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Die Geschichte des Ersten Weltkriegs und andere
Themen der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts wurden erst nach dem
Ende des Zweiten Weltkriegs in das Arbeitsprogramm derHistorischen
Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften aufgenommen.
Unter den nach 1945 amtierenden Kommissionspräsidenten – zunächst Walter
Goetz, dann Franz Schnabel – wurde vor allem das Forschungsprogramm der
Abteilung „Deutsche Geschichtsquellen“ erweitert. Man weitete sie nun auch
auf das 20. Jahrhundert aus und wollte mit Themen wie „Erster Weltkrieg“
und „Weimarer Republik“ bewusst auch einen Beitrag zur Vorgeschichte des
Nationalsozialismus leisten. Walter Goetz sprach in diesem Zusammenhang
von einer großen Verpflichtung, die die Kommission auch wegen der
NS-Belastung ihrer früheren Mitglieder wie dem zuletzt als Präsident
amtierenden Heinrich Ritter von Srbik und dessen Sekretär Karl
Alexander von Müller zu leisten habe. In den folgenden Jahren blieb man
in der Historischen Kommission zwar hinter den ehrgeizigen Zielen zurück,
die man sich anfangs gesteckt hatte. Das lag zum Teil an personellen, vor
allem aber auch an finanziellen Schwierigkeiten. Hinzu kam, dass neue
Institutionen wie das „Institut für Zeitgeschichte“ und die „Kommission
für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien“ mit
größerer Ausstattung zentrale Themenfelder der deutschen Geschichte des
20. Jahrhunderts bearbeiteten. Aber auch wenn die Abteilung „Deutsche
Geschichtsquellen“ nur in bescheidenerem Umfang fortgesetzt wurde, konnte
sie bald schon wichtige Erfolge aufweisen. Die Arbeit der Abteilung
konzentrierte sich auf die Sichtung und Edition von Nachlässen bedeutender
Persönlichkeiten. Hier lag sozusagen ein Alleinstellungsmerkmal der
Historischen Kommission im Vergleich zu anderen Einrichtungen zur
Erforschung des 19. und 20.°Jahrhunderts. Ludwig Dehio, nach 1945
Staatsarchivdirektor in Marburg und 1946 als politisch unbelasteter
Historiker in die Historische Kommission gewählt, hat damals die Erfassung
von Privatpapieren als wichtige Aufgabe archivalischer und
historiographischer Arbeit bezeichnet. Er schrieb: „Die privaten
Papiere erlangen ... im Verhältnis zu den staatlichen Akten eine weit
höhere Bedeutung als bisher. Über wie vieles schweigen die Akten, wo sie
erhalten sind – über die Psychologie des Erlebens stets.“
Was nun
den Ersten Weltkrieg und seine Folgen betrifft, so sind in der Reihe der
deutschen Geschichtsquellen seitdem zahlreiche Bände erschienen, die aus
den Nachlässen einflussreicher Persönlichkeiten erarbeitet worden sind. So
hat die Kommission auf Anregung des damaligen Bundespräsidenten Heuss
schon 1957, also deutlich vor der Fischer-Kontroverse, über eine Edition
der Riezler-Tagebücher verhandelt. Sie führten zu der 1972 von Karl
Dietrich Erdmann vorgelegten Edition, die allerdings wegen Zweifel an der
Authentizität der Eintragungen nicht unumstritten blieb. Bereits 1957
waren die Lebenserinnerungen von Wilhelm Groener als 42. Band der
Geschichtsquellen erschienen. 1971 folgte ein Band „Von Brest-Litowsk zur
deutschen Novemberrevolution“, der Auszüge aus Tagebüchern, Briefen und
Aufzeichnungen von Alfons Paquet, Wilhelm Groener und Albert Hopman
enthielt. Die von Bernd Sösemann herausgegebenen Tagebücher von Theodor
Wolff, die von Johannes Hürter vorgelegte Edition zu Paul von Hintze,
Theodor Hampes Kriegstagebuch, die von Holger Afflerbach vorgelegten
Quellen aus der militärischen Umgebung von Kaiser Wilhelm II. oder auch
die von Gottfried Niedhart edierten Tagebücher und Briefe des
deutschjüdischen Historikers Gustav Mayer zeigen, dass die Zeit des Ersten
Weltkriegs und seine Folgen seit einigen Jahren in der Reihe der deutschen
Geschichtsquellen eine immer größere Beachtung gefunden haben. Das von
Ihnen, Herr Zilch, initiierte Projekt über Gottlieb von Jagow ist ein
weiterer wichtiger Baustein zu diesem Forschungsfeld. Jagow ließ
bekanntlich schon im August 1914 als Staatssekretär des Auswärtigen Amtes
Vorbereitungen „für den bevorstehenden Kampf der Meinungen“ um die
Kriegsschuldfrage treffen und spielte in der Zeit der Weimarer Republik in
den geschichtspolitischen Auseinandersetzungen über die Ursachen des
Weltkrieges eine wichtige Rolle. Die Relevanz des Themas kommt nicht
zuletzt durch die Förderung der DFG zum Ausdruck. Als ein ansonsten im 18.
und 19. Jahrhundert tätiger Historiker muss ich vor diesem Kreis
ausgewiesener Experten die Bedeutung der Kriegsschulddebatten für die
politische Kultur der Weimarer Republik nicht näher ansprechen. Wie
emotional die Debatte über die Kriegsschuldfrage geführt wurde und welche
Breitenwirkung sie besaß, ist mir selbst vor wenigen Tagen nochmals
deutlich geworden, als mir beim Umzug unter einem Stapel von alten Büchern
und Broschüren ein „Taschenbuch zur Kriegsschuldfrage“ in die Hände fiel.
Es wurde unter dem Titel „Anklage und Widerlegung“ vom Arbeitsausschuss
Deutscher Verbände herausgegeben, der 1921 mit der Aufgabe gegründet
worden war, sich mit dem im Versailler Vertrag festgehaltenen Vorwurf der
deutschen Kriegsschuld auseinanderzusetzen und ihn zu widerlegen. Die
Auflage von 1928 lag bei 120.000, erreichte damit aber noch lange nicht
den Umfang anderer kürzerer Broschüren. 1931 folgte dann eine zweite
Auflage, mit der die Opposition gegen den Versailler Vertrag gestärkt
werden sollte. Im Vorwort des Herausgebers hieß es:#
„Der
Widerlegung der Versailler Anklagen dient alle deutsche Aufklärungsarbeit,
die jedem Deutschen durch Vermittlung des notwendigen Wissens die
Fähigkeit geben will, den Verleumdungen entgegenzutreten.“
Für
dieses Ziel arbeitete auch Gottlieb von Jagow. Sein Engagement in dieser
Frage lag auf einer anderen Ebene, war aber, wie wir noch hören werden, in
vielfacher Hinsicht ein zentrales Element in den Auseinandersetzungen um
den Kriegsschuldparagraphen.
Inhaltsverzeichnis
Hans-Werner Hahn: Die
Jagow-Edition und die ‚Deutschen Geschichtsquellen des 19. und 20.
Jahrhunderts‘
7
Reinhold Zilch: Gottlieb von Jagow und die Kriegsschuldfrage
1918 bis 1935 Forschungsfragen und bisherige Ergebnissen des
DFG-Projekts
13
Gerd Fesser: Exkanzler Bernhard Fürst von Bülow und
Staatssekretär Gottlieb von Jagow – zu Feinden geworden
29
Hartwin Spenkuch: „Der einzige deutsche Staatsmann, der aktiv
darum bemüht war, den Ausbruch eines Krieges zu verhindern“ – Karl
Fürst Lichnowsky, Gottlieb von Jagow, das Hoffen auf Englands
Neutralität 1912–1914 und die Kriegsschuldfrage
43
Gerd Krumeich. Die
Kriegsschulddiskussion im Schatten von Versailles 1919–1933
63
Jakob Müller. Gottlieb von Jagow und die Kriegsschuldfrage in
Belgien
77
Piotr Szlanta. Polen, die Kriegsschuldfrage und Gottlieb von
Jagow
91
Christian Lüdtke: Hans Delbrück und Gottlieb von Jagow – ein
vernunftgeleiteter und ein persönlich motivierter Zugang zur
Kriegsschuldfrage
103
Martin Kröger. Die archivische Überlieferung zur
Kriegsschuldfrage im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts
117
Autoren
129
Personenverzeichnis (bearbeitet von Jakob Müller)
131
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