Werner P. Lange

Hans Paasche. Das verlorene Afrika.
Ansichten vom Lebensweg eines Kolonialoffiziers zum Pazifisten und Revolutionär

[= Cognoscere Historias, Band 17],  trafo verlag 2008, 277 S., 61 Fotos und Abb., Hardcover, ISBN 3-89626-618-7, 39,80 EUR

 

   => Lieferanfrage

Zurück zur letzten Seite                    Zur Startseite des Verlages

 

„Wer aber nicht auswandert aus seinem alten Menschen, der wird in keiner Steppe frei.”

Hans Paasche (1881-1920)

 

Rosa Luxemburg, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky schätzten ihn: den Marineoffizier und streitbaren Pazifisten, Schriftsteller und Revolutionär, Großwildjäger und Naturschützer, Lebensreformer und Hochverräter Hans Paasche. Heute ist er zumeist nur noch als Verfasser der zauberhaften, kulturkritischen „Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland” bekannt, mit der er seinen Landsleuten einen Spiegel vorhielt, der bis heute nicht erblindet ist. Und Paasche erahnte noch andere, zu seiner Zeit kaum vorstellbare, Zusammenbrüche in Gesellschaft und Natur. Und behielt – leider – recht. Sein Leben und sein Vermächtnis zeigen, dass es einem wachen Menschen auch zu seiner Zeit möglich war, sich aus dem „Gestrüpp deutscher Erziehung” und deutscher Selbstgerechtigkeit zu befreien, wenn man bereit war, sich selbst zu ändern.

Dieser Band vereint - teils in Auszügen - Texte Hans Paasches zum Thema Afrika; mehrere davon erscheinen zum ersten Mal seit ihrer ursprünglichen Veröffentlichung.

 

   

Inhaltsverzeichnis

Vorwort .......9

Einleitung ......11

 

Otto Buchinger: Hans Paasche in Daressalaam ...........45

Hans Paasche: “Der Aufstand” und “Gefechte am Rufiyi” aus: “Im Morgenlicht. Kriegs-, Jagd- und Reise-Erlebnisse in Ostafrika” ......51

Hans Paasche: Meldungen aus dem Kriegsgebiet ........91

Hermann Paasche: Brief an Hans Paasche ..................93

Hans Paasche: Kolonie oder Zoologischer Garten ......95

Hans Paasche: Aus dem Tagebuch der “Hochzeitsreise nach den Quellen des Nils” .............101

Ellen Paasche: Makotis Ehe. Aus meinem afrikanischen Reisetagebuch ................... 109

Hans Paasche: Vom sterbenden Afrika ....................117

Gottfried Paasche: Hans Paasches “Kagera-Nil”.........121

Hans Paasche: Der Massenmord in Ostafrika ............. 135

Hans Paasche: Was ich als Abstinent in den afrikanischen Kolonien erlebte ..............139

Hans Paasche: Protest in elfter Stunde .........................161

Hans Paasche: Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland .........166

Hans Paasche: Nachwort............180

Hans Paasche: Bei Kriegsausbruch in Kamerun ......... 182

Hans Paasche: Die Wildnis ....................................... 190

Hans Paasche: Antwort an Landrichter Escher ............192

Hans Paasche: Meine Mitschuld am Weltkriege .......... 194

Hans Paasche: An Lettow und seine Afrikaner .. .......204

Hans Paasche: Das verlorene Afrika ........................207

 

Bildanhang .......................................229

Anmerkungen .................................267

Schriften von Hans Paasche .............277

 

 

 

 

Leseprobe aus: Buchinger: Hans Paasche in Daressalam

 

 

[ ... ]

 

Als ich im August des Jahres 1902 als junger Marine-Assistenzarzt nach Wilhelmshaven kam, da hörte ich gleich von einem Leutnant zur See, der in voller Uniform über die hufeisenförmig gedeckte, mit Schüsseln, Tellern und Gläsern überladene große Tafel des Offizierskasinos hinwegsprang und diesen Sprung öfters zum Besten gab. Dieser junge Leutnant war Hans Paasche.

Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis. Auch hier haben wir ein Sinnbild: Hans Paasche, über die Bratenschüsseln, Weinflaschen, Gläser, Zigarrenkisten und Zigarettenschachteln der zivilisierten und uniformierten Unkultur im Sprunge hinwegsetzend, forsch, übermütig, spielerisch, rücksichtslos, verachtend.

Im Vordergrunde seines Wollens und Wirkens stand während der Jahre unseres Zusammenwirkens: die Lebensreform und im besonderen die Bekämpfung des Alkoholismus. Wenigstens uns Alkoholgegnern von der Kaiserlichen Marine erschien es so, die wir lange Schulter an Schulter mit ihm standen. Die wahre Natur dieses übermütigen Landsknechts zeigte sich denn auch gleich in seiner Art der Trinksittenbekämpfung. Die Lust am Angriff, seine Unduldsamkeit gegen andere Ansichten, seine unerhörte Kaltblütigkeit und sein äußerster Radikalismus, der immer bis zum Letzten ging, seine Neigung zum Grotesken, zur Komik, zum Karikieren, zur Satire, das stürmische und scharfe Vertreten des einmal als richtig Erkannten, das sarkastische, etwas bissige Wesen, diese Finten, Hiebe, Stöße und Tritte nach "Landsknechtsart", dieser trockene, fast wilde Humor, die passen gerade nicht zur Art und Weise, wie man sich unter ahnungslosen Menschen etwa einen "Pazifisten" vorstellt.

 

[ ... ]

 

Hans Paasche war durch und durch Pazifist. Und doch gab es wohl selten eine so durch und durch kämpferische, polemische, kriegerische Natur wie ihn. Denn er griff schon an, wenn sich nur einer zeigte, der anderer Ansicht war.

Mit einem gewissen Stolz nannte er sich "Sozialist". Seinem Wesen nach war er jedoch alles andere eher. Er war durchaus Individualist. Das Unterordnen, in Reih und Glied stehen, die Disziplin lag ihm ganz und gar nicht. Seine schließliche Richtung lässt sich viel eher noch mit "Anarchismus" bezeichnen. Sozialismus ist immer auch Organisation und auch Uniformierung. Man spricht nicht umsonst von "Arbeiterbataillonen". Der frühere Seemann und Steppenjäger stammt aber aus einer geradezu entgegengesetzten Welt. Sogar der längst gestorbene Liberalismus unserer Großväter entsprach seiner Art noch mehr als der Sozialismus eines Marx, Engels und Bebel.

Bei so starker Licht- und Schattenverteilung dieses Menschenbildes, bei so stark sich widersprechenden Zügen seines Wesens ist man oft geneigt zu fragen: Was wirkte an Hans Paasche eigentlich so stark auf die Mitmenschen, vor allem auf die Jugend jeglichen Alters? Die Antwort kann nur lauten: Weil er lebendige Natur war. Kein Zerfaserer, Vernünftler, Heuchler und Moralist, sondern sprühendes, springendes, fließendes, rollendes Leben mit all seinen "Ungereimtheiten", seinem scheinbaren Chaos, seiner "Unvernunft", seinen Höhen und Tiefen, vor allem aber auch: Weil er jene überwältigende Komik des "trockenen Humors" besaß, hinter dem eine ernste, mutige und fast zwingende Persönlichkeit stand.

Das ewig "Jugendliche" also machte ihn bei jeglicher Art von "Jugend" so sehr beliebt und machte ihn jeglichem "Alter" auch so verdächtig. Das Urwüchsige, Groteske, Übermütige, oft Bizarre seiner Anlage zeigt sich wieder am besten in einer Anzahl von Erlebnissen.

Es war in Daressalaam, im "Hafen des Friedens", im Jahre 1905. Da lagen unsere beiden Kreuzer "Hertha" und "Bussard" friedlich nebeneinander. Nachmittags hatten wir uns auf Landurlaub getroffen und sahen vereint einer Ngoma zu, dem kreisförmigen Reigentanz der Suaheli-Neger. In der Mitte ein alter Mann, der eine quarrende Flöte spielte, während ein anderer eine Art Pauke bearbeitete. Der überwältigende Rhythmus dieser seltsamen, wilden Musik zuckte jedem Tanzgewohnten und Tanzbegabten durch alle Glieder. Lange standen wir vor dem tanzenden Ring. Die Sonne war am Untergehen hinter hochstämmigem Palmenwald. Einige Offiziere, Fähnriche, Beamte, Kaufleute waren hinzugetreten und sahen sich die grotesken Körperverrenkungen und ruckweisen Schritte und Sprünge der unermüdlichen Eingeborenen an. Plötzlich, mit einem charakteristischen Ruck, warf Paasche Tropenhut und Uniformjacke seinem Nebenmann in den Arm, sprang in den Kreis und tanzte die Ngoma mit, aber so naturecht, so überwältigend ernst-komisch, dass sowohl weiße wie schwarze Zuschauer die reine Lach-Ngoma tanzten, und alte Afrikaner versicherten, da fehle aber auch kein Zug an der "Echtheit". Bezeichnend war übrigens, dass der tanzende Kreis der Schwarzen durch den gut Kisuaheli sprechenden weißen Mittänzer durchaus nicht etwa gestört wurde, sondern ganz unbefangen weitertanzte. Er war ein echter Künstler, ein Genie im Einfühlen in die Seele, den Rhythmus, die Haltung, das "Drum und Dran" primitiver Menschen.

 

[ ... ]