[= Hochschulschriften, Bd. 5], trafo verlag 2004, 272 S., zahlr. Tab. und Abb., ISBN 3-89626-067-7, 39,80 EUR
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VORWORT
Brücken bauen - eine zentrale Aufgabe für die Erwachsenenbildung Junge Alte, neue Alte, best ager, silver ager, 50plus oder einfach: Senioren. Die Suche nach dem passenden Begriff ist mehr als eine Formsache. Begriffe beschreiben nicht nur, sie orientieren auch und wenn ein Begriff gut gewählt ist, kann er ein ganzes Lebensgefühl auf den Punkt bringen. Das Thema Alter und Altern gewinnt immer mehr an Bedeutung in unserer Gesellschaft. Nicht nur, weil aufgrund des demographischen Wandels die Zahl der älteren Menschen immer größer wird. Alter wird heute auch anders empfunden, anders gestaltet, anders gelebt. Aus dem Ruhestand ist das vierte Lebensalter geworden und der Anspruch an diesen Lebensabschnitt steigt. Werbung und Medien schaffen ein völlig neues Bild des alternden Menschen: jugendlich, aktiv, anspruchsvoll und konsumfreudig. Ist das wirklich so?
Das Defizitmodell und die traditionelle Vorstellung von dem Elend und der Einsamkeit alter Menschen sind heute überholt. Nach Befunden der Altersforschung leben nur knapp 10 Prozent der älteren Generation wirklich einsam und isoliert. Das liegt auch daran, dass es heute wesentlich mehr und vor allem jüngere Ruheständler als in früheren Zeiten gibt. Mit Erreichen des fünfzigsten Lebensjahres beginnen sich viele Berufstätige neu zu orientieren. Sie richten sich auf ein neues Leben ein, auf ein Leben nach dem Job - mit einem Drang zur Neuorientierung. Lebensziele werden neu festgelegt. Einige haben aber auch Angst vor dem „leere-Nest-Syndrom": Die Kinder sind aus dem Haus, wohnen vielleicht in einer anderen Stadt. Die Familie wurde über die Jahre nicht gepflegt, Freunde sind rar. So wird aus einer oberflächlichen Aufgeschlossenheit für neue Sport-, Kultur- und Bildungsinteressen bei genauerem Hinsehen eine Flucht vor der Einsamkeit. Die vorliegende Studie gibt nicht nur wissenschaftlich abgesicherte Antworten auf die Frage: Welche Folgen hat die Auflösung von Familienstrukturen für die Weiterbildungslandschaft? Sie zeigt auch auf, was passieren kann, wenn die Single-Gesellschaft von heute alt wird. Sie kann letztlich auch als eine Aufforderung verstanden werden, den Familienbegriff zu überdenken und Familie wieder mehr zu leben.
Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Hypothese des Autors, dass ältere Menschen mit zunehmender Herauslösung aus dem Familienverband verstärkt an Erwachsenenbildungsveranstaltungen teilnehmen, um dadurch sozialer Vereinsamung zu entgehen. Versteht Erwachsenenbildung sich bislang als Hilfe zur Selbsthilfe, als Motor für Veränderungen, müsste hier ein Umdenken erfolgen, sollte sich die Hypothese bewahrheiten. Der Autor ermahnt uns zur Vorsicht: Das Bild vom vitalen, aktiven und geselligen alten Menschen, der im Freundeskreis viel erlebt und ständig unterwegs ist, ist auch beschönigend und verdeckt, dass nach wie vor eine große Zahl älterer Menschen zurückgezogen und mit wenigen sozialen Kontakten lebt. So widmet
er sich hier einem sensiblen und wichtigen Thema: Ist es wirklich reine Wissbegierde, ungestillter Wissensdurst, der insbesondere ältere Menschen in die Einrichtungen der Erwachsenenbildung führt, damit sie dort gemäß dem Leitbild vom lebenslangen Lernen neue Gestaltungsoptionen entwickeln? Oder ist es vielmehr der Wunsch nach Geselligkeit, das Bedürfnis, sich mit Gleichgesinnten über ein interessantes Thema auszutauschen? Und was bedeutet das für künftige Angebote der Erwachsenenbildung? Müssen Lehrer und Dozenten sich verstärkt im sozialpädagogischen Bereich qualifizieren, weil sie nicht nur Bildungs-, sondern auch Sozialarbeit leisten? Sind die Einrichtungen der Erwachsenenbildung vielleicht die Partner-Vermittlungs-Institutionen der älteren Generation von morgen? Rücken Kursteilnehmer zu familienähnlichen Gruppierungen zusammen, die plötzlich mehr Wert auf Unterhaltung als auf Unterrichtung legen? Es wird in Zukunft immer mehr die Aufgabe der Erwachsenenbildung sein, Brücken zu bauen, die die älteren Menschen über das Tal der Einsamkeit führen.
Klar ist aber auch: Die Familie ist das beste Therapeutikum gegen Gefühle von Einsamkeit, Langeweile und Nutzlosigkeit, sie ist eine Lebensbegleiterin. Auch wenn sich die Hypothese des Autors am Ende der Arbeit nur begrenzt bestätigt, hat er doch deutlich gemacht: Die Familie entwickelt sich zur wichtigsten Lebensversicherung im Alter.
Prof. Dr. Michael Jagenlauf / Dr. Michael Pries
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort 9
Vorbemerkung 12
Einleitung 13
Teil A Soziologisch-pädagogischer Rahmen 18
1 Grundlegende Gedanken zum Thema Alter 19
1.1 Alter und Altersbilder 19
1.2 Altersbegriff 21
1.2.1 Prämissen 21
1.2.2 Arbeitsdefinition 23
2 Demographischer Hintergrund 27
2.1 Ursachen der demographischen Entwicklung 29
2.2 Folgen der demographischen Entwicklung 32
2.2.1 Gesellschaftliche Folgen 32
2.2.2 Folgen für den älteren Menschen 35
2.2.3 Folgen für die Erwachsenenbildung 38
3 Die Auflösung von Familienstrukturen 42
3.1 Familienbegriff 42
3.1.1 Familie und Struktur 43
3.1.2 Funktionen der Familie 44
3.1.3 Die Familie als Netzwerk 45
3.1.3.1 Mythos Großfamilie 46
3.1.3.2 Familie und Haushaltsstatistik 49
3.1.3.3 Familie als Netzwerk von Verwandtenbeziehungen 50
3.1.3.4 Ältere Menschen in der Familie als Netzwerk von Verwandtenbeziehungen 55
3.2 Individualisierung und Familie 58
3.2.1 Individualisierung nach BECK 59
3.2.2 Dimensionen der Individualisierung 61
3.2.3 Individualisierung und deren Auswirkung auf die Familie 63
3.2.4 Zwang zur Solidarität 65
3.3 Familienstrukturen in der Auflösung 67
3.3.1 Indikatoren für die Auflösung von Familienstrukturen 68
3.3.1.1 Kontakt und Wohnentfernung 70
3.3.1.2 Anzahl der Familienmitglieder 71
3.3.1.3 Familienstand 72
3.3.1.4 Erbrachte Unterstützungsleistungen 72
3.3.2 Ausgewählte Folgen für ältere Menschen 73
3.3.2.1 Isolation 74
3.3.2.2 Einsamkeit 78
4 Bildung im Alter 81
4.1 Erwachsenenbildung und Risikogesellschaft 82
4.2 Alter und Freizeit 84
4.2.1 Freizeitaktivitäten im Alter 84
4.2.2 Bildung im Alter 90
4.2.2.1 Bildungsstrukturen älterer Menschen 90
4.2.2.2 Alter und Lernen 96
4.2.2.3 Einflussfaktoren auf Gedächtnis und Lernen im Alter 99
4.3 Altersbildung als Teil der Erwachsenenbildung 101
4.3.1 Charakteristik und Ziele der Altersbildung 101
4.3.2 Lernfelder der Altersbildung 105
4.3.3 Altersbildung in der Erwachsenenbildung 108
4.3.3.1 Differenzen zur Erwachsenenbildung 108
4.3.3.2 Affinität von Erwachsenen- und Altersbildung 110
4.4 Faktoren der Weiterbildungsteilnahme 111
4.4.1 Motivation in der Erwachsenenbildung 112
4.4.2 Weiterbildungsmotivation 113
4.4.3 Gemeinschafts- und Integrationsmotive bei älteren Menschen 115
5 Zusammenfassung Teil A 119
Teil B Empirische Untersuchung 121
1 Methodisches Vorgehen 122
1.1 Hypothese 122
1.2 Wahl des Erhebungsinstrumentes 122
1.3 Aufbau und Struktur des Fragebogens 123
1.4 Betrachtung hinsichtlich der Gütekriterien 124
1.5 Repräsentativität 124
2 Die Durchführung der Befragung und die Zusammensetzung der Stichprobe 125
2.1 Auswahl der Stichprobe 125
2.2 Kurzporträt der beteiligten Weiterbildungseinrichtungen 126
2.3 Rücklaufquote 128
3 Soziodemographische Beschreibung der Stichprobe 129
4 Ergebnisse der Weiterbildungsteilnehmerbefragung 136
4.1 Charakteristik und Selbstwahrnehmung des Alters 136
4.2 Weiterbildungssituation 140
4.3 Familiäre und außerfamiliäre Kontakte 145
4.4 Familiensituation 148
4.4.1 Formen des familiären Kontakts 149
4.4.2 Kontakt mit Kindern 150
4.4.3 Kontakt mit Verwandten 152
4.4.4 Einschätzung der Beziehung zur Familie 154
4.4.5 Zusammenfassung der Beschreibung 156
4.5 Vorstellungen über das Zusammenleben mit Kindern und Verwandten 156
4.6 Alleinsein und Einsamkeit 158
4.7 Die Auflösung von Familienstrukturen 160
4.7.1 Kontakt und Wohnentfernung 161
4.7.1.1 Kontakt zu Kindern und Verwandten 162
4.7.1.2 Wohnentfernung zu Kindern und Verwandten 164
4.7.1.3 Kontakt und Wohnentfernung zu Familienmitgliedern 165
4.7.2 Familienstand 167
4.7.3 Erbrachte Unterstützungsleistungen 168
4.7.4 Zusammenfassung der Indikatorenbetrachtung 170
4.8 Auflösende Familienstrukturen und Einsamkeit 172
Teil C Schlussfolgerungen und Schlussbetrachtung 177
1 Schlussfolgerungen 178
1.1 Gesellschaftsebene 180
1.2 Individualebene 182
1.3 Institutionenebene 184
2 Kritische Anmerkungen zum methodischen Vorgehen 190
3 Fazit 192
Abbildungsverzeichnis 193
Tabellenverzeichnis 196
Literaturverzeichnis 198
Anhang 214
A1 Tabellen zum Teil B 215
A2 Fragebogen 262