Maier, Mathias

 

 

Erinnerungskultur und Geschichtspolitik in der Berliner Republik. Die Beispiele der Gedenkstätte "Museum in der 'Runden Ecke'" und des "Zeitgeschichtlichen Forums" in Leipzig
 

 

2015, [= Gesellschaft – Geschichte – Gegenwart, Band 41], 145 S., ISBN 978-3-86464-075-9, 19,80 EUR

 

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Klappentext

Die kollektive Erinnerung an die DDR-Vergangenheit ist auch 25 Jahre nach dem Umbruch von 1989/90 höchst umstritten. War die DDR Fürsorgediktatur oder eine totalitäre Diktatur und gleichzusetzen mit dem NS-Regime? Reicht es den Repressionscharakter festzuhalten oder gehören auch Alltagserfahrungen zur DDR-Vergangenheit? Gab es im Herbst 1989 eine Wende oder eine Revolution? Geschichtspolitische Kontroversen wie diese und das Ringen um die „richtigen“ Erinnerungen bewegen seit 1989 die öffentliche Meinung.

An diesem Punkt setzt die vorliegende Studie an. Mathias Maier untersucht die verschiedenen Selbstverständigungsdebatten zur DDR-Vergangenheit nach 1989, die auf allen gesellschaftlichen Ebenen stattfinden. Er analysiert, welche Vergangenheitsversionen für die nationale Identitätsbildung soziale Verbindlichkeit erlangen. Anhand zweier Leipziger Museen, der „Gedenkstätte Museum in der Runden Ecke“ und dem „Zeitgeschichtlichen Forum“, wird in dieser quali­tativ-empirischen Arbeit ein Blick auf die dominierenden DDR-Geschichtsbilder geworfen.

 

Inhaltsverzeichnis

Einleitung                                                                                          7

I.       Geschichtspolitik und Erinnerungskultur: Die Beispiele „Gedenkstätte Museum in der Runden Ecke“ und „Zeitgeschichtliches Forum“ in Leipzig                                11

1.       Die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“               13

1.1     Die Gründung des Bürgerkomitees Leipzig und der Beginn der historischen Aufarbeitung           13

1.2     Das Bürgerkomitee Leipzig als geschichtspolitischer Akteur                                                   15

1.2.1 Geschichtspolitische Kämpfe um das Herrschaftswissen der DDR                                             15

1.2.2 Geschichtspolitische Positionierung im erinnerungskulturellen Prozess der Nachwendezeit          18

1.3     Einfluss auf Entwicklungslinien der Leipziger Erinnerungskultur                                              27

1.3.1 Herbst 89 – Der 9. Oktober in Leipzig als „Tag der Entscheidung“                                           27

1.3.2 Erinnerung an Repression und Alltag                                   38

1.4     Die Dauerausstellung „Stasi – Macht und Banalität“           46

2.       Das Zeitgeschichtliche Forum in Leipzig                              54

2.1     Erinnerungskultureller Kontext der Entstehung                   54

2.2     Das Zeitgeschichtliche Forum als geschichtspolitischer Akteur                                              60

2.2.1 Zeitgeschichte als Erinnerung – Zeitgeschichte als Wissenschaft                                           60

2.2.2 Die Dauerausstellung des ZFL im geschichtspolitischen Diskurs                                             64

3.        Ruf aus Leipzig: Das gesamtdeutsche Erbe des 9. Oktober                                                 79

II.        Erinnerungskultur und Identitätsdiskurs in der Berliner Republik                                       89

1.       Neuordnung der Vergangenheit nach der unverhofften Einheit                                               89

2.       Verschiebung des bundesrepublikanischen Identitätsdiskurses                                              94

III.    Die Leipziger Beispiele im Kontext der kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung          99

1.       Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskultur(en)              99

2.       Geschichtspolitik als inhärenter Teil demokratischer Erinnerungskultur                                  103

3.       Gedenkstätten und Museen als Orte der Erinnerung          105

IV.    Fazit                                                                                          109

Abkürzungsverzeichnis                                                           115

Quellenverzeichnis                                                                117

Literaturverzeichnis                                                               135

Kurzvita                                                                              144

 

 

Einleitung

Im Jahr 2015 wird voraussichtlich das nationale Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin fertiggestellt. Am 9. November 2007 beschloss der Deutsche Bundestag die Errichtung eines Denkmals, das an die friedliche Revolution und an die Wiedervereinigung 1989/90 sowie an die jahrhundertealte Tradition deutscher Einheits- und Freiheitsbestrebungen erinnern sollte (Apelt 2009: 8). Die Initiatoren des Denkmals markierten ihre Ansprüche durch klare Zielsetzungen. Es soll „ein Verweis auf eine neue Kollektivität und ein neues kollektives Erinnern [sein]“ (ebd.: 40). Man wolle „das demokratische Bewusstsein stärken und das Bewusstsein, als Nation zusammenzugehören“ (ebd.: 35).

In der Funktionsbeschreibung des Denkmals und den Aussagen der Initiatoren zeigte sich exemplarisch, dass die historische Phase der Abstinenz von nationaler Identität mit der Wiedervereinigung abgeschlossen war (Assmann 1999b: 65) und sich mit der unerwarteten Wiedergewinnung der deutschen Nation auch die Fragen nach ihrer Vergangenheit neu stellten. Damit einher geht die Arbeit an einem gemeinsamen Gedächtnis. Denn Nationen sind, wie andere soziale Gruppenformationen auch, Erinnerungsgemeinschaften. Als solche arbeiten sie und insbesondere ihre Eliten kontinuierlich an der Kanonisierung, Verbreitung und Ritualisierung von gemeinsamen Erinnerungen, mit denen in der Gegenwart und für die Zukunft ein positives Zusammengehörigkeitsgefühl aus einer positiv gedeuteten Vergangenheit generiert werden kann (König 2008: 418).

Für Deutschland ergibt sich für die Nachwendejahre eine erinnerungskulturelle Atmosphäre, in der 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg über das Wesen der NS-Vergangenheit ein öffentlicher Grundkonsens besteht. Mit dem Ende der Zeitzeugenschaft haben die Debatten nachgelassen und die Historisierung ist in den Vordergrund getreten. Und auch die westdeutsche Nachkriegsvergangenheit scheint bisher ohne große Kontroversen als moralische und wirtschaftliche Erfolgsgeschichte im kollektiven Gedächtnis abgespeichert zu werden.

Dagegen ist die DDR-Vergangenheit zum „Kampfplatz der Erinnerungen“ geworden und hat noch keinen eindeutigen Ort im kulturellen Gedächtnis gefunden (Sabrow 2009a: 13f.). Es herrscht somit kein kollektives, identitätsstiftendes Selbstverständnis über die DDR-Geschichte in der neuen Bundesrepublik (vgl. Leo 2008). War die DDR Fürsorgediktatur oder eine totalitäre Diktatur und gleichzusetzen mit dem NS-Regime? Reicht es den Repressionscharakter festzuhalten oder gehören auch Alltagserfahrungen zur DDR-Vergangenheit? Gab es im Herbst 1989 eine Wende oder eine Revolution? Dabei sind weniger die Ereignisse bis 1989/90 selbst strittig, als vielmehr die Selbstverständigungsdebatten nach 1989. Die Rezeptionsgeschichte ist fast wichtiger geworden als die Realgeschichte (Sabrow 2009b: 1) und macht deutlich wie bedeutsam das kollektive Gedächtnis für die Identitätsbildung einer sozialen Gruppenformation in der Gegenwart ist. Geschichtspolitische Kontroversen und das Ringen um die „richtigen“ Erinnerungen an die DDR-Vergangenheit werden sodann auf dem „Resonanzboden einer gesamtdeutschen Öffentlichkeit“ (ebd. 2009a: 14) ausgetragen. Dies erzeugte unterschiedliche Blickwinkel auf die DDR-Geschichte. Ostdeutsche Lebenserfahrungen verschiedener Generationen, von Tätern, Opfern oder Erinnerungen an ein richtiges Leben im falschen System treffen auf westdeutsche Außenperspektiven, die oft mehr das Trennende als das Wiedervereinende mit dem ehemals fremdgewordenen deutschen Parallelstaat (ebd.: 14f.) verbinden. Dazu treten Debatten um die historische Deutungshoheit je nach politischer Vorerfahrung und Verortung. Geschichtspolitische Kontroversen verlaufen zudem quer durch ost- und westdeutsche Identitäten (vgl. Leo 2008).

An diesem Punkt setzt die vorliegende Arbeit an. Sie interessiert sich für die kontroversen Selbstverständigungsdebatten zur DDR-Vergangenheit nach 1989, an denen alle Ebenen der Gesellschaft beteiligt sind. Es soll analysiert werden, welche Vergangenheitsversionen im Diskurs Dominanz erlangen und für die nationale Identitätsbildung soziale Verbindlichkeit erhalten. So lässt sich bspw. am eingangs erwähnten Denkmal für Freiheit und Einheit eine erinnerungskulturelle Linie nachzeichnen, die als These dieser Arbeit vorangestellt wird.

Als zukünftiger Kristallisationspunkt der gesamtdeutschen Erinnerungskultur verweist das Denkmal auf den Versuch einer geschichtspolitischen Verschiebung des bundesrepublikanischen Identitätsdiskurses (vgl. Meyer/Haarmann 2011). Neben der dominanten Holocaust-Identität sollen die positiven Seiten einer Freiheits- und Einheitstradition der Deutschen betont werden. Diese Verschiebung berührt auch das Feld des DDR-Erinnerns. Hier wird das offizielle und öffentliche Gedenken von einem moralisch aufgeladenen Diktaturgedächtnis (Sabrow 2009a: 16) dominiert, das auf SED-Herrschaft und Repressionsapparat fokussiert, die mit einer friedlichen Revolution überwunden wurden. Dieses Gedächtnis reduziert die Eigengeschichtlichkeit der DDR auf eine Diktaturvergangenheit, aus der sich die Ostdeutschen befreiten, um letztlich die freiheitlich-demokratische Tradition der deutschen Nation in der Wiedervereinigung zu vollenden.

Ausgehend von dieser These soll ein Blick auf dominierende DDR-Geschichtsbilder geworfen werden. Sehr gut geeignet dafür scheinen zwei Leipziger Einrichtungen mit überregionaler bzw. nationaler Bedeutung. Die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ und das Zeitgeschichtliche Forum spiegeln als „Einrichtungen der Erinnerungskultur“ (Berek 2008: 180f.) die Versuche wieder, konkrete Vergangenheitsbilder zur DDR aufzubauen und in der Gesellschaft zu verankern. Sie zeigen an, welche Geschichtsbilder öffentlich präsent sind, durch ihre Institutionalisierung soziale Verbindlichkeit erlangen und damit auf einem guten Weg, einen festen Platz im kulturellen Gedächtnis zu bekommen. Wichtig ist hierbei die Analyse erinnerungsgeschichtlicher Debatten im Umfeld der Gründung und der fortlaufenden Arbeit der Museen. An diesen zeigen sich die politischen und historischen Kontexte, in denen die Museen als kulturelle Objektivationen entstehen und sich weiterentwickeln (Pieper 2010: 200).

Anschließend werden die Ergebnisse in die bundesrepublikanische Erinnerungskultur nach 1989 eingeordnet. Auch in der Forschung richten sich die Interessen in den letzten Jahren zunehmend auf erinnerungsgeschichtliche und geschichtspolitische Aspekte und damit auf den gesamtgesellschaftlichen, öffentlichen Umgang mit der DDR nach 1989/90. Die vorliegende Arbeit reiht sich in aktuelle Forschungsinteressen ein und erweitert diese um eine empirische Untersuchung zweier erinnerungskulturell interessanter zeithistorischer Museen in Leipzig.

Da die Konzeptionen zeithistorischer Museen eng mit erinnerungsgeschichtlichen Fragen verbunden sind (vgl. Janeke 2011), sollen die empirischen Ergebnisse abschließend an Konzepten der kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung angelegt werden. Aus dem „mittlerweile […] labyrinthisch verzweigten Forschungsfeld“ (Erll 2011: 9), werden dazu jene Begriffe und Konzepte näher umrissen, die Fragen zur Verbindung von Erinnern und kollektiver Identitätsbildung beantworten.

 

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