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Harald Gröhler

Herr Gehlen ohne Photo. 
Ein Bericht über den Gründer des Bundesnachrichtendiensts

trafo verlag 2006, 226 S., Tb, ISBN 978-3-89626-583-8, 15,80 EUR

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Zu den Rezensionen

 

Zum Inhalt

Gröhler führt dem Leser die Person Reinhard Gehlens vor, des Gründers und der langjährigen Leitfigur des Bundesnachrichtendiensts, einer Person der Zeitgeschichte. Darüber hinaus werden das Umfeld (auch das psychologische Klima) des BNDs und der Vorgängerorganisation, der »Organisation Gehlen«, behandelt. Die Zeit, die der Bericht bestreicht, sind das letzte halbe Jahr des Zweiten Weltkriegs und die Nachkriegszeit bis hin zum Beginn der Erhard-Kanzlerschaft.

Kennzeichnend für den Bericht ist die Koppelung von gewissenhafter Faktenbehandlung und gleichzeitig ironisch-spottvollem Zugriff. Oft waren die historischen Vorgänge in sich schon voller Ironie.

 

 

Leseprobe

 

Gehlen ließ ab Herbst sechsundvierzig seine Werber regelrecht ausschwärmen. Mehr Auswerter, mehr Kuriere, mehr V-Männer wollte er. Auch den Onkel von Uschi, den Friedel, fing er sich ein. Friedel, das war ein abgetakelter Nazioberst und dabei doch noch, jedenfalls so wie dessen Sohn aussagte, in vielerlei Hinsicht ein ungewöhnlicher Mann. Zunächst einmal schon ragte er seiner hünenhaft-massigen Gestalt wegen heraus. Friedel Herre lebte augenblicklich mit Familie in Mainz-Mombach und nahm nun nach Kriegsende manchmal den Wagen des Pfarrers Grell, eines Invaliden. Allerdings neunzehnhundertsechsundvierzig gab es in Deutschland weniger Sprit als während der gesamten Menschheitsgeschichte bis hin zum Bau des ersten Ottomotors, und deshalb mußte er den Grellschen Horch bald vorm Pfarrhaus belassen. Reinhard trug dem promovierten Wirtschaftsexperten und vormaligen Soldatenschinder Friedel Kurierdienste an, »zum Beispiel in die Zone hinein«, … vielmehr nur in die Ostzone hinein und sonst nirgends hin. Die Org beschaffte Friedel Benzin, Armeebenzin, und so konnte der den pfarrherrlich Grellschen Wagen wieder gut nutzen.

Friedel, der Arme, durfte lange nicht einmal seinen allerengsten Familienangehörigen angeben, für wen er arbeitete und warum er häufig verreiste. Jeder Neugeworbene und also auch Friedel unterschrieb in einer kurzgehaltenen ehrenwörtlichen Erklärung: Ich halte den Mund und werde den Mund halten. Reinhard Gehlen wußte, was Sache war.

Uschi durfte hin und wieder für Kurierdienste, kürzere vom Bluehouse nach Wiesbaden, ebenfalls den Horch-Wagen verwenden; Pfarrer Grell und darüber hinaus Onkel Friedel gestatteten es ihr, vielleicht nur auf persönliches Zureden von Reinhard hin. Sie war noch jung, den Führerschein hatte sie aber doch schon machen dürfen, als eine der ersten Deutschen nach dem Kriege. … Und zum vierten Male wurde sie, in Wiesbaden, wegen Überschreitung der Geschwindigkeit gestoppt. Die Polizisten verlangten ihr das Strafgeld ab, sie stöhnte. »Warum muß ich immer blechen, und die andern alle nicht. Liegt das an meinem Gesicht?«

»Nein«, sagte der eine der Beamten, »an Ihrem Fuß.«

Auch Kennkarten – wie die Personalausweise neunzehnhundertsechsundvierzig noch genannt wurden – brauchten Reinhards Mitarbeiter, Kennkarten, ohne die ja nichts Großes klappen konnte, und so hetzte Reinhard einmal mehr zu dem amerikanisch gewordenen Palasthotel in Wiesbaden. Das Hotel befand sich am heiß kochenden, fünfundsechzig Grad heiß sprudelnden Kochbrunnen, und der Bronn veredelte seinerseits den Amerikanern noch mit seinen runden Pavillonsbögen, seinem runden Kupferdach und seinen Wasserhähnen aus rundem gelblichem Messing den Palasthotelsbau, … obwohl es solcher Veredelung um so weniger bedurft hätte, als vierhundert Kilometer rundherum alles in Schutt verwandelt war und nur erst die Straßen soeben freigeräumt worden waren.

Gehlen, mit noch fliegendem Atem, jappend, in der Beletage des Palasthotels: »Colonel D., es müssen auch Kennkarten ausgegeben werden.«

»Richtig«, sagte Colonel D. Das sei völlig alright. »Ganz meine Meinung.«

»Oberst D., was dabei notwendig ist, extrem notwendig: auf den Kennkarten unsrer V-Leute muß natürlich der Deckname stehen. Wie verfahrn wir da? Wie schnell können Sie das in Angriff nehmen?«

»What do you say? Auch noch ein Deckname? So wie ein falscher Name, meinen Sie also?«

»Nicht auch ein Deckname«, sagte der deutsche Exgeneral – er präzisierte –, »sondern nur der Deckname. Was anderes können wir nicht brauchen.«

»That’s against the law.«

Mithin, der hochbewährte Oberst D. war nachrichtendienstlich ein Greenhorn.

»Ist gegen das Gesetz!« – wie Herrn Gehlen die Dolmetscherin Frau Baun im Konsekutivverfahren übersetzte. Eine derartige Antwort war Gehlen noch nicht so schnell entboten worden. Gehlen erlaubte sich nur anzumerken, »Sie sind ja peinlich unterbelichtet … in Geheimdienstsachen, äh, will sagen, unerfahren, äh«, und trollte sich samt Baunin wieder in den unkrautbestandenen Taunus. D., der Mann erwies sich als noch nicht versaut; anders als der Deutsche.

Auf dieser Rückfahrt hörte die Baunin Herrn Reinhard erst permanent ächzen und dann enthemmt reden, unerwarteterweise. Das Herz drehte sich der Frau im Leibe herum. Sie hörte, »ich bin am Boden zerstört.«

Nichts gegen das Gesetz durfte er tun! Damit war alles aus. … Gehlen wanderte zwischen der idyllisch bläulich im Sonnenglast schimmernden, in Fichten und Unkraut eingebetteten Bluehouse-Häusergruppe umher, sah nach den Brombeeren, trabte in seinem blauhäuslichen Arbeitsraum auf und ab, und zuletzt zitierte er Gerhard Wessel her und umwanderte Wessel sowie einmal auch Hermann Baun. Ihn, Baun, hatte er aus dem Schmittener Gasthof herholen lassen, den Baun mit der Hermann Baun verbliebenen Unterabteilung ganz belegt hatte. Von dem Dorf Schmitten, das damals wie heute im Hochtaunus zu finden war, fuhr Hermann Baun immer eine Viertelstunde mit dem Motorrad hierher.

Gehlen zum Kennkartendesaster: »Ich muß mich hinter einen andern klemmen. Das ist unabweisbar.«

Wessel: »Wie meinen Sie das? Hinter einen andern Ami? Da käm der in Frage, der Ihnen neulich mal so fabelhaft geholfen hat –«

»‘ch muß wieder mal den einen gegen den andern ausspielen. Da hilft alles nichts«, und so sehr entmutigt war Reinhard, daß er das von sich gab, obwohl Baun mit dabei war, Hermann Baun, den er recht ähnlich an die Wand spielte.

»Nur, wer Ihnen letztesmal«, sagte Baun – und sagte der brav –, »die Stange gehalten hat: an den Oberst reicht der ja gar nicht ‘ran. Er ist bloß Captain, der Captain Erikson.«

»Nützt doch nichts, Baun. Müssen’s versuchen, Wessel.«

Zwanzig Jahre später war Gehlen so dreist, sich öffentlich über D. und darüber, daß etwas nicht legal sei, lustig zu machen, jetzt aber strebte er nur wieder aus seinem teils noch blühenden Nachkriegsunkraut dem sechsunddreißig Kilometer entfernten Kochbrunnen zu und dort, im Hotel, dem Colonel D. G. grüßte militärisch, begrüßte unbedingt auch Captain Erikson, wobei er es im einen und im andern Falle noch verstand, ganz leicht ins Amerikanisch-Nachlässige abzurutschen. Keinen preußischen Ruch mehr. Hier nicht. Und einigermaßen geschickt knüpfte er an des Colonels Skrupel an. »Das geht niemals gegen das Gesetz, Colonel D.; kein bißchen. Wo ist denn jetzt der Captain Erikson hin? Ich darf Ihnen solange etwas vortragen? Ich möchte Ihnen als Frontsoldaten, der mit ND bisher nichts zu tun hatte, eine Kleinigkeit erklären. ND: Nachrichtendienst. Und außerdem ist der Gebrauch von Deckausweisen in nachrichtendienstlichen Verhältnissen international üblich. Jawohl. International; stehende Praxis.«

»Nein doch! Really not.«

»Wahrhaftig, Oberst D.*! Das sind eben solche Besonderheiten der nachrichtendienstlichen Arbeit. Lassen Sie sich auch von Captain Erikson unterrichten. Wo ist er denn gerade? Wenn er nur wiederkommen würde! Ich bin Ihnen wirklich sehr verbunden, –«

»Nitsky. Nein.«

»– daß Sie wenigstens den internationalen Offiziersgepflogenheiten selbstverständlichen Tribut zollen. Bei Ihnen erkenne ich doch immer wieder den Frontsoldaten. Bei Ihnen durchaus. O ja.«

Und der seitherige Ruf des Bundesnachrichtendiensts zeigt, wer sich im amerikanisierten, lilienumstandenen, fahnenumknatterten Palasthotel am Kochbrunnen durchsetzte.