Vollmer, Peter:

1976–1978. Zwei Jahre im Kabelwerk Winckler. Ein Rückblick nach persönlichen Aufzeichnungen

[= Autobiographien, Bd. 13],

2003, 240 S., Dok u. Abb., Tb, ISBN 3-89626-436-2, 14,80 EUR

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ZU DEN REZENSIONEN

Zum Inhalt

Peter Vollmer, 1940 geboren, stammt aus einer Wuppertaler Unternehmerfamilie. Er lernte und arbeitete fünf Jahre in der väterlichen Druckerei, bevor er 10 Jahre Architektur und Stadtplanung in Berlin, London und Cambridge/USA studierte.

Als Konsequenz aus der 68er Studentenbewegung verrichtet er von 1971 an 22 Jahre lang angelernte Arbeitertätigkeiten in West-Berliner Metall- und Elektrobetrieben: bei AEG als Elektrowickler, bei Solex als Reparaturmechaniker, bei Winckler und Siemens als Kabelwerker, bei BMW als Dreher, jeweils verbunden mit Aktivitäten in Betriebsrat, Gewerkschaft und politischen Gruppen. Seit nunmehr 10 Jahren leitet er die Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt in Berlin. Er ist zum zweiten Mal verheiratet und hat 4 Kinder.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort 9

Einleitung 11

 

Teil I 19

1 Die Abfindung 19

2 Der Beginn bei Winckler 28

3 Keine mündlichen Absprachen 37

4 Kollege Alfred, Meister Klotz und die Verseilerei 42

5 Gesundheit und Vertrauensarzt 54

6 An der Universal-Verseilmaschine 57

7 Der neue alte Aufwickler 64

8 Sanierung im Kiez 71

9 Der Aushang 77

10 Die Betriebsversammlung 85

11 Vorbereitung auf die Betriebsratswahl 93

12 Frühschoppen bei Klaus 96

13 Ein Programm entsteht 106

14 Gemeinsame Wahl 114

15 Der erste Gang zum Arbeitsgericht 119

16 Stress mit dem Hauseigentümer 127

17 Der Wahlkampf beginnt 129

18 Die Anerkennung der Liste 138

19 Die ersten Abmahnungen 146

20 Der Druck nimmt zu 155

21 Betriebsversammlung und Wahlkampf 159

22 Mit allen Mitteln gegen Liste 1 165

23 Die Wahl 174

 

Teil II 179

24 Vier Wochen Betriebsratstätigkeit 179

25 Die erste Kündigung 187

26 Der Kampf gegen die erste Kündigung 189

27 Die Kündigung in 1. Instanz vorm Arbeitsgericht 195

28 Zwischen den Instanzen 199

29 Die Berufung vorm Landesarbeitsgericht 200

30 Der Unfall 202

31 Die zweite Kündigung 205

32 Die Verantwortung für den Unfall 209

33 Das Ende 213

 

Anmerkungen 217

Abkürzungen 221

Dokumente 223

 

Über den Autor 238

 

 

Leseprobe 1. Abschnitt

 

Vor mir auf dem Schreibtisch liegen vierzigtausend Deutsche Mark in bar, vier Reihen mit je zehn dieser großen seltenen Scheine, der ganze Tisch ist bedeckt. Hartmann, der kleine Personalchef, sitzt dahinter mit aufgestützten und abgewinkelten Armen, plustert sich auf, hebt seinen Kopf und schaut mir ins Gesicht, gespannt auf eine Reaktion; er erwartet leuchtende Augen. So ein Tisch voller Geld, in der Tat ein überwältigender Anblick.

Ich zähle nach: vierzigtausend, und zähle noch einmal, wieder dasselbe Ergebnis, und stutze. Zweiundvierzigtausend hatten wir vereinbart. Wo ist der Rest? Der Personalchef versucht sich herauszureden. Vierzig sind doch wirklich eine runde Sache, ob ich das nicht mit eigenen Augen sehe. Und mir geht durch den Kopf, versucht der sich noch persönlich an meinem Abgang zu bereichern. Mit zwei Riesen will er mit von der Partie sein. Da hat er sich aber kräftig getäuscht.

Ich frage noch einmal nach, aber Hartmann fügt den fehlenden Betrag nicht hinzu. Dann stehe ich kurzerhand auf und verlasse das Büro mit den Worten, rufen Sie an, wenn Sie den Rest beschafft haben. Sein verblüffter Blick trifft mich auf der Schwelle, er muss die sorgsam ausgebreiteten Scheine wieder einsammeln. Es hatte nicht geklappt. Den nächsten Kurzurlaub muss er aus eigener Tasche bezahlen.

Am Tage darauf der Anruf, ich möchte noch einmal vorbeikommen. Ob die vereinbarte Summe nun komplett ist, bejaht der Personalchef widerwillig, so wirkt es jedenfalls am Telefon. Diesmal breitet er das Geld nicht wieder aus, sondern zählt es mir aus dem Bündel vor. Ich zähle nach, es stimmt, zweiundvierzig Riesen. Abgangsbescheinigung und Ausgleichsquittung unterschreibe ich, damit sind alle Rechte und Pflichten aus meinem Arbeitsverhältnis mit Winckler erloschen.

Ich denke, Winckler hatte gute Gründe dafür, so tief in die Tasche zu greifen. Diese zweiundvierzigtausend Deutsche Mark markierten das Ende einer längeren Prozessiererei. Ich hatte eine Kündigungsschutzklage vorm Arbeitsgericht gewonnen, das Landesarbeitsgericht hatte die Unwirksamkeit der Kündigung bestätigt, das Urteil war rechtskräftig geworden; eine erneute Kündigung hatte das Arbeitsgericht wieder für unwirksam erklärt und Winckler musste mich weiterbeschäftigen. Das wollte die Firma aber nicht hinnehmen.

Neunzehn Monate waren seit meiner Entlassung vergangen. Zwischendurch hatte ich nur für kurze Zeit im Kabelwerk von Siemens gearbeitet. Dort wurde ich in der Probezeit schon wieder entlassen. Es musste Siemens etwas zu Ohren gekommen sein, denn meine Arbeitsleistung hatten sie nicht beanstandet.

Seit einem Viertel Jahr arbeitete ich jetzt im Motorradwerk von BMW in Spandau. Hier wurde ich als Dreher angelernt, es gab einen Betriebsrat, eine oppositionelle Fraktion und aktive Vertrauensleute der IG Metall. Hier wollte ich gerne bleiben, hier reizte es mich mitzumachen, auf jeden Fall mehr, als wieder bei Winckler anzufangen. Vor Gericht hatte ich erreicht, dass Winckler mich weiterbeschäftigen musste. Da die Firma das aber unter keinen Umständen wollte, war die Ausgangslage für einen Vergleich günstig. Ich wollte, dass dabei eine möglichst hohe Abfindung für die politische Arbeit herausspringt. Mir lag an einer hohen Abfindung besonders deshalb, weil ich sie nicht persönlich verwenden, sondern für politische Arbeit zur Verfügung stellen wollte.

Die Situation war nicht ganz einfach. Winckler durfte nichts von meiner neuen Arbeitsstelle erfahren, sonst hätte sich die Zahlung einer Abfindung erübrigt. Und bei BMW durfte nichts von meinen Aktivitäten im Kabelwerk Winckler bekannt werden, sonst wäre ich nicht durch die Probezeit gekommen. Meine Entlassung als Mitglied des Betriebsrats von Winckler war durch die Berliner Presse gegangen. Ich konnte von Glück reden, dass bei BMW nichts davon bekannt wurde, sonst wäre ich sicherlich nicht eingestellt worden. Denn welche Firma wollte schon einen Arbeitnehmer, der sich auch für die Rechte seiner Kollegen einsetzt? Gleichzeitig ging ich davon aus, dass die Verhandlungen zäh sein und schon einige Wochen Zeit in Anspruch nehmen würden. Vielleicht müsste ich sogar noch einmal ein paar Tage bei Winckler arbeiten. Dafür wollte ich den Rücken frei haben. Aber wie, wenn ich meine neue Arbeitsstelle bei BMW nicht aufs Spiel setzen wollte?

Ich suchte nach einer plausiblen Erklärung für eine kurze Beurlaubung durch den neuen Arbeitgeber und erfand eine Geschichte. Mit etwas Herzklopfen stieg ich ein paar Tage später die Stufen zum Personalbüro des Motorradwerks hinauf. Der zuständige Referent bat mich Platz zu nehmen. Ich holte tief Luft und erzählte ihm von einem Skiunfall meines Schwagers. Dabei hatte ich Mühe, ihm in die Augen zu sehen. Ich wollte meiner Schwester bis zu Genesung ihres Mannes helfen, den Heimwerkerladen zu führen. Schließlich musste das Geschäft weiterlaufen, wovon hätte die fünfköpfige Familie sonst leben sollen. Der Personalreferent schaute in meine Akte, dachte kurz nach und stellte fest, dass nach so kurzer Betriebszugehörigkeit ein unbezahlter Sonderurlaub nicht möglich ist. Ich musste kündigen, aber er gab mir die Zusage, dass ich wieder eingestellt würde, denn sie waren mit meiner Arbeit sehr zufrieden – eine Zusage ohne Garantie. Er machte kein Hehl aus seinem Erstaunen, dass es heutzutage noch so viel Familienzusammengehörigkeitsgefühl gab. Alle Achtung! Mit schlechtem Gewissen verließ ich das Büro. Ich hatte das Gefühl, rot geworden zu sein.

Das alles war mir furchtbar peinlich, aber es hatte funktioniert. Als ich mich sechs Wochen später erneut bei BMW bewarb, wurde ich auch wieder eingestellt. Der Personalreferent hatte sein Wort gehalten.

In diesen sechs Wochen fanden die Verhandlungen und die Auszahlung der Abfindung statt. Von Winckler verlangte ich ursprünglich einhundertfünfzigtausend Mark, den Lebensunterhalt für drei Jahre; denn ein Argument ließ sich nicht von der Hand weisen: Als Verseiler würde ich in der Berliner Kabelindustrie keinen neuen Arbeitsplatz mehr bekommen, dafür hatte die Auseinandersetzung zu sehr die Runde gemacht. Und die Einstellungsbüros großer Unternehmen waren seit 1970 mehr auf der Hut, seit Studenten und Intellektuelle, wie auch ich, aus politischer Überzeugung in die Betriebe drängten. Ich würde also eine neue Ausbildung machen müssen.

Immerhin hatte sich Winckler bereit gefunden, über eine Abfindung von einhundertfünfzigtausend Mark zu verhandeln, daran hatte ich kaum ernsthaft geglaubt. Die Firma kündigte an, dass sie für die Verhandlung zwei Rechtsanwälte aus einer renommierten Kölner Anwaltskanzlei des Arbeitgeberverbandes beauftragt hätte. Das veranlasste mich, mit meiner Rechtsanwältin genauer das taktische Vorgehen zu beraten. Auch wir haben uns dann durch einen weiteren Kollegen aus ihrer Sozietät verstärkt.

Als Verhandlungsort wurde der große Konferenzraum im Flughafen Tegel vereinbart. Punkt fünfzehn Uhr trafen wir die Mannschaft von Winckler, vier an der Zahl, dunkel und geschäftsmäßig gekleidet, vor der verschlossenen Tür. Nichts war vorbereitet. Der Schlüssel musste erst noch besorgt werden. Dann betraten wir zu Siebt den leicht verstaubten Saal. Die große Fensterfront gab den Blick frei über die Havel bis zum Tegeler See, ein eindrucksvolles Panorama. Es muss ein lächerliches Bild abgegeben haben, als die Vier von Winckler uns Dreien gegenüber am Kopfende der langen Tafel Platz genommen hatten, in diesem Raum, der leicht zweihundert Personen fasste.

Ohne lange Vorreden fing ich an, die Hintergründe meiner Forderung zu erläutern. Das stellte sich schnell als überflüssig heraus. Die Herren hatten schon im Voraus akzeptiert, dass mir eine neue Berufsausbildung finanziert werden musste. Es ging nun nur noch um das Wie. Sie rückten sogleich mit dem Vorschlag heraus, drei Jahre lang Monat für Monat die Zahlungen des Arbeitsamtes aufzustocken, und zwar auf die Höhe des Lohnes, den mir Winckler vor der Entlassung gezahlt hatte. Das kam für mich nicht in Frage, denn so wäre ich von Winckler weiterhin abhängig gewesen. Mit dem neuen Arbeitsplatz bei BMW in Spandau ließ sich eine derartige Lösung erst recht nicht vereinbaren. Und warum sollte die Arbeitslosenversicherung und nicht Winckler selbst die größte Last tragen?

Nun wurde gerechnet und gerechnet. Als Differenz zum Arbeitslosengeld für die drei Jahre machten Wincklers Anwälte rund sechzigtausend Mark brutto aus. Das entspricht grob vierzigtausend Mark netto. Diese war das Unternehmen bereit zu zahlen. Auf die ganze Höhe meiner Forderung ließen sich die Herren nicht ein. Das wollten sie unter keinen Umständen. Eigentlich waren Vierzigtausend ein recht stattlicher Betrag, und das für nur zwei Jahre Betriebszugehörigkeit. Das Berliner Arbeitsgericht hätte bei einem gerichtlichen Vergleich für zwei Jahre Betriebszugehörigkeit wahrscheinlich zwei halbe Monatslöhne vorgeschlagen, nicht mehr als zweitausendfünfhundert Mark. Ich versuchte trotzdem, noch mehr für die politische Arbeit herauszuholen – allerdings ohne Erfolg. Vierzigtausend Mark netto war für die Gegenseite das höchste der Gefühle. So trennten wir uns nach langem Hin und Her ohne uns zu einigen, die Herren Rechtsanwälte vom Arbeitgeberverband nahmen die nächste Maschine zurück nach Köln.

Letzten Endes blieb es dann annähernd bei diesem Ergebnis: Einige Wochen später wechselten im Personalbüro bei Winckler zweiundvierzigtausend Mark den Besitzer. Ich erklärte meinen Schwager für gesund und wurde bei BMW wieder eingestellt. Winckler war mich los – aber noch nicht ganz.

Mein Gefühl, die Kollegen dort im Stich zu lassen, und gleichzeitig das Bedürfnis, dieser Firma noch eins mitzugeben, veranlassten mich, zwei Tage später vorm Betrieb ein letztes Flugblatt zu verteilen.

„Das Ende vom Lied – 42.000,00 DM (zweiundvierzigtausend)
für die Arbeit der Revolutionären Gewerkschafts Opposition

… Warum komme ich nicht wieder zu Winckler zurück? Ich habe das lange überlegt, bin aber zu der Überzeugung gekommen, dass es keinen Zweck hat. Die Geschäftsleitung hat bisher alle Geschütze aufgefahren, um mich als Betriebsrat loszuwerden. Sie hofft, damit auch den organisierten Widerstand der Kollegen gegen Entlassungen, Rationalisierung und Unterdrückung loszuwerden. Außer den Lügenmärchen für meine Entlassungen hat sie versucht, Unterschriften gegen meine Wiedereinstellung zu sammeln. Sie hat Kollegen zum Streik gegen mich aufgefordert und ihnen vollen Lohn (sprich Streikgeld) zugesagt. Früher hat sie schon einmal einen fortschrittlichen Betriebsrat entlassen wegen Arbeitsverweigerung. Und zwar soll der Vorarbeiter eine Mülltonne vor seinen Füßen ausgekippt haben und ihn dann zum Aufsammeln aufgefordert haben. Das heißt, denen ist jedes Mittel recht. Und sie würden nichts unversucht lassen, einen neuen Entlassungsgrund zu provozieren oder wieder zu konstruieren.

Gegen diesen ganzen Terror kann auch ein fortschrittlicher Betriebsrat alleine nichts machen. Und durch meine 19-monatige Abwesenheit ist ja nun zwangsläufig der Kontakt zu Euch viel geringer geworden; das lässt sich einfach nicht leugnen. Um diesem ganzen Terror erfolgreich begegnen zu können, ist der breite Zusammenschluss der Mehrzahl der Kollegen notwendig, die dann auch die Brocken hinschmeißen, wenn einer von ihnen deswegen entlassen wird. Streik ist letztendlich das einzige Mittel, das den Unternehmer in die Knie zwingen kann. Selbst eine Mehrheit im Betriebsrat bringt solange nicht viel, wie er nicht auf die massive Unterstützung der Kollegen bauen kann.

Unsere Organisation, in der wir uns zusammenschließen, um eben mit vereinten Kräften solche Kämpfe gegen die Unternehmer zu führen, ist die IG Metall. Da muss jeder Kollege Mitglied sein. Und wenn dort die Führer unsere Interessen mit Füßen treten, dann müssen wir uns innerhalb der Gewerkschaft als Opposition zusammenschließen, um eben unsere Interessen durchzusetzen. Das ist heute leider dringend notwendig geworden. Und genau das hat sich die RGO zum Ziel gesetzt. Sie will keine Konkurrenzgewerkschaft sein. Allerdings nimmt sie auch solche Kollegen auf, die aus der IG Metall von den Bonzen rausgeschmissen wurden.

Nun konnte ich nach zähem Verhandeln 42.000,00 DM für die Arbeit der RGO herausholen. Klar, dass ich keinen Pfennig davon für mich alleine behalte! Dieses Geld wird 100-prozentig für die Arbeit der RGO und die Organisierung des Widerstandes gegen die Bosse à la Winckler verwendet. Erfreulich, dass Winckler sich mit einem so großen Betrag am Schaufeln des eigenen Grabes beteiligt."6

Ich selbst war einer von denjenigen, die die IG Metall ausgeschlossen hatte. Sie hatte mir zwei Jahre zuvor gewerkschaftsschädigendes Verhalten vorgeworfen, da ich nach Beendigung meines Arbeitsverhältnisses bei AEG der kommunistischen Betriebszeitung „AEG-Arbeiter" ein kritisches Interview gegeben hatte. Meine Kritik hatte sich damals nicht nur gegen den Arbeitgeber gerichtet, sondern ganz besonders gegen den IG Metall Betriebsrat, der mehr die Unternehmer-Interessen als die der Arbeitnehmer vertrat. So sah ich es jedenfalls und einige andere auch. Die IG Metall forderte mich auf, mich von meinem Interview zu distanzieren und einen Revers, eine Erklärung, zu unterschreiben, dass ich weder einer kommunistischen Organisation angehöre noch in Zukunft für oder im Sinne von kommunistischen Organisationen tätig werden würde. Dieses Ansinnen hatte ich empört zurückgewiesen und war kurzerhand ohne förmliches Verfahren ausgeschlossen worden. Ich war ja in den Betrieb und an die Basis gegangen und auch in die Gewerkschaft eingetreten, weil ich zusammen mit den Arbeitnehmern für Recht und Gerechtigkeit kämpfen wollte, und das ließ sich meiner Ansicht nach nur in einer sozialistischen bzw. kommunistischen Gesellschaft verwirklichen.

In Berlin wurden in dieser Zeit mehr als 100 Kolleginnen und Kollegen aus der IG Metall ausgeschlossen. Die Namen wurden in der Zeitung „Metall" veröffentlicht. Wer auf dieser – auch den Unternehmern bekannten – Schwarzen Liste stand, der hatte schlechte Karten, eine neue Arbeit zu finden. Diese Veröffentlichungen hatten existenzvernichtenden Charakter. Grundlage für ein derartiges Vorgehen der IG Metall waren die so genannten Unvereinbarkeitsbeschlüsse. In der Satzung der IG Metall war festgelegt, dass eine Zusammenarbeit mit kommunistischen Organisationen oder gar die Mitgliedschaft unvereinbar mit der Gewerkschaftszugehörigkeit sei und zwangsläufig zum Ausschluss führen müsse. In der Aufzählung so genannter gewerkschaftsfeindlicher Organisationen waren die verschiedenen kommunistischen Gruppierungen, Zirkel und Parteien enthalten, rechtsradikale oder faschistische Organisationen dagegen nicht. Hintergrund für die damalige rechte Politik der IG Metall besonders in Berlin war die Frontstadtsituation, dieser wurden alle Widersprüche in Schwarz-Weiß-Manier untergeordnet. Geh doch rüber, das bekam jeder an den Kopf geworfen, der hier in West-Berlin Kritik übte oder an der DDR ein gutes Haar ließ.

Viele junge Kommunisten in der BRD und West-Berlin waren bemüht, in den DGB-Gewerkschaften ihre Anstrengungen in linken Fraktionen zu bündeln. Die zwischenzeitlich aus den Gewerkschaften Ausgeschlossenen wurden hier einbezogen. Einige Gruppen knüpften an die Tradition der alten KPD an und schlossen sich in RGO-Gruppen zusammen. Diese Gruppen der Revolutionären Gewerkschafts Opposition planten den Aufbau einer nationalen Organisation. Auf dem Gründungskongress 1978 wurde später ein Programm verabschiedet, das als letztendliches Ziel die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft nannte. Die RGO verstand sich nicht als revolutionäre Gegengewerkschaft, sondern als Opposition innerhalb der DGB-Gewerkschaften. Das war der politische Rahmen, in dem auch ich mich betätigt hatte.

Ich schwamm also nicht auf der Welle der Studentenbewegung, die sich nach 1968 den Weg durch die Institutionen bahnen wollte. Ich gehörte zu denjenigen, die die Triebkraft der Geschichte in der Arbeiterklasse sahen und deshalb in die Betriebe gingen. Wir wollten uns mit den Arbeitern verbinden und gleichzeitig den Zusammenschluss voranbringen, um mit den Erfahrungen von Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao Tsetung im Gepäck die Bundesrepublik Deutschland vom Kapitalismus zu befreien und eine gerechtere Gesellschaft zu errichten. Im Visier hatten wir dabei eine egalitäre kommunistische Gesellschaft, der reale Sozialismus in der DDR war das abschreckende Beispiel vor der eigenen Haustür. Als Orientierung dienten sozialistische Übergangsgesellschaften wie in China und Albanien. Ein im eigentlichen Sinne kommunistisches Land gab es nicht.

Die Berliner Großunternehmen waren sehr daran interessiert, auf diese Weise politisch engagierte Menschen aus ihren Betrieben fernzuhalten. Es war für die meisten von uns schon sehr schwierig, bei der ersten Bewerbung mit einem Lebenslauf aufzuwarten, der nicht sofort die intellektuelle Herkunft offenbarte. Das fiel mir noch relativ leicht, da ich als Jugendlicher schon eine Druckerlehre gemacht hatte und mit einem entsprechenden Gehilfenbrief aufwarten konnte. Außerdem musste ich während meines Architekturstudiums mehrere Baupraktika absolvieren, und mir machte Hand-Arbeit Spaß, sie war nicht ausschließlich Mittel zum Zweck. Allerdings bedurften die weiteren Daten einer Anpassung. (Viele Jahre später habe ich vorm Landesarbeitsgericht Berlin eine Entscheidung erstritten, dass ein Bewerber bei der Einstellung nur solche Angaben machen muss, die konkret der Beurteilung der Eignung für den vorgesehenen Arbeitsplatz dienen. Andere Fragen müssen nicht und dürfen sogar falsch beantwortet werden. Dieses Urteil ist im Januar 1989 rechtskräftig geworden.7)

Eine zweite Bewerbung war für uns einerseits einfacher, weil wir nämlich schon eine Zeitlang praktischer Arbeit, vielleicht sogar mit einem guten Zeugnis versehen, dokumentieren konnten. Andererseits wurde es aber immer schwieriger, weil wir auf unsere Entlassungen mit öffentlichem Protest reagierten. Für die Einstellungsbüros der Firmen war es nicht schwer, Bewerber wie uns zu identifizieren und wieder nach Hause zu schicken. Die Personalreferenten mussten nur regelmäßig die Presse lesen, um Schwarze Listen anzulegen. Diese Arbeit übernahmen aber auch schon die Arbeitgeberverbände und schändlicherweise auch die IG Metall, zumindest in West-Berlin.

So blieb nur das Prinzip Hoffnung nach dem Motto: Nobody is perfect! Auch nicht die Einstellungsbüros der Großbetriebe. Eine Bewerbung durfte also keinerlei Verdacht aufkommen lassen, sie musste direkt überzeugen, ein Anruf beim vorangegangenen Arbeitgeber war das Ende vom Lied. Probieren ging über studieren. Auch ich habe mir eine Vielzahl von Ablehnungen eingehandelt.

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