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Gerhard Banse / Lutz-Günther Fleischer (Hg.) Energiewende. Produktivkraftentwicklung und Gesellschaftsvertrag 5. Jahreskonferenz der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften 2014, [= Abhandlungen der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften, Bd. 31], 315 S., zahlr. Tab. u. Abb., ISBN 978-3-86464-006-3, 44,80 EUR lieferbar => Bestellanfrage |
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Klappentext
Die „Energiewende“ ist ein ganzheitlicher Transformationsprozess mit einer Reihe folgenreicher struktureller Veränderungen unter den gegebenen und sich ständig wandelnden nationalen, europäischen und globalen Bedingungen. Für dieses Problemspektrum existiert kein Fundus „fertiger Lösungen“. Es generiert vielmehr mannigfaltige und schwierige naturwissenschaftlich-technische, wirtschaftliche, ökologische, soziale, kulturelle und politische Herausforderungen, d.h. auch Such- und Lernprozesse. Mit der Thematik „Energiewende – Produktivkraftentwicklung und Gesellschaftsvertrag“ hat die Leibniz-Sozietät der Wissenschaften somit einen zentralen Gegenstand aktueller wissenschaftlicher sowie politischer Debatten in den Mittelpunkt ihrer Jahrestagung 2012 gerückt. Das gewählte Problem verdeutlicht fast prototypisch ihr Grundanliegen: wissenschaftlich und gesellschaftlich bedeutsame Aufgaben und fachübergreifende Herausforderungen inter- und transdisziplinär zu erörtern, um aktuell Erforderliches und Zukünftiges – Mögliches, Erstrebenswertes, Notwendiges, zu Verhinderndes – faktenreich darzulegen.
Inhaltsverzeichnis
Begrüßung 17 Grußwort 23 Im Fokus von Theorie und Praxis: Die Energiewende – ein komplexer gesellschaftlicher Transformationsprozess mit konkurrierenden Zielen, Prozessen sowie Strategien 25 Einige Darlegungen zu den physikalisch-technischen Aspekten der Energiewende 75 Regenerative Energien, natürliche Wirkungsgrade und die besondere
Rolle der Solarenergie 85 Probleme beim Übergang zur Vollversorgung mit Erneuerbaren
Energien 101 Zur Energiewende in Deutschland. Anmerkungen aus der Sicht der Geowissenschaften – Überblick 113 Energiewende im Klimawandel 125 Zur Energiefrage 133 Wohin führt die „Energiewende“? 137 Kann Kernfusion die Bedarfslücke bei Elektroenergie im
21. Jahrhundert umweltverträglich schließen? 147 Geowissenschaftliche Aspekte der Endlagerung radioaktiver Abfälle 165 Zum Integritätsverhalten von Salinarbarrieren 189 Rückbau des Kernkraftwerkes Rheinsberg als Beispiel für den Rückbau von Kernkraftwerken 219 Gesellschaftliche Herausforderungen im Lichte der Energiewende.
Die Energiewende als ökonomische und soziale Frage.
Zusammenfassung 233 Wandel des Systems der Elektrizitätsversorgung – Was Bürger
darüber denken und dazu erwarten 237 Herausforderungen und Chancen der Energiewende für kleine und mittelständische Unternehmen. Zusammenfassung 249 Der erfolgreiche Einstieg in die Energiewende und den sozialökologischen Umbau als Voraussetzung einer „Großen Transformation“ 251 Wirtschaftswachstum und nachhaltige Entwicklung 273 Sichere Energieversorgung als globales Problem 293 Autoren 313
Einleitung
„Bei einer Wende erfolgt ein Kurswechsel, bei dem das
Schiff mit dem Bug durch den Wind geht, das heißt der Wind kommt während des
Manövers kurzzeitig auch von vorn". Er bläst den Akteuren daher buchstäblich
ins Gesicht. Dieser Bordwind resultiert aus dem atmosphärischen Wind und dem
Fahrtwind. „Seine Richtung wird vom Verklicker an der Mastspitze des Bootes
angezeigt. Je nach Kurs zum Wind unterscheiden sich die Stellung der Segel
und ihr Trimm". Beim Kommando „‚Klar zum Wenden‘ […] sollte der Steuermann
bereits auf einem ‚Am-Wind-Kurs‘ sein". Letztendlich geht es darum, das
Großsegel und danach die Fock sicher auf den neu gewählten Kurs einzustellen
und dynamisch verbessernd auf ihm bestmöglich voranzukommen.
Was „Die freie Enzyklopädie Wikipedia" für die Wende
als anspruchsvollem Manöver beim Segeln aussagt, wird – ebenso wie die darin
einbezogenen Wörter: Schiff, Wind, Kurs, segeln, trimmen, steuern – vielfach
durchaus hilfreich als gedanklich anregende und verständnisfördernde
Metapher in Anspruch genommen.
Hinsichtlich der Energiewende in Deutschland
drängt sich zunehmend der Eindruck auf, dass bei diesem herausragenden
„Wendemanöver" mit einschneidenden gesamtgesellschaftlichen Veränderungen
gegenwärtig widrige Verhältnisse, wie Starkwinde, Unsicherheiten (leider
auch bemerkenswerte Mißweisungen) bei der Kursbestimmung und der Einhaltung
der gewählten Richtung, herrschen. Obwohl die „Verklicker" technisch
aufwändig verfeinert wurden, anzeigen und sogar ermitteln, woher der
resultierende Bordwind weht, sind die Segel und ihr Trimm bei der
Energiewende nicht auf einem „Am-Wind-Kurs", geschweige denn „Klar zum
erfolgreichen Wenden". Einige Personen und Institutionen fordern und
begründen deshalb einen Reset. Das Institut für Technikfolgenabschätzung und
Systemanalyse (ITAS) im Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
thematisiert die „Energiewende 2.0", um sie als eine tief in die
Gesellschaft eingreifende Transformation des soziotechnischen Systems (2.0)
zu apostrophieren. In den vorgelegten Abhandlungen werden Sie – auf der
Basis einer eingehenderen (offenen) Bestimmung des Begriffs Energiewende –
dezidierte Ausführungen von Autoren auch zu diesem, vom ITAS 2013
verlautbarten Standpunkt finden.
Mit der sachlich gebotenen umfassenden Thematik „Energiewende
– Produktivkraftentwicklung und Gesellschaftsvertrag" hat die
Leibniz-Sozietät der Wissenschaften einen zentralen Gegenstand aktueller
wissenschaftlicher sowie politischer Debatten in den Mittelpunkt ihrer
Jahrestagung 2012 gerückt (das Programm ist als Anlage dieser Einleitung
beigefügt). Das gewählte komplexe Problem verdeutlicht fast prototypisch ihr
Grundanliegen: wissenschaftlich und gesellschaftlich bedeutsame Aufgaben und
fachübergreifende Herausforderungen inter- und transdisziplinär zu erörtern,
um aktuell Erforderliches und Zukünftiges – Mögliches, Erstrebenswertes,
Notwendiges, zu Verhinderndes – faktenreich darzulegen.
Dass die Energiethematik auf Interdisziplinarität
verweist, mehr noch: geradewegs darauf drängt, ist evident: Die damit
verbundenen wissenschaftlichen Fragestellungen reichen von der
Rohstofferkundung und -förderung über vielfältige Transport-, Wandlungs-,
Speicherungs- sowie wichtige energetische Anwendungsprozesse in den
unterschiedlichsten Nutzerbereichen bis zu effektiven Nutzungsmustern in
mannigfaltigen technischen Applikationen – einschließlich der Probleme der
Versorgungssicherheit und der Beeinflussung des Klimas.
Der im Alltäglichen nur vage umrissene Begriff
Energiewende soll den schwierigen gesamtgesellschaftlichen
Transformationsprozess in seinem für Deutschland typischen, vielfältigen und
vielschichtigen Beziehungsgefüge, mit einem charakteristischen und dichten
Problemgeflecht (einschließlich offener und verdeckter Widersprüche) sowie
augenfällig andersgearteten – eben nicht alternativlosen –
Realisierungsvarianten erfassen.
Die Energiewende ist objektiv ein
gesamtgesellschaftlich abzustimmender, ebenso zu gestaltender, zu
verwirklichender und zu verantwortender ganzheitlicher
Transformationsprozess mit einer Reihe folgenreicher struktureller
Veränderungen unter den gegebenen und sich standig wandelnden nationalen,
europäischen und globalen Bedingungen. Für dieses Problemspektrum existiert
kein Fundus „fertiger Lösungen". Es generiert vielmehr mannigfaltige und
schwierige naturwissenschaftlich-technische, wirtschaftliche, ökologische,
soziale, kulturelle und politische Herausforderungen, d.h. auch Such- und
Lernprozesse.
Eine schlüssige Energiewende ist wesensgemäß nur als
länger währender – in seiner Gesamtheit nach mehreren Dezennien zu
bemessender – gesamtgesellschaftlicher Umgestaltungsprozess und damit auch
als kultureller Umbruch zu verstehen sowie als „Gemeinschaftswerk"
erfolgreich zu gestalten. Dieses Geschehen bedarf ebenso aller materiellen
und immateriellen Produktivkräfte: der natürlichen, geistig-kulturellen,
humanen, wissenschaftlichen, technischen, technologischen und
organisatorischen Ressourcen der Gesellschaft, wie des gesellschaftlichen
Willens und des verpflichtenden Konsenses eines allerseits verbindlichen
Gesellschaftsvertrags.
Es ist offenkundig: Nicht erst zur realen Gestaltung
und zur effektiven Partizipation, sondern bereits zum annähernden
Verständnis für die Mittel und Prozesse der Energiewende ist
naturwissenschaftlich-technisches Basiswissen vonnöten. Dabei sind die
Erhaltungssätze der Physik und das universelle Entropieprinzip von
grundlegender Bedeutung. Dem folgt der bewusste Umgang mit eindeutig
definierten oder in ihrem Inhalt und Umfang zumindest ausreichend
beschriebenen wesentlichen Begriffen, um Mißverständnisse auszuschließen und
Unbestimmtheiten weitgehend einzuschränken. Die wissenschaftliche Sorgfalt
beginnt bei der objektiven Charakterisierung der Chiffre „Energiewende" –
selbst dann, wenn es sich lediglich um eine Legaldefinition handelt. Sie
setzt sich vor allem in fachübergreifenden, inter- und transdisziplinären
Darstellungen fort und sollte generell jegliche qualifizierte
Meinungsäußerung einschließen.
Eine kleine, dennoch aufschlussreiche Episode soll die
Anmerkung illustrieren: Können interessierte Bürger unseres Landes wirklich
sachgerecht informiert und motiviert werden, wenn ausgerechnet die Agentur
für Erneuerbare Energien e.V. (AEE) in ihrem Informationsportal in mehreren
Zusammenhängen und nahezu leitmotivisch beteuert: „Deutschland hat
unendlich viel Energie"? Müssen anerkennenswerte journalistische
Kampagnen oder ein vordergründiges Marketingdesign wirklich den Konsens mit
der elementaren Physik aufkündigen und, auf die Wirkung von Arabesken
hoffend, trivialisieren. Selbst für die faktisch unerschöpflichen, weil sich
unter den obwaltenden stationären Systembedingungen erneuernden bzw.
erneuerbaren Energieträger, die Einkommensenergieträger, kann „unendlich
viel" beim besten Willen nicht testiert werden. Würde für Deutschland – die
unter den gegebenen natürlichen Bedingungen nur zu ca. 50 % erreichte –
jahresmittlere globale Strahlungsflussdichte (die solare
Strahlungsleistung pro Flächeneinheit) von 240 W/m2 am vorderen
(oberen) Ende der natürlichen Entwertungskette der Solarstrahlung innerhalb
der komplexen Geosysteme unterstellt, resultierte für seine Gesamtfläche ein
Leistungspotenzial von 85,7 TW (Terawatt) oder 1,067 MW (Megawatt) pro
Einwohner. Die Zahlenwerte sind durchaus beachtlich, aber – wie objektiv
geboten – verglichen mit dem Standard (der Benchmark) der Unendlichkeit: der
abzählbar unendlichen Menge der Primzahlen oder der Mächtigkeit der Menge
der natürlichen Zahlen, definitiv „sehr" endlich. Ein Übriges tun – wegen
der im AEE-Zitat vollkommen ignorierten, faktisch allerdings noch
bedeutenderen qualitativen energetischen Aspekte und des universell
„regierenden" Entropieprinzips – die Wirkungsgrade der sich anschließenden
natürlichen und technischen Transport- sowie Konversionsprozesse und andere
Restriktionen.
Schon der bisherige Verlauf der Energiewende in
Deutschland belegt eindringlich den fundamentalen Tatbestand, dass
Wissenschaft, Technik und – in einer noch komplexeren Emergenzebene – die
Technologien, wesensgemäß immer auch im Spannungsfeld von Markt, Macht und
Moral (Mensch) stehen. Notwendigerweise bedürfen sie auf dem Weg ihrer
Realisierung der öffentlichen Reflexion, klärender Debatten, argumentativer
Dialoge und in deren Ergebniss wissensbasierter konsensualer Lösungen sowie
Handlungsmuster mit selbstbeschränkenden Kompromissen.
Im vorliegenden Band werden Hauptinhalte des in hohem
Grade komplexen gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozesses
„Energiewende in Deutschland" in seinen signifikanten Kontexten
umrissen, besonders das Wesen, die Verlaufsformen, Instrumentarien und
Realisierungsbedingungen der immanenten Teilprozesse skizziert sowie
konkurrierende Erwartungen an das zukünftige Energiesystem – mit seinem
strukturellen/funktionellen Kern: der Elektroenergieerzeugung/-anwendung –
aus den unterschiedlichen Perspektiven der Autoren erörtert sowie selbst
erkundete und erlebte, absehbare bzw. wahrscheinliche Folgen beschrieben.
Hervorgegangen sind sie aus der o.g. Jahrestagung 2012 der Leibniz-Sozietät,
entweder aus Vorträgen auf ihr oder als Ergebnis von Anregungen durch sie.
Dafür danken die Herausgeber allen Autoren.
Die Darlegungen in diesem Band wollen dazu beitragen,
dass sowohl das relevante Sachwissen über die Funktionen und Strukturen der
Energiewende, ihre Konstituenten und deren wechselseitige Beeinflussungen,
die Bedingungen, Verlaufsformen sowie ihre Ursachen und Triebkräfte, als
auch die Sinngebung transparent vertieft und erweitert werden.
Zielsetzungen, finale Orientierungen, ergeben sich nicht unmittelbar aus den
Mitteln: den technischen Optionen, den mit dem Entwurf, der Gestaltung und
dem Betrieb technischer Sachsysteme befassten Wissenschaften oder den
unverzichtbaren MINT-Kompetenzen. Sie sind erkennbar Mittel zum auch
interessengeprägten Zweck. Wisssensoziologen umschreiben diese
Beziehungsgefüge auch mit den gebräuchlichen Termini Verfügungs- und
Orientierungswissen.
Einige Autoren haben ihre Beiträge natur- und/oder
technikwissenschaftlich akzentuiert, andere die komplementären ökonomischen,
ökologischen, sozialen und politischen Implikationen einzeln oder im Kontext
als Schwerpunkt gewählt. Insgesamt bietet der so entstandene Band der
„Abhandlungen" ein facettenreiches Gesamtbild dieses herausragenden
Wandlungsprozesses. Naturgemäß sind – selbst aus der Sicht der Wissenschaft
und mit ihren Kriterien urteilend – die Meinungen über zu exponierende Ziele
und Mittel, mehr noch über präferierte Umsetzungsvarianten dieser komplexen
Veränderungen erheblich differenziert, ja, auch gegensätzlich.
Wir hoffen, dass die Diskussion zu relevanten Fragen
und Problem der Energiewende aus der Sicht einzelner Fachgebiete sowie aus
inter- und transdisziplinären Perspektiven in den Foren und mit Hilfe der
Medien der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin fortgeführt wird
und laden alle daran Interessierten aus der Öffentlichkeit gleichfalls dazu
ein.
Die Leibniz-Sozietät dankt ausdrücklich der Berliner
Senatsverwaltung für Wissenschaft, Technologie und Forschung, die die
Jahrestagung finanziell gefördert hat. Unser Dank gilt ebenfalls der
Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin und in Potsdam, die die Tagung und die
daraus resultierende Publikation finanziell unterstützten. Ein Dank der
Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin gebührt zudem der Regierung
des Landes Brandenburg – vor allem dem Finanz- und dem Wirtschaftsminister.
Auf deren Bitte fand die Jahrestagung der Leibniz-Sozietät erstmals in
Potsdam und nicht, wie sonst üblich, in Berlin statt. Das hat sich durchaus
bewährt.
Berlin, September 2013
Gerhard Banse
Lutz-Günther Fleischer |