Martin Jähnert

Aufwachen. Eine Erzählung

trafo verlag 2004, 188 S., Tb, ISBN 978-3-89626-118-2, 13,80 EUR

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Zum Inhalt

Der Held unserer Erzählung ist ungefähr 16. Was kann ein Tag bringen, der mit Aufstehen beginnt. Nichts, so befürchtet unser Held, und er scheint Recht zu behalten. Ob Schule oder Familienfeiern, alles ist langweilig und harrt, verrissen zu werden. Mit Paula ist das ganz anders. Sie ist unfassbar und unerreichbar.

Der Autor

Martin Jähnert ist 19 Jahre alt und lebt in Berlin, wo er in diesem Jahr sein Abitur ablegte. Dieses Buch hat er bereits mit 16 Jahren geschrieben. (Dass es erst jetzt erscheint, ist seiner allgemeinen Schussligkeit zu verdanken – meint jedenfalls seine Mutter...)

 

Zu den Rezensionen

 

Leseprobe

"I wanna be wild

cos my life‘ so tame"

 

1

Der Wecker klingelt. Ich liege auf meinem Bett, meine Augen sind geschlossen. Der Wecker klingelt weiter. Nein! Hör auf! Meine Hand schlägt in die Richtung, aus der das Geräusch zu kommen scheint. Das Geräusch verstummt sofort. Das ist schon erstaunlich. Ich liege da in meinem Bett und bin eigentlich zu keiner Bewegung fähig, trotzdem treffe ich den Abstellknopf. Eigentlich sollte ich den Wecker augenblicklich in den Müll schmeißen und weiterschlafen. Da das aber nicht geht, stehe ich auf. Dunkelheit beherrscht mein Zimmer, anders geht es einfach nicht, ich kann nur bei vollkommener Dunkelheit schlafen. Ich schlurfe so durch mein Zimmer, schlurf, schlurf. Dabei stoße ich mich natürlich an einem umherstehenden Tischbein. Es tut weh. Es tut unfassbar weh. Ich kann aber nicht schreien, dafür ist es noch zu früh. Ich humpele zur Tür, mache sie auf. Licht! Ich kneife meine Augen zusammen, weil ich geblendet bin, und humpele weiter ins Bad. Ich schließe die Tür. Dann überlege ich, ob ich die Augen jetzt mal aufmachen sollte. Das ist keine gute Idee, aber irgendwie muss ich ja wach werden. Ich muss mich setzen, weil mir wieder so schwindlig wird. Das kommt bestimmt daher, dass ich immer so furchtbar schnell aufstehe, denke ich. Ich gehe erstmal unter die Dusche. Das kalte Wasser tut gut und ich mache zum ersten Mal heute die Augen wirklich auf. Ich bin wach. Ich sollte nicht übertreiben, ich bin vom Zustand der Trance in den des erkennenden Sehens übergegangen. Wasser. Das Element des Lebens. Ab an den Frühstückstisch. Langsam wird mir klar, auf was ich mich da wieder eingelassen habe. Ein Schultag steht mir bevor. Bis jetzt hatte ich wenigstens die theoretische Möglichkeit, mich wieder ins Bett zu legen und den Tag ohne mich stattfinden zu lassen. Aber das ist vorbei, ich sitze am Frühstückstisch und alles ist etwas verschwommen vor meinen Augen. Ich starre vor mich hin und als ich wieder scharf sehen kann, merke ich, dass Sehen zwar wieder geht, Denken aber noch nicht. Irgendjemand fragt mich, ob ich ein Brötchen haben will. Ich verstehe die Frage nicht und sage nein. Ich bekomme Kopfschmerzen. Die Kopfschmerzen gehen aber so schnell, wie sie gekommen sind. Ich merke gar nicht richtig, dass sie da waren. Das Verschwommene geht weg und irgendwie stehe ich noch bisschen neben mir. Aber diese dauernden Kopfschmerzen sollten mir zu denken geben: Aufstehen, Bad und Frühstück – alles in 15 Minuten – das ist einfach zu viel für meinen Kreislauf. Aber nur deswegen früher aufstehen? Alles ein bisschen ruhiger angehen lassen? Sicher, und dann machen wir brav um 20 Uhr das Licht aus und schlafen ein. Außerdem ist 7 Uhr schon früh genug. Ich hätte jedenfalls nichts gegen 9 oder 8 Uhr. Dann spricht irgendjemand zu mir:

– Kaufst du heute Brötchen, saugst...

Das ist meine Mutter. Ich sage nichts, weil es ja keine Frage, sondern eine verbindliche Ansage ist. Ich esse erst mal das letzte Brötchen, trinke die Milch. Die Milch hat diese ekelhafte Pelle! Was ich erst merke, als es zu spät ist. Überhaupt ist Milch nicht mein Getränk. Was sollte ich machen? ‘Brötchen...‘, ach Scheiß drauf. Wichtiger ist jetzt: Geld, Schlüssel, Portmonee und Foodbag. Rein damit in die Tasche. Und dann raus.

Ich laufe in Richtung Bahn. Von weitem sehe ich, wie die Bahn ankommt. Ich renne und schaffe es sogar. Sonst ist es ja so, dass jeder Straßenbahnfahrer wartet, bis man noch zehn Meter von der Tür weg ist und dann losfährt. Dann steht man da und die Bahn ist weg. Aber ich habe die Bahn geschafft, wahrscheinlich hat mich der Fahrer nicht gesehen. Jetzt ist mir schlecht und meine Beine fühlen sich an wie 50 kg schweres Blei und Wackelpudding zugleich, aber ich habe die Bahn geschafft. Peter steht auch da und gähnt.

– Tach.

Ich gähne zurück.

– Tach.

Dann ist Ruhe. Er ist genauso müde wie ich. Wenn mich nicht alles täuscht, hat er dasselbe hinter sich wie ich. Die Bahn stoppt. Ich hatte keinen Fahrschein. Na und? Hat ja keiner kontrolliert, hat vorher niemand getan und wird auch nie jemand tun. Den unfreundlichen Busfahrern, Kontrolleuren und der ganzen BVG kein Geld in den Rachen zu schmeißen, das gibt mir immer ein gutes Gefühl. Wir gehen weiter und kommen zur Schule. Die Tür ist offen. Wir sind drin. Der Vertretungsplan bringt auch nichts Neues, keine Vertretung, keinen Ausfall. Peter und ich steigen die Treppen zu unserem Klassenraum hoch. Der Klassenraum liegt in der obersten Etage. Wir keuchen fast ein bisschen, als wir oben ankommen, weil es noch so früh ist. Mir zieht wieder dieses Verschwommene über die Augen, ich schleppe mich in die Klasse und lasse mich auf meinen Stuhl fallen. Ich sitze halb benommen da und starre vor mich hin. Um mich herum gackert alles, es dringen immer kleine Gesprächsfetzen zu mir durch. Ich lege meinen Kopf auf den Tisch, schließe die Augen. Dieses Gackern und die Gesprächsfetzen sind ein bisschen wie ein Gang über den Alexanderplatz. Ich stelle mir vor, wie ich aus dem Saturn komme mit einer neuen CD in der Tasche. Ich gehe zum S-Bahnhof und mir kommen lauter Menschen entgegen, die in den Saturn wollen. Sie reden miteinander und immer, wenn ich an ihnen vorbei gehe, bekomme ich maximal zwei Worte mit. Das sind so Worte wie "Pro7", "die Miete" oder "die Sandra" manchmal sind auch ganze Verben dabei, meistens "... die hat mit..." und dann bin ich an den Leuten vorbei. Als ich am S-Bahnhof angekommen bin, habe ich so viele Fetzen zusammen, dass ich einen ganzen Satz daraus machen kann. Dieser Satz sagt so erschreckend viel über diese Leute aus, dass ich nie wieder etwas von ihnen hören möchte und das muss ich in der Regel auch nicht. Genau deswegen mag ich den Saturn auch nicht, weil der immer so überfüllt ist mit diesen Leuten. Die CD-Abteilung ist aber ganz gut, deswegen gehe ich doch immer wieder hin.

Es klingelt und das Gackern verschwindet. Ich setze mich auf und versuche dem Unterricht zu folgen. Es gelingt mir aber nicht, weil ich noch zu müde bin. Ich bin heute so entsetzlich müde, so dass ich die ersten beiden Stunden brauche, um wach zu werden. Danach kann ich dem Unterricht folgen und sogar mitmachen.

Nach der vierten Stunde gehen wir zum Bäcker um die Ecke und kaufen uns ein Brötchen. Eigentlich ist es uns nach der Hausordnung bis zum 18. Geburtstag nicht erlaubt, das Schulgelände zu verlassen. Aber nur die wirklich weltfremden Lehrer beharren auf der Einhaltung dieser Regel und nur die neu angekommenen Siebtklässler und totale Konformisten halten sich daran. Brötchen essend laufen wir zurück zur Schule und stellen fest, dass wir noch drei Stunden haben. Danach stöhnen alle müde auf und seufzen ein wenig, weil ab jetzt die Fähigkeit etwas aufzunehmen rapide abnimmt.

Als ich aus der Schule herauskomme, bin ich sehr erleichtert, weiß allerdings, dass ich für den Rest des Nachmittags unbrauchbar sein werde. Ich gehe nach Hause, mit Alexander und Peter. Alex ist einer meiner besten Freunde. Man kann mit ihm über alles und jeden herziehen. Er ist Star-Trek-Fan, aber das ist dann auch einer der wenigen kleinen Schönheitsfehler, die wohl jeder hat.

Ich komme nach Hause. Es ist schon fast wieder dunkel, aber das ist ja immer so im Winter. Man geht, wenn es noch und kommt, wenn es schon wieder dämmert. Draußen ist es kalt. Es liegt eben kein Schnee, bestenfalls findet man ein paar gefrorene Pfützen vor, alles ist mit Wolken verhangen. Rundum: ein Wetter, um in Depressionen zu verfallen oder sich an einen schön warmen Ort zu setzen, die Leute draußen anzugucken und richtig auszulachen. Das geht besonders gut mit den Bauarbeitern, die die Fassade des gegenüberliegenden Hauses erneuern. Ha, ha. Arme Schweine. Mir ist nicht nach Bauarbeiterauslachen, mir ist eher nach Depression. Da hilft auch nicht, dass mir warm ist und dass das auch so bleiben wird. Ich liege auf der Couch, sehe fern. Unser Fernseher ist noch aus Ostzeiten, deswegen kriegen wir auch nur einige Programme und – da keine Fernbedienung vorhanden – kann ich nicht zappen. Ist wohl auch besser so, denn sonst würde ich nur daliegen und hoch- und runterschalten. Mir ist so langweilig. Ein gutes Buch hab ich nicht oder schon gelesen, Basketballspielen ist auch nicht drin bei dem Wetter. Was nun? Hausaufgaben machen? Na gut, gibt ja auch nichts Besseres zu tun. Eine halbe Stunde später ist alles fertig. Ich liege immer noch auf der Couch, jetzt ohne Fernseher. Ich denke nach über gar nichts und starre an die Decke. Ich höre, wie jemand den Schlüssel in die Tür steckt.

– Na du?

– Hallo!

– Was is’n los?

– Nichts!

– Bedrückt dich was?

– Nö.

– Siehst aber so aus.

– Mmh.

– Hast du Brötchen gekauft?

 

[Ende der Probe]