Zum Buch
Alexanders Nachleben machte ihn zu
einem Phänomen. Die Wirkkraft seiner Figur ist ungebrochen. Die vorliegende
Studie schlüsselt im ersten Teil auf, vor welchen politisch-kulturellen
Hintergründen die verschiedenen Images von Alexander in den antiken Quellen
entstanden und inwiefern sie kritisch zu sehen sind.
Als issue book gedacht, werden
im zweiten Teil anhand einer strukturgeschichtlichen Analyse prägnante
Aspekte des makedonischen Reichs zu Alexanders Zeit thematisiert. Im Fokus
stehen die historische Entwicklung der Handlungsräume der makedonischen
Herrscher gegenüber den einflussreichen Familien; die höfischen Strukturen
mit ihrem Geflecht aus Netzwerken; das symbolische Kapital der Angehörigen
des Herrscherhauses und die Geschichte der Beziehung zwischen Persien und
Makedonien mit ihren kulturellen Kontakten. Alexanders Laufbahn wird dabei
nicht als Einzelphänomen behandelt, sondern vor dem Hintergrund der
politischen und kulturellen Strukturen Makedoniens betrachtet.
Inhaltsverzeichnis
Danksagung
9
I
Einleitung
11
Problematik des
Untersuchungsgegenstands 11
Forschungsstand
17
Methodik, Zielsetzung und
Gliederung 21
Terminologie
26
II
Alexanders zahlreiche Gesichter: Die Problematik der
Primärquellen
29
Quellenlage
29
Münzen
31
Bematisten und
Ephemeriden 34
Die
attischen
Redner
34
Kallisthenes: Von Quellwundern, Orakelsprüchen und Unbesiegbarkeit 44
Onesikritos: Von Kyros, Königsgräbern und Amazonen
59
Nearchos: Von Indien, Goldgräberameisen und Wegschwierigkeiten 65
Megasthenes: Zivilisationsthematik und Dionysosangleichung 70
Chares: Von Hof, Proskynese und tryphe
71
Ptolemaios: Meister der
Manipulation 78
Kleitarchos: Unter ptolemäischem
Einfluss 90
Aristobulos: Linientreue
95
Ephippos: Never trust an Olynthian
98
Weitere griechische moralisierende
Kritiker 106
Zusammenfassung
112
III Noch mehr Alexanderbilder: Die Problematik der Sekundärquellen 115
Quellenlage
115
»Vulgata«: Ein hinfälliger Kategorisierungsversuch
116
Diodor: Nahe an Kleitarchos?
118
Trogus-Iustin: Alexander, der
Tyrann 120
Plutarch: Vom ambivalenten Charakterbild
124
Arrian und das symbolische Kapital der paideia
128
Eine
Antwort auf Arrian? Lukian
132
Curtius: Der Meistererzähler und die doppelte Verfallsgeschichte 135
Zusammenfassung 145
IV Alexanders Dynastie: Die Argeaden
147
Der
Gründungsmythos
147
Alexander I., Makedonien und das Achaimenidenreich
154
Das
Herrschertum der Argeaden
159
Das
symbolische Kapital von Argeaden und Argeadinnen
162
Makedonen in griechischer Perspektive: Kulturelle Missverständnisse 164
Zusammenfassung
166
V
Alexanders Herrschaftsantritt: Einflusskonstellationen zum Zeitpunkt von
Philipps Tod 169
Philipps Zwänge vor dem
Feldzug 169
Einflusskonstellationen am Hof vor Philipps Tod
172
Vorhang auf für die Familientragödie: Die Problematik der
Quellenberichte 176
Einflusskonstellationen am Hof bei Philipps Tod
180
Das
kleinste Übel? Alexander als Kandidat von Antipatros und Parmenion 184
Zusammenfassung
185
VI Der
Feldzug
187
13
Jahre Krieg: Ein
Überblick 187
Phase I (337-333 v. Chr.): Philipps Plan und Parmenions Ausführung 198
Phase II (333-331 v. Chr.): Vorboten des shift of power
211
Phase III (330 v. Chr.): Personeller und struktureller Wandel 215
Anschauungsbeispiele: Die Karrieren von Hephaistion und Ptolemaios 218
Phase IV (329-325 v. Chr.):
Krisen 224
Phase V (324-323 v. Chr.):
Ende 238
Alexander und die achaimenidischen Strukturen
240
Die
babylonische Ämtertradition und Harpalos: Eine Hypothese 242
Zusammenfassung
245
VII
Ausblick: Alexander im Mailänder Papyrus
247
VIII
Fazit 255
IX
Appendices 261
Appendix
1:
Datentafel 261
Appendix
2:
Begriffserklärungen 264
X
Literatur
265
Quelleneditonen
265
Sekundärliteratur
265
Über die
Autorin 301
Einleitung
Problematik des Untersuchungsgegenstands
Alexander schrieb sich nachhaltig ins antike kulturelle Gedächtnis ein.
Unter seiner Regierung erlebte das makedonische Reich seine größte
Ausdehnung und Bedeutung. Die persische Herrschaft fiel; zuvor unbekannte
östliche Gebiete und Routen wurden dem Westen geöffnet.
Alexander war der erste seiner Dynastie, der Argeaden, der seine
Residenz(en) außerhalb Makedoniens nehmen konnte. Er war auch der erste
Argeade, dem es – entgegen der Widerstände aus den Reihen der makedonischen
Führungsschichten – gelang, der zuvor meist prekären Position des
makedonischen Herrschers autokratische Züge zu verleihen.
Die dreizehn
Jahre seiner Regierung, in denen sich Alexanders reisender Hof so gut wie
durchweg im Krieg befand, brachten in politischer, militärischer,
ökonomischer, geographischer, kultureller und sozialer Hinsicht Wandlungen
und Neuentwicklungen mit sich. Nach Alexanders Tod bildeten sich neue
Herrschaftsstrukturen und -gebilde heraus: die hellenistischen Monarchien,
»new experiments in kingship«.
Sie kombinierten Innovationen mit Traditionen und begegneten den speziellen
Erfordernissen von multikulturellen Prägungen (Ptolemäer-, Seleukiden- und
Attalidenreich) mit einer polyvalenten, auf die unterschiedlichen
Rezipienten ausgerichteten Repräsentation.
Alexanders
Regierung war ein entscheidender Wendepunkt in der Geschichte Makedoniens,
des Perserreichs und ihrer Nachbarn. In einem »Prisma der Macht»
kam die einstige persische Weltmacht zu Fall und das makedonische Reich,
Überraschungssieger und ›Newcomer‹ unter den politischen Schwergewichten,
stieg zum Nachfolger auf. Vom politisch zerklüfteten unbedeutenden
Kleinreich am Fuß des Olymp, das bis zu Philipp II. stets ums Überleben
gekämpft hatte, wurde Makedonien innerhalb von Jahrzehnten im 4. Jh. v. Chr.
erst zum Balkanreich und Hegemon über Hellas. Dann zogen makedonische
Truppen bis zu den östlichsten Grenzen des Perserreichs in seiner größten
Ausdehnung unter Dareios I.: den Gebieten am indischen Hyphasis.
Zwar war die umfangreiche Eroberung nicht haltbar und es kam bereits während
die Makedonen die östlichsten Gebiete verließen, zu lokalen
Abfallbewegungen, die zeigten, dass eine Konsolidierung fehlte. Somit war es
eine ephemere Eroberung, die besonders an den östlichen Grenzen gerade
solange Bestand hatte, wie die makedonischen Truppen noch präsent waren.
Dennoch
erklären die historischen Wendemarken, die mit Alexanders Herrschaft
verbunden sind, seine Prominenz im kulturellen Gedächtnis. Die Ausmaße des
makedonischen Zugs – selbst wenn die Eroberung auf instabilem Grund stand –
halten das Interesse der Nachwelt an Alexanders Rolle als Stratege und
Feldherr sowie an Struktur, Bewaffnung und Schlachtentaktik des
makedonischen Heers kontinuierlich wach.
Der Feldzug,
bereits in der Antike zum Krieg des Westens gegen den Osten stilisiert, bot
in der Nachwirkung für jeden hellenistischen König, römischen Feldherrn oder
Kaiser, der eine militärische Kampagne in östlicher Richtung unternahm,
Anknüpfungspunkte, um sich in propagandistischer Selbstprofilierung in
Alexanders Tradition zu stellen.
In der antiken Literatur war der Vergleich mit Alexander für Heerführer gen
Osten als Standardmotiv überdies schnell zur Hand und wurde wohl auch auf
Feldherren übertragen, die sich selbst nicht darauf beriefen.
Doch nicht
nur in den Diadochenreichen und im Imperium Romanum lebte die – jeweils
zweckgerichtet geformte – Erinnerung an Alexander weiter. So lehnte sich
auch Mithradates VI. von Pontos im Werben um Unterstützung für seinen
Widerstand gegen die römische Vormacht an die Alexanderfigur im
›Befreiertypus‹ an.
Alexanders
politische Instrumentalisierbarkeit erlosch nicht mit der Antike. Die
politischen Auseinandersetzungen des Westens mit Vertretern des Ostens, der
in eurozentrischer Perspektive als zeitlos imaginiert wurde, entfachten das
Interesse an Alexanders Krieg immer wieder neu. Der Makedonenherrscher wurde
zur europäischen Identitätsfigur stilisiert, je nach Bewertung seiner
Vielvölkerreichspolitik als widersprüchlich bis problematisch. Alexander
wurde als strategisches, politisches, kulturelles und identitätsstiftendes
Rollenmodell herangezogen; der Alexanderzug geriet zum logistischen,
geographischen, geopolitischen und handelsökonomischen Vorbild.
In der
Gegenwart ist der Irak-Krieg der USA zu nennen, der zur problematischen
Vereinnahmung der Alexanderfigur als politisches Rollenmodell für die
amerikanische Seite führte. In einem Fall ging dies mit der polemischen
Abwertung von Alexanders baktrisch-sogdischen Gegnern einher, die mit der
al-Kaida verglichen wurden, und denen man das Recht auf Widerstand im
eigenen Land gegen die makedonische Invasion absprach.
In summa war Alexander in der Nachwirkung niemals in der Versenkung
verschwunden. Seine Figur besaß immer einen hohen Bekanntheitsgrad, der in
Zeiten von politischen Konflikten zwischen westlichen und östlichen
Vertretern stets besondere Aktualität gewann. Alexander ist und bleibt ein
Politikum, was auch seine Rolle im Griechenland der Gegenwart und in
Mazedonien deutlich macht.
Als konstante Hauptfaktoren der vielschichtigen westlichen
Alexanderrezeption seit der Antike kann man die Ambivalenz der
Alexanderbilder und die politischen Diskurse bezüglich des Verhältnisses zum
Osten als Triebfeder des Interesses an der Alexandergeschichte nennen.
Die
andauernde Berufung auf Alexander erklärt zum Teil seine exzeptionelle
postume Berühmtheit, die Kulturen, Epochen und Altersgruppen übergreifend
ist. Seine Dauerpräsenz in unterschiedlichsten Medien seit der Antike machte
ihn sogar für Hollywood interessant – angesichts der Resultate zum Leidwesen
der Alexanderforschung.
Ein Spezifikum von Alexanders Beliebtheit im Nachleben ist, dass die
Aufmerksamkeit nicht nur seiner Rolle als Krieger und Feldherr gilt. In
bunter Vielfältigkeit treten neben dieses militärische Image andere Aspekte,
die für die vielseitige Verwendbarkeit der Figur sprechen. Aus der reichen
Zahl sind nur einige Beispiele zu nennen: In positiver Hinsicht erscheint
Alexander als Entdecker, Erfinder, Forscher und Zivilisator, als Vordenker
der Globalisierung, humanistischer Befürworter einer Weltenverbrüderung,
energetisches Vorbild für moderne Manager, als wissenshungriger,
intellektueller Philosophenschüler, halb-schamanischer Eingeweihter in
antikes Geheimwissen, als galanter Frauenversteher, unwiderstehlicher
Verführer oder antiker Vorreiter der Schwulenbewegung sowie wahlweise als
heiligmäßiger Asket. Alexander ist vorbildlicher Gentleman und Comicheld mit
Superman-Attitüde.
Auf der
negativen Seite steht der Vergleich eines tyrannischen Alexanders je nach
zeitpolitischem Hintergrund mit Napoleon oder Hitler.
Alexander erscheint als brutaler Schlächter in Parallele zu Cortéz
oder als Versager, dessen Reich nur ephemer war.
Zudem existieren die Bilder Alexanders als Alkoholiker,
verweichlichtes Muttersöhnchen oder aufgrund von Megalomanie und
Ödipus-Komplex – als Variante Soziopathie – als Fall für den Psychiater.
Alexander wurde somit durch die Bandbreite seiner Rezeption zum Phänomen.
Die Vielfältigkeit gestaltete ihn nicht nur für Heerführer, Strategen,
Politiker und Militärhistoriker interessant, sondern für die verschiedensten
Adressaten.
In Folge der
facettenreichen, vielgestaltigen Rezeption seiner Geschichte, die sich
teilweise abenteuerlich verwandelte, entstanden Alexanderfiguren, die ebenso
weit gespannt als Exempel und Rollenmodelle anwendbar waren. So konnte
Alexander im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Nachleben etwa
Musterbild des höfischen Ritters, Tugendideal und Leitfigur für höhere Liebe
werden, Prototyp des fürstlichen Entdeckers und Forschers, in christlicher
Rezeption zugleich teilweise aber auch Beispiel für hoffärtigen Stolz.
Die Zeitlosigkeit des Phänomens Alexander liegt somit unter anderem
ebenfalls darin begründet, dass seine Person früh zur entrealisierten,
vielfältig instrumentalisierbaren Kunstfigur wurde. In rhetorischer
Schablonenhaftigkeit bot sie damit eine Projektionsfläche, die mit
verschiedenen Intentionen kompatibel war: Alexander war moralisches Exempel,
Identifikations- und Leitfigur oder zur Warnung und Abschreckung dienendes
Negativbeispiel. Bekannte Episoden aus der Geschichte seiner Feldzüge wurden
sinnbildlich für bestimmte Tugenden, etwa Großmut und Mäßigung im Sieg, oder
für Laster wie Grausamkeit und Hybris herangezogen.
Bedeutenden
Anteil an dieser Entwicklung der Alexanderrezeption zum Phänomen hatte die
Verbreitung des griechischen Alexanderromans in seinen unterschiedlichen
Rezensionen (Überlieferungsgruppen) in Ost und West. Es handelt sich um ein
schillerndes Episodensammelsurium, das Alexanders Feldzüge zu
Abenteuergeschichten gestaltet und von einem anonymen Verfasser im 3. Jh. n.
Chr. in Ägypten, vermutlich Alexandria, zusammengestellt wurde.
Der griechische Alexanderroman, der den Höhepunkt der Entfremdung vom
historischen Alexander markiert, gilt als das am weitesten verbreiteten Werk
der Weltliteratur nach der Bibel.
Alexander figuriert darin als Kosmokrator, Krieger und Eroberer, Abenteurer
und Forscher, der Grenzen überschreitet und in Frage stellt.
Richard
Stoneman verweist darauf, dass die Beliebtheit des Alexanderromans damit zu
erklären ist, dass er Fragen behandelt, die den Menschen zu jeder Zeit
bewegt haben: die Überwindung von Grenzen, das Streben nach Unsterblichkeit,
die Bedeutung der eigenen Leistung und der Grad, in man sein Schicksal
beeinflussen kann.
Westliche mittelalterliche Alexanderbilder, denen als Quelle nicht nur der
griechische Alexanderroman in lateinischer Übersetzung zugrunde lagen,
sondern zudem die Alexandergeschichte des Römers Curtius Rufus, zeichneten
Alexander teilweise als ambivalenten Helden, aber auch gemäß dem Ideal des
christlichen Kaisers.
Der
Alexanderroman des deutschen Gelehrten und Diplomaten Johann Hartlieb
aus der Mitte des 15. Jahrhundert, gewidmet dem bayrischen Herzog Albrecht
III., bietet das Kuriosum, dass Alexanders Frau Roxane die Schuld für die
Diadochenkriege bekommt: Sie habe Alexanders Nachfolgeregelung torpediert,
da sie in notorischer Untreue so viele Kinder von anderen empfangen habe,
dass eine klare Unterscheidung zwischen legitimen und illegitimen unmöglich
gewesen sei. Ebenso kurios ist Johann Hartliebs Bericht, Ptolemaios habe
sein Reich in Sachsen begründet.
Der Blick
auf die persische literarische mittelalterliche Tradition zeigt, dass
Alexander im Positiven und Negativen auch im Osten präsent war. Gegen Anfang
des 11. Jahrhunderts charakterisierte Firdausi Alexander in der Shahnameh
zwar als Angehörigen des persischen Herrscherhauses – den Halbbruder von
Dareios’ III. – und als potenten Womanizer, aber auch als Zerstörer des
Achaimenidenreichs und Feind der zoroastrischen Religion. Diese
Negativtradition stammte wohl aus dem Sasanidenreich (224-651 n. Chr.).
Ein anderes
Bild vertrat der Dichter Nizami in seinem um die Wende des 12./13.
Jahrhunderts verfassten Versepos Iskandarnameh (Buch von Alexander).
Alexander erfährt darin eine Entwicklung vom König und Krieger, der bis nach
China gelangt, zum Weisen.
Im 12. Jahrhundert ließ Tarsusi in seiner Schrift Darabnameh
Alexander in Indien als islamischer Missionar tätig werden, der sich gegen
Kannibalen wehren musste.
Die Beispiele zeigen die Wandlungsfähigkeit der Alexanderfigur im östlichen
und westlichen Nachleben. Sie wurde den jeweiligen zeithistorischen,
religiösen, kulturellen und sozio-politischen Hintergründen angepasst. Der
historische Alexander war dabei höchstens in groben, häufig rudimentären
Grundrissen seiner Laufbahn von Bedeutung: ein Herrscher, der aus Makedonien
kam, (wenn auch die Informationen zu seiner Abstammung variierten),
philosophisch geschult war und ein Weltreich eroberte. Priorität hatten
Darstellungsinteresse, Sprachregelung von Auftraggebern, das jeweilige
intellektuelle Milieu, in dem Alexander rezipiert wurde, Erfordernisse von
Genres, Publikumserwartungen, rhetorische Konventionen, literarische oder
bildliche Traditionen und weitere Faktoren, die der Faktentreue
entgegenstanden.
Von diesen vielgestaltigen Ausformungen wurde der historische Alexander
überlagert, verschwand unter diversen Überlieferungsschichten,
Propagandaparolen, Interpolationen, Ausschmückungen, Formungen und fiktiven
Persönlichkeitsbildern, die teilweise widersprüchlich ausfielen.
Forschungsstand
Eine Vielzahl an Alexanderbildern existiert auch in der Forschung. In der
Vergangenheit war die Gestaltung eines Persönlichkeitsbildes des Herrschers
als Deutungskategorie für seine Politik der dominierende Ansatz. Die
divergierenden antiken Aussagen führten je nach Einschätzung des jeweiligen
Quellenwerts zu unterschiedlichen Psychogrammen.
Dies zeigt bereits die Problematik dieses Vorgehens: Die Quellenlage lässt
erstens keine verifizierbaren Rückschlüsse auf das Wesen und den Charakter
Alexanders zu. Zweitens sind Persönlichkeitsmerkmale als historische
Deutungskategorien politischer Ereignisse fragwürdig. Das Resultat wäre eine
recht eindimensionale Auswertung mit psychologisierendem Schwerpunkt, der
den Weg zur Analyse der politischen Strukturen verstellen würde.
Dem Ansatz
in der älteren Forschung lag das historiographische Fixbild des »großen
Mannes« als persona agens zugrunde.
Dahinter verschwanden häufig die politischen Strukturen, die
Herrschaftsträger mit ihrem maßgeblichen Anteil an der Eroberung, die
anderen Mitglieder der argeadischen Dynastie als Repräsentanten ihrer
politischen Interessen und nicht zuletzt der persische Gegner und sein
Widerstand. In die konstruierten Alexanderbilder wurden zudem meist
politische Zeitbezüge eingebettet. Das fiktive Psychogramm des makedonischen
Herrschers diente als Folie für eine Stellungnahme zu oder sogar eine
Abrechnung mit dem jeweiligen Zeitgeschehen.
Entsprechend
wurde der Ansatz der historischen Bewertung Alexanders anhand eines
Persönlichkeitsbildes schon seit den 1960er Jahren, namentlich durch Gerhard
Wirth, als kontraproduktiv kritisiert.
Als weiterführende Alternative zeigte Wirth mit seinen maßgeblichen
Untersuchungen zu den Heeresstrukturen und den Beziehungen zwischen
Herrscher und Führungsschichten die Analyse der politischen Strukturen auf.
Entsprechend ist die Verhaftung an ein imaginäres Persönlichkeitsbild
Alexanders in den jüngeren Spezialstudien ad acta gelegt worden.
Im Fokus der aktuellen Forschung stehen Fragen nach der Stellung des
Herrschers und den einflussreichen makedonischen Familien, nach den
Mitsprachemöglichkeiten der Führungsschichten, den Befehlsstrukturen im
Heer, der Legitimation und dem symbolischen Kapital des argeadischen
Monarchen und seiner Familie, dem persischen Einfluss auf die makedonischen
Strukturen und den Möglichkeiten für einen Argeaden, seine Herrschaft in die
achaimenidischen Strukturen einzufügen, den höfischen Strukturen, Netzwerken
und der faction-Bildung.
Die
maßgeblichen Arbeiten, die der Forschung entscheidende neue Horizonte
eröffnet haben, stammen von Waldemar Heckel, der auf der Basis der
prosopographischen Methode die personelle Besetzung im Alexanderreich
sichtbar machte und daraus bedeutende Erkenntnisse zu Heeres- und
Befehlsstrukturen, zum Unterschied zwischen old guard und Alexanders
new men, zu höfischer Cliquenbildung, sozialen Netzwerken und
Positionierung von factions gewann.
Ebenso maßgeblich sind die Untersuchungen von Elizabeth Carney zum
Verhältnis Alexanders zu seinen Hetairen sowie zu Rolle, Repräsentation,
Handlungsräumen und Darstellung der makedonischen royal women als
Repräsentantinnen ihres Hauses.
Speziell zur Heiratspolitik im Argeadenhaus hat auch Daniel Ogden wichtige
Erkenntnisse gewonnen.
Ed Anson hat
die Kommandostrukturen im makedonischen Heer unter Alexander und die
Bedeutung der Heeresversammlung kritisch beleuchtet.
Aktuell hat Joseph Roisman, dessen kulturgeschichtliche Analyse der
attischen Reden der Alexanderzeit zudem eine innovative Bereicherung der
Forschung ist, den Veteranen Alexanders eine spezielle Studie gewidmet.
Lange vernachlässigt, rückt inzwischen der Aspekt der Beziehung zwischen
Persien und Makedonien vor der makedonischen Invasion in das Blickfeld der
Forschung. Numismatische und archäologische Zeugnisse bestätigen den von
verstreuten Schlaglichtern in den literarischen Quellen erhellten Umstand,
dass es einen persischen Einfluss auf die makedonischen Strukturen gab.
Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Neubewertung der Haltung von
Alexander und der makedonischen Führungsschichten zum Achaimenidenreich und
seinen Traditionen. Makedoniens Zeit als persischer Vasall unter den frühen
Argeaden und der andauernde diplomatische und kulturelle Austausch mit
Persien widerspricht dem Bild in den griechisch-römischen Quellen, dass die
persische Kultur und insbesondere die höfischen Traditionen den Makedonen
fremd gewesen seien. Dies ist eine ideologische und literarische Projektion,
die sicherlich mit dem tatsächlichen Wissen der makedonischen
Führungsschicht um das Achaimenidenreich und dem persischen Einfluss auf die
Strukturen des Argeadenhofs wenig zu tun hat.
Maßgebliche
Pionierarbeiten zu dieser Thematik stammen von Dietmar Kienast, Josef
Wiesehöfer, Maria Brosius, Marek Jan Olbrycht und Pierre Briant, die betont
haben, dass die Fiktion des unbekannten persischen Erzfeindes des Makedonen
nicht aufrecht zu erhalten ist: Alexander war vertraut mit den
achaimenidischen Strukturen.
Noch die Seleukiden gelten als Erben oder Schüler der Achaimeniden.
Bruno Jacobs hat nachgezeichnet, dass Alexander die Verwaltungsstrukturen
des Achaimenidenreichs weitgehend beließ.
Stanley Burstein konstatierte anhand Alexanders Bewahrung des strukturellen
Status Quo in Ägypten: »In a very real sense, therefore, Alexander’s
conquest can be more truly said to conclude the story of the Achaemenid
empire than to begin that of the hellenistic kingdoms«.
Giuseppe
Squillace hat nachdrücklich die antipersischen Parolen der makedonischen
Kriegspropaganda als illusorisches Mittel zum Zweck aufgezeigt.
In einer wegweisenden Spezialstudie zum kulturellen Transfer hat aktuell
Robert Rollinger nachgewiesen, wie sich Alexander bei der Überquerung von
Flüssen traditioneller altöstlicher Methoden bediente.
Parivash Jamzadeh hat versucht, Überresten der zeitgenössischen persischen
Reaktion auf die Makedonen nachzuspüren.
Ein aktuell
wieder sehr groß geschriebenes Thema bildet zudem die quellenkritische
Dekonstruktion der literarischen Alexanderbilder. Gerhard Wirth und Elias
Koulakiotis haben maßgeblich die vielfältige Entwicklung der Entrealisierung
Alexanders und Verwandlung in eine Kunstfigur aufgezeigt.
Für die Rezeption des griechischen Alexanderromans in seinen zahlreichen
Überlieferungssträngen hat dies Richard Stoneman als führende Autorität
unternommen, ebenso wie Krzysztof Nawotka und Corinne Jouanno.
Stilisierung, Topik und Römisches in Curtius’ Alexandergeschichte haben Liz
Baynham und John Atkinson in Standardwerken analysiert.
Arrians intellektuellen Hintergrund mit seinem Einfluss auf seine
Alexandergeschichte haben maßgeblich Brian Bosworth, Gerhard Wirth und
Philip Stadter untersucht.
Trogus-Justins Bericht über Alexander und die Diadochen wurde von Waldemar
Heckel, Pat Wheatley und John Yardley beleuchtet. Diodors Quellen und
Intentionen analysierten Gerhard Wirth und Alexander Meeus; Plutarchs
Quellenwert vor seinem Hintergrund der Zweiten Sophistik wird von Sulo
Asirvatham kritisch betrachtet.
Ein
besonderes Augenmerk gilt aktuell den Primärautoren. In einem wegweisenden
Beitrag hat Moritz Böhme auf die persienfeindliche Tendenz in den
Fragmenten, auch bei Ereignissen nach der offiziellen Aufgabe der
panhellenischen Propaganda, hingewiesen.
Bedeutend sind zudem die Studien von Tim Howe, der den hohen Grad der
Manipulation der Fakten durch Ptolemaios zugunsten dessen Selbstprofilierung
aufzeigt.
Zu Nearchos haben Veronica Bucciantini und Richard Ricot geforscht,
Kallisthenes’ wahrheitsferne Stilisierungen hat Michael Zahrnt
dekonstruiert, die makedonenfeindliche Topik in griechischen
zeitgenössischen Autoren wurde durch Frances Pownall in wegweisenden
Spezialuntersuchungen analysiert.
Die politischen und intellektuellen Hintergründe der attischen Redner haben
Ian Worthington und Joseph Roisman untersucht.
Reinhold Bichler beschäftigte sich jüngst mit der kulturhistorischen Frage,
warum Alexander in Teilen der antiken Überlieferung Nichtschwimmer ist.
Neue
Erkenntnisse auf der Basis archäologischer Quellen hat Olga Palagia
vorgelegt; für die argeadische Numismatik hat Johannes Heinrichs einen
wichtigen Beitrag geliefert.
Mit einem
Blick auf die in jüngster Zeit publizierten Monographien zu Alexander ist
festzustellen, dass trotz anhaltender Beliebtheit der biographischen Form
für ein breites Publikum der Trend zur Spezialstudie geht. Daniel Ogden
beschäftigte sich mit der kritischen Aufarbeitung der Geburtsmythen um
Alexander, Ed Anson publizierte »Themes and Issues«, Brigitte Truschnegg
arbeitet an einer Studie zur Darstellung von Städten bei den
Alexanderhistoriographen.
Insgesamt ist ein Wandel in der Alexanderforschung festzustellen, eine
Tendenz, die wieder verstärkt zur quellenkritischen, dekonstruierenden
Analyse hinführt.
Frischen
Wind in die Debatte brachten zudem neue Quellen wie der Mailänder Papyrus.
Das in den 1990er Jahren entdeckte, einst als Mumienkartonage missbrauchte
Dokument enthielt Epigramme, die zuvor mehrheitlich zuvor unbekannt gewesen
waren und gemäß communis opinio dem makedonischen Dichters
Poseidippos von Pella zugeschrieben werden. Alexander und der makedonische
Persienkrieg sind darin ein zentrales Thema und zeigen, wie die Rezeption am
Hof von Ptolemaios II. und Ptolemaios III., unter denen Poseidippos gewirkt
hatte.
Zudem sind in den Epigrammen Traditionen zu Alexander erwähnt, die zuvor
nicht bekannt gewesen waren.
Eine weitere
Entdeckung sind die zeitgenössischen aramäischen Quellen aus Baktrien der
Khalili Collection, die Einblicke in die Verwaltungsgeschichte geben und die
Namen von Alexander und Bessos nennen.
Zielsetzung, Methodik und Gliederung
Trotz der Vielzahl an Publikationen zu Alexander und seiner Zeit ist eine
Spezialstudie Desiderat, welche die Ereignisse seiner Regierung anhand einer
Analyse der politischen Strukturen des Argeadenreichs von Beginn an
betrachtet und seine Herrschaft nicht als Einzelphänomen behandelt, sondern
vor diesem strukturellen Hintergrund verortet. Dies ist das Ziel der
vorliegenden Untersuchung. Es geht um eine strukturgeschichtliche Analyse
der aus der Geschichte Makedoniens heraus entstandenen Erfordernisse an den
Herrscher und die Führungsschichten. Damit ist die Fragestellung verbunden,
welche persischen Einflüsse es bereits vor der makedonischen Invasion auf
die makedonischen, insbesondere höfischen, Strukturen gab, welche Elemente
der achaimenidischen Herrschaftstradition daher mit den makedonischen
kompatibel waren und in welcher Weise sich die Eroberer generell mit den
persischen politischen Strukturen auseinandersetzen mussten.
Daher ist es nicht das Anliegen der Studie, mit einem biographischem Ansatz
Alexanders Leben chronologisch zu behandeln. Sie ist vielmehr als ein »issue
book« angelegt, das vor dem Hintergrund der argeadischen Geschichte
spezifische Aspekte der makedonischen Geschichte in Philipps letzter
Regierungsphase und Alexanders Herrschaft behandelt: die Legitimation und
das symbolische Kapital des argeadischen Herrschers; das Verhältnis zwischen
ihm und den führenden Familienverbänden; die Konstellation der höfischen
factions zum Zeitpunkt von Philipps Ermordung; die Heeresstrukturen zu
Beginn des Feldzugs und die Einflussnahme der höchsten Offiziere auf die
militärisch-politische Leitung; die Voraussetzungen und Konsequenzen für den
shift of power und Personalwechsel mit der exemplarischen Behandlung
der Karriere von Alexanders new men Hephaistion und Ptolemaios; die
Beziehungen zwischen Persien und Makedonien und das makedonische Verhältnis
gegenüber den persischen politischen Strukturen im Zuge der Eroberung.
Dabei wird weder von einem Alexanderbild ausgegangen noch soll eins kreiert
werden. Vielmehr wird stets die kritische Dekonstruktion der verschiedenen
Alexanderbilder in den Primär- und Sekundärquellen ein Analysemittel sein,
um den »Realia« näher zu kommen. Was für ein Mensch Alexander war, welchen
Charakter er hatte, was er dachte und fühlte, ist ungewiss. Selbst wenn er
Selbstzeugnisse hinterlassen hätte, was nicht der Fall ist, wäre mit einer
Formung durch politische Intentionen und repräsentative Erfordernisse zu
rechnen, die den Blick auf Persönliches verstellen würden.
Die alte Vorstellung, das aufgrund der mangelnden Konstitutionalisierung
Makedoniens »persönliche Herrschertum« der Argeaden bedeute, dass die
politischen Entscheidungen von Charakter und Wesenszügen bestimmt gewesen
seien, ist problematisch. Eine solche Methode der Regierung konnte sich kein
Argeade leisten. Die Herrscher standen in politischen und sozialen
Strukturen, die ihre Handlungsräume entsprechend definierten, begrenzten und
ihre Entscheidungen lenkten.
Dies ist auch noch bei Alexander zu beobachten, der als erster seiner
Dynastie seine Spielräume entscheidend erweitern und in Richtung eines
autokratischen Herrschertums ausbauen konnte. Dennoch folgte er den Bahnen
politischer Strukturen – einer (in der Praxis problematischen) Kombination
aus achaimenidischen und makedonischen. Ob dies persönliche Entscheidungen
waren, welche seine Gefühlslage reflektierten, ist fraglich. Alexander wird
sichtbar in seiner Funktion als Herrscher.
Seine Heiraten, die Beziehungen zu den hohen Offizieren, Soldaten, selbst zu
seinen Eltern und zu seinem Lehrer Aristoteles wurden ebenfalls in dieser
politischen Funktion öffentlich sichtbar. Auch wenn die Quellen – vor allem
die späteren – diese Verbindungen romantisierend, nostalgisch oder
sentimental als von privaten, persönlichen Gefühlen bestimmt darstellen
mochten: Dies sind Ausschmückungen und Zusätze. Was von einem argeadischen
Herrscher an vermeintlich »privaten« Beziehungen publik gemacht wurde, stand
im Kontext seines monarchischen Amts und war Teil der Repräsentation,
Legitimation und Dynastieprofilierung, somit politisch.
Die
Beziehung zu Aristoteles, über die de facto kaum etwas Konkretes in
den Primärquellen zu erfahren ist und die erst in der Nachwirkung besonders
ausgestaltet wurde,
war erst einmal Teil von Philipps Schaupolitik als kultivierter,
»nicht-barbarischer« »Grieche« gegenüber Hellas gewesen. Sie erfolgte in den
Jahren, in denen es Philipp noch notwendig erschien, eine Annäherungspolitik
zu betreiben und Sympathien zu gewinnen, während er gleichzeitig athenische
Einflussgebiete attackierte.
Alexanders Beziehungen zu seinen Eltern, ebenso wie zu seinen Frauen,
standen im Zeichen von Dynastiepolitik, Nachfolgeregelung und Legitimation.
Er musste sich nach Philipps Tod in dessen Tradition stellen, um sein
argeadisches Profil zu zeigen. Die enge Bindung zu seiner Mutter resultierte
zwangsläufig aus den Strukturen des polygamen Hofsystems: Ihr Prestige,
symbolisches Kapital und ihre faction waren notwendige Grundlagen
seiner eigenen Einflussbasis, um seine Chancen auf die Nachfolge zu wahren.
Dies trifft generell auf jeden potentiellen Thronkandidaten in einer
polygamen Monarchie zu und hat nichts mit Alexander speziell und einem
eventuellen »Mutterkomplex« zu tun.
Seine Ehen erfolgten im Rahmen von Heiratspolitik, waren den Notwendigkeiten
und Zwängen aus der Eroberung geschuldet: Die baktrische Dynastentochter
Roxane heiratete er als Notlösung, um eine Bresche in die Allianz der
revoltierenden baktrisch-sogdischen Fürsten zu schlagen. Es war der letzte
Ausweg, um die gefährliche Rebellion zu beenden, welche die Eroberungen
bedrohte. Die Ehen mit zwei Achaimenidinnen 324 v. Chr. bedeuteten die
dynastische Anbindung an das ehemalige persische Herrscherhaus und
unterstrich seine Politik, sich in die achaimenidische Nachfolge zu stellen,
um die Akzeptanz der unterworfenen Reichsbevölkerung zu gewinnen.
Die Beziehungen zu seinen höchsten Offizieren standen unter dem Primat der
Heeres- und Personalpolitik. Jenseits aller Verklärungen und Vermutungen,
wie eng einige Bindungen wirklich waren, handelte es sich bei den
Einblicken, die Alexander der Öffentlichkeit gewährte, um »Dienstliches«: um
die Aufgaben des Herrschers und der Offiziere innerhalb des makedonischen
Systems. Diese Perspektive wird für den Betrachter freigegeben. Darüber
hinaus bleiben nur Spekulationen.
Auch die
Symposien waren kein primäres Privatvergnügen, wie es die griechischen und
römischen Moralisten andeuten. Das Symposion diente als Plattform der
Kommunikation der Führungsschichten, dem Austausch zwischen ihnen und dem
Herrscher, der Visualisierung von Rang und Status anhand der Tafelordnung,
und war eminent politisch.
Selbst der Weingenuss diente (zum Teil) dem in Makedonien wichtigen
Dionysoskult. Auch gymnastische und musische Agone, die Alexander ausrichten
ließ, sowie die Aufträge an Künstler standen erst einmal im Rahmen
traditioneller argeadischer Kultur- und Selbstdarstellungspolitik als
kultivierter Mäzen. In diesen Kontext gehört auch seine viel beschworene
Liebe für die Ilias.
Was Alexander persönlich gefiel, wofür er entflammte, wen er attraktiv fand,
was er fühlte, wen er liebte, wen er hasste, war politisch, legitimatorisch
und dynastisch irrelevant, somit für die Öffentlichkeit nicht bestimmt. Er
gewährte keine Einblicke darauf, weil es nicht zum Profil und den Aufgaben
des Herrschers gehörte. Was er mitteilte, entsprach vorgeprägten politischen
Rollen und war an den Rollenerwartungen orientiert: It’s not personal,
it’s business. Es kann sein, dass Alexander Kunst und Agone schätzte,
seine Mutter und Schwestern gern hatte, in Aristoteles’ Unterricht immer
aufpasste, Parmenion und Philotas auch persönlich nicht ausstehen konnte,
Roxane hübsch fand, mit Vergnügen Wein trank und mit Hephaistion zusammen
war – aber es kann auch nicht so gewesen sein. Kurzum: Was die
Öffentlichkeit vom Herrscher sah, stand im Dienst seiner politischen
Rolle(n) und kann ebenso seinen persönlichen Gefühlen entsprochen haben wie
konträr dazu gewesen sein. Dies ist für die Nachwelt nicht fassbar. Seine
inneren Empfindungen jenseits der politischen Verhaltensmuster, denen er
folgte, blieben seine Sache. Man könnte durchaus der Meinung sein, dass dies
auch nur ihn etwas anging.
Daher wird die Frage nach dem »Menschen Alexander« nicht gestellt. Es geht
um den Herrscher und Feldherrn in den jeweiligen politischen Strukturen, um
seine aus der Geschichte der Argeaden und Achaimeniden erwachsenen
Anforderungen, Handlungsräume und Zwänge.
Die beiden ersten Kapitel beinhalten eine Auseinandersetzung mit der
Quellenproblematik. Dabei werden der sozio-politische, kulturelle und
intellektuelle Hintergrund, die Darstellungsintentionen und Tendenzen sowohl
der Primär- als auch der späteren Autoren erörtert.
Um die Geschichte Alexanders aus der argeadischen Tradition heraus zu
betrachten, wird im dritten Kapitel die strukturelle Entwicklung des
makedonischen Reichs von den Frühzeiten an mit seinen Erfordernissen und
Problemen für das argeadische Herrschertum, seiner Legitimation und seinem
symbolischen Kapital als notwendige Hintergrundfolie skizziert. Ein
besonderes Augenmerk liegt auf den Beziehungen zwischen Makedonien und dem
Perserreich sowie auf dem Verhältnis zwischen Argeadenherrscher und
einflussreichen Familien.
Es folgt eine Analyse der Einflusskonstellationen am makedonischen Hof kurz
vor und zum Zeitpunkt von Philipps Tod mit allen Implikationen für
Alexander.
Damit ein Überblick über die chronologische Zuordnung der im folgenden
Kapitel behandelten Phasen des Feldzugs gewährleistet ist, wird ein kurzer
Abriss seiner Geschichte vorangestellt.
Aufgrund der Quellenproblematik lassen sich häufig keine gesicherten
Aussagen treffen und teilweise auch nur hypothetische Vermutungen, mitunter
in Gestalt von Gedankenspielen äußern. Diese Überlegungen seien angestellt,
um die Diskussion anzuregen und vielleicht in alternative Richtungen hin zu
öffnen. Es sind Versuche, Problemen auszuloten und mögliche Lösungen
vorzuschlagen, ohne einen Wahrheitsanspruch zu erheben. Diese Überlegungen
erfolgen jedoch nicht im freien Raum, sondern auf der Basis der politischen
Strukturen als Anhaltspunkt.
Um das Ausgangsthema des ersten Kapitels, die Vielzahl von Alexanderbildern
in der Nachwirkung, am Ende noch einmal aufzugreifen, wird in einem Ausblick
Alexanders Image am Ptolemäerhof, in den Epigrammen des Mailänder Papyrus,
behandelt.
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