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Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät, Band 86 (2006)

Aktuelle Probleme der Meteorologie und Klimatologie. Wissenschaftliches Kolloquium aus Anlass des 70. Geburtstages von Karl-Heinz Bernhardt

trafo verlag 2007, 162 S., ISBN (10) 3-89626-579-2, ISBN (13), 978-3-89626-579-1, 17,80 EUR

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Inhalt

Wolfgang Böhme: Zum Geleit 5

Brigitte Klose: Wind als Grenzschichtphänomen 11

Detlev Möller: Das chemische Klima 37

Dietrich Spänkuch und Jürgen Güldner: Passive indirekte Sondierung der Grundschicht 53

Astrid Ziemann und Manuela Barth: Hören, wie warm es ist - Neue Wege in der Atmosphärenakustik 65

Olaf Hellmuth: Zur Berücksichtigung der Turbulenz bei der Parametrisierung der homogenen Nukleation in Gasgemischen 81

Gabriele Malitz: Stark- und Extremniederschläge für wasserwirtschaftliche Anwendungen 117

Wolfgang Enke, Arne Spekat, Frank Kreienkamp: Entwicklung von regional hoch aufgelösten regionaler Klimaszenarien auf der Basis von globalen Klimasimulationen 127

Heinz Kautzleben: Das Internationale Polarjahr 2007/2008, das Internationale Heliophy-sikalische Jahr 2007 und das Internationale Jahr des Planeten Erde 2007-2009 - neue Initiativen in der internationalen wissenschaftlichen Zusammenarbeit fünfzig Jahre nach dem Internationalen Geophysikalischen Jahr 1957/58 141

Karl-Heinz Bernhardt: Schlußwort des Jubilars 155

 

Wolfgang Böhme

Zum Geleit

Mit dem heutigen Kolloquium ehren wir unser Mitglied Karl-Heinz Bernhardt, der 1990 zum korrespondierenden Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR gewählt wurde, im Jahre 1993 zu den Gründungsmitgliedern der nachfolgenden Leibniz-Sozietät gehörte, seit 1996 mit hoher Wirksamkeit als Sekretär unserer Klasse Naturwissenschaften fungiert und jetzt, vor wenigen Wochen - am 24. Dezember 2005 - sein 70. Lebensjahr vollendete. Man könnte übrigens fast sagen, dass das Wetter zu seinem Geburtstag, dem 24. Dezember 1935, sich für einen zukünftigen Meteorologen, ganz angemessen verhielt. Es trat das klassische Weihnachtstauwetter in ungewöhnlich gut ausgeprägter Form auf. Am 24. herrschte in Mitteleuropa leichter bis mäßiger Frost von im Mittel immerhin -6 °C, bis zum 31. Dezember stieg die Temperatur mit häufig auftretenden Niederschlägen erst schnell, dann langsamer auf +7° C, also insgesamt um 13° Kelvin an1.

Das recht markante meteorologische Ereignis hat wohl weder direkt noch indirekt etwas mit seiner Berufswahl zu tun, obwohl das Vogtland, aus dem er stammt, eben reich an markanten, motivierenden Wetterereignissen ist. Ich kann das aus eigener Erfahrung unterstreichen, da ich vor meinem Studium etwa ein Jahr lang meteorologischer Beobachter an der meteorologischen Station Plauen im Vogtland war. Sein Zugang zur Meteorologie war nicht so direkt. Sein Interesse galt vor allem in der Oberschulzeit der Astronomie. Er erzählte mir: Der Aufbau der Instrumente benötigte jedes Mal viel Zeit, und plötzliche Wetteränderungen machten ihm oft - wie man so sagt - einen Strich durch die Rechnung. So wuchs sein Interesse am Wetter und seiner Vorhersage. Das übrige tat die Lektüre des Buches „Wetter und Wetterkunde" des österreichischen Meteorologen von Ficker. Seine Mitschüler waren der Meinung, dass er dann Physik oder ein ähnlich schwieriges Fach studieren würde. Manche waren schließlich enttäuscht, dass er sich mit seinem Studium an der Karl-Marx-Universität in Leipzig einem vermeintlich so „leichten" Fach wie der Meteorologie zuwandte.

Manches kann an diesen Aussagen sicher noch ergänzt werden. Fest steht auf jedem Fall, dass seine Berufswahl für uns als Meteorologen und solche, die von ihm ausgebildet wurden, ein Glücksfall war. Davon zeugen eine große Zahl von Diplommeteorologen und solche, die nach einem Studium bei ihm, einen Doktortitel erwarben. Insgesamt hat er nach seinem Studium der Meteorologie in Leipzig und einer wissenschaftlichen Aspirantur sowie seiner Tätigkeit als Oberassistent am Geophysikalischen Institut der Karl-Marx-Universität dann als ordentlicher Professor für Meteorologie und Leiter des Bereiches Meteorologie und Geophysik der Sektion Physik der Humboldt-Universität zu Berlin ca. 40 Dissertationen der Stufen A und B bis zum ordentlichen Abschluss betreut, deren Themen den verschiedensten Teilgebieten von Meteorologie und Klimatologie sowie deren Anwendungen entstammten. Die Beiträge, die wir heute hier noch hören werden, können dabei nur einen Teil aus dieser Vielzahl der Interessen- und Forschungsgebieten widerspiegeln.

Sein eigenes Interesse galt unter dem Einfluss seiner akademischen Lehrer Horst Philipps und Schneider-Carius solch „einfachen" Fragen wie der theoretischen Arbeitsweise in der Physik der Atmosphäre und speziell auf dem Gebiet der atmosphärischen Grundschicht, aber auch der physikalischen Klimatologie, ausgewählten Zweigen der angewandten Meteorologie sowie, später, auch der Geschichte des Fachgebietes.

Seine theoretischen Forschungsarbeiten und Publikationen waren zunächst vor allem der Thermodynamik der Atmosphäre, der Wolkenphysik und der atmosphärischen Turbulenz gewidmet. In enger Kooperation mit dem Meteorologischen Dienst der DDR hat er sich mit seinen Studenten und Doktoranden an der Nutzung operationeller Beobachtungsdaten für Grundschichtuntersuchungen befasst, woraus z.B. aeroklimatische Bearbeitungen des Inversionsregimes sowie des vertikalen Windprofiles im mitteleuropäischen Raum resultierten; es wurden u.a. Modelle zur Berechnung großräumiger Vertikalbewegungen, zur Bestimmung vertikaler Wind- und Turbulenzkoeffizientenprofile und zur Simulation der Gebirgsüberströmung entwickelt, erprobt und mit Beobachtungsdaten verglichen.

Seine wissenschaftlichen Aktivitäten hatten und haben eine weite Ausstrahlungskraft. Diese spiegelt sich unter anderem wider in seiner Tätigkeit in der Arbeitsgruppe für atmosphärische Grenzschichtprobleme der Kommission für atmosphärische Wissenschaften der Meteorologischen Weltorganisation (WMO) sowie in der Leitung multilateraler KAPG-Projekte zur Grundschichtphysik und zu meteorologischen Problemen des Umweltschutzes. Er gehörte langjährig dem Vorstand der Meteorologischen Gesellschaft der DDR an, war Mitherausgeber der Zeitschrift für Meteorologie und von 1982 bis 1990 Präsident der erwähnten meteorologischen Gesellschaft. Einleitend hatte ich schon erwähnt, dass er 1990 zu einem korrespondierenden Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR gewählt wurde, zu den Gründungsmitgliedern unserer Leibniz-Sozietät gehört und seit vielen Jahren Sekretär unserer Klasse Naturwissenschaften ist.

Von der unermüdlichen Tätigkeit unseres Jubilars zeugen bisher über 230 Publikationen, davon mehr als 75 in den 10 Jahren seit 1995 und davon mehr als 30 im neuen laufenden Jahrhundert, das sind Publikationen vorwiegend in Fachzeitschriften, aber auch in Monographien, Sammelwerken, Lexika, Festschriften und Tagungsberichten und zwar, um es zusammenfassend zu sagen, zur physikalischen und dynamischen Meteorologie, insbesondere zur Physik der atmosphärischen Grenzschicht sowie zu Fragen der Klimatologie und zur Geschichte der Meteorologie.

Im Einzelnen zeichnen sich eine ganze Reihe von Schwerpunkten ab. Wenn ich hier jetzt einige aufführe, so kann ich mich dabei auf eine Zusammenfassung von Karl-Heinz stützen, die bis 1990 reicht und die ich um die Entwicklungen nach 1990 ergänzt habe:

1. Darstellung der Gültigkeitsgrenzen von Algorithmen und Ableitung von Zusatzeffekten in der halbempirischen Theorie der atmosphärischen Turbulenz und der turbulenten Flüsse, wie z.B. hinsichtlich der Berücksichtigung der turbulenten Dichteschwankungen2.

2. Vervollkommnung der Theorie des vertikalen Turbulenzwärmestroms3 und Aufklärung seiner Entropiebilanz4.

3. Eine außerordentliche Vielzahl von Beiträgen zur Dynamik der atmosphärischen Grenzschicht und ihrer Wechselwirkung mit der Erdoberfläche und der freien Atmosphäre, einige weiter zur Modellierung von Wind- und Temperaturprofilen sowie zur Revision der Bodenschichtkonzeption, dies alles unter Berücksichtigung von Instationaritäts-, Beschleunigungs- und Vertikalbewegungseffekten, wobei auf der Grundlage dieser Arbeiten gemeinsam mit Mitarbeitern und Doktoranden eine Familie von 0-, 1- und 2-dimensionalen Grenzschichtmodellen für Forschungszwecke und operationelle Anwendungen (numerische Wettervorhersage, Berechnung der Ausbreitung von Luftverunreinigungen) entwickelt und erprobt wurden.

4. Ein Schwerpunkt in den neunziger Jahren betraf hierbei Fragen der Beeinflussung der Struktur der atmosphärischen Grenzschicht durch großflächige Waldbestände5.

5. Schaffung methodischer Grundlagen und Durchführung aeroklimatischer Untersuchungen zur Ableitung von Grundschichtcharakteristika (Inversionsregime, Grenzschichthöhen, vertikale Windprofile, bodennahe und integrale Turbulenzreibungsparameter) aus Routineradiosondendaten in Mitteleuropa, insbesondere zur Schaffung von Inversionsklimatologien6.

6. Eine größere Anzahl von theoretischen und statistischen Ergebnissen zum Gebirgseinfluss auf die troposphärische Grundschicht, zur Gebirgsüber-strömung und zu orographisch bedingten Vertikalbewegungen7.

7. Erweiterung theoretischer Grundlagen zum Verständnis der Dynamik und Energetik atmosphärischer Prozesse in unterschiedlichen Scale-Berei-chen, darunter Formulierung neuer Kriterien für die Gültigkeit der geostrophischen und der hydrostatischen Approximation für spezielle Strömungstypen8.

8. Ableitung von Zusammenhängen zwischen und von Änderungen von thermohydrodynamischen Parametern für verschiedene Klassen atmosphärischer Zustandsänderungen u.a. zur Charakterisierung tiefer Wolken.

9. Mehrere Beiträge zur Formulierung von Zielstellungen und Bewertung von Methoden der Klimadiagnostik sowie Diagnose und Bilanzbetrachtungen für Klimaänderungen aus natürlichen und anthropogenen Ursachen9.

10. Quantitative Charakterisierung von Veränderungen meteorologisch-geophysikalischer Umweltparameter, Diskussion ihres Einflusses auf den Menschen und Erörterung philosophischer Aspekte des Mensch-Umwelt-Problems10.

11. In den letzten 15 Jahren hat sich Herr Bernhardt verstärkt der philosophischen Interpretation und wissenschaftshistorischen Wertung meteorologischer Problemstellungen und Institutionen sowie des Wirkens einzelner Persönlichkeiten im Berliner Raum zugewandt; als Schwerpunkte wurden mehrfach behandelt die wissenschaftlichen Ballonfahrten und die Entdek-kung der Stratosphäre, Ertels Aktivitäten einschließlich seiner Aussagen zu Kausalität, Teleologie und Willensfreiheit, sowie die Entwicklung der Meteorologie zu einer exakten Wissenschaft aber auch Fragen der Zeitrhythmik und Zyklizität in der Meteorologie.

Damit werden in zunehmenden Maße aktuelle Fragen der Wissenschaftsgeschichte aufgegriffen Die nachfolgenden Beiträge zu unserem Kolloqium geben sicher auch Anregungen für weiter Beiträge auf diesem Feld.

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Fußnoten

1 Zur Erläuterung die Entwicklung der Großwetterlage: Von Mitte Dezember 1935 an bis zum 23. herrschte eine südliche Westlage mit um normal schwankenden Temperaturen. Vom 24. zum 25. ging sie in eine Zentraltieflage über den britischen Inseln und später ab 28. in eine zyklonale Südwestlage über. Der Übergang am 24. erfolgte mit einem kleinen Zwischenhoch und vorübergehender Kaltluftzufuhr, wovon die niedrige Temperatur am 24. Dezember herrührte.

2 Insbesondere: Zum Einfluss der turbulenzbedingten Dichteschwankungen auf die Bestimmung turbulenter Austauschströme in der Bodenschicht (zusammen mit H. Piazena). Z. Meteorol. 38 (1988), 234-245.

3 U.a.: Nochmals zur Definition des Turbulenzwärmestroms in der Wärmehaushaltsgleichung der Atmosphäre. Z. Meteorol. 23 (1972), 65-75.

4 Die Entropiebilanz des atmosphärischen Turbulenzwärmestroms. Z. Meteorol. 24(1974), 106-112.

5 U.a.: Numerical experiments with different approaches for boundary layer modelling under large-area forest canopy conditions (zusammen mit Mix, W. und Goldberg, V.). Meteorol. Z., N.F.3 (1994), 187-192 sowie Tagesperiodische Variationen und räumliche Änderungen meteorologischer Parameter im Bereich von Waldbeständen nach numerischen Experimenten mit Grenzschichtmodellen (zusammen mit Mix, W., Müller, E., Ziemann, A., Goldberg, V.). Ann. Meteorol. 31 (1995), 402^03.

6 Z.B.: Zur Klimatologie niedertroposphärischer Inversionen über dem Gebiet der DDR (zusammen mit A. Heibig). Abh. Met. Dienst der DDR; Band XVII, Nr. 128 (1982), 115-128, sowie: On the climatology of atmospheric boundary layer inversions over Central Europe. Proc.l. Panhell. Conf. Meteorol., Climatol., Atmosph. Physics, Thessaloniki, 21-23 May (1992), 121-127.

7 U.a.: Problems of mountain meteorology and climatology related to the boundary layer. WMO Techn. Note. 165 - The Planetary Boundary Layer- WMO-No. 550 (1979)- Chapter 6.5., 186-189.

8 E.g.: On the application of the hydrostatic approximation and the neglect of Coriolis effects in small scale katabatic flow modelling (zusammen mit Okland, H.) Z. Meteorol. 90 (1990), 289-291.

9 Ein frühzeitiger Beitrag zu dieser Thematik ist: Beeinflussung der Atmosphäre durch menschliche Aktivitäten (zusammen mit F. Kortüm). Geod. Geophys. Veröff. R. 11, H.21 (1976) 3-62.

10 Eine noch weitgehend aktuelle Darstellung ist: Klima und Menschheit (zusammen mit Böhme, W.). Sitzungsber. Leibniz-Soz. I (1994) 1/2, 51-90.