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John, Matthias

“Organologisches Handbuch zu den sozialdemokratischen Funktionsträgern im spätwilhelminischen Berlin"

alle 4 Bände zusammen ISBN X-3503-1455-X, 210,00 EUR


Die Einzelbände:
Band I: Die acht Großberliner Reichstagswahlkreise, 288 S., ISBN 978-3-86464-021-6, 44,80 EUR
Band II: Die Ortsvereine Adlershof bis Mittenwalde, 386 S., ISBN 978-3-86464-022-3, 59,80 EUR
Band III: Die Ortsvereine Motzen bis Zühlsdorf, 416 S., ISBN 978-3-86464-023-0, 59,80 EUR

Band IV: Gesamtregister der Bände I bis III, 435 S., ISBN 978-3-86464-028-5, 59,80 EUR

Interessenten für die Geschichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und ihrer Berliner Organisationen, Kommissionen und Ausschüsse und deren Funktionsträger (insbesondere deren mittlerer Funktionsebene) 1900 bis 1914

 

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pdf-datei mit den Inhaltsverzeichnissen der Bücher sowie ausgewählten Indexeintragungen
 

 

 

Klappentext

Viele führende Funktionäre der deutschen Sozialdemokratie, die in Berlin ansässig waren, wie Paul Hirsch, Otto Wels und Fritz Zietzsch, übten zu Beginn ihrer Parteikarriere auf der mittleren, unteren und untersten Parteiebene zahlreiche Ämter aus. Auch spätere Spitzenfunktionäre der deutschen Gewerkschaften,  wie Louis Brunner, Emil Lehmann oder Richard Seidel, hatten auf diesen Ebenen zu Beginn ihrer Karriere eine oder mehrere Funktionen inne. Die bisher in der Historiographie über die deutsche Sozialdemokratie unterschwellig bzw. offen vertretene These, dass ihre führenden Theoretiker, ob rechte oder linke, sich abstinent gegenüber der alltäglichen Parteiarbeit verhalten hätten, kann so nicht mehr aufrecht gehalten werden. An dieser Stelle seien nur folgende markante Beispiele angeführt: Bruno Borchardt (Charlottenburg), Kurt Eisner (Lichterfelde) oder Heinrich Lauffenberg (Pankow) übten an ihrem Wohnort zeitweise das Amt eines Ortsvereinsvorsitzenden aus.

Der Aufbau des kleinsten war stets ein Spiegelbild des größten Ortsvereins, so dass Folgendes galt: Je kleiner der Verein war, um so höher war der Prozentsatz jener Mitglieder, die dem Funktionärskörper angehörten und in die organisierte Parteiarbeit einbezogen wurden. Im Verhältnis zu ihrer Mitgliederzahl dürfte keine andere deutsche Partei so viele Mitglieder in ihren Funktionärsapparat, und sei es zumeist auch nur für kurze Zeit und oft ausschließlich auf der untersten Ebene, integriert haben wie die Sozialdemokratische Partei Deutschlands.

Was den inneren Aufbau der sozialdemokratischen Organisation Großberlins anbelangte, so gab es keine starren Strukturen in bestimmte Orts- oder Bezirkswahlvereine; vielmehr waren ihre unteren Struktureinheiten ständigen Veränderungen unterworfen, die sich dem territorialen wie auch dem starken Bevölkerungswachstum (Klein- und Groß-) Berlins stets wie auch umgehend anpasste. Veränderungen in der Organisationsstruktur der Berliner Sozialdemokratie nahmen sogar zuweilen Veränderungen in der Verwaltungsstruktur Großberlins vorweg.

 

 

Thesen zur Organologie der Berliner Sozialdemokratie

Die nachfolgenden Thesen werden an dieser Stelle in genau der Fassung veröffentlicht wie sie am 18. Juni 2008 auf dem Ehrenkolloquium für Helmut Arndt vorgetragen worden. Ursprünglich sollten sie gemeinsam mit den weiteren Beiträgen des Kolloquiums an anderer Stelle veröffentlicht werden. Hierfür hatte der Autor langwierige Forschungsarbeiten betrieben, die unter anderem neue Erkenntnisse erbrachten zum Ausbruch der Krise in der deutschen Sozialdemokratie vor dem Ersten Weltkrieg; zur Frage, ob sozialdemokratische Funktionäre der mittleren und unteren Führungsebene, die in die KPD übertraten, auch dort ein Amt übernahmen, und zur Problematik, ob bzw. in welchem Maße sich Vertreter dieser Ebenen am antifaschistischen Widerstandskampf beteiligt hatten. Es muss nunmehr der Zukunft vorbehalten bleiben, die dabei gewonnenen Einsichten einer breiteren wissenschaftlichen Öffentlichkeit zu präsentieren.

Das vom Autor gewählte Thema ist angesichts der gegenwärtigen Entwicklung in der deutschen Sozialdemokratie, die dabei ist, ihren jahrzehntelangen Masseneinfluss zu verlieren, hoch aktuell und angesichts  zahlreicher Publikationen von Historikern aus Ost und West, die der Frage nachgingen, worauf dieser Einfluss basierte, zugleich eine scheinbar alte Thematik, der keine neuen Aspekte hinzugefügt werden können. Bei einer Analyse der vorliegenden Literatur zeigt sich, dass dieses Phänomen nicht zuletzt aus der beispielhaften Organisationsstruktur der deutschen Sozialdemokratie und ihres weiten Netzes an so genannten Vorfeldorganisationen erklärt wird. Um so mehr muss verwundern, dass es nach wie vor an breit angelegten wie auch speziellen Strukturanalysen mangelt.

Das erste Mal kam der Referent in den ausgehenden siebziger/beginnenden achtziger Jahren mit diesem Thema in Berührung, als er in den Primärquellen, speziell in der sozialdemokratischen Presse, auf das bis heute unbeachtet gebliebene Phänomen stieß, dass die Organisationsstruktur der deutschen Sozialdemokratie zu Beginn des 20. Jahrhunderts durchaus noch nicht voll ausgereift war; so wurden noch im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts zahlreiche sozialdemokratische Reichstagswahlkreisorganisationen in Ost- und Westpreußen, aber auch in anderen Gegenden Deutschlands ins Leben gerufen. Damals reifte die Absicht, eine entsprechende systematische Untersuchung vorzulegen. Als sich dann der Referent in der Mitte der achtziger Jahre verstärkt mit der Geschichte der Berliner Vorkriegssozialdemokratie beschäftigte, musste er zudem feststellen, dass selbst über die dortigen Strukturen auf bzw. unterhalb der Reichstagswahlkreisebene ebenso wenig bekannt ist wie über die dort handelnden Akteure. Er begann mit entsprechenden äußerst breit angelegten Quellenstudien, die aber auf Grund damaliger wie auch späterer Zeitumstände ohne einen wissenschaftlichen Ertrag blieben. Nunmehr scheint es an der Zeit, die entsprechenden Vorarbeiten zu einem Ergebnis zu führen.

Nachdem ein erstes biographisches Handbuch zur Geschichte der Berliner Vorkriegssozialdemokratie erschienen ist, wendet sich ein zweites Handbuch der mittleren und unteren Organisationsstruktur der dortigen Sozialdemokratie in den Jahren 1900 bis 1914 zu. Wie dringlich derartige Untersuchungen sind, beweist nicht zuletzt der Umstand, dass bereits Anfragen vorliegen, ob nicht solche Detailstudien auch für andere Regionen vorgelegt werden könnten, so für Nordrhein-Westfalen. 

 

Die mittleren und unteren Organisationsstrukturen der deutschen Sozialdemokratie sind aus zahlreichen Gründen besonders interessant. Hierzu einige Thesen:

 

1. Die Quellen- bzw. Überlieferungslage für eine solche Untersuchung erweist sich, zumindest was die Berliner Sozialdemokratie anbelangt, als recht günstig. Es liegen unter anderem vor: Die sozialdemokratische Tagespresse in Gestalt des „Vorwärts“, gedruckte und ungedruckte Jahresberichte der in Frage kommenden Reichstagswahlvereine bzw. einzelner Ortsvereine, die Handbücher des Vereins Arbeiterpresse aus den Jahren 1914 und 1927 und der umfangreiche Bestand an Überwachungsakten der Berliner Politischen Polizei im Berliner Landeshauptarchiv (früher im Brandenburgischen Landeshauptarchiv Potsdam).

2. Die Dichte und Exaktheit der vor allem in der sozialdemokratischen Tagespresse zu findenden Informationen hängt von zahlreichen Faktoren ab: Ob ein (ehrenamtlicher) Lokalkorrespondent überhaupt vorhanden  war; ob er regelmäßig berichtete; ob er (bzw. der Vorstand) auf die Wiedergabe der Ergebnisses der Vorstandswahlen mit namentlicher Nennung der Gewählten besonderen Wert legte und ob die Namen nur nach dem Gehör oder nach Einziehung  von Erkundigungen über ihre tatsächliche Schreibweise wiedergegeben wurden. Schließlich und endlich wechselte die Qualität der Berichte sehr häufig, was mit der außerordentlich hohen Fluktuationsrate unter den Berichterstattern zusammenhing.

3. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Versammlungsberichte (und damit auch die Übersichten über die Wahlergebnisse) zumeist von den gewählten Schriftführern angefertigt wurden, die zugleich Berichterstatter waren.

4. Auf der unteren bzw. der untersten Organisationsebene in Gestalt der Abteilungen und Bezirke begannen nahezu alle Parteikarrieren. Betrachtet man jedoch die Biographik, so finden sich in den Lebensbeschreibungen sozialdemokratischer Funktionäre, die bis in die oberste Führungsebene aufstiegen, darüber zumeist nur wenige oder gar keine Angaben bzw. Aussagen.

5. Viele führende Funktionäre der deutschen Sozialdemokratie, die in Berlin ansässig waren, wie Paul Hirsch, Otto Wels und Fritz Zietzsch, übten zu Beginn ihrer Parteikarriere auf der mittleren, unteren und untersten Parteiebene zahlreiche Ämter aus.

6. Auch spätere Spitzenfunktionäre der deutschen Gewerkschaften  wie Louis Brunner (hauptamtlicher Sekretär des  Deutschen Verkehrsverbundes und Vorstand des ADGB), Emil Lehmann (Hauptkassierer des Deutscher Holzarbeiter-Verbandes) oder Richard Seidel (führender Gewerkschaftsredakteur, der die „Gewerkschafts-Zeitung“ bis zu ihrem Verbot Ende April/Anfang Mai 1933 redigierte) hatten auf diesen Ebenen zu Beginn ihrer Karriere eine oder mehrere Funktionen inne.

7. Die Verweildauer der meisten Ortsvereinsfunktionäre in ihren Ämtern war recht niedrig. Mit anderen Worten: Die Zusammensetzung der Ortsvereinsvorstände wird durch eine außerordentlich hohe Fluktuationsrate charakterisiert, wobei es aber auch Beispiele für eine relativ hohe personelle Kontinuität in den Vorständen gibt, so im sozialdemokratischen Ortswahlverein Köpenick. Ob der hohen Fluktuation in den Vorstandsämtern vor allem innerparteiliche Entwicklungsprobleme und/oder wirtschaftliche Momente (Berlin war seinerzeit auch für viele Sozialdemokraten nur Durchgangsstation in der Ost-West-Wanderung) zugrunde liegen, kann auf Grund des völlig unbefriedigenden Forschungsstandes bisher nicht gesagt werden.

8. Dagegen war die Kontinuität bzw. Verweildauer der Funktionäre in den Vorständen der sozialdemokratischen Reichstagswahlvereine relativ hoch, zumindest was die Funktionen der Vorsitzenden und der Kassierer anbelangte. Für die übrigen Ämter, wie Schriftführer, Beisitzer, Revisoren und Mitglieder der verschiedenen Ausschüsse (dass heißt vor allem der  Zeitungskommission, des Bildungs- und Jugendausschusses des jeweiligen Wahlvereines) war ein ständiger Wechsel der Funktionsträger typisch. Allerdings gab es auch Ausnahmen, so zeichnete sich die Besetzung der beiden Protokollführerfunktionen im sozialdemokratischen Wahlverein für den 2. Berliner Reichstagswahlkreis durch eine besonders hohe Kontinuität aus: Johannes Rautmannxe "Personenverzeichnis:Rautmann, Johannes (Schriftsetzer)/Berlin II" hatte das Amt eines 1. Schriftführers von 1904 an über mindestens zehn Jahre hinweg (!) inne, und Leopold Jakubowski war von 1906 bis 1911 sein Stellvertreter.

9. Die Anstellung eines „Vorwärts“-Spediteurs erfolgte nach den gleichen Grundsätzen wie die Wahl eines Funktionärs und zeichnete sich in der Besetzung auf allen Ebenen (Reichstagswahl- wie auch Ortsvereine) im gesamten  Untersuchungszeitraum durch eine sehr hohe Kontinuität aus. Das hing aber damit zusammen, dass dieses Amt schon sehr früh ein hauptamtliches war. Gleichzeitig spielten die Spediteure bzw. Expedienten des „Vorwärts“ bei der Vergabe der Parteiämter auf der mittleren und unteren Ebene eine entscheidende Rolle. Wenn überhaupt eine Berufsgruppe bei ihrer Besetzung deutlich überrepräsentiert war, dann handelte es sich um diese relativ große Gruppe von Parteiangestellten. Sie hatte somit auch einen meinungsbildenden Einfluss.

10. Die bisher in der Historiographie über die deutsche Sozialdemokratie unterschwellig bzw. offen vertretenen These, dass ihre führenden Theoretiker, ob rechte oder linke,  sich abstinent gegenüber der alltäglichen Parteiarbeit verhalten hätten, kann so nicht mehr aufrecht gehalten werden. An dieser Stelle seien nur folgende markante Beispiele angeführt: Bruno Borchardt (Charlottenburg), Kurt Eisner (Lichterfelde) oder Heinrich Lauffenberg (Pankow) übten an ihrem Wohnort zeitweise das Amt eines Ortsvereinsvorsitzenden aus; selbst Rosa Luxemburg gehörte vorübergehend dem Bildungsausschuss des Verbandes der sozialdemokratischen Wahlvereine von Großberlin an. Mehr noch: Eisner war im Jahre 1906 sogar Multifunktionär und zugleich sozialdemokratischer Kandidat für die Lichterfelder Gemeindevertretung. 

11. Es ist durchaus eine typische Erscheinung für die Vorstände sozialdemokratischer Ortsvereine, dass aus einer Familie mehrere Funktionäre kamen. Hierbei traten vor allem folgende Kombinationen auf: Ehemann und -frau, Sohn/Vater und Bruder/Bruder.

12. Auf Grund des seinerzeit vor allem in Arbeiterkreisen üblichen häufigen Wohnungswechsels übten nicht wenige Funktionäre während ihrer Parteikarriere in mehreren Orts- oder Reichstagswahlvereinen ein oder mehrere Ämter aus.

13. Im Verhältnis zu den Mitgliedern dürfte keine andere deutsche Partei so viele Angehörige in ihren Funktionärsapparat, und sei es zumeist auch nur für kurze Zeit und oft ausschließlich auf der untersten Ebene, einbezogen haben wie die Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Will man eine Hochrechnung anstellen, so hatten in der Berliner Sozialdemokratie ungefähr 7500 Personen im Zeitraum zwischen 1900 und 1914 eine Funktion inne. Der Verband sozialdemokratischer Wahlvereine Berlins und Umgegend zählte Mitte 1907 genau 78365 Mitglieder. Somit entspräche die genannte Funktionärszahl  einem Zehntel der damaligen Mitgliedschaft. Allerdings war die Fluktuationsquote unter den Berliner Vorstandsmitgliedern im gesamten Zeitraum recht hoch und wuchs auch die hiesige Sozialdemokratie in den folgenden Jahren noch sehr in die Breite, so dass dieser Prozentsatz für den gesamten Untersuchungszeitraum wohl unter 10 lag.

14. Ungeachtet dessen war der Anteil der zugleich politisch Organisierten in den Gewerkschaften relativ gering wie eine Statistik des Ortsvereins Nowawes-Neuendorf aus dem Jahre 1900 offenbarte. In späteren Jahren wurde im Untersuchungsraum auf entsprechende statistische Erhebungen grundsätzlich verzichtet.

15. Der Aufbau des kleinsten  war stets ein Spiegelbild des größten Ortsvereins, so dass Folgendes galt: Je kleiner der Verein war, um so höher war der Prozentsatz jener Mitglieder, die dem Funktionärskörper angehörten und in die organisierte Parteiarbeit einbezogen wurden.

16. Was den inneren Aufbau der sozialdemokratischen Organisation Großberlins anbelangte, so gab es keine starren Strukturen in bestimmte Orts- oder Bezirkswahlvereine; vielmehr waren die unteren Struktureinheiten der Berliner Sozialdemokratie ständigen Veränderungen unterworfen, die sich dem territorialen wie auch dem starken Bevölkerungswachstum stets wie auch umgehend anpasste.

17. Veränderungen in der Organisationsstruktur der Berliner Sozialdemokratie nahmen sogar zuweilen Veränderungen in der Verwaltungsstruktur Großberlins vorweg. Beispielsweise traten die in Neuenhagen ansässigen Mitglieder schon im Jahre 1901  aus dem sozialdemokratischen Ortswahlverein Rummelsburg aus und bildeten fortan einen eigenen Verein, während die politisch-administrative Trennung Neuenhagens von Rummelsburg erst am 1. Januar 1906 vollzogen wurde.

18. In der steten Ausformung der Ortsvereine spiegelte sich das Breitenwachstum der Berliner bzw. der deutschen Sozialdemokratie wider.

19. Erstaunlich gering ist der Prozentsatz derjenigen Funktionäre der mittleren bzw. unteren Ebene, die in der Sozialdemokratischen Partei, in den Gewerkschaften oder in einer anderen Arbeiterorganisation zu irgendeiner Zeit eine hauptamtliche Funktion innehatten bzw. fest angestellt waren. Auch wenn auf Grund von Informationsdefiziten nicht immer eindeutig ermittelt werden kann, ob der entsprechende Funktionär identisch ist mit dem namensgleichen Partei- oder Gewerkschaftsangestellten, der im „Handbuch des Vereins Arbeiterpresse“ zu finden ist, dürfte der Prozentsatz nicht 1 erreichen. Wie schwierig oftmals eine Verifizierung ist, illustriert das Beispiel des  Charlottenburger Bezirks- bzw. Gruppenleiters Richard Bockxe "Personenverzeichnis:Bock, Richard". Im vorstehend genannten Handbuch, IV. Folge, fand sich ein Berliner Gewerkschaftsangestellter mit dem gleichen Namen, wobei folgende Angaben gemacht wurden: „geb. 10.11.1874 in Gardelegen, Industriearb[eiter] – Seit Dez. 1919 Angest. Im Verkehrsb[und] – Bezirksleiter SPD. – Schiedsmann. – Gewerbegerichtsb[eisitzer].“ Zwar spricht vieles dafür, dass es sich um ein- und dieselbe Person handelt, doch fehlt dafür ein letzter Beweis.

20. Das Amt des Ortsvereinsvorsitzenden bzw. das des Kassierers wurde zumeist von Personen ausgeübt, die sich eine kleine selbständige Existenz als Gastwirt oder Zigarrenhändler aufgebaut hatten, zugleich waren ihre Wirtschaften bzw. Geschäfte immer wieder Anlaufstelle für alle Vereinsmitglieder, sei es als Zahlstelle, Treffpunkt, Ausgangspunkt bei Flugblattverbreitungen oder bei der Einsichtnahme in die dort ausliegenden Wählerlisten.

21. Die Besetzung der übrigen Ämter (Schriftführer, Beisitzer, Revisoren und Ausschuss- bzw. Kommissionsmitglieder) war dagegen ein Spiegelbild der Sozialstruktur der Mitgliedschaft des jeweiligen Ortsvereins.

22. Zahlreiche Ortsvereine führten bis 1905 alljährlich Erhebungen über die soziale Zusammensetzung ihrer Mitgliedschaft durch, wobei diese Statistiken nicht nach einheitlichen soziologischen Kriterien, sondern nach Gutdünken des jeweils dafür verantwortlichen Kassierers aufgestellt wurden,  wodurch Vergleiche oder gar Verallgemeinerungen außerordentlich erschwert werden. Über die Ursachen, dass nach 1905 die Ortsvereine (übrigens im Unterschied zu den sozialdemokratischen Vereinen in den Reichstagswahlkreisen) keine derartigen Übersichten mehr aufstellten, kann nur spekuliert werden. Der Grund könnte in der fehlenden Vergleichbarkeit der Daten ebenso wie in der Überlastung der dafür verantwortlichen Personen liegen; auch ist nicht auszuschließen, dass in Funktionärs- und/oder Mitgliedskreisen die Frage nach dem Sinn für solche aufwendigen Erhebungen gestellt wurde. 

23. Die einzelnen statistischen Erhebungen offenbaren jedoch, dass die Sozialdemokratie zumindest bis 1905 im wahrsten Sinne des Wortes eine Arbeiterpartei war. Selbstständige spielten in der Berliner Mitgliedschaft der Sozialdemokratischen Partei – statistisch gesehen – eine nebensächliche und die so genannte Arbeiteraristokratie wie auch die Akademiker sogar nur eine marginale Rolle. An dieser Stelle sei dafür nur ein markantes Beispiel angeführt: Unter den 161 Mitgliedern des durch die so genannte Stampfersche „Privatkorrespondenz“ – auch „Lichterfelder Meinungsfabrik“ genannt (Rosa Luxemburg) – deutschlandweit berühmt gewordenen Ortsvereins Großlichterfelde-Lankwitz befanden sich im Jahre 1901 ganze vier Redakteure (darunter Friedrich Stampfer selbst) und Schriftsteller.

24. Auf Grund entsprechender Statistiken in einigen Ortsvereinen (unter anderem in denen von Mariendorf, Reinickendorf und Schöneberg) und den Angaben zum Lebensalter in den für den Untersuchungszeitraum systematisch ausgewerteten Todesanzeigen des „Vorwärts“ kann geschlussfolgert werden, dass das Durchschnittsalter der Berliner Parteimitgliedschaft und somit auch der Funktionäre relativ niedrig war. Die Mehrheit der Mitglieder hatte vermutlich ein Lebensalter von unter 40 bzw. 35 Jahren. Die Analyse der der besagten Anzeigen offenbart zudem, dass die aktiven Funktionsträger bei ihrem Ableben meistens im dritten oder vierten und nur in ganz seltenen Fällen im  fünften Lebensjahrzehnt standen.

25. Die Transparenz, was die innere Struktur der Sozialdemokratischen Partei anbelangt, war in keiner anderen Periode so groß wie zwischen 1900 und 1914. Waren es in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts zunächst die Nachwirkungen des Sozialistengesetzes, welche die Berichterstatter bzw. Schriftführer immer wieder davon abhielten, der sozialdemokratischen Presse namentliche Aufstellungen der gewählten Funktionäre zu übergeben, so war es nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs dieselbe Furcht, welche die Redaktionen der Parteiblätter oftmals davor zurückhielt, die entsprechenden Namen abzudrucken, das heißt publik zu machen. Hinzu kam, dass viele Funktionsträger, unter ihnen auch die Berichterstatter oder Schriftführer, zum Heeresdienst einberufen worden waren und nicht in jedem Fall durch sofortige Neuwahlen ersetzt wurden bzw. ersetzt werden konnten. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs war es wohl zunächst der Auseinandersetzung mit der USPD bzw. der KPD und später der mit der KPD oder der NSDAP geschuldet, dass immer wieder Namensnennungen unterblieben.