"Undine geht nach Japan. Zu interkulturellen Problemen der Ingeborg Bachmann-Rezeption in Japan" 
- mit einem Zyklus von Ölradierungen zu Ingeborg Bachmanns Werk von Ruth Tesmar

Hrsg. v. Hannelore Scholz

2000, 180 S., ISBN 3-89626-036-7, 29,80 EUR

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort
Hannelore Scholz 9

‘Das dreißigste Jahr’ von Ingeborg Bachmann. – Probleme der Literaturübersetzung ins Japanische – 13
Murakami Kimiko

Bericht über ein “Undine-Seminar” mit Studierenden im 3. und 4. Studienjahr der Germanistik an einer japanischen Universität 39
Kaoru Noguchi

Opferung und Apokalypse – Intertextualität zwischen Ingeborg Bachmanns “Undine geht” und Kyka Izumis “Yashaga-ike”  57
Oguro Yasumasa

“Ein Schritt nach Gomorrha” – Ein Schritt in neue Geschlechterverhältnisse? 71
Setsuko Kawai

Die Hoffnung auf die Literatur – Die Frankfurter Vorlesungen 89
Hiroko Hasegawa

Das Erzählverfahren im Prosawerk von Ingeborg Bachmann - Die Gewinnung von verlorener Sprache 101
Reiko Semba

Die Gewinnung des Malina als Prozeß. Ingeborg Bachmanns Malina als “eine geistige imaginäre Autobiographie” 119
Kinuko Takai

“Das ganze Buch sollte sein wie die erratischen Monologe in der Nacht …” Ingeborg Bachmanns Schreibweise in Malina 133
Sakue Ogawa

Über die Autorinnen und Autoren 151
 
 

Vorwort

Dieser Band vereint Aufsätze, einen Bericht und Auswahlbibliographien zur Bachmannrezeption im deutschsprachigen und japanischen Kulturraum.

Die Schwerpunktsetzungen in diesem Band beziehen sich auf folgende Werke Ingeborg Bachmanns: "Die Frankfurter Vorlesungen", "Das Dreißigste Jahr", den Roman "Malina".

Diese Komplexe ergaben sich aus den bisherigen Übersetzungen ins Japanische. Es handelt sich um Gedichte, Teile der "Frankfurter Vorlesungen", "Das Dreißigste Jahr" und "Malina".1

"Undine geht" ist eine Wasserfrauenphantasie Bachmanns; das verratene, betrogene Naturkind, welches eine Seele erwirbt und dennoch letztendlich mit einem Kuß den geliebten Mann tötet. In dieser Erzählung wird ein intertextuelles Netz von Referenzen (Bilder, Musik, Hörspiele) eröffnet, die auch über den deutschen Kulturraum hinaus Relevanz besitzen. "Undine geht nach Japan"2 assoziiert ein Gehen in eine andere Richtung. Eine ruhige, gelassene, ja bestimmte Richtung, die aufhorchen läßt.

Die bedeutende Wasserfrauenkonstruktion von Bachmann ist hier als symbolhaftes Angebot zu verstehen. Sprache und Verstummen, Bild und Spiegelung, Subjekt und Objekt, Kultur und Natur im Bachmannschen Schreibkonzept wurden als provozierende Herausforderung gelesen und mit ähnlichen kulturellen Imaginationen in der Kultur Japans verglichen.

Dabei ergaben sich interessante Parallelen und Differenzen, z. B. wurde Bachmanns Utopiekonzept, ihre Liebesauffassung untersucht und in Beziehung zu ihrer Sprachphilosophie gesetzt. Der komplizierte Prozeß bürgerlicher Subjektkonstitution in der Moderne als Strategie einer Sprachfindung und die Kritik am europäischen Patriarchat sind bei Bachmann mit Herrschafts- und Gewaltszenarien gekoppelt, die für japanische Kontexte Probleme besonderer Art aufwarfen.

Die hier versammelten Beiträge sind zum größten Teil aus einem Symposion zu Bachmanns Werk in Japan hervorgegangen.

Kimiko Murakami beschäftigt sich mit der japanischen Übertragung der deutschen Erzählung "Das Dreißigste Jahr" von Shono Kokichi. Sie weist auf viele Probleme hin, die durch die Entscheidung, den/die Ich- Erzähler(in) im Japanischen ausschließlich als Mann sprechen zu lassen, entstanden sind. Durch Verdichtung und Symbolkraft in den Texten, die poetischen Denkbilder in der Alltagssprache und den Mythos bei Bachmann entsteht eine Subversivität, deren Mehrdeutigkeit der japanische Text nicht überliefern kann.

Ebenfalls Verstehensprobleme im Umgang mit Bachmanns Text "Undine geht" kommentiert Kaoru Noguchi. Einleitend wird das literarische Motiv untersucht. Der Undinenstoff, die Melusinen und der Wasserfrauenmythos wurden mit dem japanischen Theaterstück "Yûzuru" (Kranichfrau) verglichen. Noguchi sieht eine Reihe von Ursachen für die Schwierigkeiten bei der Interpretation in den unterschiedlichen soziokulturellen Sprachräumen, dem politisch-gesellschaftlichen Diskursen aber vor allem den existentiell-philosophischen Systemen, die dem Text zu Grunde liegen. Folglich würde die Bachmannsche "Undine" im Vergleich zu den Bearbeitungen von Fouqué, Giraudoux und der japanischen "Kranichfrau" in ihrer Komplexität und philosophischen Tiefe weniger verstanden.

Auch im Beitrag von Yasumasa Oguro steht Bachmanns Undinentext im Mittelpunkt. Angestrebt wird ein Vergleich intertextueller Bezüge mit Kyoka Izumis "Yashaga-ike". Als Ergebnis beider Texte werden die weibliche Überlegenheit und die Opferung des Weiblichen herausgestellt. Betont werden die Differenzen im kulturellen Erbe der Apokalypse. Im Japanischen spielt das "apokalyptische Hochwasser" (S. 55f.) eine wichtige Rolle. Bei der Interpretation des Bachmannschen Textes wird die Offenbarung des Johannes herangezogen, um die Namensfindung Hans und den apokalyptischen Hintergrund aufzudecken.

Die Erzählung "Ein Schritt nach Gomorrha" analysiert Setsuko Kawai unter dem Aspekt der Suche nach einem neuen Geschlechterverhältnis. S. Kawai sieht mit Bezug auf den Entstehungshintergrund die Erzählung als Auseinandersetzung Bachmanns mit der amerikanischen Lesbenbewegung. Im Mittelpunkt der Analyse stehen lesbische und heterosexuelle Liebesmodelle, die durch Ausführungen über die Ehe und über die Sprache ergänzt werden. Mit Bezug auf das Konzept von Simone de Beauvoir wird dargestellt, wie Bachmanns Kritik am Patriarchat zugleich eine ist, die Frauen trifft, wenn sie in der sozialen Rollenverteilung hierarchisch die alten Muster wiederholen.

Im Beitrag von Hiroko Hasegawa werden die "Frankfurter Vorlesungen" untersucht. Es wird gezeigt, welche Ambivalenzen zwischen einem marktwirtschaftlich orientierten Literaturbetrieb, einer traditionellen Literaturwissenschaft und der Utopie auf eine neue moderne Literatur in diesem Text stecken. Überzeugend arbeitet H. Hasegawa heraus, daß Fragen und Problemstellungen zeitgenössischer Dichtung die Bachmann zwar immer beschäftigten, zur Zeit der Vorlesungen aber ein Bruch im Schreibkonzept (sie wechselte zur Prosa) eintrat. Hasegawa sieht die Leistung Bachmanns darin, daß sie Literatur "aus dem moralischen Trieb"
(S. 92) erwachsen sehen wollte, um die utopischen Gegenentwürfe zur verkrusteten Nachkriegszeit poetisch zu erfinden.

Mit Bachmanns Erzählverfahren beschäftigt sich Reiko Semba. Die Prosatexte "Das Dreißigste Jahr" (1961), "Malina" (1971) und "Drei Wege zum See" aus dem zweiten Erzählband "Simultan" (1972) sind Gegenstand der Untersuchung.

R. Semba kann die Ambivalenz der Undine-Figur zwischen Symbol für Kultur oder Natur, zwischen Sprechen und Verstummen, Kommen und Gehen aufdecken.

R. Semba beschreibt in dem umfangreichen Artikel Bachmanns Texte als Charakterisierung von Prosa, die durch Verunsicherung der Sprache gekennzeichnet sind. Diese manifestiere sich in der Brüchigkeit, Ambivalenz und Vielschichtigkeit des sich selbst immer wieder verdächtigenden "Ich’s". Die Figur der Undine besitzt doppelten Zeichencharakter: "fest" und "flüssig" – männlich und weiblich.

Der Malina-Text wird in seiner Widersprüchlichkeit als duales System gewertet. Semba konstatiert bei seinen Suchbewegungen in den Texten ein konsequentes Bestreben der Autorin nach einer "harmonischen Fusion des Dualismus" (S. 119).

Kinuko Takai bietet die Lesart: "Malina" als "eine geistige imaginäre Autobiographie". "Die Figur Malina symbolisiert für die Autorin die Überwindung des Dualismus zwischen der Weiblichkeit und der Männlichkeit" (S. 132). Konsequenterweise, so führt die Autorin aus, baut dann die Bachmann ein Labyrinth von Symbolen des Weiblichen und Männlichen, die insgesamt sehr mehrdeutbar sind. Das Nachzeichnen des Prozesses zur "Gewinnung des Malina" offenbart denn auch, daß die komplizierte poetische Komposition des Romans sich nicht nur über diese Kategorien erschließen läßt, sondern das Beachten der Struktur notwendig ist.

Ebenfalls über den Roman "Malina" und Bachmanns Schreibweise handelt Sakue Ogawas Artikel. Mit Verweis auf Sigrid Weigel will sie analysieren, wie Bachmanns Schreibweise "Erkenntnisse über die kulturelle Konstruktion von Geschlechterverhältnissen, über die Orte und Bedeutungen von Weiblichkeit und Männlichkeit in der Geschichte, Sprache und Sexualität, vor allem aber über die ‘Todesarten’ des Weiblichen in einer Geschichte des Fortschritts" (S. 140), vermittelt bleibt. S. Ogawa liefert eine textorientierte Untersuchung. Zunächst werden die Liebeskonzeption vorgestellt und die Grenzerfahrungen der Protagonistin gezeigt. Im Mittelpunkt der Untersuchung zur Sprache stehen die Telefongespräche zwischen der Ich-Figur und Ivan. Überzeugend kann entwickelt werden, daß die "Telefongedichte", Frauenbilder und Märchen wichtige Bestandteile in Bachmanns Schreibstrategie darstellen. Abgerundet wird der Artikel durch Untersuchungen zur "neuen Sprache", die als "Denkfigur" utopische Dimensionen habe.

Da dieser Band auch als Nachschlagewerk konzipiert ist, bietet die Bibliographie von Gisela Haensel eine Auswahl wichtiger Texte, Artikel, Berichte. Die Bibliographie zur Rezeption von Ingeborg Bachmann in Japan ist eine Übersicht, die es erlaubt, Studien zu Einzelübersetzungen und Abhandlungen aufzufinden und damit einen Einblick in die Bachmann-Rezeption in Japan zu ermöglichen.

Der Text "Undine geht" von Bachmann wurde unter vielen verschiedenen Aspekten analysiert, als feministisches Aufbegehren einer Frauenfigur, die ihre Enttäuschung gegenüber der Männerwelt zum Ausdruck bringt3, als Text, der philosophisches Ideengut präsentiert4, als Text, der sich in die Linie der "ecriture feminine" (Cixous) einordnet5, oder als Text mit biographischem Hintergrund, d. h. Bachmanns Probleme mit Partnerbeziehungen.

Wie Bachmanns Texte als Metatexte im japanischen Kulturraum gelesen werden können, welche Verweise auf japanische Texte, auf symbolische Bedeutung von Mythen, auf Subversivität von Sprache u.a.m. zu finden sind, war Anliegen dieser Anthologie. Damit wird die internationale Bachmannrezeption um einen Part erweitert. Vollständigkeit wird niemand erwarten, angestrebt war eine selektive Auswahl in Abhängigkeit von Übersetzungen in Japan.

Das vorliegende Buch wäre ohne die Bemühungen von Ursula Richter nicht entstanden. Ihr gilt mein besonderer Dank. Danken möchte ich auch Frau Dr. Brigitte Stuhlmacher und Frau Andrea Lüerßen für die Lektoratsarbeit, den Beiträgerinnen und Beiträgern für ihre große Geduld bei der Fertigstellung, Herrn Dr. Weist für die verlegerische Betreuung und Frau Prof. Dr. Ruth Tesmar für die Gestaltung des Bandes.

 

Berlin, im August 2000

Hannelore Scholz

© trafo verlag dr. wolfgang weist, BerliN