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Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands
gegen die Ukraine hat eine lange Vorgeschichte. Er begann mit dem Ende des
Kalten Krieges und der Osterweiterung der NATO ab 1997. Der
US-amerikanische Diplomat George F. Kennan (1904–2005) hatte als
ehemaliger Architekt der Eindämmungspolitik gegenüber der UdSSR schon am
5. Februar 1994 in „The New York Times“ davor gewarnt: „Die
Nato-Erweiterung wäre der folgenschwerste Fehler der amerikanischen
Politik seit dem Ende des Kalten Krieges. Denn es ist damit zu rechnen,
dass diese Entscheidung nationalistische, antiwestliche und
militaristische Tendenzen in der russischen Öffentlichkeit schürt, einen
neuen Kalten Krieg in den Ost-West-Beziehungen auslöst …“ Auch die
Zustimmung zur Einbeziehung des geeinten Deutschlands in die NATO war mit
der Zusage verbunden, die NATO nicht nach Osten auszuweiten.
Über diese Hintergründe
zu reden, wurde in Deutschland nach der Ende Februar 2022 vom
Bundeskanzler Scholz verkündeten „Zeitenwende in der Geschichte unseres
Kontinents“ tabuisiert.
Auch die Optionen gegen Waffenlieferungen und
für einen Waffenstillstand sowie Friedensverhandlungen als Verpflichtung
des Grundgesetzes nach den zwei von Deutschland ausgelösten Weltkriegen,
die auch das Kapitel der Massenmorde an Millionen von Menschen in der
Ukraine enthält, fielen unter dieses Tabu.
An diesen Morden beteiligten sich ab Juni 1941
auch Mitglieder der Organisation ukrainischer Nationalisten (OUN) um
Stepan Bandera. Noch heute werden ihm Denkmäler in der Ukraine gewidmet,
selbst am Denkmal der Judenverfolgung mit mehr als 30.000 ermordeten
Menschen in Baby Yar. Seit 2015 trägt Bandera den Ehrentitel „Held der
Ukraine“. Und das wohl auch, weil die OUN von Bandera und Melnyk schon
1918 an dem Bürgerkrieg der ukrainischen Separatisten gegen Russland
beteiligt war.
Das komplizierte Tauziehen um die Selbständigkeit oder Zugehörigkeit der
Ukraine zu Russland im Gefolge des I. Weltkrieges endete 1922 mit dem Sieg
prorussischen Kräfte. Die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik wurde
offiziell Teil der neu gegründeten Sowjetunion.
Vor diesem Hintergrund
überrascht es nicht, dass die fortexistierende nationalistische und
antisemitische OUN von Bandera und Melnyk das Oberkommando der Deutschen
Wehrmacht im Juni 1941 erneut als Befreier von der sowjetischen
Zwangsherrschaft begrüßte, sich an der Deportation und Erschießung der
Juden beteiligte. Bandera rief am 30. Juni 1941 in Lemberg den
unabhängigen ukrainischen Nationalstaat aus und trug so mit dazu bei, dass
der Holodomor Stalins den Holocaust von Hitler in der Ukraine immer mehr
verdrängte. In
diesem Buchprojekt geht es darum, aus den Fehleinschätzungen der
Vergangenheit zu lernen. Das scheint auch vor dem Hintergrund des 75.
Jahrestages der 12 Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse von 1947/48 gegen
die Eliten des NS-Systems als besonders geboten. Und einer der wichtigsten
damalige Hauptkriegsschauplatz war – wie heute – die Ukraine.
Inhaltsverzeichnis
Teil I:
Vom „Russischen Brotfrieden“ 1918 zu den Folgen
des deutschen
Überfalls auf die UdSSR am 22. Juni 1941 und des Angriffskrieges
Rußlands gegen die Ukraine ab
24. Februar 2022 } 9
1.
„Eskalation mit Ansage“ nach „verhängnisvollen Fehlern“ ab 1990 (George
F. Kennan) 9
2. Charkow 2015 – friedlich und bunt, aber
auch kontrastreich 15
2.1 Eine Vergangenheit, die nicht vergeht,
auch wenn man sie verdreht 18
3. Die Ukraine als „Mitteleuropäisches Reich
deutscher Nation“ (Riezler 1915) 25
3.1 Zu den historischen Hintergründen der von
Deutschland im 20. Jahrhundert entfesselten Kriege und zur Beteiligung
deutscher
Handelshäuser und Niederlassungen an den Raubzügen in der Ukraine und
auf der Krim 25
3.2 „Frieden“ der Obersten Heeresleitung der
Mittelmächte mit Sowjetrussland am 3. März 1918 und die Folgen für
Industrie,
Handelskapital und Arbeiterbewegung 28
3.3 Exkurs 35
4. Deutsche Handelshäuser und Niederlassungen
ab 1941/42 erneut auf Raubzügen in der Ukraine und auf der Krim
39 4.1 Exkurs
46
Teil II: Die
Nürnberger Nachfolgeprozesse gegen die Eliten des NS-Systems als ein
politisches Lehrstück zur Verurteilung von Kriegsverbrechen auch
heute 55
1. Vom Goten-Mythos
der NS-Führungsspitze auf der Krim zur Aufarbeitung der Kriegsverbrechen
in der Ukraine im Rahmen
der „Nürnberger Gespräche“ von 1985–1992
55 2. Zur
Aufarbeitung der Kriegsverbrecherprozesse im Nürnberger Bildungszentrum
57 3. Resümee zu
den zitierten Untaten der verantwortlichen Generäle 62
4. Zum Versuch, weiße Flecken in der Forschung
im Rahmen der Geschichtswerkstatt des kommunalen Bildungszentrums der
Stadt Nürnberg
(BZ) aufzuarbeiten 69
4.1 Die Aufarbeitung in Nürnberg führte zu
öffentlichen Auseinandersetzungen 73
5. „Der Dolch des Mörders unter der Robe des
Juristen“ – Zum Projekt einer Edition der zwölf Nürnberger
Nachfolgeprozesse durch das Bildungszentrum der Stadt Nürnberg in
Zusammenarbeit mit Raul Hilberg, Robert M.W. Kemper, Manfred
Messerschmidt u.a. 74
6. Von der Fata Morgana einer besseren
deutschen Republik 93
6.1 Resümee zum Nürnberger
Veranstaltungskomplex von 1985–1992 93
Teil III: Fortsetzung der Aufarbeitung von
Kriegsverbrechen der IG Farben in Auschwitz und der Todesmärsche nach
Ahrensbök in
Holstein 117
1.
Auschwitz-Fürstengrube ein „Erholungslager“? Ein anderer Blick auf die
NS-Täter mit dem Bundesverdienstkreuz unter Rückgriff
auf den Nürnberger
Nachfolgeprozess gegen die IG Farben von 1947/48 117
2. Der Frankfurter Auschwitz-Prozess von 1963
bis 1965 als Beginn einer neuen Aufklärung über NS-Verbrechen und die
Gefahr der
„Entsorgung“ der NS-Vergangenheit nach 1989/90 133
3. Oral History-Projekte zur Aufklärung über
NS-Verbrechen 137
Teil IV: „Die ganze Sache hat nur etwa drei
Tage gedauert“: Zur Erschießung von 40.000 jüdischen Frauen und Kindern
Anfang Dezember
1941 in Riga 140
Pressebericht vom
19.10.2000 im „Aufbau“ (NYC) über Projekte und Gespräche mit Zeitzeugen
und Auschwitzüberlebenden in den
USA – ergänzt um Erinnerungen an 9/11 2001 in
NYC 171
Literaturhinweise
179
Anhang Faksimile des Buches [1941] „
Bilderduden für Soldaten, deutsch – russisch – ukrainisch. Tornisterheft
des Oberkommandos
der Wehrmacht Abt. Inland Heft 50
185
Über den Autor 255
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