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Bürgerliche Revolution und revolutionäre
Linke. Beiträge eines Kolloquiums anläßlich des 70. Geburtstages
von Helmut Bock am 15. Mai 1998”,
[=
Gesellschaft - Geschichte - Gegenwart, Bd. 21], trafo verlag 2000, 272 S.,
ISBN 3-89626-199-1, 39,80 EUR
Vorwort 7
Walter Schmidt
Bürgerliche Revolution und revolutionäre Linke. Einleitende
Thesen 11
Helmut Bock
Das Problem der “Geistesaristokratie” – ein Spezifikum der frühen
deutschen Arbeiterbewegung 29
Waltraud Seidel-Höppner
Miniaturen zum rechtsphilosophischen Links/Rechts-Gegensatz im Berliner
Vor- und Nachmärz 45
Hermann Klenner
Arbeiterpoesie in der “Deutschen-Brüsseler- Zeitung” 1847 59
Wolfgang Büttner
Badischer Radikalismus in der Märzbewegung 1848 67
Rolf Weber
Agrarfrage und revolutionäre Linke in der bürgerlichen Revolution
in Deutschland 85
Helmut Bleiber
Als Unternehmer auf der Barrikade: Eduard Krause (1816–1882) 95
Kurt Wernicke
Georg Weerth und die “Neue Rheinische Zeitung. Neue Tatsachen und Erkenntnisse
107
François Melis
Johann Philipps Beckers Konzept der zweiten Revolution 1848/1849 127
Rolf Dlubek
Wilhelm Liebknecht und Friedrich Ludwig Weidig. Personelle Marginalien
zum Verhältnis von Demokratie und Sozialismus 143
Wolfgang Schröder
Bauernsozialistische Ideen in Rußland 1905 151
Sonja Striegnitz
Leo Trotzki über Demokratie und Diktatur 163
Mario Keßler
Der 75. Jahrestag von 1923: Die Revolution von 1848 in nachrevolutionärer
Situation 189
Walter Schmidt
Über die Schwierigkeiten der DDR-Literaturwissenschaft mit den
politischen Vormärz-Schriftstellern 207
Rainer Rosenberg
Perspektiven der Linken – linke Perspektivität. Zum Standort der
bürgerlichen Revolution in der DDR-Diskussion 217
Wolfgang Küttler
Offener Schluß 233
Helmut Bock
Helmut Bock – Kurzvita 243
Helmut Bock – Biobibliographie 245
Zu den Autorinnen und Autoren 269
Auszug
Ich hatte die Ehre, das Ehrenkolloquium für Prof. Dr. Helmut Bock
anläßlich seines 70. Geburtstags, dessen Beiträge dieser
Publikation zugrunde liegen, zu eröffnen und zu moderieren. Auf die
bei solchen Anlässen übliche Laudatio auf den Jubilar haben wir
auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin verzichtet. Nicht verzichten
mochte ich indes auf persönliche Worte.
Meine Bekanntschaft mit Helmut Bock datiert aus dem Jahr 1960; und
sie erfolgte über seine wissenschaftlichen Arbeiten zu Ludwig Börne.
Das Manuskript seiner 1960 in Leipzig bei Ernst Engelberg und Hans Mayer
verteidigten Dissertation über den Weg des Ghettojuden zum Nationalschriftsteller
hatte ich zwar nie in der Hand. Aber als ich Ende 1959 mit meinen Forschungen
über Wilhelm Wolff begann, da waren in Weimar gerade Börnes Werke
in zwei Bänden erschienen; und sie waren mit einer umfangreichen Einleitung
aus der Feder Helmut Bocks versehen. Und da Wolff, der in den frühen
1830er Jahren in der Breslauer Burschenschaft sein politisches Debüt
gab, in dieser Zeit nachweislich Börnes berühmte “Briefe aus
Paris” gelesen hatte – worüber sein in Inquisitionsakten einzig erhalten
gebliebener Brief aus diesen Jahren Auskunft gab, der ihm übrigens,
weil vom Adressaten nicht vernichtet und so in die Hände der Polizei
gefallen, zwei zusätzliche Jahre Festungsarrest einbrachte – war es
zwingend, genau zu verfolgen, was Wolff denn von Börne – wie auch
von Heines “Französischen Zuständen” – geistig rezipiert hatte.
Helmut Bocks Einleitung zu den beiden Börne-Bänden und schließlich
seine Börne-Biographie von 1962 waren für mich damals wichtige
Arbeiten, nicht einmal so sehr weil sie Börnes Lebens- und Schaffensweg
erschlossen, sondern mehr noch und vor allem weil sie erstmals aus marxistischer
Sicht eine gründliche Analyse der politischen Bewegungen und Bestrebungen
der zweiten Oppositionswelle gegen das Restaurationssystem in Deutschland
lieferten. Die entsprechenden Passagen meines ersten Wolff-Bandes zeigen,
in welchem Maße mein eigener Forschungsprozeß in diesen Jahren
Helmut Bocks Börne-Studien verpflichtet war.
Helmut Bock hat in der Folgezeit natürlich auch andere historische
Felder bestellt. Seine Bibliographie am Schluß des Bandes gibt darüber
Auskunft. Doch ist er dem Vormärz, und vor allem den frühen dreißiger
Jahre in seinen Forschungen und Publikationen auch später treu geblieben.
Persönlich kennengelernt haben wir uns – wenn ich mich recht erinnere
– erst in den späten sechziger Jahren, als die Arbeiten am Grundriß
der deutschen Geschichte aufgenommen wurden, die sich bis 1974 hinzogen.
Eng zusammengearbeitet haben wir dann am vierten Band der Deutschen Geschichte,
für den Helmut Bock die Kapitel über die Zeitabschnitte von 1807
bis 1815 und von 1830 bis 1832 verfaßte.
Das Thema des Kolloquiums und des Bandes “Bürgerliche Revolution
und revolutionäre Linke”, das einem Wunsch und Vorschlag des Jubilars
entspricht, steht in einer Tradition, die die marxistische Geschichtswissenschaft
gerade in der DDR wesentlich mitbegründete. Und sie mag uns und den
Jubilar nicht zuletzt auch an Leipzig erinnern, wo Helmut Bock in den fünfziger
Jahren studierte und 1960 promovierte. Es waren vor allem Walter Markov
und sein Schüler Manfred Kossok, die im Rahmen der Forschungen und
Diskussionen des Leipziger Zentrums für vergleichende Revolutionsgeschichte
– von manchem damals scherzhaft Revolutionstribunal genannt – der Rolle
und Funktion von linken, radikal-demokratischen Strömungen in den
bürgerlichen Revolutionen der Neuzeit erstmals systematisch Aufmerksamkeit
zukommen ließen. Manfred Kossok hat in den wenigen Jahren, die ihm
nach dem Umbruch von 1989/90 bis zu seinem frühen Tod 1993 noch verblieben,
selbst Leistungen und Grenzen der bis zum Ende der achtziger Jahre betriebenen
Forschungen und Diskurse um eine Komparation der neuzeitlichen Revolutionen
vom 16. bis zum beginnenden 20. Jahrhundert kritisch hinterfragt und seine
Überlegungen dazu auch chronologisch bis ans Ende unseres “kurzen”
Jahrhunderts weitergeführt. Ich erinnere an seine zeitgeschichtliche
Analyse des sogenannten “Wende“jahres, an die Thesen über die periphere
Begrenzung der von der russischen Oktoberrevolution ausgehenden revolutionären
Prozesse und last not least an seine letzte, am Tag vor seinem Tod noch
inprimierte ebenso kritische wie selbstbewußte Arbeit “Im Gehäuse
der selbst verschuldeten Unmündigkeit oder Umgang mit der Geschichte”.
Die Autoren dieses Bandes haben ein produktives historiographisches
Erbe unter neuen Bedingungen kritisch aufgenommen und mit eigenen Forschungen
und neuen Einsichten weiterzuführen gesucht. Den Rahmen dafür
lieferte der Jubilar mit seinen einleitenden Thesen, die er in einem “Offenen
Schluß” zeitlich über die Mitte des vorigen Jahrhunderts hinaus
bis in die Gegenwart weitete. Den eigentlichen Schwerpunkt der Beiträge
bildet freilich das “lange” 19. Jahrhundert, das von der Warte unseres
Jahrhundertendes unter Fachleuten gegenwärtig von der Französischen
Revolution von 1789 bis zum Ersten Weltkrieg und zur Russischen Oktoberrevolution
1914/17 gerechnet wird. Einer Tradition der marxistischen Geschichtsforschung
gemäß, die in der DDR eine wesentliche Ausprägung erfuhr,
galt der meisten Autoren Interesse den Aktivitäten und theoretischen
Denkleistungen der äußersten Linken dieses Jahrhunderts, dem
proletarischen Element in den Kämpfen um die demokratische und soziale
Ausgestaltung der “modernen” kapitalistischen Gesellschaft, und ihren darüber
hinausweisenden sozialistischen Zielvorstellungen: Von den Vorkämpfern
der frühen deutschen Arbeiterbewegung der dreißiger und vierziger
Jahre über die linken Protagonisten der 1848er Revolution – Georg
Weerth in der “Neuen Rheinischen Zeitung” und die achtundvierziger Radikaldemokraten
Johann Philipp Becker und Wilhelm Liebknecht, die zwei Jahrzehnte später
als Sozialisten die politische Emanzipation der deutschen und europäischen
Arbeiter vorantrieben – bis hin zu den bauernsozialistischen Bestrebungen
in der russischen Revolution von 1905 und zu Trotzkis theoretischen Aussagen
über das Verhältnis von Demokratie und Diktatur, die freilich
bereits weit ins 20. Jahrhundert hineinreichten.
Das 150. Jubiläumsjahr der europäischen Revolution von 1848
regte an, dem süddeutschen Radikalismus in dieser bürgerlichen
Revolution nachzugehen, im Vergleich mit der französischen Revolution
von 1789 die Haltung der deutschen 1848er Linken zur Agrarfrage einmal
ins Visier zu nehmen und die Biographie eines Berliner Unternehmers nachzuzeichnen,
der zwar alles andere als ein Linker war, gleichwohl aber auf den Barrikaden
des 18. März für die deutsche Demokratie mitgestritten hatte.
Vertieft wird die Problematik des Bandes durch eine spezielle Untersuchung
des Links/Rechts-Gegensatzes im Berliner Vor- wie Nachmärz auf rechtsphilosophischem
Felde. Schließlich bereichern historiographiegeschichtliche Erörterungen
unser Wissen um das gestellte Thema. Gefragt wird nach dem Platz, den das
75. Jubiläum der Achtundvierziger Revolution im Jahre 1923 den linken
Bestrebungen in der deutschen bürgerlichen Revolution des 19. Jahrhunderts
zuwies. Aufgehellt werden die Schwierigkeiten, die historische Bewertung
und Einordnung der politischen Vormärz-Schriftsteller der DDR-Literaturwissenschaft
bereiteten. Erstmals untersucht ist die Frage, wie sich die DDR-Historiographie
generell mit dem Verhältnis von revolutionären Linken und bürgerlicher
Revolution auseinandersetzte.
Walter Schmidt
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