Siegfried Mischner 

“Arbeitsplatz Olympia-Stadion. Erinnerungen 1936–1972”

[= Autobiographien, Bd. 17], 2004, 280 S., Tb, zahlr. Abb., ISBN 3-89626-503-2,17,80 EUR

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In diesem Buch fängt die deutsche Sportgeschichte schon vor 1945 an, dem Zeitalter der Radioberichte, als die Ohren noch "sehen" mußten.

Der Autor nimmt uns mit auf eine Wanderung durch die Sportberichterstattung im deutschen Rundfunk zwischen 1936 und 1972.

Dieses Buch erinnert an viele bekannte Namen aus der Welt des Sports – spannend erzählt zum Miterleben.

Siegfried Mischner, geboren 1926 in Dresden, Pillnitzer Straße 26, 4. Etage, im Komplex von Möbel-Andrich. In den ersten Kinderjahren erlebt er die Elbe am Terrassenufer zwischen Stein- und Gerichtsstraße, mit wenig und viel Wasser, und im Winter mit Eisschollen.

Schon als Vierjähriger beginnt er im Turnverein "Jahn Cotta" das Lebenslänglich für Sport plus Nebensächlichkeiten wie Schule, Lehre, Beruf( e) sowie Standesamtsauftritte.

Da es in die Zeit paßte, war er Pimpf, RAD-Mann, Soldat, später Notstandsarbeiter, Büroangestellter, Wirbelwind im Außendienst – und seit 1954 obendrein Rundfunksportreporter. Wenn Beruf mit Berufung zu tun hat, hatte er seinen Beruf gefunden.

Bis in die 80er Jahre war er eine Berliner Stimme der deutschen Sportberichterstattung. Beliebt im 'Westen', bekannt im 'Osten'. Einer seiner Lieblingsarbeitsplätze war das Olympia-Stadion.

Die Liste der Wettkämpfe und Sportler, über die er berichtete bzw. die er interviewte, reicht von A wie Ahrens, Kurt, dem Rennwagenfahrer bis Z wie Zatopek, Emil, den man wohl selbst heute noch niemandem besonders vorstellen muß!

 

 

 

Leseprobe

Flügeltüren

Am Sonntagvormittag stehen eine Reihe beachtenswerter Handball- und Hockeyspiele auf dem Terminplan. Aufnahmen hiervon zaubern bei der Cutterei manche akustische Überraschung aus dem Lautsprecher, die in der Hitze des Gefechts am Spielfeldrand kaum zur Kenntnis genommen wird, wenigstens solange nicht, bis man darüber stolpert.

Rund um den Hubertussportplatz, der Vereinsanlage des Berliner Sport Club, sind vier Kirchen samt schallendem Glockengetön ‘installiert’.

Obwohl selten mehr als fünf Minuten Spielbericht nötig sind, bereichern ein, mitunter zwei Hintergrundgeläute – so sicher wie das Amen in der Kirche – die Berichterstattung. Weder Reporter, noch Tontechniker können sich dagegen wehren.

Dieses Gebimmle paßt nun wirklich nicht in eine sportliche Nachmittags-Sendung. Die Konsequenz, alle Glockenzeitspiele der BSC-Hockey-Mannschaften werden ignoriert.

Zu den Obliegenheiten des Morgenreporters, der danach ‘dienstfrei’ hat, gehört es, seine Aufnahmen möglichst auch sendefertig schneiden zu lassen.

Für Michael kaum ein Problem. Der Fußmarsch vom Funkhaus bis vor die Wohnungstür spielt sich in zehn Minuten ab.

Natürlich warten die Cutterinnen nicht mit offenen Armen auf Sofortsachen. Ihr Tag ist ausgefüllt. Die Sportler stehen für die Nachtischzeit im Programm.

Gewohnheitsgemäß rennt Michael immer Treppen rauf und runter. Das hat schon in früher Kindheit begonnen und findet selbst mit Schlips und Kragen keine Mäßigung.

Irgendwie weht ein anderes Lüftchen, inklusive Düftchen, im SFB-Treppenhaus. Die Ursachenerkennung findet an der Flügeltür des ersten Stockwerkes durch ein bumsendes Geräusch mit Aufschrei statt.

In der deutschen Filmwelt herrscht Piroschka-Zeit. Und eben diese Hauptperson, alias Liselotte Pulver, entpuppt sich als überraschende Flügeltürbremse. "Olala, junger Mann, nicht so stürmisch!" "Oooh – Entschuldigung. Haben Sie sich weh getan?" "Ich mir? – Allweil Sie mir!"

Der Ankömmling konnte wahrlich nicht mit diesem Szenenauftritt rechnen, dennoch dürfte seine Verlegenheit bühnenreif ausgesehen haben, denn die schlagfertige Schweizerin löst die Situation pointiert mit "jetzt weiß ich, die Tür geht nach innen auf!"

Sie wollte gar nicht zur Treppe, denn sie geht zielstrebig auf die nächste Studiotür zu und verschwindet dahinter.

Funkhäuser belieben in den Studiobereichen Wände mit großen Fenstern zu haben. In dem kleinen Schneideraum, wo Michael sein Band für den Nachmittag beschnippeln lassen will, blockieren ein halbes Dutzend Schaulustige den Durchblick in jenes Studio, in dem Liselotte Pulver aufgetaucht ist. Alle belächeln nur Mimik und verstehen kein Wort auf der schalldichten Ebene. Selbst, wenn etwas zu hören gewesen wäre, hätte es eines sicheren Französisch bedurft, um mitzubekommen, worüber "Piroschka" von einem Pariser Journalisten interviewt wird.

Die Karambolage an der Tür hat offensichtlich weder Kopfweh, noch sonstige Blessuren hinterlassen, denn im ‘französischen Salon’ ist lustige Urständ zu bewundern. Da bekanntlich Lachen ansteckt, kichern bald alle von Geräuschen isolierten Zuschauer ungeniert mit.

Jemand sagt: "Lilo, wie sie leibt und lebt".

Keiner widerspricht.

Die Cutterin vom Dienst nimmt dem Sportreporter wortlos den Bandkarton aus der Hand und sagt genau um 12.40 Uhr: "Ich mache das nach 3, also 15 Uhr fertig!" Wer sich in Funkhausallüren auskennt, weiß, was das bedeutet: Du Sportbanause mach die Fliege, nach dem Motto, wenn alle das Wochenende genießen, spielen die vom Sport verrückt.

Außerdem setzen die Mitmenschen von der schneidenden Technik voraus, Bandaufnahmen müssen nur vorn und hinten mit Leerband ergänzt werden, der Rest hat zu stimmen, denn bei einer Direktsendung geht auch nichts zu reparieren. Diese vorgefaßte Meinung vertreten besonders hartnäckig die lieben Kolleginnen, die im Hinterkopf Sport nur mit Schwitzen vergleichen und dazu die Nase rümpfen, als liefe so eine feuchte Type in vier Wochen nicht gewaschenen Socken vorüber.

Sport ist eben von ‘oben’ nicht oder noch nicht als gesellschaftsfähig abgesegnet.

Diese Maßnahme steht also in den Sternen und mußte gar bis zum Zeitpunkt der Olympischen Spiele von 1972 in München warten. Das wiederum können rund fünfzehn Jahre vorher die Sportabstinenzler nicht wissen.

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