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Johann Caspar Struckmann

Der patriotische Primaner. Staatsbürgerliche Erziehung an den höheren Schulen Preußens 1820 bis 1914

 [= Hochschulschriften, Bd. 1], trafo verlag 2002, 206 S., zahlr. Abb., ISBN 3-89626-338-2, 39,80 €

 

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Im Preußen des neunzehnten Jahrhunderts standen sich die Elemente des altpreußischen Erbes und die Anforderungen der neuen Zeit nach der Französischen Revolution scheinbar unversöhnlich gegenüber. Nach dem Willen der preußischen Reformer sollten aus Untertanen Staatsbürger werden. In diesem Prozeß der Transformation kam der Schule eine besondere Rolle als Vermittlerin neuen Denkens, zu. Staatsbürgerliche Erziehung würde den Weg ebnen zu Eigenständigkeit und Kritikfähigkeit. Nach dem Sieg der Reaktion wendete sich das Blatt zugunsten traditioneller Anschauungen. Patriotismus wurde gemünzt auf die Anhänglichkeit an den Herrscher. Die Schule stand wieder im Dienst der beharrenden Kräfte. Diese neu-alten Tendenzen lassen sich ablesen sowohl an den Inhalten der „Gesinnungsfächer“ wie an Abläufen des Schulalltags, seien es Feste, Ausflüge, Geldsammlungen, der Praxis der Körpererziehung und dem Verhältnis zum Militär. Nach der Reichsgründung wurde der alte Idealismus Geschichte. In den höheren Schulen begann der Nationalismus zu blühen, das Militär wuchs zum bewunderten sozialen Vorbild, Kriegsspiele gehörten zum Schulalltag. Wohl wuchs die Erkenntnis vom Mangel an staatsbürgerlichen Kenntnissen, ausgelöst gar vom jungen Kaiser Wilhelm II., aber der Reformwille fehlte sowohl bei der Politik wie bei den Philologen. Die akademische Jugend war und blieb unpolitisch, darüber konnte auch die Kriegsbegeisterung von 1914 nicht hinwegtäuschen.

Inhaltsverzeichnis

 

Einleitung

 

Kapitel 1: Die höheren Schulen Preussens im 19. Jahrhundert: Erziehungsauftrag zwischen Bildung und Gesinnungsbildung

A. Landesvater und Untertanen

B. Das Militärische

C. Wohltätigkeit

D. Körperertüchtigung

E. Das Fach Geschichte

F. Die Erziehung der Untertanen

 

 

Kapitel 2: Nach der Reichsgründung: unpolitische Jugend versus Nationalismus und Militarismus

 

Teil 1: Soziokultureller Wandel nach der Reichsgründung und Auswirkungen auf das höhere Schulwesen

 

Teil 2: Patriotismus und Nationalismus

A. Schulfeiern

B. Das Kaiserhaus

C. Gesinnungsfächer

D. Nationalismus im Schulalltag

E. Mängel in der patriotischen Erziehung

Teil 3: Kriegsertüchtigung

A. Militärisches im Schulalltag

B. Das Turnen

C. Kriegsspiele

D. Staatliche „Jugendpolitik"

Teil 4: Reformansätze ab 1900

 

Teil 5: Die unpolitische Jugend und die Kriegsbegeisterung von 1914

 

Teil 6: Schluß

 

 

Zusammenfassung

 

 

Literatur und Quellen

 

 

Textprobe

Aus der Einleitung

In der deutschen Geschichtsschreibung der neueren Zeit wächst der Wissensstand auf Teilgebieten in großen Schritten. Solche Zuwächse sind besonders in der Sozial- und Bildungsgeschichte auffallend und fanden ihren Niederschlag in großen zusammenfassenden Überblickspublikationen1. Das schließt unbeackerte Felder nicht aus. So ist die Sozialgeschichte des deutschen Bürgertums erst neuerdings als Spezialaufgabe anerkannt und zum Thema geworden2. Die Erforschung des Bürgertums als „einer in sich stark differenzierten Schicht mit unterschiedlichen Lebensweisen und Wertesystemen ihrer einzelnen Gruppen"3 ist ein aufwendiges Vorhaben und umfaßt eine ganze Reihe von Teilaspekten wie beispielsweise religiöse Bindungen, Arbeitsethos, kulturelle Neigungen oder die Abgrenzung zum Adel bzw. gegen die Unterschichten. Ebenso zählen die politischen Einstellungen dazu. Das neunzehnte Jahrhundert wird – unter unterschiedlichen Vorzeichen – immer wieder als „bürgerliches Zeitalter" bezeichnet4. Das Bürgertum hat dieser Periode seinen Stempel aufgeprägt. Sein Einfluß wurde auf verschiedenen Gebieten dominierend. Das betraf die Bildung ebenso wie die Kultur, das Familienleben ebenso wie die ethischen Maßstäbe. Nur in einer Hinsicht blieb ihm größerer Einfluß versagt: in der Politik. In der Mehrzahl der deutschen Länder behaupteten sich die alten Gewalten. Die Fürstenherrschaft spiegelte die alten Machtverhältnisse, in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts in den meisten Ländern gemildert durch konstitutionelle Verfassungen. Durch die liberale Bewegung suchte das Bürgertum politische Mitspracherechte zu erkämpfen, konnte sich alles in allem aber nicht durchsetzen. Es blieb bei dem Widerspruch der Epoche: die in vielen Bereichen des Alltagslebens maßgebliche Schicht mußte sich politisch mit einer passiven Rolle begnügen. Der Bürger konnte in seinem Beruf und als Individuum Ansehen genießen, in politischen Fragen aber mußte er stumm und weitgehend uninformiert bleiben, da die Zensur die Presse im Sinne der Regierungen lenkte und beschnitt.

Das öffentliche Leben war weitgehend unpolitisch. Zwar suchten die Machthabenden für ihre Politik zu werben und ihre Standpunkte in der Öffentlichkeit zu vertreten. Aber die konservative Grundüberzeugung von Gottesgnadentum und Ständestaat blieb der einzig gültige Maßstab. In den vom Staat weitgehend beherrschten Sektoren Kirche und Schulen ließen sich die Vorstellungen über die Rechte und Pflichten der Untertanen unmittelbar verbreiten. In Gottesdienst und Unterricht konnten die Menschen direkt beeinflußt werden. Hinter Pfarrer und Lehrer standen die Autoritäten von Amtskirche und Staat. So suchten die höheren Schulen im Sinne von Pflicht und Gehorsam auf die Schüler einzuwirken. Von welchen Inhalten der Unterricht an den höheren Schulen Preussens geprägt war, das hat sich in einem besonderen Periodikum niedergeschlagen, den Schulprogrammen oder Jahresberichten der höheren Schulen5. Diese Rechenschaftsberichte legten für Eltern, Freunde der Anstalten und Aufsichtsbehörden in den „Schulnachrichten" Zeugnis ab über das je abgelaufene Schuljahr. Mitgeteilt wurden Einzelheiten über den Lehrkörper, den Unterrichtsstoff, Feiern, Ausflüge oder Besucher der Schule. Beigefügt waren in der Regel gesonderte Abhandlungen des Direktors oder eines Lehrers über ein wissenschaftliches Thema. Aus den unterschiedlichen Elementen des Schulalltages wie Reden der Lehrer, Theateraufführungen der Schüler, Begegnungen mit Mitgliedern der Hohenzollerndynastie, Geldsammlungen oder den Beziehungen zum Militär ergibt sich ein Bild dessen, was unter patriotischer Erziehung verstanden wurde. Diese ist von politischer Erziehung im heutigen Sinne deutlich zu unterscheiden, denn: „Zwischen 1807 und 1890 hat es fast ganz an planmäßiger politischer Erziehung in Deutschland gefehlt"6. Tatsächlich ist in Preussen ein spezielles Fach Staatsbürgerkunde aus mehreren Gründen nicht in den Lehrkanon aufgenommen worden. Im Gegenteil, politische Unterweisungen bzw. die objektive Auseinandersetzung mit politischen Ereignissen des Tages wurden seit Beginn der Restaurationszeit unterbunden. Selbst der Begriff Patriotismus hatte seinen alten Sinn verloren, er war verkürzt und im konservativen Sinne umgedeutet worden als Anhänglichkeit an König und Vaterland.

Bisher ist die öffentliche Erziehung im Geiste dieses Patriotismus in Preussen noch nicht näher beleuchtet worden. Wohl hat sich Helmut König mit der Geschichte der Nationalerziehung beschäftigt7, aber seine Arbeit richtete sich auf das Ende des 18. Jahrhunderts und ausschließlich auf die pädagogischen Konzepte der Aufklärer. Der schon ältere Artikel von Paul Schwarz über „Erziehung zum Staatsbürger"8 referiert ebenfalls die Ideen einer Reihe gleichgesinnter Autoren an der Schwelle zum 19. Jahrhundert und den gescheiterten Versuch, das Unterrichtswesen Preussens durch ein Schulgesetz zu reformieren. Ludwig Fertig schließlich hat eine Sammlung von Texten zur Geschichte der Volksbildung im 18. und 19. Jahrhundert veröffentlicht9, die den engen politischen Rahmen für die Idee von Volksbildung aufzeigen.