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Dieser Band
enthält Vorträge, die auf oder zu Leibniz-Tagen der Leibniz-Sozietät
seit 1994 gehalten wurden. Der Leibniz-Tag wurde als öffentlicher
Festtag der Preußischen Akademie der Wissenschaften mit dem neuen Statut
im Jahr 1812 eingeführt. Er hatte folgende Aufgaben: - Der
Leibniz-Tag ist eine „Erinnerungsfeier“ (Waldeyer 1896, S. 731) und ein
„Ehrentag“ (Curtius 1885, S. 613): Es geht um „das Gedächtniss an ihren
geistigen Begründer und ersten Praesidenten“ (Waldeyer 1896, S. 731).
- Am Leibniz-Tag werden „die neuen Mitglieder an den Herd des Hauses
geführt“ (Curtius 1885, S. 613). - Der Leibniz-Tag dient „dem
Andenken an ihre in der Jahresfolge hingeschiedenen Mitglieder“ (Curtius
1885, S. 613), derer, „welche unserer Gemeinschaft entrissen sind“
(Waldeyer 1896, S. 731). - Der Leibniz-Tag ist sowohl „ein Tag
dankbarer Rückschau“ (Curtius 1885. S. 613) als auch – oder vor
allem – Gelegenheit, darauf zu dringen, „durchzuführen und
auszugestalten, was Leibniz vorausschauend entworfen hat“ (Curtius 1885,
S. 613). Bedingt durch die erste Aufgabe wurde der Leibniz-Tag dann
jeweils kurz vor oder nach dem 1. Juli jeden Jahres durchgeführt, d.h.
in unmittelbare Verbindung mit dem Geburtstag von Gottfried Wilhelm
Leibniz am 01. Juli 1646 gebracht. In seiner Ansprache zur Eröffnung
der Öffentlichen Sitzung zur Feier des Leibniz’schen Gedächtnistages am
2. Juli 1885 hebt Ernst Curtius einen weiteren wichtigen Gedanken
hervor: „Wir halten auch, je mehr die Arbeit sich theilt, um so
entschlossener an der Gemeinsamkeit fest, wie sie uns in der Person
unseres Gründers vorbildlich vor Augen steht“ (Curtius 1885, S. 613).
Mit anderen Worten: Spezialisierung in der wissenschaftlichen Arbeit
erfordert nicht nur den gedanklichen Austausch mit Vertretern anderer
wissenschaftlicher Disziplinen, sondern insbesondere das Zusammenführen
des durch „getheilte Arbeit“ Erhaltenen in einer Gelehrtengemeinschaft.
Vor allem mit Bezug zur vierten Aufgabe setzte es sich später durch, am
Leibniz-Tag einen Festvortrag zu halten, der durch seine Thematik sowohl
ein breites wissenschaftliches Spektrum berührt als auch für die
Öffentlichkeit von Interesse ist. Diese Tradition wurde von der
Nachfolgeeinrichtung der Preußischen Akademie der Wissenschaften, der
Deutschen Akademie der Wissenschaften in Berlin, die nach dem Zweiten
Weltkrieg mit dem SMAD-Befehl Nr. 187/46 am 1. Juli 1946, dem 300.
Geburtstag von Leibniz, eröffnet wurde, fortgesetzt. Diese wurde mit der
Akademiereform von 1972 zwar in Akademie der Wissenschaften der DDR
(AdW) umbenannt, der Leibniz-Tag als Ehrentag aber blieb. Die Abwicklung
der AdW als wissenschaftliche Institution führte 1993 zur Fortführung
ihrer Gelehrtengesellschaft auf vereinsrechtlicher Basis in Form der
Leibniz-Sozietät (seit 2007 „Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu
Berlin“). Damit blieb auch der Leibniz-Tag erhalten. Er findet
traditionell an dem Donnerstag statt, der dem 1. Juli am nächsten steht.
Anlässlich des Geburtstages ihres Namenspatrons werden vor der
Öffentlichkeit ein Bericht über Tätigkeit der Leibniz-Sozietät während
der vergangenen Sitzungsperiode gegeben, verstorbene Mitglieder
gewürdigt, neue Mitglieder vorgestellt – und: ein Festvortrag gehalten.
Seit ihrer Gründung im Jahr 1993 wurden auf den Leibniz-Tagen der
Leibniz-Sozietät folgende Festvorträge gehalten:
1993 Otto
Prokop: Wissenschaft und Okkultismus 1994 Conrad Grau:
Gelehrtengesellschaft und Forschungsgemeinschaft. Zur
Organisationsgeschichte der Akademien der Wissenschaften in Deutschland
im 20. Jahrhundert. Hubert Laitko: Betrachtungen
zum Problem akademiespezifischer Forschung 1995 Horst Klinkmann: Vom
Alles-oder-Nichts zum Möglichen – Perspektiven des künstlichen
Organersatzes 1996 Hans Heinz Holz: Leibniz und das commune bonum
1997 Conrad Grau: Akademie – Stadt – Wissenschaft Friedhilde Krause: Von
Mathurin Veyssiere de la Croze bis Adolf von Harnack: Mitglieder der
Gelehrtensozietät als Leiter der Bibliothek 1998 Elmar Altvater: Die
prästabilierte Harmonie, die unsichtbare Hand und die moderne
Globalisierung 1999 Friedhart Klix, Karl Lanius: Wege und Irrwege
der Menschenartigen 2000 Hubert Laitko: Theoria cum praxi – Anspruch
und Wirklichkeit der Akademie 2001 Jürgen Mittelstraß: Krise des
Wissens? Über Erosionen des Wissens- und Forschungsbegriffs, Wissen als
Ware, Information statt Wissen und drohende Forschungs- und
Wissenschaftsverbote 2002 Achim Müller: Chemie und Ästhetik 2003
Werner Ebeling: Selbstorganisation – Zur Entwicklung des Konzeptes und
neue Anwendungen 2004 Hans-Joachim Schellnhuber: Erdsystemanalyse und
Koevolution 2005 Gisela Jacobasch: Ernährung, Kolitis und
Krebsrisiko im Dickdarm 2006 Hermann Klenner: Juristenaufklärung über
die Gerechtigkeit 2007 Helmut Moritz: Das Internationale Jahr der
Geophysik 1957 und seine Folgen 2008 Hartmut Rudolph: Daniel Ernst
Jablonski und Gottfried Wilhelm Leibniz – Kirchen- und
akademiegeschichtliche Beobachtungen zur Frühaufklärung 2009 Karl
Lanius: Wandel im Weltbild der Physik 2010 Hans-Otto Dill: Kunst im
Kontext von Wissenschaft, Technik, Kultur und Kommerz 2011 Sabine
Müller: Künstliches Leben – Fluch oder Segen der Synthetischen Biologie
2012 Tom Rapoport: Kompartimentierung und Strukturierung biologischer
Zellen 2013 Herbert Hörz: Der schwierige Weg einer traditionsreichen
Wissenschafts akademie ins 21. Jahrhundert – 20 Jahre Leibniz-Sozietät
2014 Michael Decker: Autonome Technik – Autonomieverlust des Menschen? –
Technikzukünfte in der Diskussion 2015 Abdusalam Abdulkerimovich
Guseynov: Die religiös-sittliche Lehre von Leo Tolstoi 2016 Hartmut
Hecht: Individualität als Maß aller Dinge 2017 Ali Mehmet Celâl
Şengör: Erdbeben-Risiko und Geologie in Europa 2018 Ortwin Renn: Das
Risikoparadox: Wie nehmen Menschen Risiken und Gefahren wahr? 2019
Axel Kleidon: Was leistet die Erde und was trägt die Menschheit dazu
bei? Antworten aus der Thermodynamik des Erdsystems
Eine
beeindruckende inhaltliche Vielfalt. Fachübergreifend und
multiperspektivisch werden Ein- und Ausblicke aktueller Forschungen
vorgestellt. Behandelt werden Problemstellungen, die Prozesse
der(theoretischen) Gewinnung und der (praktischen) Umsetzung einer
wachsenden Vielzahl und Vielfalt wissenschaftlicher Erkenntnisse
umfassen. Das zielt auf Interdisziplinarität, d.h. auf jene Form
wissenschaftlicher Problembearbeitung, bei der erstens die Probleme und
Methoden komplexer Forschungsgegenstände oder -bereiche von jeweils
unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen formuliert und begründet und
zweitens die jeweiligen (Teil-)Erklärungen zu einem ‚ganzheitlichen‘
Verständnis der interessierenden Forschungsgegenstände und –bereiche
zusammengeführt werden (vgl. näher Banse/Fleischer 2011). Wissenschaft
interdisziplinär zu befördern und interdisziplinäre Diskussionen auf
hohem wissenschaftlichem Niveau zu führen ist vornehmstes Anliegen der
Leibniz-Sozietät. Mit dem vorliegenden Band der „Abhandlungen“
werden die Texte dieser Festvorträge aus mehr als 25 Jahren erstmalig
gemeinsam publiziert. Dabei wurde – soweit möglich – auf die
Erstveröffentlichungen zurückgegriffen. Leider gibt es von den Vorträgen
auf den Leibniz-Tagen 1993 (Prokop), 1995 (Klinkmann) und 2004
(Schellnhuber) keine gedruckten Versionen, und von den Vorträgen auf dem
Leibniz-Tag 2014 (Decker) und dem Leibniz-Tag 2017 sind nur
Präsentationsfolien verfügbar. Damit fehlen diese Vortragstexte leider
in diesem Band. Die vorliegende Publikation versteht sich zugleich
als Komplement zu der Zusammenstellung aller Reden der Präsidenten der
Leibniz-Sozietät auf den Leibniz-Tagen (vgl. Banse et al. 2018a). Sie
ermöglicht so einerseits einen weitergehenden Einblick in das
vielfältige Wirken der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften (vgl. auch
Banse et al. 2018b), andererseits in den enormen wissenschaftlichen
Erkenntniszuwachs, wenn man die Darlegungen in ihrer Entstehungszeit mit
dem Heute vergleicht.
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Dieser Band
wäre nicht möglich gewesen ohne die Unterstützung vor allem von Herrn
Georg B. Kaiser, BMB-BuchManufacturBerlin, der die nicht leichte Arbeit
des Konvertierens der ursprünglich zumeist nur als pdf-Dokumente
verfügbaren Texte sowie deren erste Bearbeitung übernommen hat. Dafür
herzlicher Dank. Der Herausgeber hat die Texte jedoch weitgehend in der
ursprünglichen Form gelassen (vor allem hinsichtlich Rechtschreibung,
Literaturverweisen und Literaturangaben) und nur wenig „formal“
vereinheitlicht. – Der Dank gilt auch Herrn Dr. Wolfgang Weist, trafo
Wissenschaftsverlag Berlin, bei dem die „formale“ Vereinheitlichung und
Gestaltung dieses Bandes wiederum in besten Händen lag. Last – but not
least – ist der Herausgeber dem Berliner Senat, insbesondere der
Abteilung Forschung der Senatskanzlei, zu Dank verpflichtet, denn ohne
dessen finanzielle Unterstützung wären die Drucklegung und der Druck
dieses Bandes, der einen kleinen Einblick in das inhaltliche Wirken des
Leibniz-Sozietät gibt, in der realisierten Art möglich gewesen.
Literatur Banse, G.; Fleischer, L.-G. (Hg.) (2011): Wissenschaft
im Kontext. Inter- und Transdisziplinarität in Theorie und Praxis.
Berlin (Abhandlungen der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften, Bd. 27)
Banse, G.; Herrmann, D. B.; Hörz, H. (Hg.) (2018a): 25 Jahre
Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin. Reden der Präsidenten auf
den Leibniz-Tagen 1993-2017. Berlin (Abhandlungen der Leibniz-Sozietät
der Wissenschaften, Bd. 50) Banse, G.; Küttler, W.; Rothe, H.-J.
(Hg.) (2018b): 25 Jahre Leibniz-Sozietät – Vielfalt des
wissenschaftlichen Lebens 1993 bis 2018. Beiträge und Materialien.
Berlin (Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften, Bd.
137) Curtius, E. (1885): Ansprache zur Eröffnung der Öffentlichen
Sitzung zur Feier des Leibniz’schen Gedächtnistages am 2. Juli 1885. In:
Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften
zu Berlin, Bd. 1885/XXXIII, S. 613-619. – URL:
https://archive.org/details/sitzungsberichte1885deutsch Harnack, A.
von (1900): Geschichte der Königlich Preussischen Akademie der
Wissenschaften zu Berlin. Erster Band – Zweite Hälfte. Berlin. – URL:
https://warburg.sas.ac.uk/pdf/nba150b2752334A2.pdf Waldeyer, W.
(1896): Ansprache zur Eröffnung der Öffentlichen Sitzung zur Feier des
Leibnizschen Jahrestages am 2. Juli 1896. In: Sitzungsberichte der
Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Bd.
1896/XXXIII, S. 731-736. – URL: https://archive.org/details/sitzungsb
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