Brosch, Renate (Hrsg.)

IKONO/PHILO/LOGIE: Wechselspiele von Texten und Bildern

[= Potsdamer Beiträge zur Kultur- und Sozialgeschichte, Band 2], trafo verlag 2004, 328 S., ISBN 3-89626-400-1, 29,80 EUR

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Zu den Rezensionen

Bilder sind – sobald es um die Konstitution von Bedeutung geht – ebenso untrennbar mit Texten verbunden wie umgekehrt. Jeder Versuch einer Hermeneutik macht die Unhintergehbarkeit dieses Abhängigkeitsverhältnisses klar. Während eine Dialektik von verbalen und visuellen Verständnisprozessen in jüngerer Zeit diskutiert wird, hat das Konzept einer wechselseitigen Verbundenheit von verbalen und visuellen Ausdruckssystemen eine lange Geschichte in abendländischen kulturellen Diskursen. Das antike "ut pictura poesis" Postulat und die spätere Vorstellung von den "sister arts" fußten zwar auf einer Annahme von prinzipieller Gleichwertigkeit der mimetischen Anstrengungen der sprachlichen und bildlichen Künste, doch ein neutrales, gleichberechtigtigtes Verhältnis zwischen Text und Bild hat es nicht gegeben. Auch Lessings ontologischer Trennung von Malerei und Dichtung lag eine Privilegierung des Textes als geeignete Repräsentationsform für Ideen zugrunde.

Im Gegensatz zu dieser theoretischen Privilegierung des Textes als anspruchsvollere, vornehmere Repräsentationsweise, steht die zunehmende Dominanz des Bildlichen, die in unserer westlichen Kultur seit Marshall McLuhan konstatiert wird. Die wachsende Intermedialität sämtlicher Kunst- und Kulturerscheinungen hat eine Parallele in einer zunehmenden Interdisziplinarität der Forschung.

Neuere semiotische Forschungsansätze haben die implizite Hierarchisierung der Text-Bild-Beziehungen aufgelöst und plädieren für einen "pictorial turn", der die Irrtümer des nach-Saussureschen Logozentrismus korrigiert. Die Konzeptualisierung des Sehens, die der westlichen Epistemologie zugrunde liegt, ist von feministischer und kulturwisseschaftlicher Seite einer radikalen Kritik unterzogen worden. Neuere kunstwissenschaftliche Studien widmen sich den ikonographischen Konventionen im Hinblick auf den Blick- und Betrachtertypus, der in ihnen entworfen wird. Literaturwissenschaftliche Ansätze registrieren Veränderungen im textuellen Bildvokabular, in der an die mentale Visualisierung appellierenden Textstruktur und in der Darstellung von Wahrnehmung und stehen diese Veränderungen in Bezug zum Wandel des sozio-kulturellen Umfeldes. In allen diesen Forschungsrichtungen wird das Verhältnis von Texten und Bildern neu reflektiert, befragt und interpretiert.

In der Ringvorlesung beschränkten wir uns auf das Gebiet der literarischen Bezüge zu Bildern. Die Beiträger waren aufgefordert, Grenzgänge und Wechselspiele zwischen Texten und Bildern allgemein oder an Fallbeispielen zu diskutieren. Die Sammlung von Beiträgen nimmt damit teil an den gegenwärtigen Debatten über Intermedialität, Ikonologie, Ikonizität und Visualität. Es kam eine Reihe von spannenden Vorträgen zusammen, die Texte als Aufbewahrungs- und Transformationsmittel eines kollektiven visuellen Gedächtnisses und damit als Träger und Übersetzer von Bildern betrachten. Die Artikel sind z.T. semiotisch oder ikonologisch ausgerichtet und lesen komplexe historische Bedeutungen im Bild-Text-Zusammenspiel. Es wurde aber auch die Frage gestellt, wie sich kulturelle Hegemonien und Hierarchien in den Gestaltungen des Verbalen und des Visuellen manifestieren. Die medialen und materialen Grundlagen der Kommunikation werden in den Blick genommen, aber auch die philosophischen Prämissen unserer Konzepte vom Wahrnehmen und Sehen hinterfragt. Die Vorlesungsreihe hat an Beispielen aus verschiedenen Genres und Perioden Phänomene intermedialer Text-Bild-Verhandlungen erkundet und dabei einen Überblick gegeben, wie sich das Verhältnis in der Sicht verschiedener Disziplinen darstellt und dazu beigetragen, gemeinsame methodische und theoretische Zugänge zu erarbeiten.

Inhalt

Theoretische Grundlagen:

Erika Fischer-Lichte:      „InterArt Ästhetiken“

Gabriele Rippl:               „Text-Bild-Beziehungen zwischen Semiotik und Medientheorie – ein Verortungsvorschlag“

Renate Brosch:                „Ekphrasis: Grenzgänge der Repräsentation“

 

 

Fallbeispiele:

Norbert Franz:                 „Was kann Ikone sein, und wovon erzählt sie? Bildbegriff und religiöse Praxis in der Slavia orthodoxa

Judith Klinger:                 „Die Performanz der Zeichen. Bildprogramme in frühen  mittelalterlichen Epenhandschriften“

Ottmar Ette:                     „Bildermacht. José Martí und die kubanische Revolution“

Claudia Olk:                    „'The Private Eye': Kompositionslogik und  Erkenntnisstruktur in Virginia Woolfs The Waves

Karolina Jeftic:                 „Literatur im Zeitalter der optischen Täuschung am Beispiel von D.H. Lawrence“

Reinhart Meyer-Kalkus:   „Der gefährliche Augenblick. Ernst Jüngers Fotobücher“

Peter Drexler:                   „Literatur und Photographie. Überlegungen zum Werk von G. W. Sebald“

Gertrud Lehnert:               „Die Spirale der Fiktionen. Wolfgang Hildesheimers 'Marbot – Eine Biographie'“