Weipert, Axel / Lange Dietmar / Voermanek, Friederike / Müller, Jakob / Pumb, Johanna / Fülberth, Johannes / Wichmann, Manfred / Holler, Martin / Kosenko, Oxana / Blümel, Tobias (Hg.)

 

Historische Interventionen.

Festschrift für Wolfgang Wippermann zum 70. Geburtstag

 

 

 

 

2015, [= Hochschulschriften, Band 37], 279 S., ISBN 978-3-86464-070-4, 29,80 EUR

Personalbibliographie von Wolfgang Wippermann

 

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Die jahrzehntelange Auseinandersetzung mit der Geschichte von Minderheiten und besonders ihrer Ausgrenzung und Verfolgung macht Wolfgang Wippermann neben seiner internationalen Reputation als Faschismusforscher zu einer Ausnahmeerscheinung unter den deutschen Historikern.

Sein besonderes wissenschaftliches Interesse gilt dem nationalsozialistischen Völkermord an den Sinti und Roma. Zu diesem Thema hat er – ebenso wie zur Entwicklung einer wissenschaftlich-empirisch begründeten Faschismus-
theorie – grundlegende Beiträge veröffentlicht. Gemeinsam mit dem Literaturwissenschaftler Wilhelm Solms gehört Wolfgang Wippermann damit zu den Wegbereitern der Antiziganismusforschung. Dabei war und ist es ihm auch ein wichtiges Anliegen, die tiefen Wurzeln der Vorurteilsstrukturen in der deutschen und europäischen Geistesgeschichte offenzulegen. Seine Forschungsarbeit gewinnt heute noch an Aktualität und Relevanz. Wolfgang Wippermanns 70. Geburtstag ist ein angemessener Anlass, seine Verdienste um die historische Aufarbeitung und Forschung mit dieser Festschrift zu würdigen.

Für den Jubilar gehören wissenschaftliche Verantwortung und gesellschaftspolitisches Engagement eng zusammen, weshalb er sich nie davor gescheut hat, auch in kontroversen Fragen öffentlich Position zu beziehen. Übertriebene Altersmilde ist also auch in Zukunft nicht von ihm zu erwarten. Die Festschrift verbindet mit ihren Beiträgen die wichtigsten Forschungsfelder, in denen Wolfgang Wippermann seit Jahrzehnten Akzente setzt – und als Historiker interveniert.

 

Inhaltsverzeichnis

Vorwort                                                 9

Die Herausgeberinnen und Herausgeber

Für eine verantwortungsvolle und engagierte Wissenschaft. Ein Grußwort zum 70. Geburtstag von Wolfgang Wippermann 13

Romani Rose

 

Antiziganismusforschung        17

Der NS-Völkermord an den Sinti und Roma und der Rassismus gegenüber Sinti und Roma heute. Brüche und Kontinuitäten    19

Silvio Peritore

Kampf dem „anticyganizm“. Über die sowjetischen Wurzeln des Antiziganismusbegriffs und ihre Rezeption im englischen Sprachraum    55

Martin Holler

 

Antisemitismusforschung                           85

Stammen die Juden von den Hethitern ab? Ethnohistorische Kartographien des Alten Orients und die Debatte um die „Judenfrage“ um 1900       87

Felix Wiedemann

Der Teufel, die Juden, die Protokolle der Weisen von Zion und die zionistische Weltverschwörung. Grundlinien des Antisemitismus in Griechenland       121

Tobias Blümel

 

 

Faschismusforschung                                173

Giuseppe Renzetti und Waldemar Pabst: Zwei Protagonisten des Faschismus-Transfers nach Deutschland            175

Manfred Wichmann

Faschistische Gruppen im Belgien der Zwischenkriegszeit im Spiegel deutscher Berichte 1923 bis 1936            203

Jakob Müller

 

Geschichtstheorie                                     231

Fake History. Spiele mit dem Authentischen              233

Achim Saupe

 

Anhang 259

Verzeichnis der Schriften von Wolfgang Wippermann 261

Kurzbiographien der beteiligten Autoren 277

 

 

Vorwort

Die Festschrift ist die wohl unhöflichste Gattung der wissenschaftlichen Literatur. Sie gibt vor, das Oeuvre eines Wissenschaftlers in seiner Gesamtheit zu würdigen und unterscheidet sich daher vom Nachruf nur in der Hinsicht, dass sie dem Objekt des Lobes auch noch Dankbarkeit für diese „süße Unverschämtheit“ (Nietzsche) abverlangt. Daneben beschäftigt sich wohl jede Schmähschrift intensiver mit dem eigentlichen Werk des Autors. Und während diese zumindest von einer öffentlichen Relevanz des Geschmähten zeugt, ist der Jubilar bei der Festschrift lediglich der willkommene Anlass für andere, die Bühne der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zu betreten. So haben die Beiträge vieler Festschriften oft weder einen Bezug zum wissenschaftlichen Wirken der Gefeierten, noch stehen sie in besonders sinnvoller Verbindung zueinander. Sie können höchstens beanspruchen, das Spektrum ihres Wirkens widerzuspiegeln und sind meist flüchtige Produkte fragwürdiger Qualität.

Ob diese Kritik auch auf den vorliegenden Band zutrifft, müssen die Leserin und der Leser entscheiden. Dass wir aber in der Lage sind, Wolfgang Wippermann eine derartige Unverschämtheit zuzumuten, dafür ist er nicht zuletzt selbst verantwortlich. Die meisten der hier Beteiligten verdanken einen wichtigen Teil ihrer wissenschaftlichen Karriere seinem Wirken: Seiner Prüfungsvorbereitung, seinen Gutachten, seinem Doktorandenkolloquium, seinen stets gut besuchten Sprechstunden, um nur einige Aspekte seiner akademischen Kärrnerarbeit zu erwähnen. All das nahm und nimmt er nicht klaglos, aber zuverlässig und mit bewunderungswürdiger Energie auf sich. Wichtiger noch ist aber seine Inspiration als kritischer Historiker, und hierbei denken wir nicht allein an die beeindruckende Liste von Publikationen, die Wolfgang Wippermann Themen widmete, die von der deutschen Geschichtswissenschaft ignoriert wurden und werden, sondern auch an die Lehre. Die Anziehungskraft, die seine Seminare und Vorlesungen auf die Studierenden des Friedrich-Meinecke-Instituts der Freien Universität Berlin ausübten – und ausüben würden, wenn die Nachfrage ein Kriterium für die Erteilung von Lehraufträgen wäre – ist nicht nur für viele der an dieser Festschrift Beteiligten prägend gewesen. Ohne diese Lehrveranstaltungen wäre das Institut heute ein anderes, und zwar insbesondere nach seiner Verbannung aus der Rost- und Silberlaube an den Rand der Universität, in ein zwischen Versuchsfeldern der Agrarwissenschaften eingeklemmtes und mit den Veterinärinnen und Veterinären gemeinsam genutztes Bürogebäude. Dass Studierende auch anderer Fachrichtungen diesen wenig gastlichen Ort aufsuchten, lag auch an Wolfgang Wippermanns Persönlichkeit und seiner Überzeugung, dass die Themen der Geschichtswissenschaft eine über den Rahmen des Fachs hinausgehende Bedeutung haben. Diese Überzeugung drückte sich in der Ablehnung vieler mit den jüngsten Studienreformen verbundenen Formalien aus, wie etwa der Begrenzung der Teilnehmerzahl, der verpflichtenden Anwesenheitslisten oder der Beschränkung der Lehrveranstaltungen auf eine Epoche. Dieses Korsett war Wolfgang Wippermann immer zu eng. Und wie weit er dagegen seine eigene Tür stets geöffnet hält, belegt die Zahl der Absolventinnen und Absolventen, die Wolfgang Wippermann durch Promotion, Magister, Staatsexamen, Master oder Bachelor begleitete. Der Elfenbeinturm war nie seine Sache. Ob es sich um die „Rentnergang“ oder die „Micky-Maus-Studenten“ des Bachelor-Studiengangs handelt, jeder ist willkommen.

Und Wolfgang Wippermanns fast missionarisches Bestreben, die Geschichte weder den Politikern noch den Politologen zu überlassen, findet seinen Niederschlag auch außerhalb der Freien Universität. Studierende der Universität der Künste Berlin, Bundeswehrsoldaten und Antifa-Gruppen, korporierte Studenten, Besucherinnen und Besucher der Urania und Talkshowgäste – Wolfgang Wippermann spricht vor und zu unterschiedlichstem Publikum. Dass es dieser Hinwendung der aufklärenden Wissenschaft zur Gesellschaft bedarf, ist gerade aktuell angesichts einer Massenbewegung, die sich der „Rettung des Abendlandes“ verschrieben hat, mehr als deutlich.

Die Aufsätze dieses Bandes beziehen sich auf Themenfelder, in denen Wolfgang Wippermann wichtige und oft prägende Beiträge geleistet hat: Antiziganismus, Antisemitismus und Faschismus. Dass seine Arbeiten nicht nur wissenschaftliche Pionierleistungen sind, sondern auch und gerade politisch Wirkung erzielten, wird im Grußwort von Romani Rose hervorgehoben. Fast alle Texte stammen von Schülern Wolfgang Wippermanns und belegen auf diese Weise, dass seine Tätig­keit als Hochschullehrer dafür sorgte, den Stab an eine jüngere Generation von Historikerinnen und Historikern weiterzugeben. Seine Themen sind nach wie vor hochaktuell.

Die Herausgeberinnen und Herausgeber möchten an dieser Stelle all denjenigen danken, die diese Festschrift mit möglich gemacht haben. Besonderer Dank gilt der Ernst-Reuter-Gesellschaft und der Rosa-Luxemburg-Stiftung für ihre finanzielle Unterstützung dieser Publikation.

Wir wünschen dem Jubilar, dass er seinen streitbaren Elan und seinen Pfeifensalon in der Koserstraße auch über den 70. Geburtstag hinaus nicht so bald verliert. Beides würde dem Institut schmerzlich fehlen.

Berlin im Januar 2015,
die Herausgeberinnen und Herausgeber

 

Kurzbiographien der beteiligten Autoren

Romani Rose (Jg. 1946)

ist Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, den er 1982 mitbegründete. In diesem Zusammenhang gab er zahlreiche Schriften zur Verfolgung der Sinti und Roma während des Nationalsozialismus heraus. Für sein Engagement wurde Rose 2008 u.a. mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

 

Silvio Peritore (Jg. 1971)

ist stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma. Peritore studierte Politik und Geschichte und promovierte 2012 mit der Arbeit „Geteilte Verantwortung? – Der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma in der deutschen Erinnerungspolitik und in Ausstellungen zum Holocaust“.

 

Martin Holler (Jg. 1972)

ist Historiker und Slavist. Er ist Autor mehrerer Beiträge über die nationalsozialistische Verfolgung und Vernichtung sowjetischer Roma während des Zweiten Weltkriegs und promoviert in Berlin zum Thema „Sowjetische Roma unter Stalin und Hitler“.

 

Felix Wiedemann (Jg. 1974)

ist Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Altorientalistik der Freien Universität Berlin. Er publizierte zu verschiedenen Themen der Ideen- und Wissenschaftsgeschichte und war u.a. Rechercheur für die israelische Gedenkstätte Yad Vashem. Er promovierte 2007 bei Professor Wippermann mit der Arbeit „Rassenmutter und Rebellin. Hexenbilder in Romantik, völkischer Bewegung, Neuheidentum und Feminismus“.

 

Tobias Blümel (Jg. 1978)

ist Historiker und Philosoph. Zu seinen aktuellen Forschungsschwerpunkten zählen die Nachgeschichte der deutschen Besatzung Griechenlands im Zweiten Weltkrieg, insbesondere der Verfolgung und Vernichtung der griechischen Juden, sowie die Geschichte des Antisemitismus in Griechenland. Er promoviert mit einem Stipendium der Gerda Henkel Stiftung zum Thema „Antisemitismus und Antizionismus in Griechenland 1974–2012“.

 

Manfred Wichmann (Jg. 1971)

ist Historiker und Kurator. Seine Forschungsschwerpunkte sind die konservative und autoritäre Ideengeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowie das jüdische Alltags- und Kulturleben. Bis 2012 war er Stellvertretender Archivleiter im Jüdischen Museum Berlin, seitdem leitet er als Kurator die Sammlungen und das Archiv bei der Stiftung Berliner Mauer. Er kuratierte zahlreiche Ausstellungen zur deutsch-jüdischen Geschichte und promovierte 2013 mit der Arbeit „Die Gesellschaft zum Studium des Faschismus (1931–1934)“.

 

Jakob Müller (Jg. 1977)

ist Historiker, Niederlandist und Belgienforscher, sowie Museumspädagoge. Er promoviert mit einem Stipendium des Evangelischen Studienwerks Villigst bei Wolfgang Wippermann zum Thema „Die importierte Nation – Deutsche Außen- und Besatzungspolitik in Belgien und die Entstehung des flämischen Nationalimus 1914–1945“.

 

Achim Saupe (Jg. 1972)

ist Historiker und Koordinator des Leibniz-Forschungsverbunds „Historische Authentizität“ am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. Er war Stipendiat des Deutschen Historischen Instituts in London sowie des Evangelischen Studienwerks Villigst und hatte Lehraufträge an der Universität Potsdam, der Humboldt-Universität und der Freien Universität Berlin. Er promovierte 2007 an der Freien Universität Berlin zum Thema „Der Detektiv als Historiker – Der Historiker als Detektiv. Historik, Kriminalistik und die Repräsentation des Nationalsozialismus als Kriminalroman“.