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Hanna Behrend

Demokratische Mitbestimmungsrechte unter DDR-Bedingungen. 
Die ambivalenten Strukturen an den Universitäten

[=Gesellschaft – Geschichte – Gegenwart, Bd. 23], Berlin 2003, 150 S., ISBN 3-89626-375-7, 17,80 EUR

Rezensionen

Vorbemerkungen:

Seit dem Ende der DDR ist die Zahl der Publikationen über sie in einem kaum noch überschaubaren Umfang angewachsen. Auch über einzelne Aspekte der Situation an höheren Lehranstalten und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen liegen bereits zahlreiche Veröffentlichungen vor, darunter solche, die sich speziell mit der Lage der Wissenschaftlerinnen beschäftigen. Es gibt jedoch bisher keine Monographie, die Geschichte und Strukturen der Hoch- und Fachschulen der DDR zum Gegenstand hat. Diese Studie möchte einen Beitrag zu einem Aspekt einer solchen, noch zu schreibenden Monographie leisten. Im folgenden soll einer Seite der Geschichte des untergegangenen Staates, den Mitbestimmungs- und Interventionsmöglichkeiten der Betriebsangehörigen, am Beispiel eines Universitätsbetriebes Aufmerksamkeit geschenkt werden, die in den meisten bisherigen Veröffentlichungen zur DDR wenig Beachtung fand. 

Geht man von der Vorstellung der DDR als totalitär verfasstem, undemokratischem Unrechtsstaat aus, so blockiert das von vorn herein jede Nachforschung nach demokratischen Potenzen. Meine Prämisse ist es jedoch, davon auszugehen, dass es Richtiges im Falschen gibt und dass die Ambivalenz der DDR im gleichzeitigen Vorhandensein von repressiven und hierarchischen Strukturen einerseits und mindestens potenziell angelegten sozialen und damit auch persönlichen Freiheiten andererseits bestand. 

Dieser Text stützt sich vor allem auf meine persönlichen Erfahrungen, die ich, als ich von September 1969 als promovierte wissenschaftliche Assistentin an der Anglistik der Humboldt-Universität zu Berlin zu arbeiten begann, bis zu meiner Berentung als habilitierte a.o. Dozentin September 1987 machte.  Von 1987 bis 1990 bestand meine Verbindung zu meiner alma mater trotz Berentung in der Fortführung meiner gesamten Lehrtätigkeit – ich war lediglich von meinen administrativen Funktionen entbunden worden; bis 1994 erhielt ich noch relativ regelmäßig Lehraufträgen am Institut für Anglistik und Amerikanistik, die dann mehrjährig unterbrochen[1] wurden und im SS 1998 übernahm ich noch einmal einen Lehrauftrag. Es fließen in diesen Text jedoch auch Erfahrungen ein, die ich in verschiedenen anderen wissenschaftlichen Tätigkeiten[2] machte.

Die in der Zusammenfassung auf der Grundlage dieser Erfahrungen gemachten Aussagen zu innerbetrieblichen Strukturen in DDR-Einrichtungen stehen darüber hinaus im Einklang mit allen übrigen Erkenntnissen aus meinem Berufsleben in der DDR[3].  Meine Tätigkeit als Leiterin verschiedener Projekte[4] an der Humboldt-Universität und enge freundschaftliche Verbindungen mit Lehrkräften der anderen DDR-Universitäten ermöglichten mir zudem Einblick in das betriebliche Klima und die Strukturen an  den übrigen Hochschulen. 

 

Auch aus Neugier auf die Diskrepanzen zwischen Erinnerung und Aussagen der zeitgenössischen Quellen habe ich alle in meinem Besitz befindlichen Unterlagen durchgesehen, die sich auf meine Arbeit an der HUB zwischen 1969 und 1998  beziehen. Da ich – obwohl niemals zur Professorin berufen und daher Angehörige des Mittelbaus – diverse Leitungsfunktionen auf Sektionsebene irgendwann einmal wenigstens stellvertretend ausübte[5] und weil ich kaum etwas entsorgt habe, besitze ich Mitschriften von Dienstbesprechungen,  Briefwechsel mit Universitätsdienststellen, Verlagen, SED-Leitungen, mit StudentInnen und anderen Nachwuchskräften, KollegInnen an der eigenen oder anderen DDR- bzw. ausländischen Universitäten, Planungsunterlagen, Projektvorlagen, Aufrufe, Anträge, Einsprüche, Lebensläufe, Auszeichnungen usw. aus meiner Tätigkeit an der Anglistik der Humboldt-Universität.

Für den vorliegenden Text habe ich darüber hinaus das unveröffentlichte Manuskript von B. Baume/Ch. Felber, Ergebnisse der Interviews mit den Ost-Wissenschaftlerinnen (1994) herangezogen, in dem 15 Wissenschaftlerinnen im Alter zwischen 37 und 59 Jahren befragt wurden, die ihre Erfahrungen vor und nach der Wende vergleichen.

 Die allgemeine Lage an den Hochschuleinrichtungen in den letzten zwei Jahrzehnten der DDR

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Offizielles Ziel des Studiums war es, dem politischen System der DDR eine loyale und kompetente Intelligenz zu sichern. Daraus leitete sich die Direktive ab, das Lehrpersonal habe sich vorrangig der Erziehung und Ausbildung der StudentInnen und erst in zweiter Linie der Forschung zu widmen; „Erziehung“ meinte vor allem den weltanschaulich-politischen Teil der Bildung, Ausbildung den fachspezifischen, der aber vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften wie in allen Gesellschaftssystemen eine deutlichere weltanschauliche Komponente hatte als in den Natur- und Technikwissenschaften. Dieser Zielstellung stand allerdings eine wesentlich pragmatischere Praxis gegenüber. Wie an Hochschulen in anderen Teilen der Welt wurden Mitarbeiter nach der Bedeutung ihrer Forschungsleistungen und Publikationen bewertet; allenfalls wurde noch gefragt, ob sie in Leitungsfunktionen Führungsstärke beweisen könnten. Am wenigsten Bedeutung für die Karriere hatte es damals wie heute, wenn sie fähige, engagierte und populäre HochschullehrerInnen waren. Dennoch war die Universitätsausbildung in der DDR in allen Disziplinen bedeutend praxisorientierter als in der Bundesrepublik allein schon deshalb, weil in der Regel nicht für eine Universitäts- oder Forscherkarriere ausgebildet wurde, sondern für einen Beruf in Industrie, Handel, Volksildung, im Gesundheitswesen oder als Kulturschaffende und der/dem Absolventen/in auch stets eine konkrete Arbeitsstelle zugewiesen wurde.  

Die Seiten der Ausbildung, die Loyalität, Ergebenheit und Anpassung fördern sollten, befanden sich stets in einem Spannungsverhältnis mit den Seiten, die Kompetenz und damit Denkfähigkeit und Selbständigkeit vermittelten. Die politische Führung bei der Gewährleistung der erstgenannten Seiten  hatte für die Staats- und Parteiführung Priorität. Sie erklärte diese zur wichtigsten Aufgabe der SED-Parteiorganisationen aller Ebenen an Bildungseinrichtungen.

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Es entwickelten sich somit, vor allem in den 70er und 80er Jahren verschiedene, oft widersprüchliche Formen der Anpassung an das System und des nicht frontalen Widerstands gegen Erscheinungen, die sich aus ihm ergaben.

Die häufigste Strategie in meinem Umfeld gegen Einmischung höherer Instanzen war das Bestehen auf den formal demokratischen und auf Schaffung von Fachkompetenz orientierenden Aspekten der Strukturen und das Umgehen bzw. Umdeuten von Weisungen „von oben“, die der Autonomie von Lehre und Forschung und der Selbständigkeit der StudentInnen entgegenwirkten.  Die Ambivalenz des Systems hatte sich zwar zu Zeiten in bestimmten besonders ideologieträchtigen Disziplinen – wie Biologie, Kybernetik, Geschichte, Literaturwissenschaft u.ä. – auch darin geäußert, dass, vor allem vor 1961, in Anpassung an sowjetische Auffassungen oder an bestimmte dogmatische Auslegungen des Marxismus neue theoretische Ansätze in Forschung und Lehre tabuisiert wurden – mit zuweilen fatalen Folgen für die Disziplinen. In den 70er und 80er Jahren hatte die SED-Führung jedoch immer mehr auf direkte Führerschaft der wissenschaftstheoretischen Debatten verzichtet und zugelassen, dass wissenschaftliche Positionen vertreten oder wenigstens diskutiert wurden, die vordem verketzert worden waren (z.B. Kybernetik, Strukturalismus, Cultural Studies, Psychoanalyse, Feminismus). 

Auch die vergleichweise egalitären Personalstrukturen und die gering entwickelte Konkurrenz zwischen den MitarbeiterInnen sowie deren faktische Unkündbarkeit trugen dazu bei, Spielräume für selbständige Gestaltung des Lehr- und Forschungsbetriebes zu eröffnen. Zwar gab es unter dem Lehrpersonal und den studentischen bzw. graduierten Nachwuchskräften wie überall auf der Welt auch Machtgierige, karrieregeile Ehrgeizlinge, KriecherInnen, ZuträgerInnen, Feiglinge, talentlose StreberInnen usw., aber solche Charaktere mussten in der DDR eben nicht die Existenz anderer bedrohen, um selbst ihre Stellung zu halten. So bemühten sich Leute in führenden Stellungen natürlich auch in der DDR zu gewährleisten, dass ihnen nicht genehme Leute eine bestimmte freie Stelle nicht bekamen sondern der/die von ihnen gewünschte AnwärterIn. Unter den Strukturen der „kollektiven Leitung“ konnte das aber zuweilen konterkarriert und jemand eingestellt werden, der/die nicht der/die Wunschkandidat/in des Leiters war. Dazu kam, dass die DDR und ihre Universitäten Raum für jeden hatten, auch wenn er nur formal die politischen Rituale mitmachte und seine Aufgaben in Lehre und Forschung einigermaßen erfüllte. Jede Arbeitskraft wurde gebraucht und daher wurde mit sehr wenigen, stets politischen Ausnahmen keinem/r auf Dauer ein seiner/ihrer Qualifikation entsprechendes Existenzrecht verwährt.

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Entscheidungsstrukturen

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Diese Quadratur des Kreises lag einerseits bereits in den inkompatiblen Prinzipien der „führenden Rolle der SED“ und der „Eigenverantwortung des/r Leiter/in“ begründet und andererseits an der „führenden Rolle der SED“ und dem Prinzip der „kollektiven Leitung“,  d. h. der formal gleichrangigen, in Wahrheit aber hierarchisch abgestuften Rechte der betrieblichen SED-Führungsgremien, der RepräsentantInnen der Gewerkschaft und des Jugendverbandes FDJ sowie, wenn vorhanden, der Frauenkommission, bei der Entscheidungsfindung der staatlichen Leitungen. An den Universitäten war diese kollektive Leitung befugt, bei den Entscheidungen des/r Sektions- bzw. Bereichsleiters/in mitzuwirken und damit die „Eigenverantwortung des/r Leiter/in“ zu modifizieren. Diese Prinzipien funktionierten dann am besten, wenn keines davon konsequent durchgesetzt wurde. Dann fügten sie sich im Ergebnis eines jeweils ausgehandelten Interessenkompromisses zu einem fragilen Ganzen zusammen.

In der alltäglichen Praxis der Sektion[6] wie an allen gleichartigen Institutionen besaßen alle, die Grundorganisationsleitung der SED an der Sektion, der Sektionsdirektor und die ihn als kollektives Leitungsgremium unterstützenden Gewerkschafts- und FDJ-FunktionärInnen, bzw. auf der Ebene der Bereiche Bereichsleiter, Parteigruppenorganisator/in und Gewerkschaftsvertreter/in, zwar widersprüchliche, aber dennoch reale  Mitbestimmungsrechte.

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Eingaben: Einspruchsmöglichkeiten und Widerspruchsformen

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Mitbestimmungsmöglichkeiten

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Umgang der AkademikerInnen miteinander und Statusfragen

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Verhältnis der Lehrkräfte zum studentischen und graduierten Nachwuchs  

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Folgen der „Betriebszentriertheit“ von Berufstätigen in der DDR

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Nutzung feministischer theoretischer Positionen in Lehre und Forschung

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Schlussfolgerungen

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So enthielt das dargestellte System – das auf Grund der geschilderten Privilegien der SED immer wieder zum Herrschaftsinstrument der SED-Führung instrumentalisiert werden konnte – durch die Mitwirkung einer relativen großen Anzahl von Personen von verschiedenem Status dennoch erhebliche demokratische Potentiale.

Grundlegende betriebliche Entscheidungen wurden zwar ebenso wenig demokratisch von allen MitarbeiterInnen getroffen wie heute. Doch besaßen die Letztgenannten vor allem durch das weitgehende Fehlen des einer kleinen Gruppe vorbehaltenem innerbetrieblichen Herrschaftswissens ein weit höheres Mitbestimmungsrecht als seit der Vereinigung. Unter DDR-Verhältnissen wurden die betrieblichen Angelegenheiten in einer alle MitarbeiterInnen einschließenden Öffentlichkeit diskutiert und nicht in zu strikter Geheimhaltung verpflichteten Kommissionen, was durchaus einschließen konnte, dass Leitungsgremien Berichte schönten oder skandalöse Vorfälle verschwiegen. An den Hoch- und Fachschulen ermöglichte das System zumindest Angehörigen des Mittelbaus und technischen Kräften im Rahmen ihrer betrieblichen Tätigkeit einen weit höheren Grad von Selbstbestimmtheit, als das jetzt der Fall ist. Obwohl es interne Vorabsprachen gab und in der Parteileitung besprochene Personalfragen stets als vertraulich zu behandeln waren, verhinderte die Zahl der Leitungsmitglieder (neun Personen gehörten der Parteileitung der Anglistik-Amerikanistik an) und ihre meist solidarische Verbundenheit mit den übrigen MitarbeiterInnen und StudentInnen der Sektion, dass, wie es heute der Fall ist,  (individuelle) MitarbeiterInnen und StudentInnen betreffende Angelegenheiten nur von kleinen Insidergremien behandelt und entschieden und oft nicht einmal der betreffenden Person mitgeteilt werden.  Während es in der DDR so gut wie keine Möglichkeit gab, Missstände in den öffentlichen Medien zu diskutieren, ermöglichten innerbetriebliche Informationsstränge und Mitbestimmungsrechte es den MitarbeiterInnen durchaus, sich mit betrieblichen Maßnahmen auseinander zu setzen, sofern sie meinten, die Maßnahme stimme mit den offiziell erklärten politischen Zielen nicht überein.

 

Durch die geschilderte Struktur wurde Kollektivität gefördert, insofern alle Arbeitsaufgaben sowie Einschätzungen der MitarbeiterInnen in der Regel bereichsöffentlich festgelegt wurden und offiziell darauf orientiert wurde, Methoden erfolgreicher Arbeit möglichst schnell zu verbreiten. Der sichere Arbeitsplatz nicht nur der ProfessorInnen, sondern aller MitarbeiterInnen gewährleistete nicht nur eine kontinuierliche und praxisorientierte Ausbildung und langfristige und damit solide Forschungsprojekte.  Er  förderte auch  die Bereitschaft der MitarbeiterInnen zur Kritik an der eigenen und der Arbeit der KollegInnen. Dieser Kritik konnte in der DDR keine existenzgefährdende und nur begrenzt eine karrieregefährdende Absicht zugrunde liegen, weil es in der Arbeitsgesellschaft DDR zwar politische Gefährdungen, aber keine Existenzgefährdung in der Erwerbstätigkeit gab. Mit der heutigen Situation ständiger existentieller Unsicherheit und Abhängigkeit der überwältigen Mehrheit aller Erwerbstätigen ist die Situation der Berufstätigen im allgemeinen und an den Universitäten überhaupt nicht gleichzusetzen. Ebenso wenig haben die vergleichsweise egalitären Unterstellungsverhältnisse an Hochschulen zwischen Professoren und Mittelbau oder technischen Kräften Ähnlichkeiten mit dem Verhältnis von heutigen C-4 ProfessorInnen zum übrigen Personal.

 

In der DDR wirkte sich die Dominanz der Bürokratie, speziell der Parteiinstanzen hauptsächlich über ihre konsequent machtorientierte Personalpolitik in kontraproduktiver Weise aus. Zwar wies die DDR starke egalitäre Züge auf, aber über ihre Zugehörigkeit zur "Nomenklatura"[7] waren einige Personen „gleicher als andere“, ihr Einsatz in Machtpositionen wurde über die „führende Rolle der Partei“ durchgesetzt und Kritik daran abgeschmettert, sie wurden auch bei mangelnder Eignung oder Leistungen selten preisgegeben. Bedroht war ihr Status nur, sofern sie es an Unterordnungsbereitschaft unter ihre Vorgesetzten, sprich an Parteidisziplin, mangeln ließen.

 

Obwohl grundlegende Reformbemühungen durch das System weitgehend verhindert werden konnten, waren produktive Veränderungen in Lehre und Forschung auf der Ebene der Bereiche möglich, wenn sie (1) nicht den heiligen Kühen der Parteilinie widersprachen bzw. so formuliert wurden, dass dies nicht kenntlich war oder ohne Aufsehen stillschweigend unternommen wurden und (2) wenn sie von der Mehrzahl der  MitarbeiterInnen unterstützt wurden und sich auch in der SED-Parteileitung ausreichend Fürsprecher dafür fanden[8].

Vor allem in der unmittelbaren Nachkriegsperiode, aber auch später gab es individuelle Männer und Frauen, deren wissenschaftliche Existenz aus politischen Gründen  zerstört  wurde (z.B. Harich, Havemann, Bahro). Es handelte sich in allen mir bekannten Fällen um sozialistische oder kommunistische Kritiker. Es gab auch gelegentlich vorübergehende Berufsverbote, z.B. wurde die Germanistin Inge Diersen wegen ihrer positiven Kritik an Christa Wolfs „Nachdenken über Christa T.“ einige Jahre „in die Produktion“, d.h. in einen Produktionsbetrieb geschickt. An die Humboldt-Universität zurückgekehrt, erhielt sie ihren Professorinnentitel zurück.  Im Vergleich mit den gegenwärtigen Strukturen riskierte der/die kritische und unbequeme Mitarbeiter/in aber in der Regel nicht seine/ihre Existenz als Wissenschaftler/in, sondern er verbaute sich die Karriereleiter und damit war er unter Umständen in seiner wissenschaftlichen Ausstrahlung eingeschränkt. Letzteres kam – besonders bei Parteimitgliedern – relativ häufig vor. 

 

Wie typisch für die Hochschul- und Forschungseinrichtungen, für  Betriebe mit akademisch ausgebildetem Personal in der DDR waren die hier beschriebenen Verhältnisse? Der Umfang der bürokratischen Einmischung übergeordneter Leitungen in innerbetriebliche Vorgänge unterschied sich beträchtlich je nachdem, für wie ideologie- und politikrelevant die ZK-Fachabteilung Wissenschaft das betreffende Fach ansah. Germanistik erschien ihr bedeutsamer als die übrigen Philologien, die Kontrolle der führenden MitarbeiterInnen in der Soziologie und Biologie wichtiger als die den Philologien. Rechtswissenschaft und Philosophie, Geschichte und Pädagogik, Theologie, Psychologie, die Natur- und Medizinwissenschaften und später die  Informatik waren in ihren Augen wiederum aus je anderen Gründen und zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich kontrollbedürftig. Es spielte selbstverständlich ebenfalls eine Rolle, ob und inwieweit die Parteibürokratie die jeweilige Problematik verstand oder nicht. Doch konnten engagierte und weniger angepasste MitarbeiterInnen in jedem Fach, an jeder Einrichtung die widersprüchlichen Führungsprinzipien und -strukturen nutzen, um Reformen in dem durch die Strukturen gesetzten unterschiedlich engen Rahmen durchzusetzen.  Zwar hätte niemand, ohne seine berufliche Existenz zu gefährden und zu gewissen Höhepunkten der Repression sogar ohne seine/ihre Freiheit zu riskieren, sich offen gegen Parteibeschlüsse oder Auflagen des Politbüros stellen können; mit etwas Zivilcourage  war es aber immer möglich, im Sinne einer humanistischen Hochschulpolitik kontraproduktive Anordnungen zu unterlaufen. Von dieser m. M. nach damals ungleich größeren Chance als heute,  systemkritischen Widerstand zu leisten, hat bedauerlicherweise nur eine kleine Minderheit von MitarbeiterInnen solcher Einrichtungen Gebrauch gemacht.

    

  



[1] Von 1995 bis 1998 sollte ich als „Altlast“ keine oder nur unbezahlte Lehraufträge erhalten, was ich aber zurückwies. 1998 wurde mir noch einmal ein regulärer Lehrauftrag angeboten.
[2] Ich war als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Museum für deutsche Geschichte von dessen Gründung 1952 bis 1955,  als Promotionsaspirantin an der Humboldt-Universität von 1955 bis 1958, als Verlagslektorin im Verlag Rütten & Loening von 1958 bis 1961, als Übersetzerin und Dolmetscherin bei der Firma Intertext in Berlin (1961-1963) und als freiberufliche Übersetzerin und Sprachlehrerin (1963-1967), sowie als LHD (Lehrerin im Hochschuldienst) und Lektorin am Institut für Sprachunterricht an der Hochschule für Ökonomie von 1967 bis 1969 tätig.
[3] Vor Aufnahme meines Studiums  (1948-1952) war ich in Ost-Berlin  Kindergärtnerin (1946-1947) und Sachbearbeiterin bei der Reichsbahn (1947-1948). 
[4] Von 1969 an leitete ich das Forschungsprojekt "Arbeiterliteratur in Großbritannien und Irland", das von 1985 an zum Projekt "Arbeiter- und feministische Literatur" ausgebaut wurde; von 1972 an war ich verantwortlich für das Lehrbuchprojekt "Modern English" in Berlin und für die Koordinierung des Projekts Modern English 4 mit Beiträgern aus den übrigen DDR- Universitäten; in den 80er Jahren leitete ich die für die philologische Bearbeitung der historisch-kritischen Ausgabe der ersten englischen Ausgabe des I. Bandes des "Kapital"  von Marx verantwortliche Arbeitsgruppe, eine Arbeit, die Teil eines Auftrages des Berliner Instituts für Marxismus-Leninismus an die Humboldt-Universität war.
[5] So war ich mehrere Jahre Bereichsleiterin des Bereichs Sprachpraxis (Anlage 1) und danach stellvertretende Bereichsleiterin des Bereichs anglistische Literaturwissenschaft; ich war ein Jahr lang Fachrichtungsleiterin für Anglistik-Amerikanistik (Anlagen 2-3). Auch die Funktionen der Studienjahresverantwortlichen, deren Aufgabe es war, die BetreuerInnen der Seminargruppen anzuleiten,  und der Seminargruppenbetreuerin habe ich in den drei Jahrzehnten meiner Tätigkeit an der HUB ausgeübt. Vom WS1967/68 bis WS1989/90 habe ich auch ständig sogenannte w/oA (wahlweise obligatorische Ausbildung)-Gruppen, d.h. studentische Forschungsgruppen geleitet.
[6] Sektionen entsprachen zunächst den heutigen Fakultäten, später eher den Instituten. In meiner Zeit an der HUB wurden sie immer dezentralisierter, d.h. in den letzten Jahren besaß die Anglistik-Amerikanistik den Status einer selbständigen Sektion.
[7] Das sind diejenigen Personen, die für leitende Tätigkeiten auf den verschiedenen Ebenen vorgesehen waren. (Auch) SED-Mitglieder, die wegen Unbotmäßigkeit(en) unliebsam aufgefallen waren oder aus anderen personalpolitischen Erwägungen diskriminiert wurden, kamen für bestimmte Posten nicht mehr oder erst nach längerer Beobachtung wieder infrage.
[8] So konnte ich gegen den Willen einer (damals) leitenden Mitarbeiterin des Ministeriums für Hoch-und Fachschul(bildung)wesen  die Ersetzung eines vom Ministerium herausgegebenen durch ein an der anglistischen Sprachpraxis entwickeltes Lehrbuch durchsetzen; hinter mir standen die MitarbeiterInnen des Bereichs Sprachpraxis und die SED-Parteileitung der Sektion Anglistik-Amerikanistik.