Inhalt
Vorwort 9
Malte-Christian Gruber, Jochen Bung und Sascha Ziemann
Editorial: Auf dem Weg zur Automatenautonomie? 11
I. AUTOMATISIERTE AUTONOMIE? 15
Jochen Bung
Können Artefakte denken? 17
Dirk Fabricius
Die Freiheit, 2*2=5 zu rechnen 29
Stephan Meyer
Staatliche Willensträgerschaft als Voraussetzung juristischer Normgeltung 45
II. KÜNSTLICHE KÖRPER / ARTIFIZIELLE AGENTEN 59
Sebastian Sierra Barra und Martin Deschauer
Versuch einer nichtmenschlichen Anthropologie von Intelligenz 61
Hyo Yoon Kang
Autonomie/Code. Überlegungen zur Software-Rhetorik in künstlicher
Intelligenz, Postgenomik und Recht 79
Julia von Dall´Armi
Menschliche Macht über Maschinen oder maschinelle Macht über
Menschen? Die literarische Realisierung des (Gen-)Technikdiskurses
in der aktuellen Gegenwartsliteratur 93
Sebastian Klinge und Laurens Schlicht
Differenz Automat. Ein Ausschnitt aus der Geschichte des Menschen:
Taubstummenforschung (um 1800) und Kybernetik (1946–1953) 103
III. HERAUSFORDERUNGEN DER TECHNISIERTEN
GESELLSCHAFT 135
Frank Dittmann
Was ist, wenn alles denkt? – Eine historische Annäherung 137
Jan-Philipp Günther
Embodied Robots – Zeit für eine rechtliche Neubewertung? 155
Susanne Beck
Technisierung des Menschen – Vermenschlichung der Technik.
Neue Herausforderungen für das rechtliche Konzept „Verantwortung“ 173
IV. MENSCHEN- / MASCHINENRECHTE? 189
Malte-Christian Gruber
Was spricht gegen Maschinenrechte? 191
Kirsten Brukamp
Patientenautonomie angesichts moderner Neurotechnologien wie
der tiefen Hirnstimulation 207
Eric Hilgendorf
Roboterprostitution. Gedankenspiele zwischen Recht und Moral 221
V. TECHNOPATHIE 235
Sabine Müller
Verführung und Verderben durch Automaten? Weibliche
Maschinenmenschen und „Orient“-Topoi in Metropolis und Gothic 237
Martin Uebelhart
Wunschmaschinen und Maschinen(alb)träume. Anmerkungen zu
Stanislaw Lem (1921–2006) 249
Jutta Weber
Autonome und ferngesteuerte Kampfdrohnen. Über ‚Revolution in
Military Affairs‘ und den Traum vom automatisierten Krieg 267
Autorinnen und Autoren 291
Vorwort
„Autonome Automaten“ lautete das Thema der Frankfurter Jahrestagung der Kritischen Reihe am 15. und 16. Juli 2011, deren Fokus auf der besonderen gesellschaftlichen Bedeutung lag, die so genannten Zukunftstechniken bereits in der Gegenwart zukommt. Künstliche Intelligenz, künstliches Bewusstsein und auch künstliches Leben gehören mehr denn je zu den prominenten Forschungsgegenständen der heutigen Technikwissenschaften, und gerade die Fortschritte im Bereich der Robotik und der zunehmend sozial integrierten Informationstechnologien werfen Fragen nach dem gesellschaftlichen Umgang mit deren Gegenständen auf. Roboter und informationstechnische Artefakte wie Software- oder Netzagenten scheinen nicht prinzipiell auf ihren ursprünglichen Status als bloße Objekte oder Dinge beschränkt, sondern begegnen Menschen mitunter als widerständige Wesen, als handelnde Akteure, womöglich sogar als soziale Interaktionspartner. Solche Begegnungen könnten nicht zuletzt auch das Selbstbild des Menschen und der Gesellschaft beeinflussen.
Dass das Thema der „Autonomen Automaten“ dabei kaum erschöpfend zu behandeln ist, vielmehr eine fortgesetzte interdisziplinäre Verständigung erfordert, zeigt sich schon an der gewachsenen Aufmerksamkeit und der Anzahl akademischer Veranstaltungen zum Themenkreis der Informationstechnologie, Robotik und Recht. Schon im August desselben Jahres 2011 fand – ebenfalls in Frankfurt am Main – der 25. Weltkongress der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie zum Thema „Recht, Wissenschaft und Technik“ statt. Dieser bot einen enger an der Rechtstheorie orientierten, allerdings um einen internationalen Teilnehmerkreis erweiterten Rahmen, um die Diskussion der mit den „Autonomen Automaten“ aufgeworfenen Fragen fortzusetzen. Insbesondere das Problem der brüchig werdenden Dichotomie von Mensch und Maschine konnte somit nochmals thematisiert und in einem von Vagias Karavas (Luzern) und Malte Gruber unter dem Titel „Recht am technisierten Körper/ Recht an verkörperter Technik“ organisierten Workshop eingehend behandelt werden.
Der vorliegende Band versammelt ausgewählte Beiträge der beiden genannten Veranstaltungen des Sommers 2011. Die Kritische Reihe wurde auch in diesem Jahr wieder von der Vereinigung von Freunden und Förderern der Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt am Main e.V. gefördert. Ihr gilt unser besonderer Dank.
Frankfurt am Main, Malte Gruber
im April 2013 Jochen Bung
Sascha Ziemann
Leseprobe
Malte-Christian Gruber, Jochen Bung und Sascha Ziemann
Editorial: Auf dem Weg zur Automatenautonomie?
Die Erschaffung künstlicher Intelligenzen, Roboter und Humanoiden hat sich von einem ursprünglichen Motiv der literarischen Science Fiction in eine Utopie der heutigen Technikwissenschaften, möglicherweise auch in ein realistisches Forschungsziel verwandelt. Anders als in den Anfängen der Forschung im Bereich der Künstlichen Intelligenz bemüht man sich heute nicht mehr nur darum, menschliche Intelligenz auf der Basis einfacher Algorithmen „im Computer“ zu simulieren. Vielmehr geht es auch darum, künstliches Bewusstsein in die Lage zu versetzen, Wahrnehmungen und Erfahrungen selbständig zu organisieren und sich flexibel zu verhalten (vgl. etwa Metzinger 2005; Dennett 2005; Birnbacher 2005).
Solche Leistungen erfordern, wie insbesondere jüngere neurowissenschaftliche Theorien nahelegen, mehr als kluge Programme. Denn Geist und Bewusstsein sind keine bloße „Software“, sondern bedürfen darüber hinaus eines „organischen“ Körpers (siehe Gallese 2005; Rizzolatti/ Sinigaglia 2008). Folgerichtig beschäftigt sich die neuere Forschung verstärkt mit der Konstruktion von verkörperter Intelligenz, die zuallererst in der Fähigkeit gesucht wird, sinnliche Wahrnehmungen zu verarbeiten (Pfeifer/ Scheier 1999) und vielleicht sogar eine menschenähnliche Erscheinung zu erreichen (zur daran orientierten android science Ishiguro 2006).
Dahinter steht die Absicht, Maschinen als artifizielle Agenten zu sozialen Interaktionspartnern zu machen und schließlich auch zu verantwortlich handelnden Akteuren der technisierten Gesellschaft. Womöglich bedarf es dazu aber noch eines weiteren Schrittes zurück zu den Ursprüngen menschlicher Intelligenz, nämlich zum Verständnis dessen, was Leben überhaupt sei. Spätestens aber, wenn es gelingen sollte, künstliches Leben zu erzeugen, das sich zu komplexeren Formen des künstlichen Bewusstseins weiterentwickeln lässt (vgl. Bedau 2003), kommt es zur Begegnung mit einer Vielzahl neuer künstlicher Akteure – einer Begegnung, die nicht zuletzt auch das Bild des Menschen und der Gesellschaft verändern könnte (vgl. exemplarisch Rammert 2007; Latour 2007). Selbst die bislang für unverbrüchlich gehaltene Differenz von Mensch und Maschine würde dadurch angreifbar (dazu jüngst Fabricius 2011).
Solche Aussichten beflügeln die wissenschaftliche und künstlerische Phantasie, die sich in sogenannter Pop Science niederschlägt und zwischen einer besonderen Gattung der Unterhaltungsliteratur und seriöser Wissenschaftskommunikation changiert. Die Arbeit der Popsciencefiktionäre bleibt nicht auf die Ursprungsdisziplin ihrer Fiktion beschränkt, sondern führt zu neuen Theorien oder Theorietransfers in den etablierten Wissenschaften (beispielhaft hierfür Clark 2003). Im Bereich der Gesellschaftstheorie führen solche fiktionalen Inspirationen zu neuen sozialen Modellen, die insbesondere Fragen der Subjektivität, der Handlungs- und der Rechtsfähigkeit, nicht nur menschlicher, sondern auch nichtmenschlicher Wesen, thematisieren (Rammert/ Schulz-Schaeffer 2002; Teubner 2006; Koops/ Hildebrandt/ Jaquet-Chiffelle 2010; Gruber 2012). Ferner ermöglichen sie neue Anthropologien: Das Menschenbild des selbstbestimmten Individuums weicht dem eines in seine technische Umwelt eingebundenen Wesens, dessen körperliche und geistige Fähigkeiten artifiziell erweiterbar, aber auch immer schwerer beherrschbar sind (Merkel et al. 2007; Müller/ Clausen/ Maio 2009).
Während Mensch-Maschine-Schnittstellen, Neuroimplantate und technologische oder pharmakologische „Neuro-Enhancements“ vor allem Fragen nach Umfang und Grenzen der menschlichen Persönlichkeit aufwerfen (dazu etwa Gruber 2009), bringen andere Technologien gänzlich neue Akteure mit eigener Wirkungsmacht hervor: Software- und Netzagenten, oder auch die zunehmend in physische Umwelten eingebetteten Programme sogenannter Cyber-Physical oder Ambient Intelligence Systems treten menschlichen Akteuren zunehmend als „widerständige“ Wesen gegenüber (vgl. Herzog 2009). In der dialektischen Dynamik von Widerstand und Anpassung könnten sie sich als autonome Automaten erweisen und dabei mitunter zu Zeugen eines allgemeinen Autonomieverlustes des technisierten Menschen werden.
Die folgenden Beiträge stellen jeweils eigenständige Annäherungen an das Thema dar, die von einer gemeinsamen, fachübergreifenden Diskussion inspiriert und in ihrem jeweiligen fachspezifischen Kontext ausgeführt worden sind. Das Gesamtprojekt kann insoweit keinen Anspruch auf eine erschöpfende Behandlung eines derart weitgespannten Feldes erheben, soll aber sehr wohl einige Schwerpunkte erkunden und die Problematiken der automatisierten Autonomie, der artifiziellen Agenten, der technisierten Gesellschaft, insbesondere auch mit Blick auf deren Pathologien und ihre Aussichten auf (Re-)Humanisierung, näher beleuchten.
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