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Friedliche Revolution und deutsche Vereinigung 1989 bis 2017.
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2018, 702 S., zahlr. Tab. und Grafiken, davon 240 farb., ISBN 978-3-86465-168-8, 88,80 EUR
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Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkungen
1 Friedliche Revolution - deutsche Vereinigung - 1989 bis 2017 1.1 Aufbruch und Umbruch 1.1.1 Aufbruch in eine neue Zukunft - die friedliche Revolution 1989/1990 1.1.2 Die Positionen der Bürger bis in die Gegenwart 1.2 Einheit 1.2.1 Stand der Vereinigung aus Sicht der Bürger 1.2.2 Gewinne - Verluste 1.2.3 Angleichung ohne Ende ?! 1.2.3.1 Vorgaben und Ergebnisse 1.2.3.2 Angleichungstermine der Politik im Wandel 1.2.3.3 Angleichung - Positionen der Bürger 1.2.3.4 Angleichungshorizonte der Bürger 1.2.3.5 Zum Stand der Angleichung 1.2.3.6 Es geht vorwärts, aber die „Lücke“ bleibt 1.2.4 Hoffnungen und Erwartungen 1.2.4.1 Die Erwartungen der Bürger 1.2.4.2 Erwartungen in den einzelnen Lebensbereichen 1.2.4.3 Sorgen und Ängste vor dem Alter 1.3 Die neuen Bundesbürger 1.3.1 Die Erfindung der „Ostdeutschen“ 1.3.2 Identifikation der Bürger der neuen Bundesländer 1.3.3 Regionale Verbundenheit
2 Allgemeine Lebenslagen 2.1 Zufriedenheit 2.1.1 Persönliche Lebenszufriedenheit 2.1.2 Zufriedenheit nach Lebensbereichen 2.2 Wirtschaftliche Lage der Bürger 2.2.1 Wirtschaftliche Situation 1989/1990 2.2.2 Wirtschaftsentwicklung 1989/1990 bis zur Gegenwart 2.2.3 Bewertungen der individuellen wirtschaftlichen Lage seitens der Bürger´1990 bis 2017 2.2.4 Bedürfnisbefriedigung 2.2.5 Wirtschaftliche Erwartungen 2.3 Einkommen 2.3.1 Individuelles Einkommen 2.3.2 Haushaltseinkommen 2.3.3 Altersrente - Alterseinkommen 2.3.3.1 Rentenentwicklungen 2.3.3.2 Alterseinkommen 2.3.4 Ausgaben/Ausstattung/Verbrauch 2.3.5 Vermögen/Sparen/Erben 2.4 Armutsentwicklungen 2.4.1 Armut - unterschiedliche Betrachtungen 2.4.2 Armut in Deutschland
3 Der demografische Wandel 3.1 Bevölkerungsentwicklung in Deutschland - eine Bedrohung? 3.2 Die Zahl der Bürger nimmt ab - zu wenig Kinder 3.3 Familie - Partnerschaften 3.4 Die Lebenserwartung steigt - der Osten altert schneller 3.5 Die neuen Alten 3.5.1 Zwei Alter in Deutschland?! 3.5.2 Aktiv bis ins hohe Alter 3.6 Die „Kinder“ gehen - Abstimmung mit den Füßen
4 Lebensbereiche 4.1 Wohnen 4.1.1 Wohnbedingungen und -zufriedenheit 4.1.2 Mieten - Wohngeld - Obdachlosigkeit 4.1.3 Infrastrukturen und Wohnen 4.2 Arbeit - Arbeitslosigkeit 4.2.1 Erwerbstätigkeit 4.2.1.1 Stellenwert von Erwerbsarbeit 4.2.1.2 Entwicklung der Erwerbstätigkeit 4.2.1.3 Normalarbeitsverhältnisse auf niedrigem Niveau stabil 4.2.1.4 Erwerbsarbeit von Frauen im Osten 4.2.2 Erwerbsarbeit älterer Arbeitnehmer/-innen 4.2.3 Arbeitslosigkeit 4.3 Gesundheit 4.3.1 Neustrukturierung des Gesundheitswesens nach 1990 4.3.1.1 Die Ausgangssituation 1990 4.3.1.2 Die Übernahme des bundesdeutschen Systems 4.3.2 Zufriedenheit mit dem Gesundheitswesen 4.3.3 Krankenversicherung 4.3.4 Gesundheitszustand - Morbidität 4.3.5 Pflege 4.3.5.1 Pflegebedarf 4.3.5.2 Exkurs: Familiäre Pflegebereitschaft (2011) 4.4 Umwelt 4.4.1 Zur Umweltsituation und -problemen in der DDR 4.4.2 Umweltbewertungen der Bürger - Umweltentwicklungen nach 1990
5 Integration - kulturelle Integration 5.1 Kulturelle Integration 5.1.1 Ostkultur? 5.1.2 Der Westen holt auf 5.1.3 Kultur im Alltag 5.2 Werte 5.2.1 Grundwerte - Freiheit vs. soziale Sicherheit? 5.2.2 Wertestrukturen 5.3 Gleichstellungsvorsprung - Gleichstellungsrückstand 5.3.1 1989/1990 - Zeit des Auf- und Umbruchs 5.3.2 Der Gleichstellungsvorsprung geht verloren 5.3.3 Die Bewertung der Entwicklung - Frauen Ost/West (2010/2014) 5.3.4 Frauen in Leitungsfunktionen 5.4 Menschen mit Behinderungen 5.5 Freizeit 5.5.1 Reisen 5.5.2 Sport 5.5.3 Kleingartenwesen 5.6 Weltanschauliche Bindungen 5.7 Multikulturell - ausländerfeindlich?
6 Soziale Integration 6.1 Für den Erhalt des Sozialstaates 6.2 Sozialunion 6.3 Sozialstrukturen 6.3.1 Subjektive Schichtzuordnung 6.3.2 Bildungs- und Erwerbsstrukturen 6.4 Soziale Sicherheit 6.4.1 Zufriedenheit und Erwartungen 6.4.2 Finanzielle Grundlagen sozialer Sicherheit 6.5 Soziale Entwicklung zwischen Auf- und Abstieg 6.6 Kommunale Daseinsvorsorge 6.7 Die Ostdeutschen und die Europäische Sozialunion
7 Politische Integration 7.1 Politisches Interesse - Demokratiezufriedenheit 7.2 Wahlen alleine reichen nicht 7.3 Bürgerschaftliches Engagement 7.3.1 Entwicklungen gesellschaftlicher Aktivitäten seit 1989 7.3.2 Gewerkschaften 7.3.2.1 Haltung zu den Gewerkschaften - DDR 1989/1990 7.3.2.2 Soziale Strukturen der Gewerkschaftsmitglieder 7.3.3 Sozial- und Wohlfahrtsverbände 7.3.4 Exkurs: Volkssolidarität 7.3.4.1 Die Entstehung der Volkssolidarität - 1945 bis 1949 7.3.4.2 Die Neustrukturierung der Volkssolidarität - 1949 bis 1960 7.3.4.3 Verband zur Wahrung von Lebensqualität - 1960 bis 1989 7.3.4.4 Von der Massenorganisation zum Sozial- und Wohlfahrtsverband - 1989 bis 2016 7.4 Parteien 7.4.1 Entwicklung - Strukturen 7.4.2 Exkurs: Rechtsextremismus (2006) 7.5 Institutionenvertrauen
Verzeichnisse Tabellenverzeichnis Abbildungsverzeichnis Literaturverzeichnis Inhaltsverzeichnis des Zusatzbandes „Ergänzende Beiträge“ Über den Autor
Vorbemerkungen (Auszug) Mehr als fünfundzwanzig Jahre sind seit den historischen Ereignissen des Herbstes 1989 im Osten Deutschlands und der darauf beruhenden Vereinigung 1990 vergangen. In diesem Zeitraum löste sich das sozialistische Staatenbündnis auf und es wurde die EU gegründet. Der kalte Krieg fand kurzzeitig ein Ende, inzwischen erleben die Menschen seinen Neubeginn, Terrorismus und „Glaubenskriege“ begründen neue Bedrohungen, mit alten Klischees werden alte Feindbilder renaturalisiert. Millionen Menschen sind auf der Flucht, ohne sicher zu sein, irgendwo irgendwann eine neue Heimat zu finden oder zumindest zeitweilig gleichberechtigt aufgenommen zu werden. Eine zunehmende Zahl von Naturkatastrophen reflektiert ein weiter abnehmendes ökologisches Gleichgewicht weltweit. Aus der Mark der DDR wurde die DM und aus dieser der Euro. Die Einkommen stiegen, ebenso wie Preise und Mieten, die Renten wurden erst schnell erhöht, dann langsamer und manche Jahre gar nicht, inzwischen wird wieder zugelegt, denn jede Rentnerstimme zählt. Computer, Internet, Handy, iPad und Smartphone wurden Normalität in der Mehrheit der Haushalte in Ost wie West und wirken längst nicht mehr abschreckend - das digitale Zeitalter hält Einzug. 27 Jahre sind - historisch gesehen - ein Wimpernschlag in der Menschheitsgeschichte, und doch ist seitdem für Millionen von im Osten Deutschlands lebenden Menschen nicht nur durch den friedlichen Aufstand der Bürger die Mauer von Ost nach West eingestürzt worden, ist nicht nur über ein Vierteljahrhundert vergangen, sondern es wurde eine neue Generation geboren, die in das neue vereinte Deutschland hineinwuchs und für die ein in zwei rechtlich selbstständige deutsche Staaten geteiltes Deutschland mehr eine Zeit betrifft, welche sie nur aus den Erzählungen ihrer Eltern oder Großeltern sowie mehr oder weniger einseitigen medialen Darstellungen des Lebens „im Osten“ kennen. Die damalige Generation der Kinder und Jugendlichen ist ins Erwachsenenalter gekommen und hat ihren Platz in der neuen Gesellschaft eingenommen. Wenn auch nicht mehr zwei Staaten angehörend, konnte die Unterschiedlichkeit des Lebens in zwei „Teilgesellschaften“ Deutschlands, trotz steigender Wirtschaftsleistung und Einkommen, bis in die Gegenwart nicht überwunden werden. Das Jahr 1989 und die ersten Monate 1990 mit den Aktionen der Bürger der DDR stellen eine einmalige historische Leistung in der deutschen Geschichte dar. Es war im Osten Deutschlands eine Periode des demokratischen Aufbruchs, die erfolgreich und visionär, wenn auch von kurzer Dauer war. Es war eine , wenn auch unvollendete, „friedliche Revolution“ für die Einen und die „Wende“ für die Anderen - auch wenn die Begriffe umstritten sind - die mit ihren durch Massendemonstrationen unterstützten Forderungen, mit ihren parteienübergreifenden 'Runden Tischen', mit ihrem Willen zur Selbstbestimmung, zunächst Reformen einforderte und zugleich die Voraussetzungen für die politische Einheit Deutschlands schuf und letztlich erzwang. Diese Zeit des demokratischen Umbruchs, ihrer Gewaltlosigkeit und Streitkultur, ist und bleibt eine „Sternstunde der Demokratie“ und bürgerschaftlichen Engagements auf deutschem Boden. Es war die kurze Zeit umfassenden demokratischen Zusammenwirkens reformbereiter Kräfte, in der zu lösende Sachfragen und nicht Machtinteressen von Parteien oder Politikern im Mittelpunkt standen. Die „friedliche Revolution“ endete - unvollendet und unblutig - im Frühjahr 1990 und führte in eine halbjährige repräsentative Demokratie des Übergangs, die mittels westlicher Vorgaben die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion der beiden deutschen Staaten vorbereitete und den Beitritt der neuen Bundesländer zur Bundesrepublik für den 3. Oktober beschloss. In keinem Jahr nach 1945 - in dem die Vorstellungen auf Frieden und „nie wieder Krieg“ alles dominierten - waren die Hoffnungen und Erwartungen an ein menschenwürdiges, den Wohlstand aller verbesserndes Leben im heutigen Gebiet der neuen Bundesländer wieder so groß wie in den Jahren 1989/90. Der mehrheitlich gewünschte gesellschaftliche Umbruch führte zu Hoffnungen auf sich nicht nur ändernde, sondern verbessernde Lebensverhältnisse und zunächst weniger zu Befürchtungen über die weitere Entwicklung. Dabei ging es den DDR-Bürgern keineswegs nur um den Zugang zur DM, sondern um Erwartungen, die über materiellen Wohlstand hinaus auch Gerechtigkeit und Chancengleichheit sowie eine nachhaltige soziale Sicherheit und Freiheit gewährleisten sollten. ... Nicht zuletzt bedürfen auch die Leistungen der Ostdeutschen in den letzten mehr als 25 Jahren der besonderen Würdigung. Sie realisierten vor allem den seit 1990 bis in die Gegenwart keineswegs abgeschlossenen Vereinigungsprozess mit all seinen positiven, aber zum Teil auch weniger positiven Wirkungen für das Leben vieler Menschen. Nicht zu übersehen, dass ein nicht unbedeutender Teil der Bürger aus den neuen Ländern dies in den vergangenen Jahren durch eine historisch einmalige hohe berufliche und territoriale Mobilität individuell für sich gelöst hat. Weit über die Hälfte der heute 40-Jährigen haben durch Berufswechsel sich den veränderten Wirtschaftsstrukturen angepasst, junge Menschen sind in schmerzhaften Größenordnungen in die alten Bundesländer abgewandert. Speziell diese letzte Phase bis in die Gegenwart betrachtend lässt sich aus Sicht der Bürger der neuen Bundesländer, aus ihren Positionen und Bewertungen, aus ihrem Denken und Handeln über 25 Jahre feststellen: Erstens: Das Leben wurde anerkanntermaßen reicher und vielfältiger, der Reichtum Weniger nahm ebenso zu wie die Armut Vieler. Die Bürger der neuen Länder erlebten neue Freiheiten und neue Verunsicherungen, Von der Mehrheit der Bürger werden die erreichten Veränderungen seit 1990 anerkannt, es gibt insgesamt eine hohe allgemeine Lebenszufriedenheit im Osten wie im Westen Deutschlands. Dass es dabei unterschiedliche Wertungen einzelner sozialer Gruppen ebenso gibt wie zwischen einzelnen Lebensbereichen ist normal ebenso wie zustimmende und kritische Positionen zum Erreichten. Es ist jedoch immer wieder hervorzuheben, dass es „die“ unzufriedenen Ostdeutschen ebenso wenig wie „die“ zufriedenen gibt. Den nach 1990 erreichten „Wohlstandsgewinnen“ stehen gleichermaßen sowohl beim Einzelnen als auch insgesamt „Wohlstandsverluste“ gegenüber. In den vergangenen mehr als 25 Jahren vollzogen sich in Ostdeutschland Angleichungen mit zum Teil gegensätzlichen Trends: Neben Bevölkerungsrückgang stehen steigende Lebenserwartung und verlängertes aktives Seniorendasein, neben Einkommenszuwächsen stehen sinkende Rentenzahlbeträge der Neurentner und zunehmende Armutsgefährdungen, neben sinkenden Schülerzahlen stehen steigende Zahlen von Hochschulabsolventen, neben zunehmender Erwerbstätigkeit gibt es einen Trend zu mehr Teilzeit- und prekärer Beschäftigung und viele weitere Prozesse, auf die in den nachfolgenden Sachkapiteln einzugehen sein wird. Wenn immer wieder festgestellt wird, dass sich das Leben seit 1990 deutlich verbessert hat, dass es den Ostdeutschen inkl. den Rentnern noch nie so gut ging wie gegenwärtig, so ist dem sicher zuzustimmen und zugleich nachzufragen, ob es denn nicht sollte? Was für eine plakative Aussage, dass es „den Menschen“ gegenwärtig besser geht als 1990. Sicher ist das Versprechen von Helmut Kohl: „Niemandem soll es schlechter gehen“ eingelöst, wobei das nach mehr als 25 Jahren sicher auch erwartet werden kann. Wenn gesagt wird: „Es geht Ostdeutschland sogar besser als Griechenland, als Polen und Ungarn“3, dann zeigt das mediale Borniertheit - den DDR-Bürgern ging es auch seinerzeit schon besser als den Griechen, den Polen oder Ungarn - was soll‘s. Aus einer durchschnittlich 40-prozentigen Angleichung der wichtigsten Indikatoren im Jahr 1990 ist bis 2017 eine 80-prozentige geworden - es wurde also weder „überholt noch eingeholt“. In den vergangenen 27 Jahren wurde nicht nur ein stabiles Fundament der erreichten Fortschritte, sondern auch Bedingungen regionaler und sozialer Ungleichheit geschaffen, welche den Osten Deutschlands bislang weder attraktiv als Wirtschaftsstandort für andere Länder noch als Zielgebiet für Zuwanderung bzw. Flucht aus den unterschiedlichsten Regionen der Welt - bei unterschiedlichsten Motiven - machen. Hervorhebenswert und nicht zu übersehen ist aber auch, dass sich in den letzten Jahren zugleich erfreuliche Angleichungen des Westens an den Osten vollzogen haben, obwohl diese von offizieller Seite nie als solche gekennzeichnet werden. Hier wären zu nennen: • die positive Entwicklung des Erwerbsverhaltens von Frauen im früheren Bundesgebiet; • die veränderten Positionen zur frühkindlichen außerfamiliären Erziehung und der Vereinbarkeit von Beruf und familiären Pflichten; • die Akzeptanz der Vielfalt familiärer Lebensformen, • aber auch das Verständnis von Konfessionslosigkeit als Ausdruck von Religionsfreiheit. Es ist also doch mehr von der DDR geblieben als das Ampelmännchen, Rotkäppchen-Sekt und der Song „Über 7 Brücken musst Du gehen“ von der DDR-Gruppe „Karat“. Zu Recht bewerten die Bürger der alten Bundesländer ihre wirtschaftliche Situation besser als die Ostdeutschen, sind sie mit ihrem Leben alles in allem zufriedener, denn dies reflektiert einfach die reale Unterschiedlichkeit der Lebensverhältnisse. Eine vorhandene Unzufriedenheit der Ostdeutschen mit der noch nicht erreichten Angleichung kann mehrheitlich auch nicht mit „Ostalgie“ oder „ostdeutscher Larmoyanz“ gekennzeichnet werden. Sie entsteht dann, wenn Möglichkeiten der Bürger, eine Verbesserung der Lebensverhältnisse durch eigenes Handeln erreichen zu können (Chancengleichheit), begrenzt werden und sind keine generell fehlende Bereitschaft, positive Veränderungen anzuerkennen. Existente reale Ungleichheiten bei wichtigen, die Lebenslagen bestimmenden Indikatoren wie Arbeitsmöglichkeiten, Erwerbseinkommen, verfügbarem Haushaltseinkommen, Wohnverhältnissen u.a.m. dürften nach über 25 Jahren eigentlich nicht mehr als unveränderbar hingenommen werden. Trotzdem: Unterschiedliche Lebensbedingungen erzeugen keinen „Neid“ im Osten, sondern erhöhen zunehmend den berechtigten Druck, endlich gleichwertige Verhältnisse herzustellen. Leider ist inzwischen in vielen Bereichen der Angleichungsprozess nicht nur weitgehend zum Stillstand gekommen, sondern es wird immer deutlicher, dass es im Osten aufgrund der erfolgten Deindustrialisierung und der kleinteiligen Wirtschaftsstrukturen ebenso wie aufgrund des flächendeckenden „Schrumpfens“ der Region vor allem zu einem Lebensqualität verringernden Abbau sozialkultureller Infrastrukturen auf lange Sicht ein spezifisches, nicht allein von der Arbeitsleistung abhängiges, sondern zugleich von sozialen Sicherungsleistungen geprägtes sozio-kulturelles Lebensniveau geben wird. ... Zweitens ist die 1989 getroffene Aussage von Alt-Bundeskanzler Willy Brandt: „Jetzt wächst zusammen was zusammengehört“ bis in die Gegenwart noch nicht erreicht. Die Herstellung der „Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion Deutschlands“ ist insgesamt als noch nicht vollendet zu bewerten. Vollzogen wurde die Währungsunion, zugunsten des Westens wurden die Wirtschaftsstrukturen auf Grundlage der sozialen Marktwirtschaft vereinheitlicht, unvollendet blieb die Sozialunion (abgesehen von einer Vielzahl übertragener sozialrechtlicher Regelungen). Die 1990 anfängliche Euphorie der Vereinigung ist durch die Entwicklungen der vergangenen Jahre längst verschwunden, zunehmend werden die Defizite in Ost und West und zwischen Ost und West vom Bürger auch als solche empfunden. Das Leben von heute wird seitens vieler Bürger der neuen Bundesländer längst als Ergebnis ihrer ungleichen Möglichkeiten im jetzigen System bewertet. Mehr als die Hälfte in Ost und West glaubt nicht mehr daran, dass endlich doch noch zusammenwächst was zusammengehört. Insbesondere die mentale Teilung der Gesellschaft ist aufgrund der noch existenten unterschiedlichen Lebensverhältnisse ebenso wie seinerzeitiger und heutiger Erwartungen unübersehbar. Es ist auch keine neue Erkenntnis, dass bis in die Gegenwart der Umgang der regierungsamtlichen Politik mit den Ostdeutschen, mit ihren Biografien und Erinnerungen, durch pauschale Be- und Verurteilungen mehr zur Herausbildung einer neuen „Ostidentität“ beigetragen hat als sie je zu DDR-Zeiten existierte. Was die Frauen und Männer der neuen Länder den Politikern aus dem früheren Bundesgebiet allerdings voraus haben, sind ihr Erleben und ihre Erkenntnisse aus dem Vergleich des Lebens in zwei Systemen mit ihren jeweiligen Nach- und Vorteilen. Im Gegensatz zu zum Teil vorhandenen Klischees verstehen die Bürger der neuen Bundesländer - übrigens ebenso wie die der alten Bundesländer - keinesfalls unter Angleichung, dass alles „gleich werden“ muss. Angleichung steht - wie die getroffenen Aussagen in Ost wie West belegen - vor allem für „Chancengleichheit“ und nicht für eine Gleichheit im Sinne von Nivellierung. ... Auch die Bürger aus den alten Bundesländern reflektieren zunehmend die Veränderungen, wobei sie allerdings negative Entwicklungen - offensichtlich aufgrund der seit 1990 erfolgten, abflachenden, zum Teil stagnierenden und mit Einschnitten durch die Sozialreformen geprägten Entwicklungen - diese in hohem Maße der Art und Weise der Vereinigung zuschreiben. ... Drittens vollzogen sich zunächst - vor allem mittels Treuhand - eine „Entstaatlichung“ der Wirtschaft und deren Privatisierung bei gleichzeitiger Zerlegung in Kleinparzellen, verbunden mit einer „Flurbereinigung“ zugunsten der Konzerne im Westen. Dem folgten - zeitversetzt - auch aufgrund des mit der Vereinigung verbundenen Wegfalls der jahrzehntelangen Konkurrenz um bessere Sozialleistungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR - und die „Freigabe“ lang gehegter Wünsche zum Sozialabbau - der Rückbau des Sozialstaates und die Privatisierung des Sozialen in der Marktwirtschaft. Gewünschte neoliberale Bestrebungen um „weniger Staat“ seit den 70er/80er Jahren in der Bundesrepublik gewannen damit gegenüber Jenen, welche die Vereinigung für sozialen Fortschritt nutzen wollten. Die insbesondere mit der rot-grünen Koalition von 1999 eingeleiteten Sozialreformen (Arbeitsmarkt-, Renten-, Gesundheits- und z.T. Pflegereform) und die damit verbundenen Debatten um die Neugestaltung des Sozialstaates haben für große Teile der Bevölkerung die Lebenslagen nicht verbessert. Sozialpolitik ist längst nicht mehr Politik für die Wechsel- und Notfälle des Lebens, sondern strategisch ausgerichtete Umverteilungspolitik nach oben, die sich immer weiter vom Ziel einer humanistischen Sozialpolitik entfernt: d.h. der Angleichung der Chancen und Existenzbedingungen der Bürger und der Sicherung sozialer Stabilität im Lande. In den vergangenen Jahren wurde in den sozialen Sicherungssystemen ein Flickenteppich (patchworksystem) unterschiedlichster Leistungsformen, -bedingungen und Maßnahmen entwickelt, die dem einzelnen Bürger kaum noch zugänglich sind und inzwischen z.T. für gleiche Sachverhalte - Beispiel Mütterrente mit 12 unterschiedlichen Berechnungs-Werten für gleiche „Leistung“ - unterschiedlich fixierte gesetzliche Leistungen vorsehen. Die Bürger verstehen unter sozialer Sicherheit vor allem eine ihnen vermittelte und zugängliche nachhaltige Perspektive in den sozialen Sicherungssystemen und nicht im Wahlrhythmus erfolgende „1.000 kleine Schritte“. Sozialpolitik nach Kassenlage wie nach Machtinteressen von Parteien entbehrt der Nachhaltigkeit. ... Seit 1990 versucht der Osten Deutschlands auf Grundlage des Einigungsvertrages an Westdeutschland heranzukommen. Bislang gibt es jedoch aufgrund der ökonomischen und z.T sozialen Rahmenbedingungen nur eine neoliberal ausgerichtete langfristige Politik der Ungleichheit. Die offizielle Berichterstattung liefert für die letzten 15 bis 20 Jahre die Belege für eine Fortentwicklung in den neuen Ländern ohne zielgerichtete Überwindung des Zurückbleibens bzw. des Lückenschlusses. Insofern gibt der Osten Deutschlands das Beispiel für eine Politik unterschiedlicher Geschwindigkeiten auch im Rahmen der EU, welche die Lücke zwischen den sog. „führenden“ Staaten und dem „Rest“ der EULänder (z.B. ehemalige Staaten des RGW-Bereichs) nicht schließt, sondern auf deren Kosten vergrößert (Beispiel Griechenland). Eine geförderte ungleiche Entwicklung bedeutet aber immer - so die ostdeutschen Erfahrungen - regionale Ungleichheit. Generell wird inzwischen auch immer klarer, dass ökonomische Ungleichheit kein Wachstumsfaktor ist. Das gilt umso mehr, sobald sie mit sozialer Verunsicherung oder Perspektivlosigkeit gepaart ist. ... Viertens: Das was Ost und West nach wie vor unterscheidet, sind die durch die Sozialisation und Lebensverläufe geprägten Wertestrukturen. Gerade für Integration und Identifikation sind Werte und Wertestrukturen von besonderem Gewicht. Insbesondere für die Menschen in Ostdeutschland - und keineswegs nur die älteren - ist eine sich wandelnde, aber generell auch noch von der Sozialisation der vergangenen Jahrzehnte geprägte Wertestruktur charakteristisch. Sie halten nach wie vor insbesondere soziale Sicherheit, Gerechtigkeit und Freiheit in ihrem Leben für sehr wichtig, Solidarität und Gleichheit nehmen im Vergleich dazu inzwischen einen nachrangigen Stellenwert ein. Freiheit ist eben auch und vor allem gemeinschaftliches, solidarisches Zusammenwirken im Interesse sozialen Fortschritts. Ostdeutsche stellen nicht die Freiheit der Gerechtigkeit oder der sozialen Sicherheit gegenüber, ebenso wenig wie sie ein „anstelle - von“ akzeptieren. Ihre Erfahrungen aus der DDR und der Bundesrepublik lehren, es gibt keine soziale Sicherheit ohne Freiheit, es gibt aber auch keine Freiheit ohne soziale Sicherheit und Gerechtigkeit. Auch in der Bundesrepublik ist Freiheit nicht, dass jeder machen kann was er will - obwohl dieser Eindruck von Teilen der Politik und Medien versucht wird zu vermitteln. Freiheit des Individuums kann nicht individualistisches, entsolidarisiertes Handeln sein. Das Solidarverhalten der politischen und ökonomischen Eliten untereinander ist unvergleichbar stärker ausgeprägt als das der Arbeitnehmer und sozial Schwachen. Gegenseitiges Misstrauen und individueller Nutzen nach dem Motto: „was habe ich davon“ haben inzwischen solidarisches Verhalten weitgehend ersetzt (das steht nicht im Widerspruch zur vorhandenen hohen Hilfsbereitschaft bei einzelnen auftretenden Katastrophen). Eine generell zunehmende „Entsolidarisierung“ in der Gesellschaft ist unverkennbar, welche nicht zuletzt durch die staatliche Politik der „Privatisierung des Sozialen“ individualisiert wird und entsprechend begünstigt bzw. gefördert wird. ... Gerade die Jahre seit 1990 belegen, dass auf sozio-kulturellen Unterschieden beruhende Wertestrukturen, welche aus Vergangenheit und Gegenwart resultieren, nicht einfach „angepasst“ werden können und sollten. Sich nach 1990 „angepasst“ zu haben, wird heute als „Leistung der Ostdeutschen“ deklariert, während Anpassung vor 1990 - im Gegensatz dazu - „menschliches Versagen“ war. Die unterschiedlichen Entwicklungen bis 1990 mit anderen Sozialisationen, Traditionen und spezifisch geprägter regionaler Vielfalt (z.B. Frauenleitbild, Religion, Sport und Kultur) zwischen Ost und West sind nicht pauschal zu überwinden, sondern sollten akzeptiert und beachtet werden. Auch das gehört zur Freiheit von Andersdenkenden. Viele Bürger stehen nicht hinter der Aussage, dass es um den Erhalt „unserer Werte“ geht, da Werte weder angeboren sind noch mit Einreise oder Beitritt übernommen werden können (zumindest müsste geklärt werden, wer „wir“ sind und wer denn zu „uns“ gehört und ab wann ich mich zu „uns“ gehörig fühlen kann/darf/muss).
Fünftens haben die vergangenen Jahre mit der Zunahme innerer und äußerer Konflikte einerseits das politische Interesse der Bürger erhöht, aber andererseits nicht zeitgleich die Möglichkeiten für den Einzelnen verbessert, sich einbringen zu können. Die deutsche Vereinigung erbrachte den Beweis, dass Bürger eines Landes auch auf friedlichem Wege nicht nur Regierungen abwählen und durch neue parteipolitische Zusammensetzungen ersetzen können, sondern dass auch grundlegende Systemveränderungen möglich sind. Inzwischen mussten die Bürger die Erfahrung sammeln, dass demokratische Wahlen allein nicht automatisch Mitbestimmung und Mitwirkung bedeuten, dass gerade Formen der „repräsentativen“ Demokratie der Ergänzung durch direkte Mitwirkungsformen bedürfen. Das gilt im Besonderen für die Bundesebene, wo es längst Zeit wäre, Volksentscheide im Grundgesetz festzuschreiben. So lange Politiker den in Deutschland lebenden Bürgern die demokratische Reife absprechen, Sachfragen auf Bundesebene in Übereinstimmung mit ihren Interessen zu entscheiden, entsteht der Eindruck, dass es gar nicht gewollt ist. ... Zunehmender Stellenwert von Bürgerinitiativen und sachorientierten Wahlbündnissen verweist auf fehlenden Glauben an Veränderungen durch die gewählten Repräsentanten und dass diese von den Interessen der Mehrheiten bzw. von besonders Bedürftigen ausgehen. Die Parteien schärfen auch in der gegenwärtigen Bundestagswahl wenig ihr jeweiliges Profil, da offensichtlich „Volkspartei“ zu sein, genau so unscharf ist, wie „dem deutschen Volk“ zu dienen bei 22,5 % Bürgern mit Migrations- hintergrund (davon rd. 11 % Ausländer). Müssten nicht die Politiker die Interessen aller in Deutschland lebenden und wohnenden Bürger in ihrer vielfältigen Strukturiertheit vertreten? Insofern sollte das in Ost wie West erkennbar geringe bzw. fehlende Institutionenvertrauen in Bundestag, Bundes- und Landesregierungen ein Alarmsignal sein. Solange wie Entscheidungen der Machtausübenden immer mehr nur noch der Ökonomie und immer weniger dem Sozialen folgen, solange Parteien in der Opposition das widerrufen, was sie als Koalitionspartner mit verantwortet haben, solange Wahlversprechen nicht einzuhalten als „normal“ abgetan wird und beispielhaft für parlamentarische Demokratie Anderen weiterempfohlen wird, solange sollten sich Politiker über mangelndes Vertrauen in Institutionen, in die sie gewählt wurden oder für welche sie meinen, die Verantwortung tragen zu müssen, nicht beklagen. ... Sechstens vollziehen sich weitere ökonomische und soziale Fortschritte in Ost- wie Westdeutschland in immer stärker werdenden Abhängigkeiten von Entwicklungen in der EU und das besonders mit dem Austritt Großbritanniens. Offensichtlich nehmen unterschiedliche, z.T. gegensätzlich verlaufende Prozesse in der EU immer mehr zu und belegen, dass das Projekt Europäische Union nach wie vor unvollendet ist. ... Inzwischen mussten auch die Ostdeutschen lernen, dass erstens „Europa“ im politisch-deutschen Sprachgebrauch nur 40 % von Europa meinen. Zu Recht stellt der ehemalige Außenminister D. Genscher fest: „Für mich war die Wiederherstellung der Deutschen Einheit das Ende der Teilung Europas und nicht die Verlegung der Teilungsgrenze aus der Mitte des Kontinents nach Osten. Man kann es nicht oft genug sagen: ... An der polnischen Ostgrenze beginnt Osteuropa und nicht Westasien. Russland gehört zu Europa.“ Zweitens werden sog. „europäische Werte“ (EU-Werte) Europa als verbindliche Vorgaben serviert und das „Europäische Rechtsverständnis“ im Sinne von „EU-Rechtsverständnis“ zugleich als fast identisch mit „Völkerrecht“ propagiert. • Nicht zu übersehen auch, dass im Rahmen des (halben) vereinigten Europas in den letzten Jahren ein deutlicher Wandel von den Vorstellungen der 80er/90er Jahre von einem „Frieden schaffen ohne Waffen“ sich zu einem EU-Bündnis zu verändern beginnt, in dem Deutschland zunehmend „seine Verantwortung“ darin sieht, einen „Frieden zu schaffen mit Waffen“. Dabei ist es bislang fast nirgendwo gelungen, eine nachhaltige friedliche Entwicklung für die Menschen der betroffenen Gebiete zu erreichen. Der Anspruch führender Politiker, dass Deutschland seiner Führungsrolle in Europa gerecht werden muss9, findet solange keine Glaubwürdigkeit, wie im eigenen Land mehr Besitzstandswahrung im weitesten Sinne betrieben wird. Der neue Trend auf eine eigene EU-Schutztruppe verstärkt diesen Trend. • Die sozialen Ungleichheiten in der Europäischen Union nehmen zu - sowohl zwischen den Ländern als auch innerhalb der Länder. Die Art und Weise der wirtschaftlichen Zusammenarbeit spaltet oben und unten. Im Rahmen der EU vorgesehene und empfohlene Lösungen wirtschaftlicher Probleme in einzelnen Ländern sehen fast durchgängig sozialen Leistungsabbau als ersten und wichtigsten Schritt vor. • Ausgangspunkt ist und bleibt das Fehlen von Vorstellungen zur schrittweisen Harmonisierung in Richtung Sozialunion. Das Festhalten an nationalen Sozialleistungssystemen, ihr weiterer Leistungsabbau, eine immer weiter zunehmende Leistungsvielfalt stellen irgendwann beim Bürger die Frage nach der Sinnhaftigkeit der EU, wenn sie nicht auf „Wirtschaftsunion“ begrenzt wird. • Die Verbundenheit zur EU ist in Westdeutschland - und noch stärker in Ostdeutschland - nur gering entwickelt. Dabei bietet die EU zugleich die Chance, den Einfluss der Bürger auf die Entwicklungen in den EU-Ländern zu erhöhen. Die Notwendigkeit wurde nicht zuletzt in einigen Ländern (z.B. Griechenland) deutlich, wo jedoch Krisenbewältigung von außen zu einer faktischen Entmachtung nationaler demokratischer Institutionen geführt hat. Mit der EU-Krise wird erneut das Modell der zwei (oder verschiedenen) Geschwindigkeiten ins Spiel gebracht. Es geht um schnellere Entwicklungen der „führenden“ Staaten in der EU und verlangsamtes Hinterher für die anderen. Fazit: Das Maß der Integration wird unterschiedlich sein - die Haltungen der Bürger zu ihren jeweiligen Regierungen und zur EU auch. Es wurde bereits hervorgehoben, dass mit der deutschen Vereinigung seit fast drei Jahrzehnten das Modell einer „einheitlichen Entwicklung mit zwei verschiedenen Geschwindigkeiten“ erfolgreich experimentiert wird. Die neuen Länder erlebten einen raschen Aufbruch nach dem Tiefgang 1990/1991, der seit 2000 weitgehend stagniert bzw. nur sehr verlangsamt erfolgt.
Abschließend sei hervorgehoben: Die Notwendigkeit vorliegender spezifischer Ausarbeitungen über die Veränderungen im Osten Deutschlands begründet sich nicht aus diesem oder jenem ökonomischen Rückstand oder der generell geringen defizitären elitären Repräsentanz des Ostens bzw. mentalen Unterschiedlichkeiten, sondern aus der Spezifik der Gesamtheit der Lebensverhältnisse in den neuen Bundesländern. Dies sind nicht einfach regionale Unterschiede - vergleichbar mit denen zwischen Bayern, Baden-Württemberg oder Schleswig-Holstein - welche unterschiedliche sozio-ökonomische, demografische, politische und kulturelle Entwicklungen und Strukturen reflektieren, sondern flächendeckende Ungleichwertigkeiten zweier Regionen, die es zu überwinden gilt. Es wächst die Zahl wissenschaftlicher Analysen, welche die Chancen des Ostens auf Angleichung - schon gar nicht auf eine rasche - zunehmend in Frage stellen. Das erfolgt weniger generalisierend, sondern partiell - insbesondere durch Ökonomen - wohl wissend, dass, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse eine Angleichung nicht ermöglichen, es dann in anderen Lebensbereichen letztlich auch nicht oder nur mit hohem Mitteleinsatz im Sozialbereich möglich ist. Eine Jahrzehnte andauernde Unterentwicklung stoppt weder Abwanderung, noch bringt sie wissenschaftlich-technische Innovationen hervor. Sie kann zeitweilig eine der Wirtschaft vorauseilende Konsumtion vertragen, aber nicht auf Dauer. Es folgt eine sich ausdünnende sozio-kulturelle Infrastruktur, die wiederum nicht zum Verbleiben in der Region einlädt, sondern selbst Migranten abschreckt. In der vorliegenden Ausarbeitung wurden die wichtigsten vorliegenden Analysen von unterschiedlichen Institutionen mit ihren „Visionen“ reflektiert, welche verdeutlichen, dass zur Zeit „nur“ rd. 42 % der Bürger im Osten in unterdurchschnittlichen Lebensverhältnissen leben (West 2 %), dass der demografische Faktor (Geburtenrückgang und Alterung) in 84 % der Gemeinden im Osten zum weiteren „Schrumpfen“ führen wird (West 41 %) und bei Beachtung aller Wachstumsfaktoren in 78 % aller Stadt- und Landkreise des Ostens gegenwärtig keine Zukunftschancen real sind (West 12 %). Eine erschreckende Bilanz der Zukunft nach mehr als 25 Jahren. Insofern ist das Problem der Ostdeutschen nicht ihre eigene Bewertung der ferneren und näheren Vergangenheit, sondern die Ungewissheit über die Zukunft, über das „wie weiter“. Die vielen Versprechungen und Verkündigungen zur Angleichung und Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse sollten schon die Fragen danach erlauben, wann ist es denn nun so weit? Wann sind wir nicht nur vorm Gesetz gleichberechtigt, sondern als Bürger, die ihr Leben selbst gestalten wollen, bei gleichem Lohn für gleiche Arbeit, bei gleicher Rente für gleiche Lebensarbeitsleistung, bei gleichen Zukunftschancen in einer florierenden modernisierten Wirtschaft und auf Frieden orientierten Gesellschaft?
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