Sophie Tieck-Bernhardi: "Wunderbilder und Träume in elf Märchen"

Scholz, Hannelore (Hg.): “‘Wunderbilder und Träume in elf Märchen von Sophie-Tieck-Bernhardi”, erste deutsche Neuauflage seit 1823(!!), mit einem Nachwort von Hannelore Scholz und Illustrationen von Ruth Tesmar, trafo verlag 2000, 338 S., geb., ISBN 3-89626-115-0, EUR 19,80

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REZENSIONEN

 


 

Die Wunderbilder und Träume in elf Märchen erschienen 1802, 1823 erfolgte eine Neuauflage. Seitdem wurde das Werk nicht mehr aufgelegt und galt seit langem als verschollen.

Die Flucht in das Märchenhafte, das Unbewußte, Imaginäre, das Unheimliche und Geheimnisvolle bei Sophie Tieck-Bernhardi waren Formen desselben Gefühls, derselben Sehnsucht nach Unverantwortlichkeit und Leidlosigkeit. Fluchtversuche in jenes Chaos, in jene Anarchie, gegen die der Klassizismus des 17./18. Jahrhunderts mal mit Ingrimm und Besorgnis, mal mit Geist und Grazie, doch stets mit der gleichen Entschiedenheit kämpfte.
So oft Sophie Tiecks Märchenfiguren ihr Weltgefühl beschreiben, dominieren Begriffe wie Heimweh, Sehnsucht, die Idee der Heimatlosigkeit. Novalis definiert die Philosophie als “Heimweh”, als den “Trieb, überall zu Hause zu sein” und das Märchen als einen Traum von “jener heimatlichen Welt, die überall und nirgens ist”.
 

Sophie Tieck entwickelt bei dieser Rezeption Differenzierungen. Ein unendliches Begehren nach Liebe leitet ihre Figuren. Eine Erfüllung dieser Sehnsüchte gibt es nicht. Liebe und Glück sind flüchtig, können nicht als gemeinschaftsstiftende Qualität erfahren werden. In dieser Liebesauffassung liegt das Originäre Sophie Tiecks im Kontext romantischer Liebesauffassung.

Sophie Tieck findet nur unter großen Schwierigkeiten und Umwegen zum Schreiben. Sie wächst als Tochter des Seilermeisters Johann Ludwig Tieck und dessen Ehefrau Anna Sophie Tieck, geb. Benecken in Berlin auf. Sie ist das mittlere Kind zwischen dem älteren Bruder Ludwig, der später der berühmte Dichter der Berliner Romantik wird, und dem jüngeren Friedrich, der sich zum angesehenen Bildhauer entwickelt. Sie muß sich ihre Bildung mühsam autodidaktisch in den späten Abendstunden aneignen.
1899 heiratet sie Ludwigs Freund Bernhardi. Als Mutter von drei Kindern bleiben ihr kaum Freiräume für schriftstellerische Tätigkeit. Auf Nebeneinnahmen war die Familie aber angewiesen.

So entstehen während der Schwangerschaften und unter ungünstigen gesundheitlichen Umständen die Erzählungen für die Bambocciaden (1797–1800), das Lustspiel Die vernünftigen Leute und ihr Briefroman Julie Saint Albain. Sie liefert Beiträge für Ludwig Tiecks und August Wilhelm Schlegels Musen-Almanach für das Jahr 1802, für Bernhardis Zeitschrift Kynosarges (1802). 1804 erscheinen ihre Dramatischen Phantasien.

Nach einer Flucht durch Europa und der dramatischen Scheidung von Bernhardi lebt sie mit ihrem zweiten Ehemann Gregor von Knorring im Baltikum. Hier entwirft sie den gesellschaftskritischen Roman Evremont.

Auch die Bearbeitung des mittelhochdeutschen Versepos von Konrad Fleck Flore und Blancheflor (1805–1822) entsteht überwiegend in dieser Zeit. Sie stirbt am 1. Oktober 1833 in Reval.
Mit Ihrem umfangreichen Werk gehört Sophie Tieck zweifellos zu den interessantesten Schriftstellerinnen am Ausgang des 18./zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die Märchen bieten einen imponierenden Einblick in die poetische Gestaltungskraft dieser Autorin.

Die Herausgeberin Hannelore Scholz lehrt seit 1976 an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie promovierte zum Thema 'Zur Herausbildung romantischer Kunstauffassungen von August Wilhelm Schlegel'. Ihre Habilitationsschrift lautet: 'Widersprüche im bürgerlichen Frauenbild. Zur poetischen Praxis und theoretischen Reflexion bei Lessing, Schiller und F. Schlegel'. (Weinheim 1992)
Sie hat Gastlehrtätigkeiten in Amsterdam, Columbus, Providence/Rhode Island, Sofia, Tokio, Wroclav und  Veliko Tirnovo wahrgenommen.
Zahlreiche Bücher und Aufsätze zu den Themen:
• Deutsche Literatur der Aufklärung, Klassik, Romantik
• Deutsche Frauenliteratur, feministische Literaturtheorie
• Kulturwissenschaft im Ost-West-Vergleich
• Literatur der Wende
 

Die Malerin und Grafikerin Ruth Tesmar, lehrt seit 1987 als Dozentin für Malerei und Grafik an der Humboldt-Universität zu Berlin, ab 1993 Professorin für Ästhetische Praxis.
Seit 1989 zahlreiche Einzelausstellungen in Amsterdam, Berlin, Bonn, Eisenach, Havanna, München, Passau, Ulm, Weimar. Zahlreiche Arbeiten für verschiedene Theater sowie Buchillustrationen.
 

Die 11 Märchen des Werkes heißen

Die Quelle der Liebe    5

Die Stimme im Walde    24

Die Blume der Liebe    44

Der Einsiedler und die Nonne    78

Alcandor und Angelica    96

Das Vögelchen    121

Der Unglückliche    140

Belinde    162

Das Reh    180

Die Waldgenossin    202

Die Bezauberungen der Nacht    222

Nachwort von Hannelore Scholz    277

 

Vor kurzem ist endlich auch eine literaturwissenschaftlich-biographische Studie zu Sophie Tieck-Bernhardi erschienen, auf die wir abschließend noch verweisen möchten