Ina Grünjes

Lawrence von Arabien: Don Quichotte und Kreuzfahrer? 
Die Konstruktion von T.E.Lawrence als Mann des Mittelalters in der Neuzeit

[= Hochschulschriften, Band 12], trafo verlag 2006, 295 S., ISBN (10) 3-89626-598-9, ISBN (13) 978-3-89626-598-2, 32,80 EUR

 

ZU DEN REZENSIONEN

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Zum Inhalt

Thomas Edward Lawrence studierte an der Universität von Oxford Geschichte mit dem Schwerpunkt der mittelalterlichen Geschichte. In seiner Examensarbeit untersuchte er den Einfluss der Kreuzzüge auf die Militärarchitektur in Europa bis zum Ende des 12. Jahrhunderts. In zahlreichen Biographien über Lawrence wird der Standpunkt vertreten, dass sein Leben untrennbar mit dem Mittelalter verknüpft gewesen sei. Wird diesen Lebensbeschreibungen Glauben geschenkt, so ergibt sich der folgende Lebenslauf, der sich in seiner Darstellungsweise an Jeremy Wilson orientiert.2

Lawrence weiß bereits seit früher Kindheit alle Einzelheiten seiner illegitimen Geburt und flieht daraufhin schockiert in eine mittelalterliche Scheinwelt – liest seit früher Jugend romantische Ritterromane wie den Chanson de Roland, identifiziert sich dabei mit dem ebenfalls unehelichen Galahad und begibt sich auf die Suche nach dem Heiligen Gral – will als weißer Ritter seiner übermächtigen Mutter gefallen und erfindet ihr zuliebe Heldengeschichten – besitzt wie sein Lieblingsautor William Morris ein verklärtes Bild des Mittelalters, zumal beide in Oxford lebten – entwickelt besessenes Interesse für die Geschichte der Kreuzzüge und reist in den Orient um Kreuzfahrerbauten zu studieren – dieses Interesse kulminiert in der Niederschrift seiner Examensarbeit über Kreuzfahrerbauten und in der Teilnahme am arabischen Aufstand – will eigenen Kreuzzug führen und hält sich selbst für Richard I. Löwenherz (oder Saladin oder Merlin) – hält in Arabien das Mittelalter für existent und die Araber für Ritter – bereitet sich seit seiner Kindheit auf den arabischen Aufstand vor, durch den er endlich den langersehnten typisch mittelalterlichen Krieg führen kann – missbraucht sowohl die Araber als auch deren Aufstand für die Auslebung seiner Mittelalterfantasien – verfasst mit den Seven Pillars of Wisdom ein mittelalterliches Epos – will nach Ende des Krieges, so wie es im Mittelalter üblicherweise die Ritter getan haben, in ein Kloster eintreten, da es aber keine mittelalterlichen Klöster mehr gibt, tritt er konsequent in deren modernes Äquivalent, die Royal Air Force, ein.

Die meisten Biographien erwecken den Eindruck, als sei das Leben von Lawrence untrennbar mit dem Mittelalter verknüpft, mehr noch außerhalb dieses Kontextes und desjenigen der Illegitimität nicht einmal denkbar gewesen. In der vorliegenden Arbeit werden erstmals die Ursprünge der Darstellungen untersucht, in denen Lawrence’ Leben immer wieder mit dem Mittelalter in Verbindung gebracht wird. Berücksichtigt werden dabei ausschließlich die biographischen Schriften des angloamerikanischen Raumes. In vier Themenschwerpunkten sollen der Aspekt der Illegitimität, Lawrence’ vermutete Flucht in eine mittelalterliche Lebensfantasie und die Darstellungsweisen von Lawrence als Kreuzfahrer sowie die der Royal Air Force als mittelalterliches Kloster eingehend untersucht werden. Dabei werden sowohl Lawrence’ eigene Aussagen analysiert als auch die der Biographinnen und Biographen. Es soll aufgezeigt werden, wie diese Bilder entstanden und welchen Anteil Lawrence beziehungsweise die Biographien daran hatten. Die folgenden zentralen Fragen sollen dabei beantwortet werden: Litt Lawrence wirklich an seiner illegitimen Geburt? Floh Lawrence tatsächlich in eine Art mittelalterliche Scheinwelt, in der er sich selbst als Kreuzfahrer oder Ritter sah? War sein Interesse für die Kreuzzüge tatsächlich von einer Besessenheit gekennzeichnet? Betrachtete Lawrence tatsächlich die Royal Air Force als modernes Äquivalent zum Kloster des Mittelalters und hielt er die Araber tatsächlich für mittelalterliche Ritter? Oder sind dies nur Behauptungen, die in Biographien aufgestellt werden? Wenn dem so ist, wie sind dann diese Darstellungen entstanden und warum haben sie sich so lange halten können? Gab es einen Wandel in der Darstellungsweise dieser Thesen in den Biographien? Haben sich die Biographinnen und Biographen gegenseitig beeinflusst?

 

Inhaltsverzeichnis

Vorwort 9

I. Einleitung 11

1. Forschungsgegenstand 11

2. Forschungsstand 13

2.1 Forschungsstand im Allgemeinen 13

2.2 Lawrence als Mann des Mittelalters 15

3. Methodische Vorgehensweise 16

3.1 Die Quellen 19

3.1.1 Lawrence’ Schriften 19

3.1.2 Biographische Schriften über Lawrence 21

4. Die Erfindung von "Lawrence von Arabien" 22

5. Historischer Hintergrund 24

 

II. Der Aspekt der Illegitimität 36

1. Zu welchem Zeitpunkt wusste Lawrence von seiner illegitimen Geburt? 37

2. Lawrence’ Umgang mit seiner illegitimen Geburt in Selbstzeugnissen und in der Rezeption seiner Zeitgenossen 47

2.1 Aussagen von Lawrence über seine Illegitimität 49

2.2 Aussagen aus Lawrence’ Freundes- und Bekanntenkreis bezüglich seiner Illegitimität 54

3. Ergebnisse 59

4. Theorien von Biographen bezüglich Lawrence’ Illegitimität 61

4.1 Lawrence’ Namenswechsel als Ausdruck des Leidens an seiner Illegitimität? 73

 

III. Das Studium des Mittelalters und das Lesen von Büchern als Flucht in eine mittelalterliche Lebensfantasie? 78

1. Die Darstellungen von Robert Graves 78

1.1 Das Entstehen der Biographie von Robert Graves 79

1.2 Die Konstruktion der mittelalterlichen Vorstellungswelt in der Biographie von 1927 82

1.3 Graves’ Quellen für seine Mittelalter-Konstruktion 88

1.3.1 Lawrence’ Aussagen über sein Interesse am Mittelalter gegenüber Graves 88

1.3.2 Lawrence’ Darstellung von Auda abu Tayi und die der Araber im Kontext zum arabischen Aufstand 90

1.3.3 Lawrence’ Sicht auf die Araber und Arabien außerhalb der Seven Pillars of Wisdom 102

1.4 Graves’ Darstellung von Lawrence als Troubadour von 1965 114

1.4.1 Lawrence, der Troubadour der Moderne 114

1.4.2 Die Hintergründe für Graves’ Troubadour-Konstruktion 119

2. Die Rezeption der Konstruktionen Graves’ in den Biographien nach 1927 121

2.1 Die Rezeption der arabischen Welt in den Biographien 122

2.2 Lawrence’ Leidenschaft für das Lesen 125

3. Ergebnisse 136

 

IV. Die Konstruktion von T. E. Lawrence als Kreuzfahrer 139

1. Definition der Begriffe Kreuzzug und Kreuzfahrer 140

2. Der Mythos der Kreuzzüge im 19. und 20. Jahrhundert 144

2.1 Die Bedeutung der Kreuzzüge während des Ersten Weltkrieges 147

3. Die Konstruktion als "Kreuzfahrer" und die der Kreuzzüge in den ersten Biographien von Lowell Thomas und Basil Liddell Hart 150

3.1 Lawrence als Nachfahre von Kreuzfahrern und als arabischer Ritter 151

3.2 Liddell Harts Bezeichnung von Lawrence als "Kreuzfahrer" 154

3.3 Die Quellen für Liddell Harts "Kreuzfahrer"-Konstrukt 161

3.3.1 Lawrence’ Aussagen über sein Interesse an den Kreuzzügen gegenüber Liddell Hart 165

3.3.2 Die Studienreise für die Examensarbeit durch Frankreich im Sommer 1908 166

3.3.3 Lawrence’ Studien zu den Kreuzfahrerbauten nach Beendigung seines Studiums 171

3.3.4 Die Bedeutung der Kreuzzüge im strategischen Zusammenhang zum arabischen Aufstand sowie im Allgemeinen für Lawrence 177

3.4 Der arabische Aufstand als moderner Kreuzzug? 182

3.4.1 Lawrence’ Motivation zur Unterstützung des arabischen Aufstandes 183

3.4.2 Lawrence’ Darstellung seiner Teilnahme am arabischen Aufstand in den Seven Pillars 186

4. Zwischenstand der Ergebnisse 190

5. Lawrence als Kreuzfahrer in den Biographien nach 1934 193

5.1 Biographien von 1935–1955 193

5.2 Biographien nach 1955 200

6. Ergebnisse 214

 

V. Die Royal Air Force als mittelalterliches Kloster 217

1. Der "Nachruf" 218

2. Die Wahrhaftigkeit von Graves’ Aussagen und Veröffentlichungen zu Lawrence 221

3. Die Quellen für Graves’ Darstellung 225

3.1 Lawrence’ Auffassung des Kasernenlebens als weltliches Klosterleben 225

4. Lawrence’ Gründe für den Eintritt in die Royal Air Force 230

4.1 Der Aspekt der Kameradschaft 231

4.2 Die Aspekte der Kriegserfahrung, Selbstbestrafung und Degradierung 231

4.3 Die Royal Air Force als eine Kur 238

4.4 Der Aspekt der finanziellen Absicherung 239

4.5 Die Royal Air Force als Sujet für ein Buch 240

4.6 Die Royal Air Force als Grund für den Eintritt 240

5. Vom "weltlichen Kloster" zum "Kloster des Mittelalters" 242

5.1 George Bernard Shaws condottiero-Vergleich 243

5.2 Liddell Harts Darstellung von Lawrence’ Eintritt in die Royal Air Force 245

5.3 Graves’ Auffassung von der Royal Air Force als mittelalterliches Kloster 250

6. Die Rezeption der Konstruktionen Graves’ und Liddell Harts um die Royal Air Force und die des mittelalterlichen Klosters in den Biographien nach 1934 254

6.1 Die Royal Air Force als Ersatz für ein Kloster des Mittelalters 254

7. Ergebnisse 263

 

VI. Resümee 267

 

VII. Anhang 271

1. Biographische Daten zu T. E. Lawrence (1888–1935) 271

1.1 Lawrence’ selbstverfasster Lebenslauf 273

Quellen- und Literaturverzeichnis 274

Abkürzungen 274

1. Ungedruckte Quellen 275

2. Gedruckte Quellen 279

Literatur 282