Klaus Kühnel

'Klappt es, kommen wir durch'. Paul Schäfer (13.6.1895–28.11.1981)

[= BzG – Kleine Reihe Biographien, Bd. 15], trafo verlag 2005, 68 S., ISBN (10) 3-89626-544-X,  ISBN (13) 978-3-89626-544-9, 8,80 EUR

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Von Paul Schäfer erfuhr ich 1980 zum ersten Mal etwas und zwar durch Zufall. Ich war für einige Tage in Dresden und tat, was ich immer machte, wenn ich „in der Republik“ war: Ich las die lokale Presse. Hier und diesmal war es die UNION von der CDU, die mir in die Hände fiel und die SÄCHSISCHE ZEITUNG, das Organ der SED-Bezirksleitung. Beide Blätter unterschieden sich nur geringfügig. Ich war schon beim Zusammenfalten, als mir eine Notiz in die Augen sprang: Die Bezirksleitung gratuliert ihrem Genossen Paul Schäfer zum 85. Geburtstag. Im Text stand, dass der Jubilar Matrose in Kiel war und anschließend in Berlin bei der Volksmarinedivision Dienst getan hatte. Das reichte, um meine Versessenheit auf Augenzeugen der Geschichte zu wecken. Ich rief sofort in der Zeitung an, aber dort weigerte man sich, mir die Adresse Paul Schäfers zu geben. Nach Berlin zurückgekehrt, schrieb ich mit dem Kopfbogen meiner Redaktion an den verantwortlichen Redakteur in Dresden, bat ihn um die Anschrift, endigte den Brief „Mit sozialistischen Grüssen“ und ließ unsern Chefredakteur unterschreiben, denn mir als einfachen Kollegen stand es nicht zu, wichtige Briefe selbst zu zeichnen.

Zwei Tage später kam die Antwort: Paul Schäfer, erfuhr ich, wohne in Großenhain. Nun setzte ich mich ordnungs- und sittengemäß mit der zuständigen Veteranenkommission in Verbindung  – diesmal selbst, denn mein Chefredakteur war genau so erpicht auf die Lebensumstände des Mannes wie ich. Er drängte mich angesichts des hohen Alters von Paul Schäfer sogar zur Eile.

Im August 1980 war alles geregelt: Ich hatte zur Sicherheit noch einmal über die Details der Kieler Rebellion nachgelesen, über die Revolution in Berlin und vor allem über das Wirken der Volksmarinedivision. Bei meiner Recherche war ich sogar auf einen Artikel in der Roten Front Nummer 42 des Jahrgangs 1928 gestoßen, in dem Paul Schäfer seine Erinnerungen an die Revolution niedergeschrieben hatte. Die Nachforschungen fasste ich in mehr als fünf Seiten Fragen zusammen und fuhr mit ihnen nach Großenhain. Aber Paul Schäfer benötigte weder Denkanstöße noch Neugier. In seinen Sessel gelehnt, erzählte er sein Leben. Routiniert und geschickt, ohne zu stocken. Gelegentlich hatte ich Schwierigkeiten, ihn zu unterbrechen, um eine vertiefende Nachfrage zu stellen oder mehr über eine Einzelheit zu erfahren, die  – wenn überhaupt –  in den mir bekannten Büchern anders dargestellt wurde. Ich gewann den Eindruck, dass mein Nachhaken den Erzählenden stört, nicht nur im Fluss seiner Rede – er fand bei seiner Antwort nicht sofort in den gewohnten  mühelosen Tonfall seines Vortrags zurück –  sondern auch im Lauf seiner Biographie, die er wahrscheinlich jede Woche einmal vor Soldaten, Pionieren oder in Jugendweihestunden erzählen musste. Wie ein D-Zug rasselten seine Worte. Während des Erzählens musste sein Leben wie ein Gedächtnisfilm vor ihm abrollen. Manchmal schloss er die Augen, um die nächste Etappe seines Daseins, seines Kampfes, seines Triumphes zu sehen. Dann ballte er schon im voraus die Faust oder lächelte überlegen in sich hinein: Er wusste bereits, was er erzählen würde noch ehe er die Worte dafür fand. Er sprach zupackend, etwas abgehackt und sehr einfach. Seine Sprache überzeugte mich derart, dass ich sie bei der Niederschrift seines Lebensweges weitestgehend behielt.

Außer seiner Dorfschule und ein paar wochenlangen Lehrgängen nach dem Krieg hatten ihm „nur Lebenserfahrungen und Klassenbewusstsein“ geholfen, die Aufgaben bei der Volkspolizei der DDR zu erfüllen. Die Polizei war sein Leben. In ihr ging Paul Schäfer vollkommen auf. Er brauchte nichts neben ihr, keine andere Beschäftigung, kein Hobby. Ich denke noch heute, dass er sehr stolz auf sich war, auf den aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Jungen, der es immerhin zum Major der Polizei gebracht hat. Es muss nicht gesagt werden, dass es Paul Schäfer keine Gewissensbisse bereitete, der Staatsmacht mit allen seinen Kräften zu dienen, denn wenn er je von etwas überzeugt war, dann davon, dass in diesem Staat DDR die Gewehre von den richtigen Leuten gehalten und gebraucht werden. Sein einziges, bestes und bestechendstes Argument in dieser Richtung: „Schließlich trage ich selbst eine Waffe. Und das ist gut so.“

Im Gegensatz zu anderen Zeitzeugen hatte ich nicht oft Gelegenheit, mit Paul Schäfer über den Lauf seines Lebens zu sprechen. Er starb reichlich ein Jahr nach unserer ersten Unterhaltung. Es war mir also nicht möglich, nach einer längeren Zeit des „Sackens und Nachdenkens“ vertiefende Fragen zu stellen oder weitere Einzelheiten aus seiner Biographie herauszukitzeln. Aber ich denke, das war vielleicht auch gar nicht nötig. Mehr als er mir ohnehin schon erzählt hatte, musste man über sein Leben nicht wissen. Davon war er ganz sicher überzeugt. Ich jedenfalls bin es.

 

Klaus Kühnel

 

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