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Alexandra Geissler

Gehandelte Frauen. Menschenhandel zum Zweck der Prostitution mit Frauen aus Osteuropa

trafo verlag 2005, 158 S., ISBN (10) 3-89626-530-X,  ISBN (13) 978-3-89626-530-2, 29,80 EUR

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Rezensionen

Auszug:

I.      Einleitung

 „(...) Zum Beispiel Männer, die auch haben keine Geld und sowas, ganz schwierige Leben dort (in der Ukraine, Anmerkung der Verfasserin). Für Männer ist leichter, ja. Die kommen hier auch schwarz arbeiten und gibt’s auch viele Geschichten. (...) Der Mann kann auch entscheiden, wollte er hier fahren oder nicht. Aber trotzdem, wenn er hierher fährt, dann (...) er verliert nix, nur ein bisschen Zeit, ja. Und wenn (...) Frau fährt hier ja, die verliert sich, die verliert Prinzipien, die verliert sich die Frau (...).“ (Olga S. 9)

Seit einiger Zeit wird das Thema Menschenhandel mit Frauen in Deutschland vermehrt öffentlich diskutiert. Im letzten Jahr unter anderem beeinflußt durch die 'Friedman'-Affäre und die UNICEF/ECPAT Studie zu Kindern auf dem Strich[1], einem Bericht von der deutsch-tschechischen Grenze. Das Thema gilt nicht mehr unbedingt als Zeichen feministischen Extremismus derer, die es behandeln und selbst Kinofilme, wie 'Lyla 4ever', sind nun gesellschaftsfähig geworden.

Ein wachsendes Interesse am Themenkomplex Menschenhandel in osteuropäischen Ländern durch verschiedene Menschenrechtsorganisationen und transnationale Organisationen wie die Europäische Kommission, die OSCE – Organization for Security and Cooperation in Europe, die Vereinten Nationen, ist auch seit den Beitrittsverhandlungen um eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu verzeichnen. Die Beitrittsverhandlungen haben zum Teil wie ein Katalysator für Veränderungen gewirkt. In Bezug auf Menschenhandel haben diese Prozesse zumindest oberflächlich dazu geführt, dass kein Beitrittsland die Situation weiterhin ignorieren konnte. Denn die osteuropäischen Staaten sind heute sowohl politisch als auch ökonomisch unter dem Diktat des Weltmarktes und der führenden Industrienationen. Der Zusammenbruch der bürokratischen Planwirtschaften in den Ostblockstaaten und der Wiederaufbau des Kapitalismus machte unter anderem eine Akkumulation von Kapital durch die Privatisierung von bedeutenden Kapitalsummen notwendig. Die Privatisierung von Kapital entzog der Bevölkerung jedoch wichtige Ressourcen, wie beim Lohneinkommen, bei den Renten, bei der gesundheitlichen Versorgung und der Kinderbetreuung. Dies hatte den Anstieg von Armut zur Folge und produzierte die Notwendigkeit der Einkommensbeschaffung im informellen und / oder illegalen Sektor. Die Migration stellt für eine große Anzahl von Menschen in mehrerer Hinsicht eine Zufluchtsmöglichkeit dar, was bei der Anwerbung durch MenschenhändlerInnen genutzt wird.

Der Menschenhandel mit Frauen ist jedoch kein postsozialistisches Phänomen, sondern ein sehr altes und kann in Europa bis in die Zeit der Griechen und Römer, aber auch ins Mittelalter zurückverfolgt werden. In Lateinamerika mindestens bis zum Beginn der Kolonialisierung, als im sechzehnten Jahrhundert Sklavinnen aus Afrika in die spanischen Kolonien wie Hispaniola (heutige Dominikanische Republik) gebracht wurden, nicht nur um die Arbeitskraft der einheimischen Bevölkerung zu ergänzen, sondern auch um ihre Sexualität für die spanischen Kolonialherren verfügbar zu machen.[2] Der heutige Menschenhandel nimmt viele unterschiedliche Formen an, wie zum Beispiel den Handel mit Frauen und Kindern zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, den Handel mit ArbeitssklavInnen, den Handel mit Babys und Kleinkindern und den Handel zum Zweck der Organentnahme. In Deutschland wird der Menschenhandel mit Frauen von staatlicher Seite jedoch nur im Zusammenhang mit Prostitution gesehen, so das andere Formen des Problems ignoriert werden.

Das Menschenhandel mit Frauen eine Menschenrechtsverletzung darstellt, ist gemeinhin politischer Konsens. International steigt die Zahl der Resolutionen, Gremien, Konferenzen und Absprachen. Doch ganz offensichtlich hat dies bisher nicht dazu beigetragen, Menschenhandel mit Frauen aufzuhalten. Unter anderem weil die Hauptsursachen des Menschenhandels, wie die Perspektivlosigkeit beziehungsweise die Armut der Frauen in den Herkunftsländern, kaum durch behördliche oder juristische Maßnahmen tangiert werden. Ferner besteht Dissens über die zu ergreifenden Maßnahmen. Sobald es um die Strategien zur Verhinderung und Bekämpfung des Menschenhandels geht, wird schnell deutlich, dass es verschiedene Interessengruppen gibt, die unterschiedliche und manchmal sich widersprechende Ziele verfolgen. So hat zum Beispiel die Europäische Union mit den Beschlüssen von 'Tampere'[3] und 'Cotonou'[4] die Absicht erklärt, Entwicklungshilfe und technische Zusammenarbeit an Bedingungen im Bereich der Migrationspolitik zu knüpfen. Daher stellt sich die Frage, welche Gewichtung die Verhinderung der illegalen Migration in die Europäische Union in der Debatte zum Thema Menschenhandel einnimmt. Denn schließlich geht die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit von einem östlichen Migrationspotential von 50 Millionen Menschen aus.[5] So liegt auch ein besonderes Augenmerk auf dem Ausbau der Zusammenarbeit von Justiz- und Polizeiorganen mit den osteuropäischen Staaten, um den illegalen, grenzüberschreitenden Handel mit Menschen, Drogen und Waffen im Rahmen des organisierten Verbrechens zu bekämpfen.

Das Dilemma ist: In Deutschland konzentriert man sich eher auf eine Begrenzung der illegalen Einreise, auch wenn der Menschenhandel mit Frauen und die Zwangsprostitution Menschenrechtsverletzungen darstellen. Auch wenn eine Vielzahl von Konventionen die Nationalstaaten verpflichtet, gegen Menschenrechtsverletzungen vorzugehen, in der Realität aber gelten die Frauen entweder als Kriminelle, die strafrechtlich verfolgt werden oder als wehrlose Opfer, denen mit einer Rückführung in ihr Herkunftsland geholfen wird.

„Obviously, by definition, no one consents to abduction or forced labour, but an adult women is able to consent to engage in an illicit activity. If no one is forcing her to engage in such an activity, than trafficking does not exist (...). The Protocol should distinguish between adults, especially women, and children. It should also avoid adopting a patronizing stance that reduces women to the level of children, in the name of 'protecting' women. Such a stance historically has 'protected' women from the ability to exercise their rights.“[6]

Wie das Zitat des 'Human Rights Caucus' im Rahmen der Verhandlungen zum Menschenhandelsprotokoll verdeutlicht, wird in der Fachdiskussion immer wieder der Standpunkt vertreten, das es notwendig ist, die betreffenden Frauen nicht als passive Wesen oder als Opfer zu begreifen. So geht zum Beispiel Mirjana Morokvasic davon aus, dass Migrantinnen auch Pionierinnen sind, die Grenzen überwinden und eine enorme Mobilitäts- und Risikobereitschaft haben.[7] Insofern wird den Frauen, oftmals aufgrund von wirtschaftlicher Not in den Herkunftsländern, eine Migrationsbereitschaft unterstellt und es wird davon ausgegangen, das individuelle Migrationsprojekte nicht aufgrund verschärfter Grenzkontrollen und Zulassungsbeschränkungen aufgegeben werden. Doch selbst wenn die Frauen wußten, welcher Arbeit sie im Zielland nachgehen würden, kann Zwang vorherrschen.

Im Gegensatz zu diesen Vorstellungen dominiert in den osteuropäischen Ländern die Einschätzung, dass gehandelte Frauen aufgrund der Tatsache das sie 'wußten' was sie erwartete und somit verdienten was sie 'bekamen', ihrer Rechte beraubt werden dürfen. Demgegenüber werden die Frauen von staatlichen Instanzen und auch einigen Nichtregierungsorganisationen in den westlichen Zielländern, als verletzliche und passive Objekte behandelt, die nicht in der Lage sind abgewogene Beurteilungen zu treffen und konsequenterweise gerettet werden müssen. Der Dreh- und Angelpunkt ist die einseitige Viktimisierung von Frauen, die nicht mehr als Subjekte, sondern nur als Opfer ohne eigenen Willen dargestellt werden. Geht man jedoch davon aus, das der Anwerbung durch die MenschenhändlerInnen ein Migrationswunsch von Seiten der Frauen zugrunde liegt, werden Regierungen, Polizei und Dienstleistungsanbieter wie die International Organization on Migration zu 'entgegengesetzten' HändlerInnenn, denn ihr Angebot wäre lediglich, die Frauen dorthin zurückzubringen, wo sie nicht sein wollen.

Es stellt sich die Frage, was nun genau im Fokus des Interesses der unterschiedlichen Positionen liegt und ob es tatsächlich um die Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse oder die Suche nach einem menschengerechten politischen Umgang mit Menschenhandel geht. Die Ansicht das gehandelte Frauen starke, risikofreudige Charaktere sind, die eine rationale Wahl getroffen haben und sich entschieden zu migrieren, ist genauso insuffizient wie die Opferrhetorik, die die komplexe Entscheidungsfindung vieler Frauen auf einen zentralen Beweggrund minimiert und den Frauen minimale Handlungskompetenzen unterstellt. Es gibt genug Anlaß für eine kritische Beleuchtung dieser Frage, da die Lebenssituation der gehandelten Frauen kaum verallgemeinerbar ist.

Zur thematischen Eingrenzung geht es in der vorliegenden Arbeit um den Menschenhandel mit Frauen aus Osteuropa zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Dabei steht neben der Situation in Deutschland, vor allen Dingen ihr Leben im Herkunftsland im Mittelpunkt. Dies dient dem Verständnis, in welcher Situation sie waren, bevor sie Opfer von Menschenhandel wurden. Die zentrale Forschungsfrage, die sich hier anschließt, liegt auf der Hand. Es geht darum zu überprüfen, ob die Frauen primär Opfer sind oder ob sie vielmehr autonom handelnde Arbeitsmigrantinnen sind, die erst aufgrund äußerer Umstände wie zum Beispiel der ausländerrechtlichen Rahmenbedingungen, Opfer von Menschenhandel geworden sind.

Die vorliegende Arbeit gliedert sich in einen theoretischen und einen empirischen Teil. Im Rahmen einer qualitativen Untersuchung wurden im Laufe eines Jahres die Erfahrungen von acht gehandelten osteuropäischen Frauen untersucht. In den Interviews ging es darum, die befragten Frauen als Akteurinnen und Expertinnen ihrer Situation zu begreifen, da von der Forscherin davon ausgegangen wird, dass die Beteiligung von Frauen mit Erfahrungen in Migration und Menschenhandel bei der Entwicklung von neuen Strategien notwendig ist.


[1] Cathrin Schauer (2003): Kinder auf dem Strich, Bericht von der deutsch-tschechischen Grenze, Bad Honnef

[2] Barbara Prammer u.a. (1997): Trafficking in Women, Publication Series Volume 4, Federal Chancellery, Wien, S. 11

[3] Europäischer Rat vom 15.-16.10.1999 in Tampere / Finnland

[4] Europäischer Rat am 23.06.2000 in Cotonou / Benin

[5] Frank Düvell (2002): Die Globalisierung des Migrationsregimes, Berlin, S. 86

[6] Human Rights Caucus (1999): Recommend – actions and commentary on the draft protocol to combat international trafficking in women and children supplementary to the draft convention on transnational organised crime, S. 5 , verfügbar unter http://www.hrlawgroup.org/site/programs/traffic (Datum des Zugriffs: 14.12.2001)

[7] Mirjana Morokvasic (1991): Fortress Europe and Migrant Women, S. 69-84, in Feminist Review No. 39, Hampshire

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

I.           Einleitung

II.          Hauptteil

1.           Grundlegendes

  1.1.        Sprache

  1.2         Begriffsklärungen

  1.2.1.     Prostituierte versus SexarbeiterInnen

  1.2.2.    Menschenhandel mit Frauen versus Frauenhandel

2.           Theorieteil

2.1.        Menschenhandel mit Frauen

2.1.1.     Definitionen des Menschenhandels

2.1.2.     Statistiken zum Menschenhandel

2.1.3.     Formen des Handels

2.1.4.     Zwang und Freiwilligkeit

2.1.5.     Minderheiten am Beispiel von Romafrauen

2.1.6.     Zusammenfassung

2.2.        Migrationstheorien

2.2.1.     Neoklassische Theorien

2.2.1.1.  Mikroökonomische Ansätze

2.2.1.2. Makroökonomische Ansätze

2.2.2.     Die neue Ökonomie der Migration

2.2.3.     Die Theorie des dualen Arbeitsmarktes

2.2.4.     Migrationsnetzwerke

2.2.5.     Wachsende Weltprobleme

2.2.6.     Zusammenfassung

2.3.        Lebenssituation in Mittel- und Osteuropa sowie der ehemaligen Sowjetunion

2.3.1.     Volkseinkommen und öffentliche Ausgaben

2.3.2.     Armut und Arbeitslosigkeit

2.3.3.     Der informelle Sektor

2.3.4.     Entwicklung der Korruption

2.3.5.     Drogenhandel als ein Aspekt des informellen Sektors

2.3.6.     Zusammenfassung

2.4.        Geschlechterdimensionen in Mittel- und Osteuropa sowie der ehemaligen Sowjetunion

2.4.1.     Gewalt gegen Frauen

2.4.2.     Arbeitsmarkt – Erwerbstätigkeit von Frauen

2.4.3.     Veränderungen im Familienleben

2.4.4.     Gesundheitliche Aspekte

2.4.5.     Länderberichte zu den Herkunftsländern der interviewten Frauen

2.4.5.1.  Lettland

2.4.5.2.  Litauen

2.4.5.3.  Rumänien

2.4.5.4.  Ukraine

2.4.6.     Zusammenfassung

 

3.           Methoden

3.1.        Wahl der Forschungsmethoden

3.2.        Problemzentrierte Interviews

3.3.        Entwicklung des Leitfadens

3.4.        Datenerhebung

3.5.        Kontaktaufnahme / Zugang zum Feld

3.6.        Durchführung der Interviews

3.7.        Auswertung des empirischen Materials

 

4.           Hintergrundinformationen in Form von Einzelfallbeschreibungen

4.1.        Tabellarische Übersicht der Interviewpartnerinnen

4.2.        Einzelfallbeschreibungen

4.2.1.     Olga

4.2.2.     Urszula

4.2.3.     Natassja

4.2.4.     Jirina

4.2.5.     Ivana

4.2.6.     Zuzana

4.2.7.     Radka

4.2.8.     Ewa

4.3.        Zusammenfassung

 

5.           Gehandelte Frauen – Auswertung des empirischen Materials

5.1.        Migrationsentscheidung

5.1.1.     Die Feminisierung der Verantwortung

5.1.2.     Gewalt und Alkohol sowie wirtschaftliche Abhängigkeit

5.1.3.     Weitere belastende gesellschaftliche Faktoren

5.1.4.     'Hypothetische‘ Veränderung des Migrationsverhaltens

5.2.        Typisierung von Migration

5.2.1.     Zeitliche Kriterien

5.2.2.     Räumliche Kriterien

5.2.2.1.  Soziale Netzwerke

5.2.2.2.  Anwerbung

5.2.2.3.  Organisierte Kriminalität

5.2.2.4.  Risikoverhalten und die Kenntnis des Menschenhandels

5.2.3.     Kausale Kriterien

5.2.3.1.  Abhängigkeit und Verstrickung in das kriminelle Milieu in Deutschland

5.2.3.2.  Traumatische Erlebnisse – Einwilligung in die Prostitution

5.2.3.3.  Fremdbilder und eigene Ansichten von Prostitution

5.2.3.4.  Einfluß einer konservativen Sexualmoral auf die Prävention von Menschenhandel mit Frauen

5.2.3.5.  Wahrnehmung der Polizei

5.2.3.6.  Kenntnisse von Nichtregierungsorganisationen

 

III. Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick

 

IV. Anhang – Länderaufteilung nach Regionen

 

V. Literaturverzeichnis