]
147
-
„Industrie 4.0“ –
Erwartungen und Entwicklungen in Deutschland. Die Sicht der
Technikfolgenabschätzung [2021] 169
2 Allgemeine Technologie 183
-
Johann Beckmann und die
Folgen. Allgemeine Technologie in Vergangenheit und Gegenwart [2001]
185
-
Der Beitrag der
interdisziplinären Technikforschung zur Weiterentwicklung der
Allgemeinen Technologie [2004] 201
-
Neues im Spannungsfeld von Methodik,
Heuristik und Kreativität [2015] 215
-
Kreativität im Rahmen der
Allgemeinen Technologie [2019] 231
3 Technik und Kultur 253
-
Technisches und
Kulturelles. Historisches und Aktuelles [2015] 255
-
Nachhaltigkeit als
Leitbild. Zu Interdependenzen von Nachhaltiger Entwicklung, Kultur und
Technik [2015] 275
-
Innovationskulturen – ein
neues Konzept? [2014] 299
-
Industrie 4.0 und Kultur
2.0 [2020] 309
4 Neue Medien und kulturelle
Diversität 321
-
Identität in der realen Welt und im Cyberspace – Chancen
und Gefahren [2006] 323
-
(Kulturelle) Identität,
Gemeinschaft und netzbasierte Kommunikation. Anmerkungen zur
Diskussion [2006] 339
-
Freiheit und Notwendigkeit
– Neue Medien und Nutzungsmuster [2017] 357
5 Risiko und
(Un-)Sicherheit 373
-
Herkunft und Anspruch der
Risikoforschung [1996] 375
-
Über den Umgang mit
Unbestimmtheit. Aktuelle Tendenzen [2020] 445
-
Im Fokus der
Sicherheitsforschung: Sicherheitskulturen [2011] 467
Erstveröffentlichungsnachweise
483
Über den Autor 485
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