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Branstner, Gerhard

Der Esel als Amtmann. Tierfabel, Reime und anderes

[= Werkauswahl Gerhard Branstner in 10 Bänden, Bd. 6], trafo verlag 2004, 236 S., Tb, ISBN (10) 3-89626-446-X, ISBN (13) 978-3-89626-446-6, 13,80 EUR

Sehr gute Besprechung bei AMAZON.de

 

 

 

 

Bemerkung zum "Esel als Amtmann" 

 

Da hast Du, lieber Leser, wieder eine Rarität erworben. "Der Esel als Amtmann" hat immerhin in wenigen Jahren eine Auflage von über hunderttausend Exemplaren erreicht. Das hat bis dahin und auch nach ihm kein anderes Fabelbuch geschafft. Das andere Kuriosum ist, daß der "Esel" nicht abgelehnt wurde. Die 11 bis dahin von mir geschriebenen Bücher waren ausnahmslos abgelehnt worden, um nach 3 oder 4 Anläufen doch genehmigt und zu eindeutigen Erfolgen zu werden. Zwar waren die Ablehnungen von mir einkalkuliert worden (siehe Vorbemerkung zur Werkauswahl im ersten Band), aber mit der zwölften Ablehnung wäre das Dutzend voll gewesen. Und da wollte ich einen gewaltigen Krach schlagen. Aber O Wunder!, obwohl der "Esel" mehr echte Gesellschaftskritik enthielt als Christa Wolf, Stefan Heym und die Distel zusammengenommen, war es das erste meiner Bücher, das nicht abgelehnt wurde. Und das, obwohl ich auf die Frage des Cheflektors, in welcher Art ich die Fabeln schreiben wolle, gesagt hatte: In der Art von Lessing, bloß besser. Und die bessere Qualität war doch immer der Hauptgrund der Ablehnung gewesen. Da stand ich da mit meinem gut vorbereiteten Krach. Aber das nächste Buch wurde prompt wieder abgelehnt. Übrigens wurde der "Esel" von sehr begabten Schauspielern zusammen mit anderen Gattungen als literarisch-musikalisches Programm für das Nationaltheater Weimar geplant, von der damaligen grauen Eminenz, Christa Lehmann, jedoch abgelehnt, da im Sozialismus kein Esel Amtmann wird. Beim dritten Anlauf wurde das Programm erlaubt, allerdings als Privatveranstaltung ohne Unterstützung des Hauses. Der außerordentliche Erfolg (über 8 Jahre ausverkauft) bewirkte hingegen, daß die Dankschreiben ans schwarze Brett des Hauses gezwickt wurden. 

 

Das "Verhängnis der Müllerstochter" wurde nach ein oder zwei Ablehnungen (ich kann mir bei über zweihundert Ablehnungen, was auch ein einsamer Rekord ist, die Ablehnungen im Einzelnen nicht immer merken), die "Müllerstochter" wurde in der DDR mit 20.000 Erstauflage herausgebracht, was auch wieder ein Rekord ist. Du siehst, lieber Leser, Du hast mit mir das extremste Kuriosum erwischt. Dabei hat es mit der "Müllerstochter" noch zwei besondere Bewandtnisse. Die erste ist die Heterogenität. Ich produziere nicht nur die verschiedensten, sich im Schaffen eines Autors ausschließenden Gattungen, ich produziere auch sich ausschließende Arten in einer Gattung, So schließt das zarte Liebesgedicht "Die Liebe ist die Blume, die da blüht, und die Wolke, die fern am Himmel zieht, die Liebe ist der Vogel, der da singt, und die Quelle. die aus der Erde springt. Die Liebe ist die Quelle und der Vogel und die Blume, die da blühtl; und die Wolke, die fern am Himmel zieht", so schließt dieses Gedicht aus, daß derselbe Autor schreibt: "Hat deine Frau ein schiefes Maul und eine krumme Seele, dann drücke ihr die Gurgel zu, daß sie sich nicht mehr quäle." Die andere Besonderheit ist das grobianische Gedicht an sich. Die grobianische Literatur überhaupt ist ein Problem. Zum einen gibt es kaum welche. Sie erscheint, ihrem Wesen nach ein Produkt der Renaissance, als Richtung nicht mal in der Renaissance, sondern nur sporadisch in Einzelwerken, am ehesten noch in der Prosa von bemerkenswerten grobianischen Gedichten keine Spur. In der "Müllerstochter" treten sie gleich im Dutzend auf. Der "Höhere Sohn" charakterisiert eine Konstellation, wie sie über Jahrtausende existiert, nämlich die schlimme Konstellation von Vater, Mutter, Kind vornehmlich dann, wenn das Kind ein männliches Einzelkind ist: Die Mutter sieht in dem Sohn Potenzen, die weit über seine wirkliche Veranlagung hinausgehen, im Vater dagegen sieht sie das ärgerliche Gegenstück, den Versager. Und sich selbst sieht sie als den einzigen Menschen, der den Sohn versteht und entsprechend leitet. 

 

Diese Konstellation ist nicht nur so alt wie die Klassengesellschaft, sie ist auch unglaublich verbreitet und hat eine hohe Dunkelziffer. Und sie hat viele Varianten und Abarten. "Mein Kind soll es einmal besser haben" ist noch eine harmlose Variante. Und "Muttersöhnchen" ist ein Zeichen der Häufigkeit des Vorkommens, aber auch des Schadens, den das Kind erleidet. Wie in der Wirklichkeit nimmt die Geschichte auch in meiner Erzählung kein gutes Ende. Da müßte schon die Klassengesellschaft abgeschafft werden. Aber wer will da?

 

Der "Hinkende Fensterputzer" ist realistischer als der "Hinkende Teufel" von Lesage. Tatsächlich ist der Fensterputzer der einzige Beruf, wo die Sehnsucht, das unsichtbare Mäuschen zu sein, funktioniert. Als Ein-Personen-Stück verlangt es allerdings einen Schauspieler, der nicht nur unterschiedliche Rollen spielen kann, sondern einen, der auch unterschiedlich singen kann. Mach Dir, lieber Leser, einen Spaß.

 

Dein geneigter Gerhard Branstner