Eberhard Mannschatz

 

Gemeinsame Aufgabenbewältigung als Medium sozialpädagogischer Tätigkeit. Denkanstöße für die Wiedergewinnung des Pädagogischen aus der Makarenko-Rezeption

 

trafo verlag 2002, 171 S., geb., ISBN 3-89626-024-3, 26,80 EUR

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Zum Inhalt:

Makarenko heute und hier? Bedauerlicherweise ist wohl nicht auszuschließen, daß selbst wohlmeinende Fachkollegen diese Fragestellung als unangebrachte witzige Bemerkung abtun oder als nostalgische Dickköpfigkeit eines unbelehrbaren Ost-Autors. Andere, vor allem aus der jüngeren Generation, werden sie gleichgültig übergehen, da ihnen Makarenko nicht bekannt ist, zumal seine Schriften und vor allem sein weltweit verbreitetes "Pädagogisches Poem" nicht mehr in den Regalen hiesiger Buchhandlungen zu finden sind. Leider muß das zeitgeistige Umfeld etwa so eingeschätzt werden.

Wenn man sich allerdings darauf einläßt, Makarenkos Auffassungen außerhalb verwirrender Interpretationen mit oftmals jeweils einseitiger politisch-ideologischer Einfärbung als pädagogisches Konzept gemeinsamer Aufgabenbewältigung zu entschlüsseln (und das soll in dieser Schrift unternommen werden), dann könnte sich diese Zurückhaltung als fehlerhafte Unterlassung oder bedauerliches Eigentor erweisen. Gemeinsame Aufgabenbewältigung als Medium sozialpädagogischer Tätigkeit ist nämlich – bei vorurteilsfreier Betrachtung – ein konzeptioneller Ansatz, der in heutiger Praxis gehandhabt wird. Ich meine die verschiedenen Varianten des Umganges mit Projekten der Kinder und Jugendlichen, bezogen auf Lernen, nützliche Arbeiten, Freizeitgestaltung; mit erlebnisbetonten Unternehmungen, die manchmal den Charakter von großangelegten Aktionen annehmen; mit mittelfristigen Vorhaben, welche den "tristen" Alltag in Betreuungseinrichtungen gewissermaßen auflockern. Innerhalb solcher Aktivitäten wenden sich Erwachsene und Kinder einer Aufgabe mit perspektivischer Sogkraft zu, bündeln die darauf bezogene freiwillige Aktivität, stellen sich den dabei auftretenden Problemen und Schwierigkeiten, entwickeln aus Eigenem dafür zweckentsprechende Lösungsstrategien, Verhaltensweisen sowie soziale und organisatorische Strukturen; und das gewöhnlich mit befriedigendem Erfolg.

Merkwürdigerweise wird dieses Phänomen von der Sozialpädagogik nur sparsam theoretisch reflektiert. Übergewichtig werden die Praktiker mit Orientierungen für psychologisch-therapeutische Verfahren in einer quasi klinischen Praxis versorgt. Ihre Aufmerksamkeit wird gelenkt auf Beratungsstrategien, auf verständnisvolle Begleitung individueller Entwicklung, auf eine Haltung des Sich-Zurücknehmens; und nicht zuletzt auf eine Art Nabelschau auf die eigene Befindlichkeit der Helfer mit der Folge einer "dumpfen egalitären Struktur im Sinne eines Betroffenheitskartells, in welchem der ‘Jargon der Weinerlichkeit’ zu höchstem Ansehen gelangt" (Niemeyer 1999, 44). Nun ist gewiß nichts gegen psychologische Fortbildung zu sagen und gegen den Wert und Nutzen therapeutischer Verfahren. Der praktisch tätige Pädagoge "behandelt" aber nicht die Kinder von Zeit zu Zeit, sondern er lebt mit ihnen, ist in ihrem ganz gewöhnlichen Alltag als Partner präsent; unter seine Fittiche kehren die Kinder immer wieder zurück. Es ist schon erstaunlich, daß ausgerechnet die lebensweltlich und alltagsorientierte Sozialpädagogik für diesen profanen Alltag nur ein dürftiges erziehungsmethodisches Instrumentarium zur Verfügung hält. Die Praktiker werden auf Alltag und gelingendes Leben orientiert, aber in vornehmer Zurückhaltung allein gelassen mit der Frage, wie sie das anstellen sollen. Der reichhaltige Fundus von Erfahrungen und konzeptionellen Zugängen, der dafür aus der Geschichte der Sozialen Arbeit reaktiviert werden könnte, ist mehr oder weniger in Vergessenheit geraten oder in die Schmuddelecke gedrängt worden. Man muß sich dann nicht wundern, wenn Praktiker ihre Hilflosigkeit schmerzlich empfinden oder gar als Berufsspezifikum kultivieren oder aber sie "bei längst überwunden geglaubten Disziplinierungskonzepten Zuflucht nehmen läßt" (Wolffersdorf 1996, 211).

Allerdings deutet sich eine Veränderung der Betrachtungsperspektive an. Das ist auf zwei Linien bemerkbar, die hoffentlich zueinander finden werden.

In der praxisnahen Sphäre besinnt man sich wieder darauf, daß sozialpädagogische Arbeit zu hohem Maße in sozialen Gruppen stattfindet; nicht zuletzt im Lebensort Heim. In der Diskussion werden wieder solche Fragen aufgeworfen wie "Zwischen Heimerziehung und ambulanter Hilfe – ein unmöglicher Spagat?"; oder "Ist Gruppenpädagogik noch zeitgemäß?"; oder "Förderung des Individuums im Rahmen einer Gruppe – geht das?". Es wird vorgeschlagen, solche Themen zu behandeln wie Grad der Offenheit oder Geschlossenheit der Gruppe, Zusammensetzung der TeilnehmerInnen, Motivation zur Teilnahme, Entwicklungsprozesse und Zielsetzungen, Fragen der Gruppenstruktur usw. Es belebt sich wieder die Diskussion über Möglichkeiten und Formen der Partizipation der Kinder und Jugendlichen, ihre Mitgestaltung in Entscheidungsprozessen, welche das Gruppenleben und die Gruppenbelange betreffen. Es ist abzusehen, daß in diesem Disput das Konzept Aufgabenbewältigung eine Rolle spielen wird.

Das ist auch abzusehen aus einer zweiten Denk- und Gesprächslinie, die sich diesem Thema gewissermaßen über den Umweg eines Paradigmenwechsels in der theoretischen Sphäre nähert. Dieser geht in die Richtung des Überganges von einer angebots- zu einer adressaten-orienierten Jugendhilfe, der Wiedergewinnung von Sozialraumorientierung, der Respektierung des Bürgerstatus der Kinder und Jugendlichen, der Förderung und Ermöglichung ihrer Teilnahme an der Gestaltung ihrer Lebensumstände, der Ausprägung ihrer Rolle als aktive Produzenten ihrer Entwicklung, von denen sozialpädagogische Tätigkeit als Dienstleistung gesteuert wird, und zwar vermittelt über ihre gemeinsame Aktivität, in der sich die je subjektiven Perspektiven verzahnen; um diese Richtungen hier zunächst nur anzudeuten und darauf aufmerksam zu machen, daß sie sich offensichtlich ebenfalls in die Nähe der Problemstellung Aufgabenbewältigung bewegen. Der indirekte Zugang über die paradigmatische Sphäre wird sich vielleicht insofern als Vorteil erweisen, als zu erwarten ist, daß die Konsequenzen daraus Nachhaltigkeit gewinnen werden, da sie über den Prüfstand wissenschaftlicher Erörterung gehen und damit theoretisch fundiert sind.

In diese sich anbahnende Entwicklung des Denkens, die auch mit dem Schlagwort "Wiedergewinnung des Pädagogischen" belegt wird, will sich diese Schrift einklinken. Sie nimmt sich die Auffassungen Makarenkos vor, weil diese dafür offensichtlich paßfähig sind; und weil aus ihrer Verwertung Anregungen zu erwarten sind für die pädagogisch-theoretische Grundlegung der angedeuteten Denkrichtung und vor allem für ihre praxisorientierte methodische Ausgestaltung.

In diesem Sinne soll die Beschäftigung mit Makarenko nicht ein Geschichtsexkurs sein, sondern Rezeption mit Bedeutung und Wirkung für die pralle Gegenwart.

 

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung

 

1. Das Diskussionsumfeld

Zwischenstück: Warum Bezugnahme auf Makarenko?

 

2. Das pädagogische Auffassungssystem Makarenkos

            Komplex und System der Grundannahmen (Überblick)

            Parallelität von Lebenspraxis und Erziehung

            Die Lebensform Kollektiv als Medium der Erziehung

            Erzieherisches Grundverhältnis

            Situation und Prozeß

            Die Lebensform Kollektiv als Erziehungsarrangement

            Operative Momente des erzieherischen Umgangs

 

3. Makarenko im Zirkel unterschiedlicher Deutungen

 

4. Denkanstoß: Sozialpädagogische Tätigkeit im Medium Aufgabenbewältigung

 

5. Verwirklichungschancen für das Konzept Aufgabenbewältigung ?

 

6. Erkundungsaufgaben

 

Anhang: Möglicher Erkenntnisgewinn aus unterschiedenen Gemeinsamkeiten zwischen den Jugendhilfe-Konzepten in der DDR und der BRD

 

Literatur

 

Über den Autor

 


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