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Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät, Band 74 (2005)

Leibniz-Tag 2004

trafo verlag 2005, ISBN (10) 3-89626-515-6, ISBN (13) 978-3-89626-515-9, 17, 80 EUR

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Herbert Hörz (Eröffnungsrede)

Anerkennung gegen politische Ignoranz: Begrüßung zum Leibniztag 2004

Verehrte Mitglieder, werte Gäste, liebe Freunde der Leibniz-Sozietät,

ich begrüße alle Teilnehmer unseres Leibniztages, Mitglieder und Angehörige, Freunde und Kooperationspartner, Mitglieder anderer wissenschaftlicher Einrichtungen, Medienvertreter und neugierige Zaungäste, recht herzlich. 

Gedankt für ihr Kommen sei den Mitgliedern unserer Stiftung der Freunde der Leibniz-Sozietät mit dem Vorsitzenden des Kuratoriums Horst Klinkmann, dem Vorstand des LIFIS, des Leibniz-Instituts für Interdisziplinäre Studien Augustusburg, mit dem Vorsitzenden Gert Wangermann. Unser Gruß gilt den Mitgliedern anderer in- und ausländischer Wissenschaftsakademien. Mehrere Präsidenten wünschen unserer Festveranstaltung einen guten Verlauf. Unser Mitglied Friedbert Ficker vertritt im Auftrag ihres Präsidenten, unseres Mitglieds Medaković, hier die Serbische Akademie der Wissenschaften. 

Unsere Wissenschaftsakademie folgt dem Grundsatz: Wissenschaft ist eine gesellschaftlich relevante öffentliche Sache. Unsere Sitzungen sind öffentlich und heute berichten wir vor der Öffentlichkeit über unsere Arbeit. Mit wissenschaftlichen Veranstaltungen haben wir viele Interessenten angesprochen, die deren kreative Atmosphäre lobten. Bewährte Kooperationen führten wir im Interesse von Wissenschaft und Bildung weiter: mit dem Mittelstandsverband Oberhavel, der Gesellschaft für Kybernetik, der Internationalen Wissenschaftlichen Vereinigung Weltwirtschaft und Weltpolitik, der Rosa-Luxemburg- Stiftung, der Bildungsakademie des Landesverbandes der Volkssolidarität Berlin. Das zeigt die Breite des gemeinsamen Wirkens. Vertreter dieser und anderer mit uns verbundener Institutionen heiße ich willkommen. Ich begrüße die Geschäftsführerin der Musikakademie Rheinsberg Frau Dr. Liedtke, mit Horst Büttner Initiatorin der Zusammenarbeit mit unserer Sozietät, und den Geschäftsführer der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz Dr. Michael Klein, die als Leibniz-Gemeinschaft ein Zusammenschluss von Einrichtungen ist, die von Bund und Ländern gefördert werden. Wir wünschen ihr Erfolg in der Auseinandersetzung um ihren Erhalt und um weitere Förderung.

Es war ein wissenschaftlich ertragreiches Jahr, das hinter uns liegt, und unser Gruß und Dank gilt all denen, die als Mitglieder und Freunde, als Ideengeber und Helfer, als Initiatoren und Sponsoren in aufwendiger Arbeit an Programmgestaltungen, Wissenschaftsorganisation, Redaktionsarbeit, Raumbeschaffung, Öffentlichkeitswirksamkeit, Berichte in Leibniz Intern oder Aktualisierung der homepage beteiligt waren. Für die Betreuung der Präsidiumssitzungen und Besprechungen von Gruppen und Arbeitskreisen in den Räumen des FMK danken wir Herrn Klötzner und seinen Mitarbeitern. Unser Dank gilt allen Sponsoren und Helfern für die Leistungen, mit denen die Rahmenbedingungen unserer Arbeit verbessert und die wissenschaftliche Reputation unserer Sozietät erhalten und erhöht werden konnte. 

Nach Diskussion über das sichtbare Bekenntnis zu unserer Sozietät mit einer Anstecknadel hat unser Mitglied Friedbert Ficker in Absprache mit unserem Mitglied Klaus Mylius die Initiative ergriffen, eine Leibniznadel entworfen und produzieren lassen und sie der Leibniz-Sozietät gestiftet. Das Präsidium hat die Stiftung angenommen und bedankt sich öffentlich dafür. 

Im vergangenen Jahr gab es politischen Streit um die Anerkennung unserer Leistungen. Auf der Festveranstaltung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) 2003 hatte sich Präsident Simon mit abwertenden Worten zur Leibniz-Sozietät über budgetäre Folgen durch die vom Wissenschaftssenator erwogene finanzielle Unterstützung für die Leibniz- Sozietät durch eine kleine Kürzung im Haushalt der BBAW beklagt. Wenig bedacht hatte er, dass die Diffamierungen auch Mitglieder der eigenen Akademie und deren Kooperationspartner trafen. Wir haben sachlich reagiert. Obwohl damals noch nichts entschieden war, wurde uns zur finanziellen Anerkennung der Leistungen durch den Senat schon gratuliert. Die Debatte ging weiter. Das Institut für Hochschulforschung in Wittenberg empfahl in der Expertise „Die Ost-Berliner Wissenschaft im vereinigten Berlin" vom Dezember 2003, kurz HoF-Studie genannt, die Förderung der Leibniz-Sozietät ständig zu sichern. Es wird festgestellt: „Die Leibniz-Sozietät ist die größte Einrichtung der ,Zweiten Wissenschaftskultur’ und verfügt durch ihre Neuaufnahmen ... über intensive personelle Verbindungen in die 'erste Wissenschaftskultur’". Sachlich richtig sei es, so die Studie, da die Leibniz-Sozietät und die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften „aus der selben Quelle stammten, nämlich der Preußischen resp. DDR-Akademie, von den fünf Millionen Euro, die Berlin zum Acht-Millionen-Euro-Etat der BBAW beiträgt, die bescheidene Summe von 30000 EUR für die Schließung einer vereinigungsbedingten Gerechtigkeitslücke zu verwenden". 

Politische Angriffe gegen diese Forderung blieben nicht aus. Wir setzten dagegen unseren Kurs fort, durch wissenschaftliche Leistungen zu überzeugen. Damit konnten wir einerseits der Kritik entgehen, nostalgisch am Alten festzuhalten und andererseits diejenigen Ignoranten zurückweisen, die Ergebnisse unserer Reform nicht zur Kenntnis nehmen wollen. 

Die Berliner Zeitung vom 20./21. September 2003 berief sich auf Frau Grütters, eine in der Abwicklung der DDR-Wissenschaftsakademie erfahrene Politikerin, mit den Worten: „CDU wirft Kultursenator Klientelpolitik vor". Er wolle „Ost-Wissenschaftler fördern". Gegenstand war auch die finanzielle Unterstützung der Leibniz-Sozietät. Die CDU-Politikerin meinte: „,Dabei soll das Wunschergebnis herauskommen, dass die alten Ostwissenschaftler mehr gefördert werden müssten.’ Dies widerspreche der anerkannten Praxis nach der Wende". So deutlich wird das selten formuliert. Doch der Gedanke einer Unterstützung der Leibniz-Sozietät war gar nicht so CDU-fremd, wie sie meinte. Er tauchte schon im Senat auf, als Eberhard Diepgen von der CDU noch Regierender Bürgermeister war. Im Bericht an den Leibniztag 2000 heißt es dazu: „Im Auftrag des Regierenden Bürgermeisters teilte die Senatskanzlei auf unsere Darlegungen mit: ,Auch wenn eine Traditionsnachfolge Ihrer Gesellschaft mit der Gelehrtensozietät nicht zu verkennen ist, besteht eine direkte Rechtsnachfolge mit der Wissenschaftsakademie nicht. Unabhängig hiervon sollte aber im Mittelpunkt der Überlegungen stehen, wie die wissenschaftliche Arbeit Ihrer Sozietät dauerhaft und finanziell gesichert fortgeführt werden kann’". 

Als dann die HoF-Studie vorgestellt wurde und die „Berliner Morgenpost" vom 12. Februar 2004 titelte: „DDR-Wissenschaftler sollen rehabilitiert werden" nahm sie auf Frau Grütters Bezug, die von falschen Prioritäten sprach, die ein Unrecht suggerierten, das es nicht gegeben habe. Der Kommentar in der Zeitung setzte mit der Überschrift „Schwierige Versöhnung" nach und betonte, der Personalabbau bei der Abwicklung sei notwendig gewesen, um Wissenschaft im wiedervereinigten Berlin zukunftsfähig zu machen. In dieser Ausgabe kam auch die Leibniz-Sozietät zu Wort. Doch statt der vorgesehenen Vorstellung wissenschaftlicher Leistungen gab es nur wenige Sätze vom Schatzmeister zur finanziellen Problematik und vom Präsidenten zur Zusammenarbeit mit der BBAW. Der ehemalige Berliner CDU-Wissenschaftssenator Manfred Erhardt, verantwortlich für die gegen das Fortführungsgebot der Gelehrtensozietät der DDR-Akademie im Einigungsvertrag verstoßenden Maßnahmen zur Unterbindung unserer wissenschaftlichen Aktivitäten, meinte im „Neuen Deutschland" vom 11. Februar 2004, die Wissenschaft sei der Bereich, wo das Zusammenwachsen von Ost und West besonders gelungen sei und es keine Benachteiligung ostdeutscher Wissenschaftler gab. Empörte Reaktionen waren die Folge. Wir verwahrten uns öffentlich gegen seine Behauptungen. 

In einem Brief an Senator Dr. Thomas Flierl vom 13. Februar 2004 schrieb ich: „Die Mitglieder unserer Sozietät verfolgen aufmerksam Ihre Bemühungen, die Anerkennung von Lebensleistungen von DDR-Bürgern und damit auch von Wissenschaftlern der DDR einzufordern und der Leibniz-Sozietät eine finanzielle Unterstützung für ihre wissenschaftlichen Leistungen zukommen zu lassen. Wir freuen uns, dass damit versucht wird, auf früheres Unrecht zu reagieren, sind uns jedoch bewusst, dass diejenigen, die immer noch nicht die Einheit Deutschlands als Auftrag zum Zusammenwachsen von Ost und West begriffen haben und auf ihrer Haltung einer einseitigen Alt-BRD- geprägten Gestaltung der Wissenschaftslandschaft beharren, dagegen Sturm laufen werden. Das zeigen Stellungnahmen von Frau Grütters, Herrn Erhardt und Kommentare, wie der in der ,Berliner Morgenpost’ vom 12. Februar 2004." Ich hebe dann zwei wichtige Punkte hervor: „Erstens gab die Sozietät abgewickelten Akademikern nach 1992 eine wissenschaftliche Heimat, was eine historische Leistung gegenüber der damals durch den Senat geübten Kahlschlagpolitik war. Zweitens entwickelten wir uns zu einer interdisziplinär zusammengesetzten Gelehrtenvereinigung exzellenter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Ost und West, aus dem In- und Ausland, die den Blick nach vorn gerichtet hat. Sie baut mit den aus Ost und West stammenden Kooperationspartnern Brücken zwischen Ost und West, die nostalgische Politiker, die ein einheitliches Deutschland nur als Fortsetzung der AltBRD sehen, nicht gebaut sehen wollen oder sie wieder abreißen würden. Wir wollen keine Förderung von Ostseilschaften, sondern Anerkennung früherer und gegenwärtiger Leistungen." 

Trotz vieler Querschüsse aus verschiedensten Kreisen hat Wissenschaftssenator Flierl am Versprechen festgehalten, die finanzielle Unterstützung auch dann zu sichern, wenn sich die BBAW weigere, Geld abzugeben. Es wäre für sie eine Kleinigkeit gewesen, und als ehemaliger Vizepräsident für Plenum und Klassen mit Verantwortung für die Langzeitvorhaben der AdW der DDR und späterer wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem dieser Vorhaben, die nun das wissenschaftliche Rückgrat der BBAW bilden, weiß ich genau, wovon ich spreche, wenn ich sage: Es wäre ohne Einbußen für die Leistungsfähigkeit der Vorhaben möglich gewesen, aus dem Millionenetat der BBAW eine kleine Spende an die Sozietät zu geben. Doch so war es nicht gewollt. Nun haben wir die Nachricht erhalten, dass im Berliner Haushalt für die Jahre 2004 und 2005 eine finanzielle Unterstützung für unsere wissenschaftliche Arbeit von je 20000 _ pro Jahr gesichert ist. Ich bedankte mich am 15. April 2004 beim Senator im Namen des Präsidiums und der Mitglieder aus Ost und West, aus dem In- und Ausland, für seinen hartnäckigen Einsatz und schrieb: „Es ist sicher nicht leicht, politische Verantwortung für Wissenschaft, Forschung und Kultur zu tragen. Trotz aller Versicherungen, Zukunftspotentiale damit zu fördern, scheitert manches an Intrigen, kleinlichen Vorwürfen und dem Sparen am falschen Ort". 

Wir möchten diesen kleinlichen politischen Streit um die Würdigung unserer Leistungen zu den historischen Akten legen, da er unzeitgemäß, ignorant und kontraproduktiv ist. Das habe ich dem Präsidenten der BBAW mit der Einladung zum Leibniztag nahegelegt, ohne jedoch zu verschweigen, dass er Gräben zwischen Ost und West aufriss, die wir überbrücken wollen. Mit bestehenden Kontakten und weiteren Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen beiden Akademien, auf die ich verwies, könnte die Kontroverse beendet werden. Eine Antwort steht aus. Über den zweckmäßigen Einsatz der Fördermittel für wichtige Projekte der Sozietät wird gegenwärtig auf der Grundlage vorliegender Anträge im Präsidium beraten. Wir werden unsere konstruktive wissenschaftliche Arbeit als internationale Brückenbauer zwischen Ost und West im Interesse der Wissenschaftsentwicklung und der Aufklärung über neue wissenschaftliche Erkenntnisse weiterführen. Wie das geschieht, darüber ist heute zu berichten. Ein wichtiges Thema der Beziehungen zwischen Mensch und Natur wird unser Mitglied Hans-Joachim Schellnhuber im Festvortrag „Erdsystemanalyse und Koevolution" behandeln. Wir danken ihm, dass er es, trotz vielfältiger Verpflichtungen, ermöglichte, zu uns zu sprechen. Unser Dank gilt den Gastgebern, dem Großplanetarium und seinen Mitarbeitern, für die Betreuung und die sicher wieder interessante Präsentation durch unser Mitglied Dieter B. Herrmann. 

Der Leibniztag ist eröffnet.     

 

Inhalt

Leibniztag 2004

Herbert Hörz: Anerkennung gegen politische Ignoranz – Begrüßung zum Leibniztag 2004 –     5

Herbert Hörz: Wissensverwalter oder Erkenntnisgestalter? – Bericht des Präsidenten an den Leibniztag 2004 –        11

Nachrufe für verstorbene Mitglieder und Freunde der Leibniz-Sozietät      29

Neue Mitglieder der Leibniz-Sozietät      37

Ansprachen der neuen Mitglieder Ingrid Lohmann und Christoph Fusch         39

 

Aus der Klasse für Sozial- und Geisteswissenschaften

Uwe-Jens Heuer: Marxismus und Politik     45

Jörg Roesler: Erster Abschied von der Globalisierung. Erfahrungen lateinamerikanischer Schwellenländer mit der „Abkopplung vom Weltmarkt"
in den 1930er bis 1960er Jahren. Das Beispiel Argentinien    69

Christa Luft. Globalisierung – Gestaltungsaufgabe versus Sachzwang         89

Mario Keßler. Antike und moderne Demokratie bei Arthur Rosenberg      99

 

Zum 100. Geburtstag von Jürgen Kuczynski

Jan Peters. Jürgen Kuczynski zum 100. Geburtstag am 17. September 2004      113

Günter Krause. Ökonomisches Denken in den Vereinigten Staaten von Amerika – Anfänge und Grundlegung im 18. und 19. Jahrhundert –        121

Rose-Luise Winkler. Nachtrag zu JK      135

 

Gedenken und Erinnerungen

Peter H. Feist. Richard Hamann. Zum 125. Geburtstag des wirkungsreichen Kunsthistorikers     145

Dejan Medaković. Anton Springer und die Serben    151

Friedhilde Krause. Eine bedeutsame Tagung der internationalen Slawistik vor fünfzig Jahren in Berlin     159

France Bernik. „Wissenschaft und Glaube" vor zwanzig Jahren     171

 

Rezensionen

Erich Hahn. Angelika Timm: Israel – Gesellschaft im Wandel    174

Bärbel Holtz. Helmut Bleiber/Walter Schmidt/Susanne Schötz (Hrsg.): Akteure eines Umbruchs. Männer und Frauen der Revolution von 1848/49    180

Friedbert Ficker. Katalog „Die Thraker". Das goldene Buch des Orpheus. Ausstellung 23. 07.–28.11.2004      184