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Nehrig, Christel
trafo verlag, Berlin 1996, 75 S., [= Gesellschaft, Geschichte, Gegenwart, Band 7], 10 Tabellen, ISBN 3-89626-092-8, 29,80 EUR
Die Untersuchung befaßt sich mit den schweren Nachkriegsjahren in einem landschaftlich reizvollen, wirtschaftlich und verkehrsmäßig jedoch wenig erschlossenen Gebiet des ehemaligen Deutschen Reiches. Die Grenzziehung an Oder und Neiße rückte im Jahre 1945 die Uckermark mit ihrem Zentrum Prenzlau an den Rand der sowjetischen Besatzungszone (SBZ). In diesem dünn besiedelten, vom Großgrundbesitz beherrschten Gebiet bewirkte die Bodenreform einen bis dahin unbekannten sozialen Transformationsprozeß. Der Großgrundbesitz verschwand, Landarbeiter, Umsiedler und landarme Bauern erhielten das Land. Die Entwicklung dieser Neubauern steht im Mittelpunkt der Untersuchung. Letztlich geht es um die Frage, wie (weit und wie gut) es gelang, die Siedler hier seßhaft zu machen. Am Beispiel einiger Gemeinden werden die ökonomische und soziale Lage, aber auch mentale Befindlichkeiten von Neubauern geschildert.
Des weiteren befaßt sich die Studie mit der Situation der Altbauern, auf die die Bodenreform nicht ohne Auswirkungen blieb. Das betraf ihren zahlenmäßigen Anteil an der gesamten Bauernschaft des Kreises, der erheblich unter dem der Neubauern lag. Jedoch standen sie bei der Marktproduktion auf Grund ihrer meist gut eingerichteten, fest verwurzelten Höfe und berufserfahrenen Betriebsleiter obenan. Von den Altbauern rückten Großbauern – Betriebe ab 20 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche (LN) – infolge der Enteignung der Großgrundbesitzer zur stärksten ökonomischen und politischen Kraft im Dorf auf. Allerdings unterlag diese Schicht ab 1950 ebenfalls einem sozialen Transformationsprozeß, einer Negativ-Differenzierung, die ihren Höhepunkt im Jahre 1953 erreichte. Die Großbauern verdienen daher besondere Aufmerksamkeit, zumal ihre Landaufgabe die Probleme potenzierte, die der Landwirtschaft des Kreises als Folge des Überwiegens neubäuerlicher Betriebe entstanden.
Bei den folgenden Ausführungen ist zu bedenken, daß der Kreis Prenzlau wie andere im Oderbruch ein Notstandsgebiet war und mit besonderen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. In anderen Teilen von Brandenburg und anderen Ländern der SBZ – mit Ausnahme von Mecklenburg – gestaltete sich die Situation insbesondere der Neubauern meist weitaus günstiger. Es verbietet sich daher, von dieser Region voreilige Schlüsse auf die gesamte SBZ/DDR zu ziehen. Andererseits verliefen viele Prozesse hier heftiger, eindeutiger und für die Beteiligten auswegloser, somit agrarpolitische Entscheidungen erzwingend. Derartige, über den regionalen Rahmen hinaus gesamtstaatliche Bedeutung gewinnende Entwicklungslinien waren:
Hervorgerufen durch die Dominanz des Großgrundbesitzes vor 1945 hatte der
Kreis Prenzlau den höchsten Anteil von Neubauern im Land Brandenburg. Die
ökonomische Unterentwicklung dieses Gebietes, seine Randlage und die
Kriegszerstörungen schufen denkbar ungünstige Voraussetzungen für die
Konsolidierung der Neubauernwirtschaften.
Da die geringe Reproduktionskraft der Landwirtschaft dieses Kreises ihren
Wiederaufbau aus eigenen Mitteln nicht gewährleistete, erwiesen sich
staatliche Umverteilungen zugunsten des strukturschwachen Kreises bis in die
50er Jahre als notwendig, erfolgten jedoch nicht immer rechtzeitig und im
erforderlichen Umfang.
Das Instrumentarium zur Seßhaftmachung der
Neubauern, das sich in anderen Teilen der SBZ bewährte und dort bis 1949/50 zu
überwiegend gefestigten Neubauernwirtschaften führte, reichte hier nicht aus.
Insbesondere bei der wichtigsten Frage, der Errichtung von Neubauerngehöften,
blieben die Neubauern dieses und anderer Notstandsgebiete gegenüber denen in
Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und auch in Teilen von Brandenburg im
Nachteil, da das entsprechende ökonomische Umfeld fehlte.
Die Siedlungsaufgabe von Neubauern lag nicht im Sinne der Agrarpolitik der
SED und brachte erhebliche ökonomische, soziale und politische Probleme. Die
Ursachen zu beseitigen, hätte einen weiteren beträchtlichen Transfer
finanzieller und materieller Mittel in die Landwirtschaft zu einem Zeitpunkt
erfordert, an dem die SED bereits andere politische und ökonomische
Prioritäten setzte. So konnten nur die Folgen der Landaufgabe gemildert
werden.
Die 1948 beginnende, ab 1950 zunehmende politische und ökonomische
Verdrängung von Großbauern entsprang der Gesellschaftskonzeption der SED. Es
ging um die Ausschaltung dieser "kapitalistischen Elemente" auf dem Lande,
ohne die ökonomischen Folgen zu berücksichtigen. Die Landwirtschaft des
Kreises Prenzlau wurde dadurch zweifach belastet.
Die Negativdifferenzierung in den ersten Jahren der DDR bildete bis in die
sechziger Jahre hinein eine schwere Hypothek für die Entwicklung der
landwirtschaftlichen Produktion und insbesondere für die Landwirtschaftlichen
Produktionsgenossenschaften (LPG).
Von allen Kreisen des Landes Brandenburg fielen in Prenzlau die meisten
unbewirtschafteten Flächen an. Die Diskussion, die auf Kreis- und Landesebene
sowie im Politbüro des Zentralkomitees (ZK) der SED über Landaufgaben und die
weitere Bewirtschaftung der herrenlosen Flächen geführt wurde, läßt erkennen,
daß bis 1950/51 alle Wege offen blieben. Vermutlich machte die sowjetische
Besatzungsmacht frühzeitig ihren Einfluß in Richtung Ausbau des volkseigenen
Sektors der Landwirtschaft geltend. Hier kann nur die Öffnung sowjetischer
Archive letzte Klarheit schaffen.
Die Konfliktfelder im Dorf veränderten sich. Die bisherigen zwischen Bauern und Landarbeitern wurden überlagert von neuen zwischen Alt- und Neubauern sowie zwischen Umsiedlern und der gesamten Bauernschaft. Andererseits herrschte Einigkeit gegenüber Willkürakten sowjetischer Erfassungsoffiziere und des deutschen Erfassungsapparates.
Über die Entwicklung des Kreises Prenzlau in den Nachkriegsjahren ist bisher kaum etwas veröffentlicht worden. Das, was vorliegt, trägt überwiegend Quellencharakter; es fehlt eine historisch-wertende Darstellung. So sammelte R. Niepel in einem "Chronologischen Abriß" umfangreiches Material aus Archiven, Zeitungen und Erinnerungsberichten über die Jahre 1945 bis 1949. Auch für die Landwirtschaft relevante Fakten sind aufgelistet. Als Quelle dient weiterhin die 1957 von O. Rühle herausgegebene Monographie "Vom Untertan zum Staatsbürger".
2 Sie wertet zeitgenössische Recherchen zur sozialökonomischen Entwicklung des 1952 gebildeten Kreises Strasburg aus. Da zwei Fünftel dieses Kreises bis 1952 zum Kreis Prenzlau gehörten und Rückgriffe bis in die Vorkriegsjahre vorgenommen wurden, ist hier viel verwertbares Material vorhanden. Für die historische Entwicklung der einzelnen Gemeinden ist der Teil Uckermark des "Historischen Ortslexikons für Brandenburg"3 eine wichtige Quelle.
Hinsichtlich der Agrarentwicklung allgemein bietet die 1984 erschienene Monographie "Antifaschistisch-demokratische Umwälzung auf dem Lande 1945 bis 1949"4 immer noch den umfassendsten Überblick. Die folgende Darstellung beruht auf umfangreichen Archivalien vor allem im Brandenburgischen Landeshauptarchiv. Sowohl in den Akten des Landwirtschaftsministeriums, aber insbesondere in denen des Landratsamtes und der VdgB (BHG) befindet sich aussagekräftiges Material zur Bodenreform, zur ökonomischen Lage der Neubauern, zum Neubauern-Bauprogramm und zur Siedlungsabgabe. Wo in Einzelfällen konkrete Darstellungen fehlten, konnte auf benachbarte Kreise zurückgegriffen werden.
Im Vergleich zu den Neubauern ist die Berichterstattung der SBZ/DDR über die Altbauern lückenhaft und sporadisch. Statistische Unterlagen sowie Analysen über altbäuerliche Betriebe sind nur selten vorhanden. Lediglich auf Einzelaussagen zu speziellen Problemen, oft als Ergänzung zu Berichten über Neubauern, kann zurückgegriffen werden. Eine Ausnahme bilden großbäuerliche Betriebe, deren Entwicklung, insbesondere was sog. devastierte Betriebe betrifft, umfassend dokumentiert worden ist. Insgesamt konnten nicht alle Fragen restlos geklärt werden, so daß weiterer Forschungsbedarf besteht.
© trafo verlag dr. wolfgang weist, Berlin