Wolfgang Szepansky

“Dennoch ging ich diesen Weg”, [=Reihe Autobiographien, Bd. 2], trafo verlag, 2. Auflage, Berlin 2001,  278 S., mit 70 Handzeichnungen des Autors, Fotos, Register, geb., ISBN 3-89626-035-9, EUR 17,80

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Rezensionen

Ein Zeitzeuge geht seinen Weg

von Kurt Schilde

In den vergangenen Jahren habe ich des öfteren die Spuren, die Wolfgang Szepansky in der Geschichte hinterlassen hat, aufgefunden: So stieß ich bei meinen in den 1980er Jahren für das Bezirksamt Tempelhof durchgeführten Recherchen zur Geschichte des Nationalsozialismus auf eine Meldung: “Mariendorfer Kommunist festgenommen. In der Lichterfelder Straße (Bezirk Kreuzberg) bemalte des Nachts ein Kommunist eine Mauer mit den Worten ‘Nieder mit Hitler! KPD lebt. Rot Front!’ Ein Polizeibeamter in Zivil und ein SA-Mann beobachteten jedoch den Schmierfinken bei seiner staatsfeindlichen Arbeit mit der weißen Ölfarbe und nahmen ihn – es handelt sich um den 23jährigen Maler Wolfgang S. aus der Kurfürstenstraße in Mariendorf – sowie zwei Helfer fest, die ihm Aufpasserdienste leisten sollten. Alle drei wurden der Abteilung I im Polizeipräsidium eingeliefert.” (Tempelhof-Mariendorfer Zeitung vom 14.8.1933) Ich hatte keinerlei Zweifel, daß es sich bei dem Verhafteten um Wolfgang Szepansky handelte. Er war mir schon einige Male bei antifaschistischen Stadtrundfahrten und öffentlichen Veranstaltungen begegnet, ich hatte mit ihm diskutiert und ihn als einen Mann mit einer eigenständigen Position kennengelernt. Er war Kommunist, aber beileibe kein Dogmatiker, man konnte – und kann bis heute – mit ihm reden. Er vertritt seine Meinung und er akzeptiert die Auffassungen von anderen.
Für die 1987 im Heimatmuseum Tempelhof – seinem Heimatbezirk – eröffnete Ausstellung über die Zeit des Nationalsozialismus “Erinnern und nicht vergessen” entstand die Idee, die Aktion, die Szepansky 1933 die Freiheit gekostet hatte, nachzustellen. Der ehemalige Widerstandskämpfer war sofort bereit, die Parole auf eine Stellwand der Ausstellung zu malen. 
Die Ausstellungsmacher, die ursprünglich im Sinne einer genauen Rekonstruktion Farbeimer und Pinsel ausstellen wollten, belehrte er: Die beabsichtigte Inszenierung hätte ein falsches Bild der illegalen Arbeit erzeugt, denn sie mußte so gut vorbereitet sein, daß man bei der Flucht vor der Polizei kein Werkzeug zurückließ. Tatsächlich wurde auch in der Zeitungsmeldung kein Eimer oder Pinsel erwähnt. Deshalb stellten wir an die von ihm bemalte Wand nur ein Fahrrad zur Erinnerung an das Fortbewegungsmittel, das er bei sich hatte, als er festgenommen wurde.

Dieser Vorfall wird in dem jetzt wieder vorliegenden Buch von Wolfgang Szepansky “Dennoch ging ich diesen Weg” ausführlich geschildert – ebenso wie seine Erlebnisse im Konzentrationslager Columbia. Sein dortiger Haftaufenthalt ist ein Stück aus dem Leben Szepanskys, was uns erneut zusammenführte, als ich die Geschichte des Columbia-Hauses recherchierte und ihm erneut als Zeitzeugen begegnete.
Natürlich ist der 1910 in Berlin geborene Szepansky – er wird im Oktober 2000 90 Jahre alt – nicht als Zeitzeuge auf die Welt gekommen. Der in einer sozialistischen Familie groß gewordene Junge ging in eine kommunistische Kindergruppe. Die große Schwester war Vorsitzende des Kommunistischen Jugendverbandes im Mariendorf und ich erinnere mich gern an das Gespräch mit Luise Kraushaar, zu dem mich Wolfgang Szepansky eingeladen hatte.

In der Familie wurde viel gesungen, gelesen und diskutiert. Der jugendliche Wolfgang war in der Arbeitertheaterbewegung aktiv. Als die nationalsozialistische Partei an die Macht gebracht wurde, unterstützte er mit seinen Genossen den Widerstand. Am 25. Oktober 1933 klagte ihn der Generalstaatsanwalt bei dem Landgericht Berlin an, “den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereins” – gemeint war die in die Illegalität gedrängte Kommunistische Partei Deutschlands – “weiter aufrecht erhalten zu haben” und “öffentlich zu einer Gewalttat gegen eine bestimmte Person aufgefordert zu haben.” Damit war sein Aufruf “Nieder mit Hitler” gemeint. Nach der Freilassung ging er 1934 in die Niederlande ins Exil, wo er 1940 wieder in die Hände der Nazis geriet. Die Befreiung erlebte er auf dem Todesmarsch aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen. Nach elf Jahren sah er seine Eltern wieder. Sofort engagierte er sich abermals: Am 18. Juni 1945 entstand in einer Mariendorfer Schule der Antifaschistische Jugendausschuß von Tempelhof. Wolfgang Szepansky begann, mit den vorher in der Hitler-Jugend und dem Bund Deutscher Mädel organisierten Jugendlichen eine demokratische Jugendarbeit aufzubauen. Als ich 1989 eine Veranstaltungsreihe in der Volkshochschule über die Jugendarbeit im Jahre 1945 organisierte, berichtete er über die Heimabende und Theater- und Musikgruppen, in denen versucht wurde, den Jugendlichen eine demokratische Perspektive aufzuzeigen.
Beruflich betätigte sich der gelernte Maler zunächst als Zeichenlehrer, bis er 1951 im Zeichen des Kalten Krieges Berufsverbot erhielt, weil er Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei war.
“So etwas darf es niemals wieder geben.” Mit dieser Einstellung hat  Wolfgang Szepansky bis heute mit überwiegend jungen Menschen über seine Erfahrungen aus der Zeit des nationalsozialistischen Deutschlands gesprochen. Er hat keine Geschichten vom Krieg zu erzählen oder vom Alltag im nationalsozialistischen Deutschland. Er berichtet von seinem frühen Widerstand und erinnert an seine ermordeten Mitkämpfer, vom Leben im Exil und dem Terror im Konzentrationslager Sachsenhausen. Er sagte einmal: “Es war mir eine Qual, ihre Fragen stockend zu beantworten.” Doch gleichzeitig spürte er, wie die Zuhörenden ihm ergriffen lauschten. “Ich begann zu begreifen, wie wichtig die Kenntnis dessen, was ich erzählte, für nachfolgende Generationen ist.”
Die Arbeit als Zeitzeuge in Schulen, Universitäten und Volkshochschulen empfindet der bescheiden gebliebene Mann als Pflicht, auch wenn sie manches Mal schmerzhaft ist. Er kann mit großem Verständnis zuhören und die an ihn gestellten Fragen anschaulich beantworten. Er schöpft aus dem Fundes eines langen und erlebnisreichen Lebens. Wolfgang Szepansky ist für mich der Inbegriff eines Zeitzeugen und er hat sich große Verdienste erworben. Wer Jahr für Jahr in einem halben hundert Veranstaltungen mit weit über tausend Personen spricht, hat sich die öffentliche Anerkennung verdient und deshalb ist Wolfgang Szepansky am 26. September 1996 öffentlich mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt worden.

Kurt Schilde
 

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