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Thiel, Rainer

“Der Stausee unterm Auersberg. Die Talsperre des Friedens bei Sosa in Sachsen und der Mythos ihrer Erbauer”

trafo verlag 22003, 84 S., 30 Abb., ISBN 3-89626-424-9, 8,80 EUR

 

 

Die Trinkwassertalsperre im Tal der Kleinen Bockau – beim Dorfe Sosa im westlichen Erzgebirge – ist nach dem zweiten Weltkrieg das erste große Neubauwerk im Osten Deutschlands. Schon Ende des 19. Jahrhunderts war ein solches Bauwerk als nötig empfunden worden, nachdem eine neue Welle der Industrialisierung die Städte und Dörfer zum Wachsen gebracht hatte. Die französischen Kontributionen nach dem Krieg von 1870/71 – als „Goldfranken" bekannt – hatten überall in Deutschland heftiges Spekulationsfieber erzeugt, in hiesiger Region die Metall-Industrie angestachelt und Menschen angelockt. 1894 hat August Bebel eine Talsperre im Ursprungsgebiet der Zwickauer Mulde, die nach zweihundert Kilometern bei Dessau in die Elbe mündet, vorm Reichstag gefordert. Doch vor und nach dem ersten Weltkrieg zählte anderes als Wasser.

An Frieden dachte niemand. Im zweiten Weltkrieg ist mindestens ein Fünftel aller Männer umgekommen. Dennoch wächst bei Kriegsende die Bevölkerung erneut. Durch Umsiedler und Flüchtlinge wird der Vorkriegs-Stand um zehn Prozent übertroffen. Nachdem auf Hiroshima und Nagasaki Atombomben gefallen sind, wird im Erzgebirge Uran abgebaut. Auch der Uran-Bergbau bei Schneeberg, Schlema und Johanngeorgenstadt lässt die Zahl der Ein- und Anwohner ringsum wachsen. In Aue kann noch fünfundachtzig Prozent des Wasserbedarfs gedeckt werden, in Schneeberg nur zwanzig Prozent. Im Mai 1949 beginnt die sowjetische Militärverwaltung, das Talsperrenprojekt anzukurbeln, im Juni übergibt sie das Szepter dem sächsischen Ministerpräsidenten.

Im November 1950 sind in Sosa etwa 600 Facharbeiter, 1500 Hilfsarbeiter sowie 150 Personen technisches und administratives Personal beschäftigt, darunter ca. 400 Frauen und 350 Mitglieder des Jugendverbands FDJ. Vorm eigentlichen Baubeginn kommen an den Wochenenden hunderte unbezahlte Helfer, darunter Volkspolizisten, aus den Städten, um Baufreiheit zu schaffen und vom künftigen Unterwasser-Terrain Bäume, Sträucher und Mutterboden zu räumen. Ein steiler Start des Baugeschehens.

Wenig später wird im mittleren Erzgebirge – zwischen Annaberg und Oberwiesenthal – die kleinere Talsperre Cranzahl gebaut. Cranzahl bekommt einen Erd-Schütt-Damm in einem breiten Tal, doch Sosa eine Bruchsteinmauer, aus Granit gefügt, in einer engen Schlucht, dem Höllental, 9 Meter tief auf Urgestein gegründet, Breite am Fuß 45 Meter, Kronenhöhe überm Bett der Kleinen Bockau 58 Meter, Kronenlänge 200 Meter, Kronenbreite 4 Meter. Die Sperrmauer ist die letzte in Deutschland gebaute Natursteinmauer. Sie ist eines der selten gewordenen Bauwerke mit gebogener Achse. Die Mauer hat Figur. Gesamtvolumen der Mauer: 101.000 Kubikmeter. Staufähig für 6 Millionen Kubikmeter Wasser. Stauseefläche knapp 40 Hektar. Das Wasser fließt dem Bauwerk zu von 24,4 Quadratkilometern bestem Wald am Auersberg. Viel klares Wasser gibt es im Gebirge, und auch heut noch rauschen Bäche. Zweigen wir ein Quentchen ab, so etwa 150 Liter pro Sekunde, und leiten es in unsre Städte.

Rainer Thiel