[=Abhandlungen der Leibniz-Sozietät, Bd. 4], trafo verlag 2000, 228 S., ISBN 3-89626-188-6, 29,80 €
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Vorwort des Herausgebers 9
Laudatio 13
Zolas Beantwortung der Frage nach dem Sinn der Romantikrezeption 19
Winfried Engler
La “scène du meurtre”1 dans La Bête humaine de Zola 33
Colette Becker
L’envers de la «belle époque»: structure et histoire
dans Paris d’Emile Zola 43
Henri Mitterand
Anatole Frances Fin-de-siècle-Tetralogie zwischen Romanfiktion
und Tagesjournalismus 51
Hans-Otto Dill
Politik und Gesellschaftsstruktur. Flauberts Education sentimentale
im Gegenlicht Pierre Bordieus 59
Helmut Pfeiffer
Das Ende von Emma Bovary 71
Joachim Küpper
Stendhals Armance: Ein “bizarrer” Roman 95
Friedrich Wolfzettel
“Après tant de considérations générales,
je vais naître”. Quelques remarques sur la Vie de Henry Brulard 103
Michael Nerlich
Empfindsamkeit, Geselligkeit, Revolution. Anmerkungen zu Germaine des
Staëls Briefroman Delphine 117
Brunhilde Wehinger
Archive des Ich. George Sands Histoire de ma vie 123
Brigitte Heymann
Ecrire, puis que tout m’en empêchait. Elsa Triolets französischer
Debütroman Bonsoir, Thérèse (1938) 139
Margarete Zimmermann
Das Künstlerpaar, der Maler und der Krieg. Elsa Triolets La vie
privée ou Alexis Slavsky, artiste peintre und Louis Aragons La Semaine
Sainte 149
Angelica Rieger
Werkwelt und Weltliteratur. Anmerkungen zu Louis Aragons Roman Blanche
oder das Vergessen 159
Gerhard Schewe
La Voix Humaine 165
Francis Claudon
PLN und LTI. Gespräche zwischen Krauss und Klemperer 163
Manfred Naumann
Kulturwissenschaft und Realismus 179
Wolfgang Klein
Lesewelten – Wertewelten 185
John Erpenbeck
Fragen zum Impressionismus 193
Peter H. Feist
Ein Verbannter bringt sich in Erinnerung. Die Villena-Episode in Quevedos
Sueño de la muerte.– kritische Bilanz zum Regierungsantritt
Philipps IV. oder nostalgisches Feuerwerk? 197
Karl Maurer
Los dramas de Lorca y el huis clos de la censura. Una lectura política
de “La casa de Bernarda Alba” 207
Hans-Jörg Neuschäfer
Schlußwort 215
Zu den Autorinnen und Autoren 221
Vorwort des Herausgebers
Nachfolgende Abhandlungen sind eine hommage an die Berliner Romanistin
Prof. em. Dr. phil. habil. Dr. h. c. Rita Schober zu ihrem 80. Geburtstag
am 13. Juni 1998. Eine Reihe von ihnen wurden auf dem Festkolloquium gehalten,
das aus diesem Anlaß im Juni 1998 in Berlin unter dem Titel “Geschichte
und Struktur in französischer Literatur, Romania und Literaturwissenschaft”
stattfand. Rita Schober, prominenteste Schülerin von Victor Klemperer,
bekannteste Zola-Spezialistin im deutschsprachigen Raum, gehört international
zu den führenden Zolaforschern. In ihren wissenschaftlichen Arbeiten
und als Herausgeberin der bedeutendsten deutschen Zolaedition vermittelte
sie ein von Verfälschungen, Dogmatisierungen und Vorurteilen befreites
Bild des Romanciers. Darüber hinaus arbeitete sie in gewissermaßen
konzentrischen Kreisen, ausgehend von Zola, zum französischen Roman
des 19. und 20. Jahrhunderts, wobei ihre Aufmerksamkeit auch der Frauenliteratur
und den Beziehungen zwischen Malerei und Literatur bei Zola und Aragon
galt. Von da führte sie ihr wissenschaftlicher Weg zur Literaturtheorie,
vor allem zur Naturalismus- und Realismusforschung, zur Axiologie und zur
strukturalistischen Texttheorie Roland Barthes.
Um diese thematischen Schwerpunkte gruppieren sich die nachfolgenden
Aufsätze mit ihren neuen Erkenntnissen und Problemstellungen. Sie
sollten nicht nur einzeln, als Ausdruck verschiedener Handschriften und
unterschiedlicher, teils gegensätzlicher theoretischer Voraussetzungen
und methodologischer Herangehensweisen – diese reichen von Marxismus bis
Strukturalismus – sondern auch in ihrem – sich post festum ergebenden –
Zusammenhang und Zusammenklang gelesen werden, so die Bezüge zur Politik
bei Dill, Mitterand, Maurer und Neuschäfer, zur Malerei bei Becker,
Feist und Rieger und zur Musik bei Küpper und Claudon.
Einen relativ eigenständigen Kreis bilden die Arbeiten zu Zola:
Colette Becker (Paris) konzentriert sich auf technische und werkgeschichtliche
Probleme der Zolaschen Darstellung eines Mordes im “Totschläger” (l´Assomoir).
Henri Mitterand (Paris-New York) stellt in “L´envers de la belle
époque: structure et histoire dans Paris d´Émile Zola”
(Die Rückseite der Belle époque: Struktur und Geschichte in
Paris von Emile Zola), den soziologisch-ethnographischen Charakter dieses
Stadtromans und die politische Klarsicht des Autors heraus. Winfried Engler
(Berlin) thematisiert Zolas Rezeption und Ablösung von der Romantik
in Abhebung vom Antiromantizismus der Nationalisten (“Zolas Beantwortung
der Frage nach dem Sinn der Romantik-Rezeption”). Peter H. Feist (Berlin),
Kunsthistoriker und als Gymnasiast Lateinschüler Rita Schobers, fragt
ausgehend von Zolas Freund Cézanne nach den Gründen für
einstige Privilegierung und heutiges Weiterwirken des Impressionismus,
der führenden Kunstströmung der Epoche Zolas.
Hans-Otto Dill (Berlin) konstatiert ein historisch neues Wechselverhältnis
von Roman, Politik und Presse in der Histoire Contemporaine von Anatole
France, dem Verbündeten Zolas in der Dreyfus-Affäre, die im Mittelpunkt
dieser fin-de-siècle-Tetralogie steht. Zolas Zeitgenossen und ästhetischem
Antipoden Flaubert gelten Arbeiten von Helmut Pfeiffer (Berlin) zu Politik
und Gesellschaftsstruktur. Flaubert im Gegenlicht Bourdieus, der das obsolete
Mißverständnis Lukács´ gegenüber der Education
sentimentale korrigiert, und Joachim Küpper (Wuppertal), der in “
Das Ende der Emma Bovary” die trivialkulturelle Vorbildwirkung von Opernheroinen
auf Literaturprotagonisten und damit massenmediale Stereotypen studiert.
François Claudons (Paris) untersucht die Kompatibilität der
Musik des vom Impressionismus Debussys sich abwendenden Neoklassizisten
Poulenc mit dem neoklassizistischen Avantgardismus Cocteaus in dessen Monodram
“Die menschliche Stimme”.
Dem vorgängigen Roman der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
sind zwei Arbeiten über Stendhal gewidmet: Michael Nerlich (Berlin)
sieht in “Après tant de considérations générales,
je vais naître. Quelques remarques sur La vie de Henry Brulard” seine
Sicht von Stendhals postumer autobiographischer Romanfiktion als Antiroman
“im Werden” durch die neue Werkausgabe bestätigt, während Friedrich
Wolfzettel (Frankfurt/Main) Stendhals wenig bekannten Romanerstling Armance
als in Charakterzeichnung wie narrativem Verlauf bizarren, d. h. als Antiroman
höher als üblich bewertet.
Frauenschriftstellerinnen gelten drei Arbeiten Berliner Forscherinnen:
Brunhilde Wehinger befaßt sich mit “Empfindsamkeit, Geselligkeit,
Revolution. Anmerkungen zu Germaine de Staëls Briefroman Delphine”,
Brigitte Heymann in “Archive des Ich. George Sands Histoire de ma vie”
(oder Familiengeschichte als eigene Geschichte) mit der umstrittenen Autobiographie
der Schriftstellerin als Familienmythos. Margarete Zimmermannn untersucht
die “unusual narrative technique” und das Selbstverständnis der Russin
Elsa Triolet als politischer Schriftstellerin im französischen Debütroman
Bonsoir, Thérèse, Fiktionalisierung der politischen Krise
von 1938 aus der Perspektive des Fremdseins als Ausländerin, Jüdin
und Frau. Hieran schließt sich die vergleichende Arbeit von Angelica
Rieger (Wiesbaden-Mainz) über zwei Werke von Triolet und ihren Ehegefährten
Louis Aragon, deren jeweilige Protagonisten Maler in politischen Grenzsituation
sind (“Das Künstlerpaar, der Maler und der Krieg. Elsa Triolets La
vie privée ou Alexis Slavsky, artiste peintre und Louis Aragons
La Semaine Sainte”). Gerhard Schewes (Berlin) “Werkwelt und Weltliteratur
– Anmerkungen zu Aragons Roman Blanche oder das Vergessen” mit Reminiszenzen
an die Übersetzung dieses Romans ins Deutsche sieht weltliterarische
Intertextualität als Schaffensprinzip des französischen Romanciers.
Einen weiteren Block bilden Aufsätze, die direkt oder indirekt
auf Schobers literaturtheoretische Arbeiten Bezug nehmen. Auf ihre Schriften
zur literarischen Axiologie (Abbildung-Sinnbild-Wertung) rekurriert die
Abhandlung des Philosophen und Physikers John Erpenbeck (Potsdam) “Lesewelten
–Wertewelten”, der neuere philosophische Erkenntnisse zur Werteproblematik
vorstellt, die angesichts aktueller Wertsetzungen zur Weiterführung
des Schoberschen Ansatzes anregen. Der Krauss-Schüler Manfred Naumann
(Berlin) stellt das spannungsvolle, von Mißverständnissen nicht
freie Verhältnis zwischen seinem Lehrer und dem Lehrer Schobers dar
in “LIT und PLN: Victor Klemperer und Werner Krauss im Gespräch”.
Obwohl zuvördest der Erforschung der französischen Literatur
verpflichtet, ist die Jubilarin sich des historisch-linguistisch-kulturellen
Zusammenhangs zwischen den Literaturen romanischer Völker bewußt.
Von daher auch zwei Beiträge zur spanischen Literatur, die die Beziehungen
zwischen Literatur und Politik thematisieren. Hans Jörg Neuschäfer
(Saarbrücken) schlägt, gestützt auf Dokumente der franquistischen
Zensurbehörde, eine doppelte Lektüre von Lorcas “Bernarda Albas
Haus” vor: Lorcas Darstellung der “Meinung” als Zensurorgan der machistischen
Sexualmoral Spaniens und gleichnishafter Antizipation der Zensur des Franquismus.
Eine Beziehung zwischen Literatur und Politik in ebenfalls doppelter Lesart
findet Karl Maurer (Bochum) in einer Dichtung des spanischen Barockdichters
Quevedo (“Ein Verbannter bringt sich in Erinnerung. Die Villena-Episode
in Quevedos Sueños de la muerte – kritische Bilanz zum Regierungsantritt
Philipps I. oder nostalgisches Feuerwerk?”).
Der Band demonstriert durch die Herkunft der Verfasser aus dem Westen
(9) und dem Osten (6) Deutschlands, daß die im Nachkrieg zerbrochene
Einheit mit ihren Folgen für Kultur und Wissenschaft zumindest in
der Romanistik, vor allem auch im einst zweigeteilten Berlin, weitgehend
wiederhergestellt ist. Die starke Präsenz aus Westberlin und den alten
Bundesländern beweist, wie groß das Ansehen der in der ehemaligen
DDR führenden marxistischen Literaturwissenschaftlerin auch unter
dortigen Fachkollegen ist. Die Beteiligung von drei prominenten französischen
Fachkollegen an der Hommage zeigt, daß Rita Schobers Bemühen
um die Erforschung und Verbreitung französischer Literatur im deutschsprachigen
Raum auch in Frankreich gebührende Anerkennung findet. Ihre Schlußbemerkungen
sind eloquentes Bekenntnis der grande dame der Berliner Romanistik zur
humanistischen okzidentalen Literaturtradition.
Berlin, im Oktober 1999